„Scheiß Internet“-Preis: Cyberkommissar Oettinger ausgezeichnet als „technologiefeindlicher Grantler“

wolo15Der diesjährige Preis für „unqualifizierte Statements gegen das Informationszeitalter“ geht 2015 überraschenderweise an Günter Oettinger. In seiner Funktion als EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft hat er sich durch seine „mehrfach inkompetenten Aussagen zum Internet, der Netzgemeinde und der Beschimpfung von Aktivisten und Journalisten als Taliban“, verdient gemacht. Der Wolfgang-Lorenz-Gedenkpreis prämiert regelmäßig „technologiefeindliche Grantler und Grantlerinnen“, für ihre unqualifizieren Fehleinschätzungen.

Das Wiener KünstlerInnen-Kollektiv monochrom organisierte die Preisverleihung durch eine Fachjury aus Journalisten, MedienaktivistInnen und Wissenschaftlerinnen am vergangenen Samstag. Der Publikumspreis wurde außerdem an die österreichischen Bundesminister Wolfgang Brandstetter und Josef Ostermayer verliehen. Von den Juroren wurden damit diverse Äußerungen Oettingers prämiert; einige Ausgewählte finden sich in seiner Nominierung zusammengestellt:

Mr. Cyberkommissar hat seit seinem Amtsantritt in Folge vor allem viel geredet und dabei viele Dinge über das Internet und die Netzgemeinde gesagt. Auf Einladung des deutschen Bundesfinanzministeriums diskutierte er etwa mit dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Telekom AG über Google und die Netzneutralität. Ihr wisst schon, das ist die Gleichbehandlung aller Daten und Dienste im Netz. Für Oettinger sind das hingegen „Taliban-artige Entwicklungen“. „Da ist die Netzgemeinde, da sind die Piraten unterwegs, da geht es um perfekte Gleichmacherei. Da heißt es die böse Industrie.“

Nicht dass wir uns jetzt falsch verstehen, Oettinger ist selbstverständlich für Netzneutralität, wie alle Politiker aller Lager. Aber er versteht unter Netzneutralität einfach was anders als die Netzgemeinde. „Ist es wichtiger, dass im Auto hinten rechts die sechsjährige Tochter hockt, und sich Musik runterlädt von Youtube, hinten links hockt der neunjährige Bengel und macht irgendwelche Games. Ich finde Youtube runterladen hat ein paar Sekunden Zeit. Ich finde das Game kann auch mal nicht perfekt auf dem Bildschirm sein. Aber die Verkehrssicherheit, ein kommerzieller Dienst, sollten von der Netzneutralität, von diesem Taliban-ähnlichen Thema abweichen dürfen.“

Notrufsysteme und selbstfahrende Autos sollten also ausgenommen sein, von der „Gleichmacherei“. Und das, obwohl so ein Zukunftsauto noch nicht einmal Internet braucht, wie BMW verlautbaren ließ. Wie er zu diesen Ansichten kommt, erzählte der Digitalkommissar unlängst einem meiner Kollegen: „Die Argumente werden mir von den Autobauern genannt.“ Oettinger trifft sie schließlich alle: die Lobbyisten aus der Industrie. Wann und wo, erfährt die Öffentlichkeit aber nicht. Als er dann kürzlich in seiner Funktion als Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft auch mal ein paar Vertreter der Zivilgesellschaft traf, setzte Oettinger allerdings gleich einen neuen Lobby-Transparenz-Standard: Er kündigte das Treffen mit zwölf Tweets an. Das muss ein wahrlich einzigartiges Ereignis gewesen sein, wie es scheint. […]

Günter Oettinger setzte sich bei der Verleihung des Preises gegen starke Konkurrenten, wie den türkischen Premier Recep Tayyip Erdoğan durch. Nominiert waren daneben auch sämtliche „Smartphone-Hetzer“, die sich in sozialen Netzwerken darüber aufregen, dass Flüchtlinge Smartphones besitzen. Der Preis wurde zum sechsten Mal in Gedenken an den ehemaligen ORF-Programmdirektor Wolfgang Lorenz verliehen, der auf einer Veranstaltung 2008 polterte, dass junge Menschen sich heute in das „Scheiß-Internet“ verkriechen würden.

Ein jüngster Vorstoß von Oettinger reiht sich nahtlos in die bisherige Auflistung seiner Äußerungen ein. Darin kündigt er an, im Dezember Instrumente vorstellen, um die kostenlose Nutzung von geistigen Werken zu verhindern.

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5 Ergänzungen

  1. Öttinger ist einfach nur unfähig, nicht mehr und nicht weniger!
    Die Praxis, geschassten Politikern ein „Zubrot“ in Brüssel zu verschaffen, hat sich beim ihm bös gerächt

    1. unfähig wenn es um themen geht die fachkenntnis erfordern.
      in partei-kungelei ist er anscheinend ganz gut mit dabei. und das geht bei einem solch „sympathischen“ menschen nur mit irgendeiner lobby und einem sack voll geld im rücken.

    2. …unfähig alleine wäre ja nicht schlimm; er ist leider zusätzlich in einer Position mit viel „Macht“, Dinge verändern zu können. Das ist das eigentlich Schlimme.

    3. Öttinger hat recht, möglicherweise hat er seine Erfahrungen mit gmx geMACHT:
      g:RIEHS

  2. Bei „Netzgemeinde“ kommt’s mir langsam hoch.
    Sowas gibt es längst nicht mehr.
    Die Leute wollen youtube, Facebook und netflix. Nix mit Gemeinde.
    Wenn Netzgemeinde lese, denk ich sofort an „was mit Medien“- Hipster, die fleißig #aufschrei und #neuland twittern, mehr nicht.

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