#netzrückblick: Schurken des Jahres und ihre netzpolitischen Siege

campact via flickr (CC BY-NC 2.0)

Wer hat die größten Siege davongetragen? Wer hat im zurückliegenden Jahr netzpolitische Dammbrüche zu verantworten und die Tore zum Sündenpfuhl der digitalen Unfreiheit aufgestoßen? Wo wurden denn die wahren Erfolgsmeldungen produziert, die nicht als solche erkennbar waren?

Statt eines Jahresrückblicks in Buchform gibt es dieses Jahr jeden Tag im Dezember einen Artikel als Rückblick auf die netzpolitischen Ereignisse des Jahres. Das ist der zweite Beitrag in dieser Reihe. Darin geht es diesmal um die digitalen Schurken des Jahres.

Netzpolitik besteht nicht das ganze Jahr aus Prozessen und Verfahren, aus Gesetzen, Normen, Software, Programmen und Anwendungen. Mitunter sind ganz reale Menschen für die Ereignisse des Jahres 2015 verantwortlich. Schlussendlich muss Bilanz gezogen werden, was die Rückschläge des Jahres waren, um die Herausforderungen für 2016 zu kennen. Zeit für einen persönlichen Jahresabschluss-Rant, um elf europäische Claqueure der Überwachungshysteriker zu würdigen.

# Hans-Georg Maaßen

(CC BY-SA 3.0 DE) by Sandy Thieme
(CC BY-SA 3.0 DE) by Sandy Thieme

Der feinsinnige Niederrheiner war lange als Humorist unbekannt. Doch wir haben selten so gelacht wie bei seiner Inszenierung des „Landesverrats“. Damit machte er sich bundesweit einen Namen als ehrgeiziger Strippenzieher einer der gekonntesten Polit-Possen des Jahres. Seinen Versuch, WhistleblowerInnen und JournalistInnen einzuschüchtern, hat er politisch weitgehend unbeschadet überstanden, inszenierte sich zuletzt gar als Opfer einer Verleumdung. Mit einem neuen Selbstbewusstsein kann er so ins nächste Jahr starten. Aber welchen Sieg hat er zu vermelden? Das von ihm geleitete Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) bekam mehr Befugnisse durch ein Reförmchen verschafft. Die V-Leute des BfV dürfen jetzt ganz legal Straftaten begehen, und der Informationsfluss zu Polizei und Landesbehörden wurde „verbessert“.

# Die drei Tenöre

Die Anti-Aufklärer im Geheimdienstuntersuchungsausschuss ölen sich zum Jahresausklang in der Kaschemme „Black Hole“ mit dem Blended-Malt „Monkey Shoulder“ die Stimmen. Philipp Wolff, Johannes Eisenberg und Peter Graulich haben mit ihrer Kakophonie der Verschleierung den NSAUA zur Zirkusmanege verkommen lassen. Der Vertreter des Bundeskanzleramtes Wolff, BND-Zeugenbeistand Eisenberg und Selektorenbeauftragter und Profi-Kopierer Graulich lieferten ein fortwährendes Hintergrundgeräusch, das schmerzhaft am Demokratieverständnis der ZuschauerInnen kratzte: „Nicht Untersuchungsgegenstand“, „Nur in nichtöffentlicher Sitzung“, „Dafür gibt es keine Aussagegenehmigung“. Wohl orchestriert sprangen die ZeugInnen auf das Podest, machten Sitz, Platz und Männchen. Die Drei tönen nicht laut, aber perfekt abgestimmt und eingespielt. Dabei kam kein Zweifel auf, dass das Publikum der Deutsche Bundestag zu ihrer Untermalung anwesend ist – und nicht der Transparenz wegen.

# Thomas de Maizière und Heiko Maas

Heiko Maas CC BY-SA 3.0 by A.Savin
Heiko Maas CC BY-SA 3.0 by A.Savin

Dieses Duo hat 2015 sein Karmakonto zum Überlaufen gebracht. Maas konnte zusätzlich neue Maßstäbe im unter Sozialdemokraten geübten professionellen Umkippen setzen. Der Innenminister konnte dagegen „systematische und grundlegende Sabotage“ der EU-Datenschutzgrundverordnung für sich verbuchen. Weitere Heldendaten waren die Vorratsdatenspeicherung und Markierung von Flüchtlings-Handyanschlüssen. Nebenbei wurde Datenhehlerei als Straftatbestand eingeführt und der Whistleblowerschutz noch verschlechtert. Von beiden haben wir gelernt, dass die Wiedererweckung eines verfassungsrechtlich höchst problematischen Überwachungsvorhabens nicht mal mehr rational begründet werden muss. Gut, dass wir auch nicht nach den Rechtfertigungen für ihr politisches Handeln zu fragen brauchen, denn die Antwort würde uns nur unnötig verunsichern.

# Ursula von der Leyen

(CC BY 3.0) by Dirk Vorderstraße
(CC BY 3.0) by Dirk Vorderstraße

Heimlich still und leise begibt sich die Bundeswehr auf eine Reise. Zum nächsten Kriegsschauplatz, dem „Cyber-Raum“. Die Verteidigungsministerin hatte im Februar bei ihrer Rede in München schon den Weg geebnet für den Krieg in der „fünften Dimension“. Dann machte sie im April ernst mit der Cyber-Leitlinie der Bundeswehr. Seitdem treibt sie den Umbau der Armee voran, um für die „Cyber-Kriegsführung“ gewappnet zu sein. Genauso entscheidend wie diese Neuorganisation ist ein Sieg, den sich von der Leyen persönlich ans Revers heften darf: Niemand redet darüber, denn eine Empörung, dass die Bundeswehr für offensive digitale Angriffe aufrüstet, ist jedenfalls ausgeblieben. Bonuspunkte kann von der Leyen ernten, weil sie ihren lieben WählerInnen klarmachte, die Diskussion um Killerdrohnen sei nun lange genug geführt worden, nun werde endlich gekauft. Nur wer die Raketen von den Drohnen auf den Kopf bekommt, das mochte sie nicht sagen. Aber es werden schon die Richtigen sein, deswegen schwieg sie sicher auch zur Beihilfe zum Mord via Ramstein.

# Theresa May

(CC BY 2.0)  via flickr
(CC BY 2.0) via flickr

Als langfristigen Wintervorrat hatte die britische Innenministerin eine PR-Kampagne der Geheimdienste angelegt, um in der heißen Phase der Parlamentsauseinandersetzungen über das neue „Investigatory Powers“-Gesetz davon zehren zu können. Dadurch ist es ihr ebenfalls gelungen, einer öffentlichen Debatte den richtigen Spin zu verpassen. Die Zustimmung im britischen Unterhaus gilt jedenfalls als Formsache. Dankend nahm sie auch die Morde von Paris an und nutzte sie ohne jede Scham für ihre politischen Überwachungsziele.

# Günther Oettinger

(CC BY-SA 3.0) by Martin Kraft
(CC BY-SA 3.0) by Martin Kraft

Er hat uns nichts vorgemacht. Seit Januar hat er sich immer wieder klar gegen die Netzneutralität bekannt. Wegen der selbstfahrenden Autos, die aber, wie Hersteller versicherten, gar kein Internet brauchen. Bilderreich hat uns der talibaneske Digitalkommissar der Herzen irrlichternd Katastrophenszenarien beschrieben und Lobbyargumente der Telekommunikationsindustrie wiedergekäut, mit denen die Netzneutralität schleichend abgeschafft wird. Immer wieder war er im zurückliegenden Jahr mit Ideenreichtum gesegnet und wurde nicht müde, die Debatte um ein freies Internet mit Absurditäten zu ergänzen. Nicht unverdient ist er deshalb im Jahr 2015 Preisträger des österreichischen „Scheiß-Internet“-Awards geworden. Keine Hoffnung macht uns, dass Oettinger im kommenden Jahr für die EU-Urheberrechtsreform zuständig sein wird.

# Timotheus Höttges

(CC BY-SA 4.0)  by Sebaso
(CC BY-SA 4.0) by Sebaso

Zur Siegesfeier im Cyber-Ressort der EU-Kommission wird bestimmt auch Telekom-Chef Höttges eingeladen werden, wenn er nicht ohnehin als „Spezialdienst“ verkleidet durch die Hintertüre hereinschleicht. Höttges gehört durch das Netzneutralitätsvotum des EU-Parlaments definitiv zu den Gewinnern des Jahres, diesen ganzen kleinen schmarotzenden Start-ups zum Trotz. Seine Siegesgewissheit war schon am Tag nach der Parlamentsentscheidung erkennbar. Da musste er sich keine Mühe mehr geben, zu verbergen, welches schöne neue Süßigkeitenland sich nun vor ihm eröffnet. Nicht unwesentlich tragen die Vectoring-Entscheidung der Bundesnetzagentur und die Auftritte der US-Tochter T-Mobile zur Partylaune bei.

# Recep Tayyip Erdoğan

(CC BY-SA 2.0) via flickr
(CC BY-SA 2.0) via flickr

So deplatziert wie ein Tweet von Erika Steinbach stolpert der türkische Staatspräsident in die Partystimmung zur Jahrendzeitsause. Die Musik ist kurz aus, alle Anwesenden schauen irritiert umher. Dann lachen alle gelöst und liegen sich kurzerhand wieder in den Armen. Natürlich hinkt der Vergleich mit dem Tweet. Schließlich hat – im Unterschied zu Niveau – das internationale Ranking der Pressefreiheit ein unteres Ende der Skala. Bemerkt Erdogan das etwa nicht? Nein, es scheint ihm egal zu sein, welchen Platz die Türkei dabei einnimmt: 2015 blieb es bei Platz 149 von 180. Der türkische Staatspräsident kann sich das erlauben. Kein europäischer Staats- und Regierungschef wird ihn zur Zeit dafür kritisieren. Stattdessen wird er von ihnen hofiert, während die türkische Polizei einen Fernsehsender stürmt und Rechtsanwälte auf offener Straße erschossen werden. Wir erinnern uns auch, dass der türkische Staat in diesem Jahr einmal mehr Twitter, Youtube und Facebook sperren ließ und regelmäßig JournalistInnen wegen Verunglimpfung des Staatspräsidenten anklagt.

So viel menschliche Nähe

Gut, also wärmen wir uns zum Ende dieses Jahres immerhin an den rauchenden, verkohlten Resten, die von der Freiheit im Internet übrig bleiben. Dann finden wir beim Stöbern in unserem Portemonnaie noch ein paar Münzen, die wir an diese Landesverräter von netzpolitik.org spenden, damit das nächste Jahr besser wird.

Der erste Beitrag im netzpolitischen Jahresrückblick ist hier nachzulesen und beschäftigt sich mit der EU-Datenschutzgrundverordnung.

2 Ergänzungen

  1. Da fehlt aber eine Person, die immer wieder betont, dass der“ Datenschutz zweitrangig“ ist und die Daten „der Rohstoff der Zukunft“ ist. -> Merkel

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.