10 Jahre Twitter: Fälschen, Foppen, Faken

Foto: CC-BY-NC-ND 2.0 Melinnis (Flickr)

Twitter wird zehn Jahre alt. Zu den Sternstunden des Mediums zählt auch das Spiel mit Fake-Accounts. Vor allem Politiker und Parteien sind Opfer von Fälschungen und Spott. Da ruft plötzlich Gregor Gysi auf Twitter zur Wahl von Joachim Gauck auf, falsche Demoskopie-Institute narren CDU-Politiker und das Titanic-Magazin twittert im Namen von SPD-Landtagskandidaten. Fake-Accounts begleiten Twitter seit seiner Gründung – oft zum Vergnügen der Nutzerinnen und Nutzer.

Ein Fake-Account ist vermutlich auch @AfD-BremenNord. Seit dem 14. März hat der vermeintliche Kreisverband der Rechtspopulisten auf allen Seiten für Verwirrung gesorgt. Der Account retweetet sehr authentisch AfD-Inhalte, und auch die eigenen Tweets sind einem Kreisverband der Partei zuzutrauen. Am 18. März twittert der Kreisverband dann in Richtung des ZDF:

„macht euch nur lustig über uns… eure sendung setzen wir als 1. ab #heuteshow @zdf“

afd-fakeUnd als der Tweet in der Welt ist, löscht der falsche Kreisverband – und das wäre für den Fake eine ziemlich geniale Verifikation – den Tweet wieder. Als habe man im Kreisverband eingesehen, dass dieser Tweet zu weit gehe. Es sieht aus, als würden die Lokalpolitiker zurückgepfiffen. Schnell verbreitet sich ein Screenshot des Tweets und gibt dem falschen Ortsverband große Aufmerksamkeit. Auch der Online-Chef der Bild-Zeitung glaubt die Geschichte, der Tagesspiegel auch.

Die echte Bremer AfD erklärt den Account für „nicht offiziell“ und ein der Jugendorganisation der AfD zugeschriebener Twitter-Account warnt vor einem Fake: Der Account würde „overpacen“. Es also übertreiben. Oder das aussprechen, was die AfD gerne für sich behalten würde? Denn die Stärke guter Fake-Accounts liegt darin, genau an der Grenze des Vorstellbaren zu operieren und die Betrachter in der Ungewissheit zu lassen.

Deutschlands erster und einziger Politiker-Rücktritt über Twitter – ein Fake

Mehr als ein Jahr foppt in den Jahren 2008 und 2009 das Blog Metronaut als falscher Franz Müntefering auf Twitter Medien und Follower.

muente-ruecktrittDer falsche Münte taucht in Studien über Online-Wahlkampf auf, wird von Ortsvereinen beglückwünscht und von Zeitungen mehrfach zitiert. Am Ende twittert der falsche Müntefering sogar seinen Rücktritt, nur Stunden bevor der echte SPD-Vorsitzende offiziell zurücktritt: „Erneuerung heißt konsequent sein. Ich trage politische Verantwortung für das Ergebnis vom Sonntag und mache den Weg nun für andere frei.“

Der Fernsehsender n-tv verkündet den wohl ersten und einzigen Twitter-Rücktritt des Landes per Laufschrift. Live.

Atomlobby kämpft gegen falschen Twitter-Account

Nicht nur Parteien und Politiker kann das Schicksal der satirischen Fälschung ereilen. Nach dem Super-GAU von Fukushima beginnt im März 2011 das Deutsche Atomforum, der Lobbyverband der Atomindustrie, zu twittern. Während überall Menschen in Sorge vor der radioaktiven Verseuchung sind, ist der Fake-Account auf Krawall gebürstet und provoziert:

„Ein Atom ist übrigens nur ein Millionstel Millimeter groß. Wer davor Angst hat, hat sie doch nicht mehr alle!“

oder

„Ein Gutmensch macht noch keinen Sommer. Und erst recht keine zuverlässige Energieversorgung“

Die Lobbyorganisation reagiert gereizt, kündigt rechtliche Schritte an. Und macht den falschen Account , der mittlerweile ein vielfaches der Follower des echten Atomforums hat, nur noch bekannter. Doch am Ende setzt sich die Humorlosigkeit durch, Twitter sperrt den Fake-Account, die Hedonistische Internationale bekennt sich als Urheberin der Satire.

Hans-Peter Friedrich, der war doch schon einmal auf Twitter

Im gleichen Monat fängt der damalige Innenminister Hans-Peter Friedrich an zu twittern. Während der echte Friedrich erst „seit dem 13. März 2016, 18 Uhr zwitschert“, sorgt der falsche Twitteraccount 2011 für lustige Verwirrungen.

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Weil er weitaus seriöser und moderater twittert als vier Jahre später der echte Friedrich, wird die Fälschung durch die damalige Ministerin Kristina Schröder und andere Parteikollegen für bare Münze genommen und via Twitter verifiziert und verbreitet.

„Sagen, was die persiflierte Person denkt, aber nicht sagen würde“

Der Macher des gefälschten @HPFriedrich möchte anonym bleiben. Er hat in den letzten Jahren unzählige inoffizielle Twitteraccounts für Politiker und Organisationen erstellt und betreut. Gegenüber netzpolitik.org sagt er:

„Der Reiz an Fake-Accounts ist, Dinge raus zu hauen, die die persiflierte Person denkt, aber wahrscheinlich nicht sagen würde. Die Leser halten dann inne und wundern sich über die Offenheit. So kann man Politiker wunderschön demaskieren.“

Um einen guten Fake-Account zu machen, brauche man nur ein Bild und sinnvolle Account-Angaben. Dann müsse man sich in die Person oder Organisation hinein versetzen, und überlegen, was sie wohl als erstes twittern, und wem sie wohl als erstes folgen würde. Besonders schön sei es, wenn dann Parteikollegen öffentlich oder per Direct Message fürs Folgen danken… So könne man sie nutzen, um den Account zu bestätigen und zur Verbreitung beizutragen. Dass es durch die Verification von Twitter schwerer geworden sei falsche Accounts zu erstellen, sieht er eigentlich nicht:

Die Verification bekommen die Leute ja immer erst nach einiger Zeit, daher ist sie kein wirklich vertrauenswürdiger Indikator. Da ist immer noch genug Spielraum.

Den falschen Twitter-Accounts vermiest heute vielmehr die gewachsene Medienkompetenz und Bekanntheit von Twitter ihr satirisches Spiel mit der Realität. Gleichzeitig hat Twitter in den letzten Jahren die Möglichkeiten zur Beschwerde über Fake-Accounts verbessert und geht bei Prominenten streng gegen Fälle von „Non-parody Impersonation“ vor: Die Accounts werden recht schnell auf „suspended“ gestellt.

Dabei sind richtige Twitter-Fake-Accounts in jedem Fall abzugrenzen von den unzähligen Parodie-Accounts, die es gibt. Oftmals versuchen diese gar nicht den Anschein zu erwecken, echt zu sein, sondern enttarnen sich direkt im Biografie-Text oder durch allzu auffällige Tweets. Das kann wie bei @bundesamtfvs oder @PolizeiSaxen auch lustig sein, ist aber keine Kommunikationsguerilla, weil es den Rezipienten nicht im Ungewissen lässt.

Darf man das?

Darüber wie Fake-Accounts von Prominenten eigentlich rechtlich und ethisch zu bewerten sind, gibt es unterschiedliche Meinungen. Rebecca Greenfield hat die Positionen vor einiger Zeit in The Atlantic gegeneinander gestellt. Auf der einen Seite heißt es:

A fake Twitter account is no different than an Elvis impersonator, whose identity consists both of the man beneath the costume and the costumed man. It just happens to be on the Web and not in a cheesy Las Vegas lounge.

Fürsprecher des Fakes sind der Meinung, dass es erst illegal werde, wenn die Accounts für Erpressung oder Betrug benutzt würden. Jürgen Habermas, der selbst schon von einem Fake betroffen war, erwartet hingegen, dass die Fälschenden mit offenen Visier kämpfen und nach der Enttarnung ihren Namen nennen.

Wie auch immer die rechtliche und ethische Bewertung von falschen Twitter-Accounts ausgeht, ein großer Spaß für das Publikum sind sie fast immer. Bedrückend wird es eigentlich erst, wenn echte Accounts so krude sind, dass man sie für Fakes halten könnte – so wie bei Erika Steinbach oder Hans-Peter Friedrich.

21 Ergänzungen

  1. Am Ende twittert der falsche Müntefering sogar seinen Rücktritt, nur Stunden bevor der echte SPD-Vorsitzende offiziell zurücktritt: „Erneuerung heißt konsequent sein. Ich trage politische Verantwortung für das Ergebnis vom Sonntag und mache den Weg nun für andere frei.“

    Der falsche Münte musste zurücktreten, nachdem er den Tweed des echten Müntes gelesen hatte!

  2. Ein Spielzeug von Wichtigtuern, Exhibitionisten und Narzissten kommt in die Jahre.
    Gemästet von Followern entstand ein Mega-Konzern:

    Twitter Inc. erlöst Umsätze fast ausschließlich durch Werbung. Dabei sind die Einnahmen in den USA besonders hoch, so verzeichnete das Unternehmen 2013 Werbeeinnahmen von 2,89 Dollar pro US-Nutzer, während außerhalb der Vereinigten Staaten nur 34 Cent je Nutzer erreicht wurden. Etwa 22 % der Twitter-Nutzer sind in den USA zuhause. Von 2012 auf 2013 verdoppelte sich der Umsatz von 316 auf 665 Millionen Dollar. In der Gesamtbilanz wies der Internetdienst bis 2013 aber jeweils deutliche Verluste aus.

    Die Finanzierung des Unternehmens erfolgte anfänglich über Investoren, zu denen unter anderem Facebook Inc. und die russische Investmentgesellschaft Mail.ru Group gehören. Anfang November 2013 ging das Unternehmen an die Börse, der Erlös lag bei 1,82 Milliarden Dollar.

    Gegen die Macht der Internet-Konzerne!

  3. Mich wundert es ja auch, dass all die technikaffinen und idR datenschutzbewussten Menschen, die sonst für die Freiheit des Internets eintreten sich im Fall von Twitter völlig unkritisch vor den Wagen eines Internetriesen spannen lassen.
    Bei allen anderen US-Konzernen mit einer solchen Marktmacht würde man freie Alternativen preisen und bewerben wie bei Facebook und Diaspora*,Google und DuckDuckGo oder Windows/Android und vergleichbaren freien Systemen.
    Wieso seid ihr auf dem Twitter-Auge blind? Weil eh alles öffentlich ist? Warum seid ihr nicht auch auf Gnusocial oÄ? Warum tretet ihr Twitter nicht mit der kritischen Haltung gegenüber, die ihr vergleichbar dominierenden Strukturen sonst entgegenbrächtet?
    Ist es der eigene Eitel, den Twitter so blendend bedient?

  4. Hahaha. Ihr habt mit der Löschung meiner drei Posts bewiesen, daß ihr keinen Deut besser seid als die, die ihr kritisiert. Ich habe euch nun aus meinen Lesezeichen gelöscht, Netzzensur, äh, -politik.

    1. Ohje, das ist einfach Hausrecht. Dass du dich in deinem Kommentar Markus Beckedahl genannt hast fand ich aber in dem Zusammenhang sogar ganz witzig ;)

  5. „Das kann wie bei @bundesamtfvs oder @PolizeiSaxen auch lustig sein, ist aber keine Kommunikationsguerilla, weil es den Rezipienten nicht im Ungewissen lässt.“

    Dass beim @bundesamtfvs die Beschreibung klarstellt, dass es sich um einen Satireaccount handelt ist allerdings dem Umstand geschuldet, dass der Account zwischenzeitlich auch als „Non-parody Impersonation“ suspended wurde. Erst seit dem benennen wir das vorsichtshalber eindeutig, die zwei Jahre zuvor gab es keinen direkten Hinweis auf Satire.

  6. „Der Reiz an Fake-Accounts ist, Dinge raus zu hauen, die die persiflierte Person denkt, aber wahrscheinlich nicht sagen würde.“

    Ist da eine technische Entwicklung an mir vorbei gegangen? Kriegt man den Gedankenleser bei Amazon oder so? :)

    Spass beiseite, wenn der Autor wirklich glaubt die Gedanken der Person zu kennen, deren Identität er sich dazu auf Twitter angeeignet hat, dann sollte er/sie/es sich behandeln lassen.

    Ein Satiriker sollte sich schon noch bewusst sein, dass er selbst der alleinige Urheber seiner Satire ist.

    1. Der Satiriker wirds schon wissen. Daß mancher Rezipient überfordert ist, kann man ihm eher nicht anlasten, obwohl er sich dessen sicher bewusst sein wird und muß.
      Dieser Effekt macht gelegentlich bei öffentlicher Aufführung noch einen ganz besonderen Reiz aus, von dem die Satire in der DDR zu großen Teilen lebte.
      Wenn dort die Funktionäre in den ersten Reihen saßen, dann lachte das Publikum der hinteren Reihen förmlich gegen die vorderen an.

      1. Das wäre dann doch eher ein Lachflash-Mob, als Satire. Aber vielleicht muss man das auch gelebt haben, um es als Satire anzusehen. ;)

        Heilt Höcke! :)

      2. Ja, es ist durchaus verständlich, sowas (irrsinniges) nicht nachvollziehen zu können, wenn man da nicht tatsächlich dabei war.
        Ein großer Teil der Satire im Osten bestand darin, Texte überhaupt durch die Zensur zu bekommen. Es gab immer eine sogenannte „Abnahme“. Das war eine Art Voraufführung für irgendwelche Parteibonzen, Stasi- und Ministeriumsmitarbeiter, deren Job es war, dort unliebsame Texte herauszufinden und zu verbieten. Manchmal wurden auch ganze Programme verboten.
        Das führte dazu, daß ganz offensichtlich zensurwürdige Teile eingestreut wurden, damit der Zensor etwas zu zensieren hat, in der Hoffnung, daß er andere Dinge nicht bemerkt.
        Das ging am DDR-Publikum nicht spurlos vorbei. Es hatte gelernt, sehr aufmerksam zu sein und auf jede Kleinigkeit zwischen den Zeilen zu achten.
        Da Kabarettkarten wie so vieles Mangelware waren (und allein dadurch wertvoll wurden), kam es dazu, daß auch Leute im Publikum saßen, die sich dafür nicht interessierten oder sich gar in ihrer Ruhe der Angepasstheit gestört fühlten. Das waren dann die, die nicht lachen konnten.
        .
        Ich fand es allerdings auch oft skuril bis ärgerlich, wie die Leute dort zwar befreit lachten, aber am nächsten Tag wieder brav ihr angepasstes DDR-Leben weiterwurschtelten. Oft denke ich, daß das wohl meist die waren, die heute von sich behaupten, schon immer dagegen gewesen zu sein. Naja, immerhin haben sie mal dagegengelacht.

      3. Ich werde nicht bestreiten können, daß es Revolutionäre gibt, die sich nicht selbst ernähren können. Behaupten kann ich aber, daß es Selbsternährer gibt, die revolutionär sind. ;-)
        Obendrein kann und muß ich feststellen, daß die Wurstler immer systemstabilisierend sind. Blöd nur, daß sie das eben auch gegen ihre eigenen Interessen sind und hinterher von nix gewusst haben wollen oder eben sowieso schon immer dagegen waren.

    2. :)) Du sprichst mir aus der Seele – ich bin am selben Abschnitt hängen geblieben. Würde ich solchen Blödsinn verzapfen, bliebe ich wohl auch lieber anonym…

    3. Dir fehlen fundierte Kenntnisse über Satire. Es gibt Unzählige Satiriker, die in die Rolle eines Politikers schlüpfen und genau das machen, echte mit vermeintliche Aussagen verknüpfen, um die Person in der Öffentlichkeit zu karikieren oder bloss zu stellen.

      Insofern zeugt dein Hinweis davon, dass du dich mit dem Thema nicht auskennst.

      1. Dir fehlt anscheinend der notwendige rationale Verstand um eine kunstvolle satirische Dekonstruktion von Gedankenleserei zu unterscheiden. Esoterik in der Satire, o tempora, o mores…

      2. k.A. ob mir dazu der Verstand fehlt, aber du scheinst die deiner Rolle als Kritiker der Satire abolsut sicher zu sein. So das es dir auch nicht auffällt, das du jetzt etwas anderes schreibt als gestern.

        Deine ursprüngliche Kritik sagte aus, dass ein (oder der) Satiriker nicht in der Lage wäre Aussagen im Namen einer anderen Person (so wie es etliche andere Satiriker tun) zu tätigen. Denn er müsste sich dann – nach deiner Aussage – sich behandeln lassen.
        Jetzt sagst du es ging dir um die handwerkliche Umsetzung und alle anderen die das nicht so sehen, fehle der Verstand.

        Aber du hast Recht, ich kenne die im Artikel geannten Twitteraccounts nicht, daher kann ich sicher nicht sagen ob es sich um „eine kunstvolle satirische Dekonstruktion“ handelt. Du scheinst sie aber umso besser zu kennen.

        Wobei das aber auch gar nicht mein Thema war, es ging um deine These das ein Satiriker nicht in die Rolle anderer schlüpfen könnte.

  7. Man muss sie sicher nicht groß diskutieren, aber es gab mit @zdf und @bonitotv wenig politische, aber sehr prominente Twitter-Fakes.
    Auch der Blick über den Tellerrand in Richtung Österreich, Schweiz und allgemein die EU betreffend fehlt mir noch.

    1. Stimmt natürlich. Der ZDF-Account hatte ja noch die schöne Wendung, dass der Faker später den sehr erfolgreichen ZDF-Twitterkanal offiziell betreute und eigentlich das ZDF auf das Medium brachte.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.