In der neuen c’t finden sich prima alle Argumente für die Mahnwache in Berlin am Freitag nochmal zusammengefasst: Die Argumente für Kinderporno-Sperren laufen ins Leere. Darin sind:
- Die Sperrung von Neonazi-Webseiten in NRW 2002.
- Eine kritische Hinterfragung der Zahlen des Familienministeriums, mit der recherchierten Aussage, das in diesen Zahlen auch fallen gelassene Ermittlungsverfahren der „Operation Himmel“ sind.
- Die Widerlegung, dass es eine Konderporno-Industrie auf Webseiten gibt.
- Die Probleme von DNS-Blacklists, IP-Sperren und Deep Packet Inspection Systemen.
- Die Aussage des Chefs der Polizeiermittlungsgruppe gegen Kinderpornografie in Schweden, dass Internet-Sperren nicht gegen die Produktion von Material helfen.
- Viele der Server auf den geleakten Sperrlisten anderer Länder stehen in westlichen Ländern, bei denen das Abschalten der Server einfach ist. Der Artikel sagt, dass Carechild die Server mit klar illegalen Inhalten innerhalb von Stunden zur Abschaltung bekommen hat.
- Probleme mit „grundrechtsschonender“ Zensur, beispielsweise dass der bisherige Gesetzesentwurf nicht sagt, ob und wie einmal gesperrte Domains wieder von der Sperrliste kommen.
Und das Ganze ist gespickt mit eigener Recherche und neuen Antworten von Ministerien.
Was steckt also wirklich hinter all diesen Hirngespinsten? Wenn es nicht die Bekämpfung von Kinderpornos ist, dann kann es nur um die Installation der Sperren selbst gehen. Das würde bedeuten, dass hier mit einem Vorwand eine geheime Liste eingeführt wird, die man nach und nach um weitere strafbare und unliebsame Inhalte erweitern kann. Die viel gelobten skandinavischen Länder zeigen bereits die Richtung: In Schweden versuchte die Polizei 2007 auf Lobbydruck hin, Adressen der Tauschbörsen-Suchmaschine Pirate Bay auf die Kinderporno-Sperrliste zu heben. Ähnliches ereignete sich 2008 in Dänemark.
Und in Deutschland stehen die Interessensgruppen bereits in den Startlöchern. Dieter Gorny, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands Musikindustrie, hakte sich sogleich bei der Ministerin ein: „Der Vorstoß der Familienministerin zum Verbot von Kinderpornografie im Internet ist ein richtiges Signal. Es geht um gesellschaftlich gewünschte Regulierung im Internet, dazu gehört auch der Schutz des geistigen Eigentums.“ Das ist die mühsam verklausulierte Forderung, unliebsame P2P-Linkseiten auf die Sperrliste zu hieven.
Längst wurden sogar Forderungen laut, nach denen auf die Liste auch gewaltverherrlichende Inhalte und Glücksspielangebote gehören. Es dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis auch radikale politische Aussagen ausgeblendet werden sollen. Dann fehlt nur noch ein Gesetz, das jedes Umgehen der technischen Sperre unter Strafe stellt, und die Machthabenden hätten ein perfektes Zensurwerkzeug.
Bleibt zu hoffen, dass Politiker diesen Artikel und das Editorial auch lesen. Bei der Anhörung im Bundestag hatten wohl nur die Abgeordneten der Linken Fachpublikationen aus dem Heise-Verlag auf dem Tisch.
Das Experiment von carechild ist mit Vorsicht zu genießen. Nicht nur die zweifelhafte Reputation des Vereins weckt Zweifel, sondern auch die Methodik. Denn wenn ein Provider schlicht den Vertrag kündigt, macht der Inhaber sein Geschäft halt woanders. Sprich: eine einmalige Sperrung der Seite bringt wenig.
Selbst das Handelsblatt hat jetzt einen kritischen Artikel zu von der Laien:
http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/experten-greifen-von-der-leyen-an;2234239
Hell freezes over!
Wieder einmal werden die Probleme nicht bei der Wurzel gepackt, sondern nur die Symptome bekämpft! Aber um das Gleichnis zum Baum zu behalten: Es ist natürlich einfacher ab und zu mal ausschlagende Äste und Blätter abzuschneiden, als einmal den Stamm samt Wurzeln rauszuholen!