Internes Papier des Innenministeriums: Verfassungsschutz darf direkt an Asylanhörungen teilnehmen (Update: Statements)

Das Bundesamt für Verfassungsschutz nimmt seit zwei Monaten teilweise direkt an Asylanhörungen teil. Und das soll geheim bleiben, zeigt ein internes Papier des Bundesinnenministeriums. Damit geht der Verfassungsschutz noch weiter als zuvor der BND, der jahrelang unter Tarnung Nachbefragungen durchführte und dafür Kritik erntete.

Aus Schicksalen werden Datenquellen – der Verfassungsschutz intensiviert die Abschöpfung von Geflüchteten für geheimdienstliche Zwecke. CC BY-NC 2.0 via flickr/brainbitch

Ob ein geflüchteter Mensch in Deutschland Asyl bekommt, darüber entscheidet vor allem seine Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, kurz: BAMF. Er muss darin einem sogenannten Entscheider glaubhaft vermitteln, warum er nicht in seinem Herkunftsland bleiben kann. Ein Gespräch, das über das weitere Schicksal entscheidet. Zu den Fragen, denen er sich stellen muss, gehören neben vielen anderen: „Haben Sie in Ihrem Heimatland Personalpapiere besessen?“, „Leben noch Verwandte im Heimatland?“ und „Haben Sie Wehrdienst geleistet?“

Im Befragungsraum sitzt neben dem Asylsuchenden selbst und dem Entscheider ein Dolmetscher, der die Kommunikation in der Muttersprache des Geflüchteten ermöglicht. Manchmal sitzen noch mehr Menschen im Raum. Im besten Fall: Der Anwalt des Befragten oder seine Unterstützer. Oder ein Entscheider in der Ausbildung. Seit einigen Wochen könnte es aber auch noch einen ganz anderen Gast geben: Das Bundesamt für Verfassungsschutz, BfV.

Das zeigen interne Papiere des Bundesinnenministeriums (BMI), die netzpolitik.org vorliegen. Die Öffentlichkeit und die Opposition im Deutschen Bundestag sollen davon nach dem Willen der Bundesregierung nichts erfahren.

2014 aufgelöst: Die Hauptstelle für Befragungswesen des BND

Bis zum Jahr 2014 übernahm vor allem die Hauptstelle für Befragungswesen (HBW) das Ausfragen von Asylbewerbern. Die HBW war eine Tarnbehörde des BND. Das ahnte man schon vorher, ihre zweifelsfreie Enttarnung dauerte bis zum Jahr 2013, als ihre Auflösung schon beschlossen war.

Die Aufgabe der HBW: die Abschöpfung von Geflüchteten als nachrichtendienstliche Quellen, die Gewinnung von Informationen aus den Herkunftsländern. Das BAMF gab der HBW dafür nach den Erstanhörungen von Asylsuchenden Informationen, welche Personen für den Geheimdienst interessant sein könnten. Die ehemalige Leiterin der HBW, Frau K., gab während ihrer Befragung im NSA-Untersuchungsausschuss zu Protokoll, man erkundige sich zum Beispiel nach der Brotversorgungslage. Auf Informationen zu terroristischen Netzwerken habe man hingegen keinen besonderen Wert gelegt.

Grundlage für die Übermittlung von Daten des BAMF an den BND war ein „Kriterienkatalog“, der sich an die aktuellen Informationsbedürfnisse der Regierung anpasste. netzpolitik.org hat einen dieser Kriterienkataloge aus dem Jahr 2013 veröffentlicht. Dort ist – in Widerspruch zu Frau K.s Aussage – explizit aufgeführt, dass Personen mit Hinweisen zu Terrorismus, Drogenhandel oder Schleppern in das Interesse des BND fallen.

Auszug aus dem Kriterienkatalog der HBW (Replika)
Auszug aus dem Kriterienkatalog der HBW (Replika)

Er zeigt eindrucksvoll: Die in Comic Sans dokumentierten Kriterien mit Punkten wie „Menschenrechtsverletzungen“ sind so allgemein gehalten, dass wohl jeder Geflüchtete ins Raster des Geheimdienstes gepasst hätte. Zu manchen Zeiten wurden dem BND sogar standardmäßig die Anhörungsprotokolle von Geflüchteten ganzer Herkunftsländer zugesandt – dem Iran und Somalia beispielsweise.

Was kam nach der Hauptstelle für Befragungswesen?

Was nach der Auflösung der HBW im Jahr 2014 folgte, blieb zunächst unklar. Ein ersatzloses Einstellen der Befragungen, so viel stand fest, wäre unrealistisch gewesen. Man versuchte es im BND mit den sogenannten Flughafenbefragungen direkt bei der Einreise und Befragungen in den Krisengebieten vor Ort.

Doch die Vermutung lag nahe, dass der Verfassungsschutz nun verstärkt die Inlandsbefragungen übernehmen würde. Uns liegen nun Informationen aus internen Papieren des BMI vor, die das bestätigen und die demonstrieren, dass die Involvierung des Bundesamtes für Verfassungsschutz noch viel weiter geht als die des BND zuvor.

Der Verfassungsschutz ist jetzt direkt bei Asylanhörungen dabei

Am 10. Oktober war Jabr Al-Bakr festgenommen worden, der unter dem Verdacht stand, einen Sprengstoffanschlag auf den Flughafen Tegel in Berlin geplant zu haben. Es dauerte nicht lange, bis Forderungen laut wurden, man müsse einen engeren Informationsaustausch zwischen den Behörden bei der Anhörung von Geflüchteten etablieren. Allen voran CSU-Innenpolitiker Stephan Mayer. Bei Anhörungen sollten, so sagte er dem Sender n-tv, BfV und BND direkter eingebunden werden, wenn „Flüchtlinge überprüft und befragt werden“.

Seine Forderung war zu diesem Zeitpunkt keine Zukunftsvision, die Pläne lagen längst in der Schublade des BMI. Bei einem Berichterstattergespräch im Bundestag, zu dem ausschließlich die Abgeordneten der Koalitionsfraktion aus SPD und Union geladen waren, schlug das BMI in einem internen Papier vor, dass man dem „parlamentarischen Raum“ Folgendes kommunizieren solle:

Aus Sicht des BMI sei es wünschenswert, dass BAMF und BfV enger zusammenarbeiten. Nicht nur bei der Weitergabe von Asylakten, sondern viel direkter:

[U]m islamistische Strömungen unter den Asylsuchenden besser zu erkennen und zu bewältigen […] ist eine maßvolle und anlassbezogene Teilnahme des BfV an Asylanhörungen geplant.

Angst vor Skandal? BMI will „nur mündliche Informationsweitergabe“

Eine direkte Teilnahme von Geheimdiensten an den Anhörungen der Asylbewerber im BAMF hat es bislang noch nicht gegeben. Die HBW hat Geflüchtete nach den Erstanhörungen durch das BAMF separat befragt, eine so direkte Vermischung von Asylanhörung und geheimdienstlicher Informationsbeschaffung fand nicht statt.

Dem BMI ist die Brisanz des Vorhabens durchaus bewusst. Es schlägt eine Lösung vor:

Da es sich um ein sensibles Thema handelt (möglicher Vorwurf der unmäßigen Bespitzelung von Flüchtlingen), wird eine nur mündliche Informationsweitergabe im Rahmen eines Berichterstattergesprächs vorgeschlagen.

Bundestagsabgeordnete der Opposition werden nicht informiert

Das besagte Berichterstattergespräch mit den Koalitionsfraktionen fand am 20. Oktober statt, nur zehn Tage nach al-Bakrs Festnahme. Mit der Praxis, so geht aus dem BMI-Papier hervor, wollte man schon vorher beginnen, ab Kalenderwoche 41 heißt es. In genau der Woche, in der die Festnahme stattfand – in genau der Woche, als Mayer und andere forderten, was sich bereits in der Umsetzung befand und was dennoch niemand wissen sollte.

Auch nicht die Bundestagsabgeordneten der Opposition, die selbst auf direkte Nachfrage hin im Unklaren gelassen werden. Ulla Jelpke von der Linksfraktion im Bundestag wollte durch eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung wissen, ob es stimmt, dass das BfV nun direkt an den Anhörungen teilnimmt; ob das BfV offenlegt, dass ein Geheimdienst im Raum sitzt; wie das mit der vorgeschriebenen Vertraulichkeit von Asylanhörungen zusammenpasst und was mit der Teilnahme an den Anhörungen überhaupt bezweckt werden soll.

Die Antwort fällt mager aus: „Aus Gründen des Staatswohls“ können die Fragen nicht, „auch nicht in eingestufter Form“, beantwortet werden. Um die Arbeitsfähigkeit des Verfassungsschutzes nicht zu gefährden.

Fragestellerin Jelpke macht das skeptisch. Sie kommentiert gegenüber netzpolitik.org:

Die Bundesregierung hat die Frage nach einem Einsatz von Schnüfflern des BfV in Anhörungen des BAMF nicht beantwortet – ich lese das als Bestätigung. Denn eine wahrheitsgemäße Verneinung wäre wohl kaum als staatswohlgefährdend zu werten. Nur aus Angst vor dem öffentlichen Skandal drückt sich die Bundesregierung vor einer Antwort.

Damit dürfte sich ebenso die Frage mit einem Nein beantworten lassen, ob sich das BfV in den Anhörungen gegenüber den Befragten zu erkennen gibt. Für eine verdeckte Teilnahme spricht außerdem ein weiterer Punkt: Der bewusste Kontakt mit einem deutschen Geheimdienst kann als Nachfluchtgrund gelten. Das bedeutet, dass bei eigentlicher Ablehnung des Asylersuchens trotzdem ein positiver Bescheid ausgestellt werden muss, wenn die Information, dass ein Antragssteller mit einem fremden Geheimdienst geredet, diesen im Herkunftsland in Gefahr bringen würde.

Hauptsitz des BAMF in Nürnberg, wo BND und BfV ihre Verbindungsbüros haben.  CC BY-SA 3.0 via wikimedia/Nico Hofmann
Hauptsitz des BAMF in Nürnberg, wo BND und BfV ihre Verbindungsbüros haben. CC BY-SA 3.0 via wikimedia/Nico Hofmann

BND befragt derzeit nur wenige Asylsuchende

Während das BfV seine Zusammenarbeit mit dem BAMF stark intensiviert, ist die Praxis des BND derzeit zurückhaltender. Nach den Skandalen um die HBW und die darauffolgende Auflösung befragt er Geflüchtete nur noch in Einzelfällen und ohne sich dabei als eine andere Behörde auszugeben.

Zu den Skandalen um die HBW gehörte die Einbindung ausländischer Geheimdienste, wie des US-Militärgeheimdienstes DIA. Als bekannt wurde, dass die HBW im Beisein US-amerikanischer Angehöriger des Militärgeheimdienstes DIA Geflüchtete befragt hatte und zu späteren Zeitpunkten die DIA-Mitarbeiter sogar in Abwesenheit deutscher Geheimdienstmitarbeiter allein mit den Geflüchteten redeten, stellte sich die Frage, inwiefern die USA die so gewonnenen Informationen zur Lokalisierung von späteren Drohnenopfern genutzt haben.

Laut Bundesregierung hat der BND im Oktober 2015 wieder mit den Befragungen angefangen – nicht in, sondern wie zuvor nach der Asylanhörung. Laut Informationen von netzpolitik.org fanden seitdem 29 Befragungen statt, ausländische Dienste sind – zumindest vor Ort – nicht mehr dabei. Im Gegensatz zu mehr als hundert Befragungen pro Jahr zu Hochzeiten der HBW ist das vergleichsweise wenig, die Entwicklung der Zahlen bleibt abzuwarten.

Das Datenaustauschverbesserungsgesetz

Das Bundesamt für Verfassungsschutz und der BND sind nicht die einzigen Behörden, die Daten über Geflüchtete sammeln. Mit dem sogenannten Datenaustauschverbesserungsgesetz, das in diesem Jahr in Kraft trat, haben es Behörden, Geheimdienste und Polizeien leichter, Informationen über Geflüchtete zu teilen und weiterzuleiten – „medienbruchfrei“, wie die Bundesregierung lobt.

Eine ganze Reihe an Behörden mit polizeilichen oder geheimdienstlichen Aufgaben ist zum automatisierten Abruf von Daten aus dem „Ausländerzentralregister“ (AZR) befugt: BKA, Bundespolizei, Zollkriminalamt, Polizei- und Sicherungsdienst des Bundestages, BfV und BND.

Im AZR finden sich nicht nur die Personalien der Betroffenen oder ihr Aufenthaltsstatus. Nach einer Erweiterung im Juli gehören unter anderem zusätzlich Informationen zu Beruf, Bildung, Sprachkenntnissen und Gesundheit zu den Datenfeldern. Die Zahl der zugriffsberechtigten Behörden beläuft sich auf 6.700 – von Meldeämtern über Gerichte bis hin zu besagten Polizeien und Geheimdiensten.

Fast eine Million Anfragen der Bundespolizei ans Ausländerzentralregister in einem halben Jahr

Die Abfragemöglichkeiten werden rege genutzt, wie die Antwort der Bundesregierung auf Jelpkes Anfrage zeigt: Allein im letzten halben Jahr griff die Bundespolizei in 921.753 Fällen auf automatische Abfragen zurück, das BKA immerhin noch 81.604 Mal. Ob alle Behörden bei der Abfrage die nötigen Maßnahmen treffen, die sensiblen Daten zu schützen, soll nach der Zulassung zum Zugriff stichprobenartig geprüft werden. Wie genau, weiß man noch nicht, obwohl das Verfahren bereits in der Praxis angewandt wird: Das Stichprobenverfahren sei „noch nicht abschließend und im Einvernehmen mit der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit beschrieben“.

Jelpke findet, dass die „massenhaften, automatisierten Datenabfragen durch Polizeibehörden“ im AZR eines zeigen:

Es geht hier schon lange nicht mehr um ein zentrales Register, das Ausländerbehörden die Arbeit erleichtert. Daten von Ausländerinnen und Ausländern sind reine Verfügungsmasse für die Polizei und nun für viele andere Behörden. Wesentliche Prinzipien wie die Datensparsamkeit gelten für Ausländerinnen und Ausländer offensichtlich nicht – einfach nur, weil sie keinen deutschen Pass haben.

Zahlreiche Datenübermittlungen für den Sicherheitsabgleich

Das AZR ermöglicht seit dem Datenaustauschsverbesserungsgesetz noch etwas anderes: Einen Sicherheitsabgleich, „unverzüglich nach Speicherung der Daten im Kerndatensystem „. Damit sollen „terrorismusrelevante Erkenntnisse“ und andere Sicherheitsbedenken frühzeitig festgestellt werden. Dafür übermittelt das BAMF Auskunftsersuchen an BKA, BfV, Zollkriminalamt, BND und den Militärischen Abschirmdienst, um eventuelle „Versagensgründe“ für einen Asylantrag festzustellen.

In diesem Verfahren werden diverse Datenbanken abgefragt. Welche genau, wurde dem linken Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko auf eine frühere Nachfrage nur in Teilen öffentlich beantwortet. Unseren Informationen zufolge geht es dabei jedoch um mindestens neun verschiedene Datenbanken und Dateien, darunter die polizeilichen Informationssysteme INPOL-Fall und INPOL-Zentral sowie NADIS WN, das „Nachrichtendienstliche Informationssystem“.

Mit mehr Datenaustausch lässt sich im gleichen Atemzug leicht die Notwendigkeit der Personalaufstockung begründen. Während im BND für die Sicherheitsabgleiche kein Stellenaufwuchs geplant ist, fallen für das BfV in diesem Bereich gleich 15 neue Planstellen ab, wie aus weiteren Informationen hervorgeht, die netzpolitik.org vorliegen.

BAMF leitet wieder häufiger Fälle an den BND weiter

Kommt das BAMF bei seiner Anhörung zu dem Ergebnis, dass Asylsuchende sicherheitsrelevante Hinweise besitzen können, erfolgt in der Rückrichtung eine Übermittlung an BND und BfV. Die Anzahl dieser Übermittlungen stieg sprunghaft an, selbst im relativen Vergleich zum allgemeinen Anstieg der Asylantragsstellungen. 2015 gab es 462 Übermittlungen vom BAMF an den BND – bei 441.899 Asyl-Erstanträgen. Bis zum Oktober 2016 übermittelte das BAMF 1.350 Mal bei 676.320 Anträgen. Eine Steigerung der Übermittlungen auf beinahe 300 Prozent – während die Zahl der Anträge lediglich um das Eineinhalbfache wuchs.

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Für die Koordination der Zusammenarbeit mit Geheimdiensten und sonstigen Sicherheitsbehörden ist das Sicherheitsreferat des BAMF zuständig, in dem laut Bundesregierung 31 Mitarbeiter beschäftigt sind.

Die Verbindungsbeamten – die Geheimdienstler in BAMF-Büros

Die Vertreter der Geheimdienste, die sogenannten Verbindungsbeamten, haben ihre eigenen Büros in den Gebäuden des BAMF. So teilen sich zwei BND-Mitarbeiter eine Vollzeitstelle für den Direktkontakt mit dem Bundesamt. Nicht alle BAMF-Mitarbeiter wissen, wer die Geheimdienstler in ihrem Gebäude sind. Außer dem Sicherheitsreferat und notwendigen Einzelfällen legt man den echten Arbeitgeber der BND-Mitarbeiter nicht von vorne herein offen.

Auch das BfV will ganz nah dabei sein – „für eine reibungslose Zusammenarbeit“, so ist es in einem Papier des BMI formuliert. Und so besetzt neben dem BND der deutsche Inlandsgeheimdienst ebenfalls ein Büro in der BAMF-Zentrale in Nürnberg.

Die Nähe der deutschen Geheimdienste zum Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat lange Tradition. Sie wird seit Kurzem weiter intensiviert, indem der Verfassungsschutz in manchen Fällen schon bei den Erstbefragungen dabei sein soll. Damit werden Menschen mit Schicksalen zu Sicherheitsrisiken und Datenquellen degradiert. Mit der im „Handbuch für Entscheider“ vom BAMF beschriebenen Selbstverständlichkeit, dass Anhörungen „fair und verständnisvoll“ durchzuführen sind, hat das nichts mehr zu tun.

Wir haben Statements von Abgeordneten und Organisationen angefragt, die sich um Geflüchtete kümmern. Wir tragen sie nach, sobald sie uns erreichen.

Statements

Burkhard Lischka, innenpolitischer Sprecher der SPD im Bundestag:

Die Befragung einzelner Flüchtlinge durch Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz ist zu begrüßen. In einer Zeit anhaltender Terrorgefahr und Versuchen des Islamischen Staates, gezielt als Flüchtlinge getarnte Terroristen nach Deutschland einzuschleusen, können diese Befragungen die innere Sicherheit erhöhen. Die Geheimhaltung ist zulässig und geboten, um den Zweck der Befragungen nicht zu gefährden. Das Bundesamt muss dabei selbstverständlich im Rahmen seiner Befugnisse und der Datenschutzbestimmungen agieren.

Martina Renner, Obfrau der Linken im NSA-Untersuchungsausschuss:

Geheimdienste haben in Asylverfahren nichts zu suchen. Punkt. Das ergibt sich daraus, dass offene Antworten nicht zu erwarten sind, sobald bekannt ist, dass ein Geheimdienst dabei ist. Und es wäre naiv anzunehmen, dass sich das nicht herumspricht – bei Geflüchteten wie übrigens auch bei den Regimen, vor denen sie flüchten.

Offensichtlich haben die Sicherheitsbehörden nichts aus dem Debakel der HBW gelernt – der ‚Hauptstelle für Befragungswesen‘ des BND, die ja erst vor anderthalb Jahren geschlossen wurde. Natürlich müssen sicherheitsrelevante Angaben überprüft werden können. Aber dafür bedarf es eines Verfahrens, dass eines Rechtsstaates würdig ist.

Ulla Jelpke, Mitglied des Innenausschusses für die Fraktion Die Linke im Bundestag:

Mit vielen Maßnahmen degradiert die Bundesregierung schutzsuchende Menschen zu Objekten geheimdienstlicher Ausspähung. Bislang war nur vom BND bekannt, dass er Asylsuchende geheimdienstlich abschöpft. Nun ist das offensichtlich in großem Umfang auch für das Bundesamt für Verfassungsschutz geplant. Sollten die Angaben stimmen, dass Mitarbeiter des Dienstes an Asylanhörungen teilnehmen und ein großer Teil der massiven Personalaufwüchse auf diese Aufgabe zurückgehen, wäre das ein unvergleichlicher Dammbruch.

Die Weiterleitung von Teilen der Asylakte an das BfV ist schlicht unerträglich. Im Asylverfahren müssen Asylsuchende genau und umfassend ihre Fluchtgründe angeben. Sie brauchen empathische Zuwendung und nicht behördliches Misstrauen. Es ist schließlich auch für den Ruf des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge schädlich, wenn es sich als Vorfeldorganisation des Verfassungsschutzes betätigt.

Konstantin von Notz, Obmann der Grünen im NSA-Untersuchungsausschuss:

Die – möglicherweise sogar verdeckte – Teilnahme von Geheimdienstmitarbeitern an der persönlichen Anhörung von Schutzsuchenden lehnen wir ab. Die persönliche Anhörung als Kernstück des Asylverfahrens darf nicht zusätzlich dadurch belastet werden, dass dem Antragsteller mehrere Personen gegenübersitzen, deren Funktion er nicht einwandfrei einschätzen kann.

Der Geflüchtete muss sicher sein können, dass seine persönlichen und sensiblen Angaben nur für die Prüfung seiner Schutzberechtigung und vertraulich genutzt werden. Eine Vermischung der Aufgaben von BAMF und Nachrichtendiensten untergräbt das Vertrauen in die Seriosität des Asylverfahrens. Will der Verfassungsschutz in begründeten Einzelfällen einen Flüchtling befragen, muss dies vollständig getrennt von der persönlichen Anhörung im Asylverfahren geschehen.

Nina Warken, Obfrau der Union im NSA-Untersuchungsausschuss:

Wenn wir Menschen aus Krisen- und Konfliktgebieten bei uns aufnehmen, dann ist es aus meiner Sicht völlig selbstverständlich, dass die zuständigen Sicherheitsbehörden in diesem Verfahren angemessen beteiligt werden. Anders könnten sie schließlich ihrer gesetzlichen Aufgabe nicht nachkommen, unter den vielen friedlichen Schutzsuchenden die wenigen potenziellen Gefährder auszumachen und unsere freiheitliche Gesellschaft vor Extremismus und Terror zu beschützen.

Flüchtlingsrat Niedersachsen:

Eine direkte Teilnahme von Geheimdiensten an den Anhörungen von Asylsuchenden im BAMF lehnen wir ab. Grundlage eines jeden Asylverfahrens ist die Gewährleistung eines vertraulichen Umgangs der zuständigen Behörde mit Informationen und Personaldaten. Ein Flüchtling muss sicher sein können, dass seine Aussagen im Asylverfahren für keine anderen Zwecke als für die Prüfung verwendet werden, ob Gründe für eine Schutzgewährung vorliegen. Wenn Flüchtlinge damit rechnen müssen, dass sie verdeckt bespitzelt werden, und dass die von ihnen mitgeteilten Informationen für andere Zwecke verwendet und an andere Personen (und Dienste) weitergegeben werden, gefährdet dies das Vertrauen der Geflüchteten in die Seriosität des deutschen Asylverfahrens. Eine Vermischung der Aufgaben von BAMF und Verfassungsschutz darf es nicht geben.

Es ist nachvollziehbar, dass der Verfassungsschutz in Wahrnehmung seiner Aufgaben anlassbezogen auch mit Asylsuchenden redet. Jedem Flüchtling muss aber klar sein, wer da vor ihm sitzt. Auch müssen die Anlässe für ein solches Gespräch personenbezogen und eng gefasst sein. Wir warnen vor einer pauschalen Verdächtigung von Geflüchteten lediglich auf Basis allgemeiner Kriterien oder herkunftslandsbezogener Aspekte.

Flüchtlingsrat Baden-Württemberg

Viele geflüchtete Menschen haben aus ihrer Erfahrung heraus gute Gründe, skeptisch und misstrauisch gegenüber staatlichen Stellen zu sein. Auch staatliche Stellen in Deutschland – gerade auch der Verfassungsschutz – haben sich durch ihr Verhalten in der Vergangenheit nicht unbedingt blindes Vertrauen verdient. Es ist daher völlig inakzeptabel, dass Geflüchtete ohne es zu wissen von Geheimdiensten bespitzelt werden. Hier geht es nicht nur um Vertraulichkeit und Datenschutz, sondern auch um eine potenzielle Gefährdung, die entstehen könnte, wenn bekannt wird, dass die befragte Person mit einem Geheimdienst gesprochen hat. Geflüchtete Menschen sollten selbst entscheiden könnten, welche Informationen sie an welche Stellen preisgeben.

Sie sollten erwarten können, dass das, was sie in der Anhörung vortragen, ausschließlich zur Entscheidung über ihren Asylantrag verwendet wird. Viele sensible Informationen, beispielsweise über erlittene Verfolgung durch staatliche oder andere Akteure im Herkunftsland, würden die Geflüchteten gar nicht vortragen, wenn Sie nicht davon ausgehen könnten, dass ihre Angaben vertraulich behandelt werden.

Zu kritisieren ist auch der völlig intransparente Umgang der Bundesregierung mit diesem Thema. Als hätte es die NSU- und BND-Affären nie gegeben, erhalten Geheimdienste offensichtlich weiterhin einen Freifahrtschein für fragwürdige Praktiken – jenseits der parlamentarischen Kontrolle, wie wir in diesem Fall auch wieder sehen. Die Sicherheitsinteressen und das Selbstbestimmungsrecht der Geflüchteten bleiben dabei auf der Strecke.

Flüchtlingsrat Nordrhein-Westfalen:

Die auf netzpolitik.org veröffentlichte neue Praxis des Verfassungsschutzes, direkt an Asylanhörungen teilzunehmen ist absolut inakzeptabel. Unabhängig davon, ob sich der Verfassungsschutz zu erkennen gibt, entsteht für die Flüchtlinge in der Anhörung – dem wichtigsten Teil ihres Asylverfahrens – weitere Verunsicherung, die ein offenes und umfangreiches Schildern der Fluchtgeschichte beeinträchtigen kann. Zudem muss die Anhörung ein geschützter Raum sein/bleiben, der alleine der Feststellung von Fluchtgründen und schutzwürdigen Belangen dient, und der nicht zu anderen politisches Zwecken missbraucht werden darf.

Flüchtlingsrat Bayern:

Aus der Sicht des Bayerischen Flüchtlingsrats ist eine solche Praxis nicht hinnehmbar. Das Mitlauschen des Verfassungsschutzes untergräbt die Vertraulichkeit und auch die Glaubwürdigkeit einer Asylanhörung. Bestehende Ängste von Asylantragsteller*innen vor Behörden und Sicherheitsorganen erschweren schon jetzt die Anhörungen. Wenn die Ängste nun noch neue Nahrung bekommen, fehlt es an den Voraussetzungen für ein vertrauliches Gespräch.

Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt:

In der Anhörung wird die ehrliche und vollständige Darlegung der persönlichen Fluchtgründe durch die Asylantragsteller*in gefordert, um dem BAMF eine Einschätzung ihrer Schutzbedürftigkeit zu ermöglichen. Für diese Ehrlichkeit ist gegenseitiges Vertrauen eine fundamentale Voraussetzung. Die (zumal: verdeckte) Anwesenheit des Verfassungsschutzes in BAMF-Anhörungen führt die Idee eines vertrauensvollen Klimas ad absurdum; eine detaillierte Darlegung der Fluchtgründe kann in einer solchen Konstellation nicht verlangt werden. Unbeachtet wie gut begründet die Interessen des BfV sind, darf es keinesfalls zu einer Zweckverschiebung der Anhörung kommen!

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14 Ergänzungen

  1. „2015 gab es 462 Übermittlungen vom BAMF an den BND – bei 441.899 Asyl-Erstanträgen. Bis zum Oktober 2016 übermittelte das BAMF 1.350 Mal bei 676.320 Anträgen. Eine Steigerung der Übermittlungen um beinahe 300 Prozent – während die Zahl der Anträge lediglich um das Eineinhalbfache wuchs.“

    Das ist eine Steigerung „um“ beinahe 200% oder „auf“ 300%.
    Bei einer Steigerung um 300% wären es ca 1800 Übermittlungen.

  2. Und auf Zeit Online wird ein Think Tank zitiert, der berichtet, dass der BND seit 2015 ein verdecktes Programm durchführt um NGO’s , in Griechenland, der Türkei und anderen Ländern zu infiltrieren, die sich mit Geflüchteten befassen.

    Der Geheimdienst soll unter anderem Informationen liefern, mit deren Hilfe die Schuld an Merkels „katastrophaler Asylpolitik Griechenland und Russland untergeschoben werden kann“ .

    https://machtelite.wordpress.com/2016/03/08/zeit-online-ein-lehrstueck-ueber-propaganda/

    1. Merkel ist Schuld, dass wir eine EU-Grundrechtecharta haben, die Asylsuchenden ein Recht auf Prüfung ihres Falles gewährt? Krass kann die Frau gut zeitreisen.
      Oder rechte Trolle versprühen ihr Mimimi, weil man nunmal kein Rassist sein darf in Deutschland.

  3. Damit schieszen sich doch die Behoerden selbst ins Bein, denn die Befragung durch Geheimdienste schafft ein weiteres Abschiebehemmnis (wenn der Anwalt des Betroffenen gewieft ist).

  4. Das Problem mit der Regierung war nie das „Wir schaffen das“-Statement von Frau Merkel. Das Problem davor und danach ist die Intransparenz. Von der Aufnahme des Asylantrages über die Entscheidung bis zur Abschiebung oder einer Bleibeentscheidung. Schon den Mitarbeitern in den Aufnahmelagern letztes Jahr wurde unter heftigen Androhungen Maulkörbe verpasst und die Zäune schön hoch verhüllt. Regelungen werden verheimlicht. Ganz gewiss nicht nur die Befragung durch den BND und nun den Verfassungsschutz. – Es ist legitim, wenn der Verfassungsschutz sein Ohr am Flüchtlingsstrom hat. Nicht legitim ist mit Geheimniskrämerei so zu tun, als wäre das ein Verbrechen an der Menschlichkeit. Denn damit lässt sich auch schwer nachweisen, dass es sich nicht wirklich um Verbrechen an der Menschlichkeit (Ablehnung des Antrags) handelt, sondern an Sicherheitsbewußtsein. Bei Geheimniskrämerei müssen wir davon ausgehen, dass da mal wieder „zu weit gegangen“ wird.

    1. Das ist natürlich Bockmist, geschrieben von einem postfaktischen Nazitroll. Versucht, einen beliebigen Satz dieser Aussage zu überprüfen: Google wird Euch zielsicher zu Verschwörungsblogs führen. Ich finde solche Beiträge putzig, in ein paar Jahren wird sowas als abschreckendes Beispiel in Schulbüchern abgedruckt sein, damit unsere Kinder nicht auf rechte Rattenfänger reinfallen.

  5. Das macht der Verfassungsschutz schon seit Jahrzehnten bis 1990. Alle bis dahin Eingewanderten sind in einer Datenbank des BND gespeichert.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.