Netzpolitischer Wochenrückblick 11/2014

Klick für Hörversion. Vielen Dank an Tim Thaler von bln.fm!

Okay, wo fangen wir diese Woche bei so vielen Schauplätzen auf dem Schlachtfeld Netzpolitik an? Beginnen wir global, schauen dann auf der anderen Seite des atlantischen Teiches und arbeiten uns übers Europaparlament nach Deutschland vor.

Ein Musterbeispiel für globale Zusammenhänge im Wortsinne ist das World Wide Web. Die Idee dafür wurde vor 25 Jahren geboren. Seitdem ist vieles passiert, Gutes wie Schlechtes. Der geistige Vater des weltweiten Netzes, Tim Berners-Lee, glaubt deshalb, dass wir in Zukunft eine „Magna Charta“ für das Internet brauchen werden, in der ein Verhaltenskodex festgeschrieben ist. Das soll helfen, das Internet als den freiheitsfördernden inspirierenden Raum zu bewahren, der es einmal war und zu verhindern, dass es zu einem Instrument der Überwachung, Zensur und Beeinflussung verkommt. Visionen für die Fortentwicklung des Netzes hat auch das Pew Research Center zusammengetragen und daraus 15 Thesen formuliert, was mit dem WWW bis 2025 passieren könnte. Darunter finden sich sowohl positive Visionen – zum Beispiel: Nationale Schranken werden unwichtiger und es wird mehr globale Verbindungen geben – als auch negative – zum Beispiel: Staaten werden versuchen ihre Macht auch über das Internet zu manifestieren.

Dienstag, der Tag vor dem Geburtstag des WWW war der „Welttag gegen Internetzensur“. Die Organisation Reporter ohne Grenzen hat dazu ihren Bericht über die Feinde des Internet veröffentlicht, in dem sich autoritäre und repressive Regimes finden, ebenso wie Hersteller von Überwachungssoftware und zum ersten Mal auch Messen, auf denen solche Software angeboten wird. Natürlich dürfen auch die offensichtlichen Kandidaten GCHQ und NSA nicht fehlen.

Letztere Geheimdienstbehörde hat dieser Erwähnung auch gleich alle Ehre gemacht. Es wurden neue geleakte Dokumente veröffentlicht, die illustrieren, wie mit einem Programm namens TURBINE am laufenden Band Malware ausgerollt werden kann. Vorher dachte man, die Kapazitäten hierfür seien begrenzt, aber durch die Automatisierung muss quasi niemand mehr die Trojaner, Spähprogramme und Schadsoftware manuell konfigurieren und einer weltweiten Spähinfektion steht nichts mehr im Weg. Und damit auch die Rechtmäßigkeit gewahrt bleibt haben uns andere Unterlagen gezeigt, dass das FISA-Gericht, das für die Überwachungsanordnungen zuständig ist, eifrig dabei mithilft, die Rechtssprechung so lange zu dehnen, bis man alles irgendwie als legitime Überwachung deklarieren kann.

Ein weiterer Snowden-Leak drehte sich um die Mitwirkung des militärischen Geheimdienstes der Niederlande, der illegalerweise Daten an ausländische Geheimdienste weitergegeben hat. Das geht aus einem Bericht hervor, den das niederländische Parlament beim dafür zuständigen Geheimdienst-Kontrollgremium (CTIVD) beantragt hatte.

In Austin, Texas, findet zurzeit das South-by-Southwest-Festival (SXSW) statt. Das vereint mehrere Einzelveranstaltungen zu Musik, Film und allem, was mit interaktiven Medien zu tun hat. Auch wenn das Festival noch nicht zu Ende ist, ein Highlight dürfte schon jetzt feststehen: Das erste Live-Hangout mit Edward Snowden. Der Whistleblower sprach dazu, wie die Geheimdienstchefs Amerikas die oft beschwörte nationale Sicherheit selbst viel mehr beschädigt haben als irgendwelche Leaks, da sich nicht auf das Überwachen einzelner Gefahrenpersonen konzentriert wurde, sondern man ständig damit beschäftigt war, seine Augen und Ohren auf alles zu richten, was man bekommen konnte. Er appellierte für eine bessere, wirksame Geheimdienstaufsicht und gab Tipps, sich durch Festplattenverschlüsselung, Kommunikationsverschlüsselung und die Nutzung von Tools wie NoScript und Ghostery und die Benutzung von TOR zu schützen. Er fand außerdem lobende Worte für die Entwickler von Open WhisperSystems, die Anwendungen zur vertraulichen Sprach- und Textkommunikation auf Smartphones programmieren und es dabei geschafft haben, sehr benutzerfreundliche und einfach zu bedienende Apps zu schaffen.

Snowden war auch im Europaparlament Thema. Dort wurde über den Überwachungsbericht abgestimmt, der vor Kurzem im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres angenommen wurde. Neben der Frage nach dem Asyl für Snowden, das als Änderungsantrag im Raum stand, ging es um die Aussetzung der verschiedenen Abkommen mit den Vereinigten Staaten wie SWIFT, PNR und der Safe-Harbour-Vereinbarung, sowie die angedachte Ausweitung der Unabhängigkeit der europäischen IT-Infrastruktur. Leider wurde in der endgültigen Version kein Änderungsantrag für Snowdens Asyl mit aufgenommen, dafür gab es für den Rest eine große Mehrheit. Das freut vor allem, da sich dort eindeutige Forderungen nach Konsequenzen und Sanktionen gegen Amerika wiederfinden.

Eine weitere wichtige Abstimmung in der Parlamentssitzung war die EU-Datenschutzgrundverordnung, die erfolgreich ihre erste Lesung passierte. Nicht ganz so einig wie die Parlamentarier ist sich bezüglich der Verordnung der Rat der Mitgliedsstaaten, dort konnte man sich noch nicht auf ein Gesamtpaket einigen.

In Deutschland fand diese Woche die CeBIT statt. Auf der weltweit größten Messe für Informationstechnik fanden sich viele, die ihre neuen Ideen rund um die digitale Welt präsentieren wollten. Auch unsere Politiker konnten da nicht schweigend daneben stehen, immerhin haben wir ja einen frischgebackenen Ausschuss für die Digitale Agenda bekommen. Angela Merkel hat uns im Vorfeld in ihrem Podcast darüber aufgeklärt, dass es ihr am Herzen läge, „die Verhältnismäßigkeit […] zwischen der Freiheit der Information, der Freiheit des Bür­gers und der Sicherheit des Bürgers“ zu wahren und dass das, was gerade im Namen der Terrorbekämpfung passiere, vielleicht nicht ganz damit zusammenpasst. Ihre netten Worte hat sie dann aber bei ihrer Eröffnungsrede mit dem britischen Premier David Cameron, der nicht gerade durch freiheitsliebende Internetpolitik steht, zunichte gemacht. Nicht nur, dass man sich mit dem qua Amtes offiziellen obersten Chef des britischen Geheimdienstes GCHQ brüstet, sondern dann fehlt auch noch jegliche Kritik an dessen Überwachungspraktiken. Danke, Kanzlerin!

Wo wir es bereits erwähnt hatten: Die drei zuständigen Minister Sigmar Gabriel (BMWi), Alexander Dobrindt (BMVI) und Thomas de Maiziere (BMI) wollten auf der CeBIT die Handlungsfelder der Digitalen Agenda vorstellen. Das sind laut deren Aussagen Digitale Infrastruktur & Breitbandausbau, Digitale Wirtschaft, Innovativer Staat, Kultur und Forschung, Digitale Gesellschaft, Schutz und Vertrauen und Europäische und internationale Dimension der Digitalen Agenda. Und das klingt nicht nur wie Buzzword-Bingo, das ist es auch. Hoffen wir, dass sich die schlechten Omen nicht noch weiter verdichten, denn es gab nicht nur Inhaltsleere, sondern auch Probleme mit dem Stream. Der brach nach 20 Minuten mit der Meldung „Subscription failed“ ab.

Etwas Auflockerung zum Schluss: TAZ-Redakteur Sebastian Heiser hat die SPD getrollt. Er hatte vor Jahren ein Foto des SPD-Politikers Manfred Stolpe gemacht und bei Wikipedia unter CC-BY-SA-Lizenz hochgeladen. Die SPD hat das Bild dann ohne Lizenzhinweis genutzt, woraufhin Heiser ausprobiert hat, ob er die Partei dafür abmahnen kann. Sozusagen als Denkzettel dafür, dass sie in den vergangenen 15 Jahren an allen Urheberrechtsverschärfungen beteiligt war. Fazit: Hat wunderbar funktioniert, man darf sich also wünschen, dass die SPD den Wink verstanden hat und sich um ein angemesseneres Urheberrecht bemühen wird, das auch sie versteht und einhalten kann. Ein bisschen Schadenfreude kann man sich hier ruhig erlauben. Und wenn man fertig gelacht hat hilft die Analyse von Leonhard zu verstehen, dass „Urheberrecht reformieren“ doch nicht ganz so einfach ist, wie es pauschal klingt und zeigt auf, wie und wo man vielleicht anfangen müsste.

Wir wünschen euch auch in der nächsten Woche einen sicheren Weg durch das Internet und bei schönem Wetter unbeobachtete Stunden im Park!

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