Immer wieder finden eingestufte Dokumente aus Geheimdiensten und anderen Behörden ihren Weg an die Öffentlichkeit. Beim Bundesnachrichtendienst stieg die Anzahl der geleakten Dokumente in den vergangenen Jahren stetig an, Zahlen dazu musste das Bundeskanzleramt nach einer Klage des Tagesspiegels im Dezember 2015 offenlegen. Für die Geheimdienstler ist das unangenehm, Leaking wird immer wieder als Risiko für die nationale Sicherheit oder das Staatswohl bezeichnet. Das darf keine Pauschalausrede sein, in völliger Geheimhaltung und Intransparenz zu agieren. Aber solange das der Fall ist, ist Leaking eine notwendige Voraussetzung, Missstände und demokratiegefährdende Entwicklungen aufzudecken.
Dieser Artikel erschien zuerst unter der Lizenz CC-BY 4.0 in der Februarausgabe des prager frühling.
Doch was ist, wenn geleakte Dokumente tatsächlich Informationen enthalten, die Nachteile für die nationale Sicherheit bedeuten oder etwa durch die Veröffentlichung von Namen Menschen in Gefahr bringen? Leaking ist immer ein Abwägungsprozess, eine Einzelfallentscheidung. Mit der Veröffentlichung von Dokumenten geht die Verantwortung einher, einzuschätzen, welche Konsequenzen ein Leak haben kann, ob damit unschuldige Menschen in Gefahr gebracht werden und ob im Zweifel das öffentliche Interesse an den Informationen überwiegt. Diese Verantwortung muss sowohl die Quelle selbst tragen als auch derjenige, der das Material publiziert.
Letzterer ist traditionellerweise ein Journalist, der das Material aufarbeitet und veröffentlicht. Er hat auch die Verantwortung, dafür Sorge zu tragen, dass die Quelle nicht identifiziert werden kann und in Gefahr gerät. Darüberhinaus ist seine Aufgabe, Informationen so in den Kontext zu setzen und zu erklären, dass sie einen tatsächlichen Mehrwert für eine breite Öffentlichkeit darstellen. Oftmals sind Informationen, isoliert betrachtet, schwer zu verstehen und ihre gesamtheitliche Bedeutung kaum zu interpretieren.
Die Art des Leakens hat sich verändert
Durch Whistleblower-Plattformen wie Wikileaks hat sich das klassische Verhältnis von Quelle und Journalist verändert. Informationen werden zunehmend auch ohne Begleitung eines Nachrichtenmediums veröffentlicht, außerdem leisten auch NGOs vermehrt einen Beitrag, indem sie geheime Daten veröffentlichen und erklärend aufbereiten. Das bringt große Chancen mit sich, da die Deutungs- und Veröffentlichungshoheit der Medien geschwächt wird. Es erhöht aber auch das Risiko, dass ein gründlicher Abwägungsprozess fehlt und Informationen an die Öffentlichkeit gelangen, die tatsächlich Einzelne in Gefahr bringen, etwa wenn Namen Unbeteiligter nicht geschwärzt werden.
Um Menschen den verantwortungsvollen Umgang mit sicherheitsrelevanten Dokumenten zu ermöglichen, die keinen offiziellen Pressestatus haben, ist es wichtig, ihnen den gleichen Schutz durch Pressefreiheit zu gewährleisten wie berufsmäßigen Journalisten. Dafür ist es dringend geboten, den Straftatbestand der Datenhehlerei wieder abzuschaffen, der mit der Gesetzgebung zur Vorratsdatenspeicherung durch die Hintertür eingeführt wurde. Er bringt durch unklare Rechtsformulierungen jene in Gefahr, mit denen Informationen geteilt werden. Dabei ist genau das unabdingbar, um die Tragweite von Veröffentlichungen zu beurteilen. Sich ein Urteil von Rechtskundigen und Technikspezialisten zu holen, sollte die Pflicht sorgfältiger publizistischer Aufbereitung sein.
Eigentlich sollten Leaks in einer demokratischen Gesellschaft nur eine Ausnahme sein müssen. Leaking ist Transparenz von unten, wo der Staat verfehlt, von sich aus genügend Informationen bereitzustellen, um eine gesellschaftliche Diskussion über Grundrechtsgefährdungen zuzulassen. Sei es im Entwurfsprozess von Gesetzen, beim Einsatz von Überwachungstechnologie und -maßnahmen oder anderen sicherheitspolitisch relevanten Sachverhalten. Mechanismen zu Transparenzverpflichtungen des Staates gegenüber seinen Bürgern gibt es bereits, ihre Anwendbarkeit und Umsetzung besteht nur unzureichend.
Pauschalausnahmen vom Informationsfreiheitsgesetz
Das Informationsfreiheitsgesetz regelt die Möglichkeit, von Bundesbehörden und ähnlichen Stellen Zugang zu amtlichen Informationen zu bekommen. Das stellt ein wichtiges Instrument der demokratischen Kontrolle dar, weil die angefragten Stellen im Grundsatz zur Auskunft verpflichtet sind. Oft genug scheitern Informationsfreiheitsanträge, sind zu großen Teilen geschwärzt oder bringen Kosten mit sich, die den Fragenden abschrecken. Zumindest aber muss eine Ablehnung begründet werden. Der Antragssteller hat daraufhin die Möglichkeit, dieser Ablehnung zu widersprechen und gerichtlich feststellen zu lassen, ob sie zulässig war. Für Geheimdienste gilt das nicht. § 3 des Informationsfreiheitsgesetzes sieht eine sogenannte Bereichsausnahme für Nachrichtendienste und andere Stellen vor, sobald sie „Aufgaben von vergleichbarer Sicherheitsempfindlichkeit“ vornehmen.
Das bedeutet, dass Geheimdienste selbst trivialste Informationen nicht mit der Öffentlichkeit teilen müssen. Ein Paradebeispiel dafür ist eine Informationsfreiheitsanfrage nach den Kosten des vom BND herausgegebenen Kochbuchs „Top(f) Secret – Die ‚Geheimrezepte‘ des Bundesnachrichtendienstes“. Eine Gefahr für das Staatswohl würde eine Herausgabe dieser Information wohl kaum darstellen — für Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst und den Militärischen Abschirmdienst ist das unerheblich.
Eine solche pauschale Ausnahme erstickt Transparenz und rechtsstaatliche Kontrolle im Keim. Wenn Informationen geheim bleiben sollen, muss das für jeden Fall begründet und von einem unabhängigen Gremium überprüft werden können.
Mehr Transparenz und Eigeninitiative notwendig
Eine Ausweitung des Informationsfreiheitsanspruchs gegenüber Geheimdiensten und Co. kann nur der erste Schritt sein. Wünschenswert wäre es, dass Informationen nicht erst über Informationsfreiheitsanfragen ans Licht gezerrt werden müssten, sondern von den betroffenen Stellen proaktiv veröffentlicht würden. Ein inhärentes Problem ist nämlich, dass zum Anfragen von Informationen und Dokumenten bekannt sein muss, welche Informationen überhaupt vorhanden sind.
Das Bereitstellen von Informationen muss zum Standard werden — in maschinenlesbarer und umfassender Form. Wenn Informationen als Verschlusssachen eingestuft sind und ihre Veröffentlichung unterbunden werden soll, sind Kriterien dafür in Verschlusssachenanweisungen, Verwaltungsvorschriften und dem Sicherheitsüberprüfungsgesetz geregelt. Es soll jeweils der niedrigste angemessene Geheimhaltungsgrad gewählt werden. Welcher das ist, wird von der jeweiligen Stelle selbst entschieden. Eine Überprüfung durch Dritte wäre hierbei dringend notwendig, um willkürliche Übereinstufungen zu verhindern.
Wovor haben die eigentlich Angst?
Nicht nur der Öffentlichkeit wird es verwehrt, sicherheitspolitische Praktiken zu beurteilen. Auch die Parlamentarischen Kontrollinstanzen wissen besonders in Bezug auf Geheimdienste kaum, was wirklich passiert. Besonders im Rahmen des NSA-Untersuchungsausschusses wurde deutlich, wie jahrelang die G-10-Kommission und das Parlamentarische Kontrollgremium hinters Licht geführt und ihnen Informationen vorenthalten wurden. Selbst wenn den Parlamentarier Einsichtnahme gewährt wird, ist ihnen oftmals verwehrt, öffentlich und konkret über diese zu reden. Noch dazu sind die beiden zentralen Kontrollinstanzen des Parlaments personell und fachlich zu schwach ausgestattet, um einen umfassenden Geheimdienstapparat beurteilen und damit kontrollieren zu können.
Leaks aus der Vergangenheit haben gezeigt, dass viele der Informationen, die der Öffentlichkeit vorenthalten werden, keineswegs die Sicherheit der Bundesrepublik oder die konkreter Personen gefährdet haben. Meist ist das Operieren im Verborgenen eine Vermeidung gesellschaftlicher Diskussion, die Verschleierung unrechtmäßiger Praktiken und Planungen oder schlicht die Angst vor Peinlichkeit. Gerade in diesen Fällen ist eine Offenlegung von fragwürdigen Zuständen unentbehrlich.
Solange es kaum Transparenz und wirksame Kontrollmechanismen gibt, sind wir als Gesellschaft auf die Courage von Whistleblowern und Leakern angewiesen. Angemessene Gesetze zum Schutz derer zu erlassen, die sich durch die Offenlegung von Missständen in Gefahr bringen, ist das mindeste was ein Gesetzgeber tun muss. Wenn ein Whistleblower daran scheitert, Missstände intern zu Bewusstsein zu bringen und sich dann dem Risiko von Strafverfolgung aussetzt, um diese der Öffentlichkeit mitzuteilen, muss es Schutzmechanismen geben. Denn: Whistleblower gefährden nicht unsere Sicherheit. Sie verteidigen unsere Demokratie.
Der Fall des NATO-Whistleblowers, der heute auf netzpolitik.org verlinkt wurde, macht deutlich, was alles schief gehen kann, wenn man es auf eigene Faust und ohne jegliche Unterstützung betreibt, selbst wenn aus besten Absichten heraus gehandelt wird.
Es braucht eine unabhängige Stelle, deren Anlaufen ein sanktionsfreies Whistleblowing garantiert. Das könnte eine Institution sein, ähnlich aufgestellt wie die Ethik-Kommission. Dafür ist ein Whistleblower-Gesetz notwendig, das klare Regeln aufstellt. Dazu müssten auch Verpflichtungen formuliert werden, die zum Abstellen von Missständen verpflichten.
Whistleblower, die ernsthafte Mängel aufdecken sollten eher belohnt werden, z.B. durch Beförderungen oder Prämien, anstatt mit unsinnigen Prozessen überzogen zu werden.
Wir brauchen eine ernsthafte Diskussion um das Abstellen von Missständen. Möglicherweise ist der Begriff „Whistleblower“ für manche Kreise in der politischen Diskussion zu stark belastet. Missstände bergen große Gefahren, die hohe Schäden verursachen können. Dies einer Öffentlichkeit zu vermitteln sollte doch nicht allzu schwer fallen.
„Dies einer Öffentlichkeit zu vermitteln“ ist ja nicht so sehr die notwendige Aufgabe, sondern vielmehr, es endlich durchzusetzen bei unseren Regierungspartei-Bundestags-Abgeordneten.
Deutsche Geheimdienste, die so beschaffen wären, dass sie sich Whistleblower-Schutz für Verfassungs-Verteidiger leisten könnten ! Angesichts unserer Geschichte, den eigenen Geheimdiensten vertrauen zu können: wie großartig wäre das denn !
Ein wirklich nur unsere Außenpolitiker informierender „Bundesnachrichtendienst“,
ein tatsächlich unser Grundgesetz verteidigendes „Bundesamt für Verfassungsschutz“.
Beide weit weg von: Journalisten-Bedrohung, G10-Umgehung, vorenthaltenen/falschen Aussagen an PKGR/1.U.A., Verbindung zu Tätern statt nur zu Datenaustauschern ,…
Und jetzt müssen wir noch herausfinden, was die Abgeordneten / Kabinettsmitglieder im Schilde führen (was planen diese für unsere Zukunft?), die eben diese Fehlerkorrekturmöglichkeit des Whistleblowerschutzes immer und immer wieder boycottieren ?
> „Dies einer Öffentlichkeit zu vermitteln“ ist ja nicht so sehr die notwendige Aufgabe,
Leider doch, denn in der Politik werden Probleme erst dann angegangen, wenn sie von einer Mehrheit wahrgenommen werden, und wenn sich damit Wählerstimmen sammeln lassen.
Die Diskussion um Whistleblower ist trotz Snowden und anderer immer noch nicht in der breiten Öffentlichkeit angekommen.
Anstelle der (Be)nutzung von Whistleblowern zur Auflagen- bzw. Click-Steigerung sollte der Nutzen dieser Mängelaufdecker in den Vordergrund treten. Dies ist immer noch der Fall, weil eine Kultur des Vertuschens von Fehlern und Peinlichkeiten vorgezogen wird.
Bei streng hierarchischen Strukturen wie Militär oder Geheimdiensten Whistleblowing als Angriff von innen. Es wird Zeit mit diesem Unsinn gründlich aufzuräumen. Es gibt Alternativen zum Zerstören des Lebens von Mängelaufdeckern.
Ich kannte das Magazin prager frühling noch nicht. Um so überraschter war ich von der Qualität der dort publizierten Artikel.
Vielen Dank für obigen Link!
Anna, Hi, nachgefragt: Datenhehlerei hat doch jetzt einen Absatz 3, der Euch Berufsblogger exkulpiert, oder? Womit begründest Du Deine Aufforderung zur Abschaffung?
Dass das „berufsmäßige“ Journalist sein auf viele nicht zutrifft, die trotzdem journalistisch arbeiten. Es geht ja nicht nur um uns. Und außerdem bringt das auch die in Gefahr, mit denen wir arbeiten, wenn wir uns z.B. technische oder juristische Einschätzungen einholen.
Ersteres na ja, ‚berufsmäßig‘ muss nicht ‚hauptamtlich‘ sein.
Letzteres ok: Wie will man als Teilzeit-Blogger einen InfoSec-Leak bewerten, ohne ihn nahezu 1:1 an einen Experten weiterzugeben? Das Damoklesschwert der verdachtsbegründeten Überwachung schwebt ständig einschüchternd über dem Blogger und seinen Quellen…
Trotzdem kann ich den Gesetzgeber verstehen: Da schlachtet Einer marktschreierisch die geleakten Transaktionsdaten eines Sex-Portals aus – Ashley Madison – und ich krieg‘ ihn nicht dran: „hat ja ein Anderer gehackt und live gestellt. Ich hab ja nur drauf hingewiesen“.
Wir brauchen ein Whistleblower-Gesetz: „Im überwiegenden öffentlichen Interesse“ ist das Rumreichen ok, sonst nicht.
Wäre das ok für Dich?
Hm, an sich würde ich sagen ja, das ist ok. Aber die Bewertung von „im überwiegenden öffentlichen Interesse“ ist natürlich schwierig und Auslegungssache. Es braucht auch Stellen, an die man sich wenden kann, wenn man Missstände öffentlich machen will. Sowohl innerbetrieb- oder behördlich als auch extern und unabhängig.
Mit diesem Artikel wurde fast zeitgleich publiziert: Von Storch postet Namen und Bild des Tortenwerfers auf Facebook: Auf den Pranger folgen Morddrohungen.
von Fabian Warislohner am 01. März 2016, 19:00 in Deutschland / 144 Kommentare
Dieser Aktikel hingegen bringt es auf
von Anna Biselli am 01. März 2016, 12:24 in Informationsfreiheit / 8 Kommentare
Womit wieder einmal Interessen und Präferenzen der Leser deutlich werden: Bullshit-Bingo wins!
Ich frage mich ernsthaft, ob ich in meinem Leben jemals ein Whistleblower-Gesetz in Deutschland oder EU sehen werde?
I care ?