Die Vorratsdatenspeicherung darf nicht wieder eingeführt werden und die zugrunde liegende Richtlinie muss auf EU-Ebene aufgehoben werden. Das forderte Kai-Uwe Steffens heute im Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags. Der Aktivist vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung kritisierte die anlasslose Datenspeicherung stellvertretend für über 60.000 Mitzeichner seiner Petition.
Bereits im März letzten Jahres reichte Kai-Uwe Steffens vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung eine Online-Petition gegen die Vorratsdatenspeicherung beim Deutschen Bundestag ein. Über 60.000 Menschen unterzeichneten die Petition für eine Aufhebung der EU-Richtlinie sowie ein EU-weites Verbot der verdachtslosen Vorratsdatenspeicherung (VDS). Heute fand die Anhörung des Petenten im Petitionsausschusses statt.
In seinem Eingangsstatement verwies Kai-Uwe Steffens darauf, dass mittlerweile der Europäische Gerichtshof (EuGH) prüfen soll, ob die VDS-Richtlinie mit der Grundrechte-Charta sowie der Menschenrechtskonvention vereinbar ist. Bis zu dieser Entscheidung sollten nationale Gesetzgebungsverfahren innehalten und den Ausgang des Verfahrens abwarten. Denn auch wenn der EuGH feststellt, dass die Richtlinie gegen die Grundrechte verstößt, hat das keinen Einfluss auf nationale Gesetze. Der Petent verwies außerdem auf die historische Verantwortung Deutschlands. Hätte es eine VDS bereits im Dritten Reich gegeben, würde das Grundgesetz heute eine Erhebung solcher Daten verbieten, so seine These.
Bevölkerung lehnt Vorratsdatenspeicherung ab
Steffens führte weiter aus, dass auch die deutsche Bevölkerung mehrheitlich eine anlasslose VDS ablehnt. Dabei berief er sich auf eine Umfrage der Unionsfraktion, in der sich zwei Drittel der deutschen Bevölkerung gegen eine Datenspeicherung ohne Verdacht ausgesprochen haben. Die Deutschen seien stolz auf ihr Grundgesetz und die Freiheitsrechte, daher sei es „beste konservative Politik, auf die VDS zu verzichten“. Auf dem CSU-Parteitag am Wochenende will auch die Junge Union Bayern beantragen, kein neues Gesetzgebungsverfahren zur VDS weiterzuverfolgen.
Der Petent führte aus, dass die VDS den rechtsstaatlichen Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit (Erforderlichkeit, Zweckmäßigkeit, Übermaßverbot) widerspricht. Eine ganze Reihe wissenschaftlicher Untersuchungen kommt zu dem Schluss, dass ein überzeugender Nutzwert der Datenspeicherung nicht nachweisbar ist. Eine kriminologisch signifikant wirksame VDS müsste viel mehr Datenarten für viel längere Zeiträume speichern. Das kann niemand wollen. Daher lehnen über 60.000 Unterzeichner seiner Petition die Wiedereinführung der VDS ab. Steffens und der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung zählen darunter auch die anlasslose Speicherung von IP-Adressen für eine Woche, wie es der FDP-Vorschlag für ein Quick Freeze vorsieht.
Aus diesen Gründen bat Steffen die Abgeordneten, sich zu fragen, an welchem Punkt sie eine rote Linie ziehen würden. Sollte es in diesem oder nächsten Bundestag doch zu einem neuen VDS-Gesetz kommen, plädierte er dafür, Fraktionszwang und Einzelgespräche unterlassen. Einzelnen Abgeordneten sollte ihre Entscheidung wirklich frei gestellt werden. Abschließend forderte Steffens die Regierung auf, diese Erkenntnisse auch in die EU zu tragen und die VDS in anderen Staaten zu unterlassen.
FDP und Justizministerium weiterhin dagegen
Nach diesen Ausführungen folgten Fragerunden der Abgeordneten. Vor allem Dr. Max Stadler, Parlamentarischer Staatssekretär im Justizministerium bekam breiten Raum. Er erinnerte daran, dass „vor vielen Jahren“, es war im Februar 2005, der Deutsche Bundestag eine anlasslose VDS einstimmig ablehnte. Die drei Fraktionen FDP, Grüne und Linke bei dieser Ablehnung geblieben, während die große Koalition aus CDU/CSU und SPD ihre Meinung änderte und im November 2007 das deutsche VDS-Gesetz beschloss, dass im März 2010 vom Bundesverfassungsgericht gekippt wurde. Mit dem Eckpunktepapier für anlassbezogenes Quick Freeze-Verfahren machte die FDP in seinen Augen einen grundrechtsschonenden Vorschlag. Darüber gäbe es weiterhin „Diskussionen“ innerhalb der Bundesregierung.
Eine Prognose über den Ausgang der Verfahrens vor dem EuGH wollte Stadler nicht abgeben. Sein Ministerium habe aber angeregt, dass das Gericht über ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland erst urteile, nachdem es über die inhaltlichen Fragen der VDS entschieden hat. Bis dahin wird es für Deutschland keine Strafzahlungen für die Nichtumsetzung der Richtlinie geben. Den Nutzen einer VDS für die Strafverfolgung hatte auch das Justizministerium vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht untersuchen lassen. Aus der vom Chaos Computer Club veröffentlichten Studie geht hervor, dass die Aufklärungsquote von Straftaten in Deutschland zur Zeit der VDS nicht höher war als in der Zeit ohne VDS. Es gibt also keine „Schutzlücken“ ohne VDS. Zwar können die Daten im Einzelfall hilfreich sein, aber diese rechtfertigen nicht die „bisher nicht gekannte Streubreite“ der VDS.
Union und Innenministerium weiterhin dafür
Der Vertreter des Innenministeriums stimmte zu, dass es keine wissenschaftlichen Belege für die Erforderlichkeit einer VDS gibt. Trotzdem gäbe es „eine ganze Reihe“ an Beispielen, in denen Ermittlungen ohne VDS ins Leere gehen. Das sei vor allem bei der Internetkriminalität und Kinderpornografie der Fall. Aber auch bei den Ermittlungen zur rechtsextremen terroristischen Vereinigung Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) wären die Daten sehr nützlich gewesen.
Stadler vom Justizministerium konterte, dass man diese Fragen zum NSU derzeit nicht abschließend bewerten könne. Auch mit herkömmlichen Verfahren gibt es eine Fülle an Ermittlungsergebnissen sowie mehrere Verhaftungen und Haftbefehle. Zudem betrug die Speicherdauer im deutschen Gesetz nur sechs Monate, damit hätte man nur einen begrenzten Zeitraum zurück blicken können. Bei Diskussionen zur Wiedereinführung der VDS würde daher garantiert auch die Frage nach der Speicherdauer aufkommen. Stadler ist wie Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger der Meinung, dass eine anlasslose VDS in Deutschland verfassungswidrig ist.
Keine neues Gesetz in dieser Legislaturperiode
Dieses Hin und Her der beiden Ministerien zeigt die Zerstrittenheit der Bundesregierung zum Thema. Die Union ist für die VDS, die FDP dagegen. Das ist kein schlechter Zustand, denn daher wird es aller Wahrscheinlichkeit nach vor der Bundestagswahl im September nächsten Jahres kein neues Umsetzungsgesetz in Deutschland geben. Auch auf EU-Ebene ist die Überarbeitung der Richtlinie derzeit ausgesetzt und wird wohl nicht vor der Europawahl 2014 passieren.
Außer dem Innenministerium hielten sich heute die Vertreter von Union und SPD jedoch auffallend zurück. Nur einmal führte der Abgeordnete Günter Baumann für die CDU/CSU aus, dass die VDS keine „Sammelwut“ des Staates sein, sondern vielmehr dazu diene, dass der Staat seine Bürger schützen kann. Auf weitere Stimmungsmache oder gar Forderungen einer raschen Wiedereinführung der VDS wurde jedoch verzichtet. Scheinbar hat man sich langsam damit arrangiert, dass es in dieser Legislaturperiode keine neue VDS mehr geben wird.
Einen echten Erkenntnisgewinn brachte die heutige Anhörung jedoch nicht. Schön, dass wir mal wieder drüber geredet haben. Nach der Bundestagswahl geht die Diskussion dann wieder von vorne los.
Update: Hier gibt’s den Mittschnitt als Audio und Video. (Danke, Stefan.)
Hier gibt’s meine kompletten Notizen. Fast ein vollständiges Protokoll: http://pastebin.com/ggbP1s3j
Petitionen werden immer nach folgendem Schema abgeschmettert:
– das Anliegen wird angehört
– die Argumente als haltlos abgetan
– mit Hinweis auf laufende Verfahren als irrelevant abgetan
Der Trost auf die Bundestagswahl ist keiner, da man niemanden hat, den man Wählen kann und der gegen die VDS ist. Und falls doch, kann man seine Meinung als Partei nach der Wahl auch schnell ändern mit Hinweis auf die Koalition.
Haben wir übrigens schon ein gültiges Wahlrecht? Man braucht ja keines einführen und regiert dann halt noch 3-4 Legislaturperioden weiter, mit Hinweis auf ein laufendes Verfahren zur Gesetzgebung eines grundgesetzkonformen Wahlrechts…
So? Bitte schön:
Parteiprogramm der Piratenpartei Deutschland
Der vierte Absatz beginnt mit:
Nun sind wir bei der Wählbarkeit: Mit fast jedem Gesetz, welches unsere Altparteien in den letzten zwei Jahrzehnten den Abgeordneten zur Abstimmung verordnet haben, wurden unsere Bürger etwas schlechter gestellt. Unser Grundgesetz wird andauernd mit Füßen getreten, unsere ehemals starke Binnenwirtschaft zu Gunsten der Export- und Großindustrie komplett geopfert (WEEE, ElektroG und Stiftung EAR bedeuten das endgültige „Aus“ für Kleinserienproduktion in der Elektronik, von wegen „Land der Tüftler…“, mit eklatanten Konsequenzen für den Arbeitsmarkt…). Demokratie ist nur ein Schlagwort, ich möchte hier nur an das regelmäßige Abschmettern von Petitionen erinnern.
Du solltest also mindestens eine vernünftigere Alternative haben, die erste demokratische Partei in unserem Land.
Anstatt zu lamentieren und sich – wie es ja viele tun – sich ausschließlich in blankem Zynismus zu ergießen, hat man also die Wahl, sich innerhalb von demokratischen Parteien aktiv für Grundrechte einzusetzen, also mit gutem Beispiel voranzugehen. Das soll jetzt keine Fundamentalkritik sein, sondern eine Ermutigung, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Anlass zur Hoffnung gibt es schon angesichts der Mächtigkeit der Bewegung zur Genüge. Aber blind darauf verlassen sollte man sich nicht, sondern mitmachen, also habt Mut!
Übrigens sieht es in Gebieten, in denen sich Kreti und Pleti nicht so gut auskennen, wo also öffentliche Kontrolle eher außen vor bleibt, noch weitaus schlimmer mit der Qualität der Gesetzgebung aus, als sich das manche vorstellen möchten, sofern sie nur die populären Themen aus Internet und TV kennen. Die Probleme liegen noch viel tiefer. Und daher brauchen wir maximale Offenlegung und Bürgerbeteiligung, nicht nur als Worthülsen. Was das für das korrupte System bedeutet, ist den Konservativen schon klar, weswegen man sich auch im Staatsfunk (GEZ-Medien) mit Berichten über erfolgreiche Arbeit von Piraten, Linken und NGOs äußerst zurückhält. Man könnte schließlich seine Wahl überdenken…
Also nur Mut und tut was!
http://dbtg.tv/cvid/1956924
hier das video in der mediathek
„Aber auch bei den Ermittlungen zur rechtsextremen terroristischen Vereinigung Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) wären die Daten sehr nützlich gewesen.“
Diese Ausführungen sind in Anbetracht der Aktenberge zu den betroffenen Personen, die sich shcon seit Jahrzehnten in den Archiven stapelten und nun zum Großteil „versehentlich“ (angeblich nach Verjährung!!!) durch verschiedene Schredder gelaufen sind, an Dreistigkeit nicht zu überbieten!
Es muss einige Mitarbeiter diverser Instutitionen gegeben haben, die die Hierarchie schon sehr sehr lange kennen – ganz ohne neumodische Computer. Vermutlich zu Zeiten als es noch üblich war Protokolle mit der Schreibmaschine zu verfassen…
Am besten schickt man den Parteien (allen voran Grünen und SPD) jetzt schon diverse Tees und andere Hausmittelchen für die vielen BAUCHSCHMERZEN, unter denen ihre Abnicker leiden werden, wenn sie FÜR die VDS stimmen.
Eigentlich keine schlechte Idee für eine mal etwas kreativere Aktion, oder?
Ja sehr gute idee!
Dank der fehlende VDS kann der Stalker, der uns bereits seit 1 Jahr das Leben zu Hölle macht, weiterhin sein Unwesen treiben.
Ein kleiner Fehler, er hatte bei einer online Bestellung seine IP Adresse „hinterlassen“, hat uns ganz nah ans Ziel gebracht. Bis es hier zu Ermittlungen kam, waren die die Daten längst gelöscht.
Es werden wissenschaftliche Untersuchungen, ob die VDS bei der Strafverfolgung nützt oder nicht, durchgeführt, statt sich über die Opfer gedanken zu machen. Dass die VDS nicht zu einem Anstieg der Aufklärungsquote führte, liegt nicht an der VDS, sondern an den trägen Ermittlungen im Allgemeinen.
Lieber sollte sich jeder Bürger überlegen, was er freiwillig jeden Tag preis gibt.
Ich jedenfalls bedanke mich recht herzlich bei den Verantwortlichen, die dazu noch die Aussage treffen, das muss man ganz entspannt und locker sehen….. Wenn man Opfer ist, tut man sich etwas schwer damit.