Wiederkehrende rituelle Handlungen sind wichtig, denn sie verleihen Sicherheit und Stabilität. Im April beginnt die Spargelssaison, im September kommt der Federweißer und dazwischen erscheinen seit nun anderthalb Jahren alle sechs Monate die Transparenzberichte der großen Technologieplattformen, die unter das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) fallen. Das NetzDG soll dafür sorgen, dass strafbare Inhalte wie Volksverhetzung schneller aus sozialen Netzwerken verschwinden.
Aktuell ist es wieder soweit. Facebook hat bereits vergangene Woche seinen Bericht vorgestellt, Twitter veröffentlichte seinen heute.
Hier nun eine Abfolge der Schritte, die daraufhin in einem Pressebericht erfolgen.
1. Die aktuellen Zahlen
Laut dem aktuellen Bericht hat sich die Zahl der Meldungen auf Twitter im Vergleich zum vorangegangenen Halbjahr verdoppelt. Fast 480.000 Beschwerden von Nutzer:innen sind demnach im Zeitraum von Anfang Januar bis Ende Juni eingegangen. Als mögliche Gründe für den Anstieg nennt der Bericht den Anschlag von Christchurch sowie andere „aktuelle Ereignisse“.
In 44.752 Fällen hat Twitter daraufhin Maßnahmen ergriffen, also Tweets oder Accounts gelöscht oder gesperrt, weil sie entweder gegen die Richtlinien verstießen oder unter das NetzDG fielen. Wie viele Maßnahmen konkret aufgrund von Verstößen nach NetzDG stattfanden, ist nicht zu erkennen.
Der Anstieg habe laut Twitter dazu geführt, dass die Quote der binnen 24 Stunden bearbeiteten Inhalte gesunken sei – auch dies eine Vorgabe des NetzDG. Wie sehr dieser Anteil zurückging, nennt der Bericht allerdings nicht. Wer das vergleichen wollte, müsste zunächst selbst die Zahlen für mehr als 20 verschiedene Beschwerdegründe von Volksverhetzung bis Beleidigung addieren, um die genaue Quote zu errechnen und diese mit den vorangegangenen Berichten zu vergleichen.
2. Unzulänglichkeit des NetzDG nochmal zusammenfassen
Das NetzDG soll Betreiber zwingen, nach einer Meldung strafbarer Inhalte zügig zu handeln. Kaum ein Gesetz ist jedoch so einhellig von Expert:innen und Politiker:innen zerlegt worden wie dieses Projekt des ehemaligen Justizministers Heiko Maas.
Sascha Lobo nannte es auf Spiegel Online „dämlich“, die Organisation Reporter ohne Grenzen fürchtet, dass die Plattformen aus Übereifer auch legale Inhalte löschen und damit die Kommunikationsfreiheit bedrohen. Journalisten und Politikerinnen, die selbst Zielscheibe für Hass und Hetze sind, wie Bundestagabgeordnete Anke Domscheit-Berg, merken an, dass das Löschen von Inhalten wenig bringe. Bedrohungen im Netz müssten konsequent strafverfolgt werden. Auch andere Netzpolitiker:innen der Oppositionsparteien fordern Nachbesserungen oder sogar die Abschaffung des Gesetzes.
3. Wer fällt sonst noch unter das NetzDG?
Wer alles in Deutschland unter das NetzDG fällt, ist undurchsichtig. Formal sind alle sogenannten Sozialen Netzwerke mit mehr als 2 Millionen Nutzer:innen in Deutschland verpflichtet. Doch das verantwortliche Bundesamt für Justiz hat keine genaue Übersicht, denn das Gesetz sieht nicht vor, dass das Amt prüft. Die potenziell betroffenen Firmen melden sich selbst.
Anfang 2018 hatten zunächst sieben Unternehmen einen Zustellungsbevollmächtigten benannt, eine weitere Auflage des Gesetzes: Facebook, Youtube, Instagram, Twitter, Google+, Pinterest und Soundcloud.
Auffällig ist, wer nicht darunter ist: die Plattform Discord etwa. Eigentlich als Kommunikationsnetzwerk für Gamer gedacht, organisieren sich dort auch viele rechte Gruppen. Messenger wie Telegram fallen ohnehin nicht unter das Gesetz, denn sie gelten nicht als Soziale Netzwerke. Bislang ebenfalls abwesend: TikTok. Die rasant wachsende Video-App des chinesischen Anbieters Bytedance hat bislang keinen Bericht abgegeben. Laut einer geleakten Marketingpräsentation soll es aber bereits mehr als vier Millionen Nutzer:innen in Deutschland haben – und müsste somit ebenfalls Zahlen vorlegen.
4. Darauf verweisen, dass die Zahlen ohnehin nicht aussagekräftig sind
Einen weiteren Kritikpunkt fasste der Verein Digitale Gesellschaft anlässlich der ersten Transparenzberichte zusammen: Die Löschberichte und die darin genannte Zahl der Beschwerden, der gelöschten Inhalte oder auch die Löschquote hätten ohnehin eine geringe Aussagekraft. Das liege daran, dass es je nach Plattform unterschiedlich leicht oder schwierig sei, einen vermeintlich rechtswidrigen Inhalt zu melden. Wenig aussagekräftig sei auch die Anzahl der tatsächlich vorgenommenen Löschungen, „weil es keine auf Deutschland bezogenen Vergleichszahlen für die Zeit vor dem Inkrafttreten des NetzDG gibt“.
Hinweis: Roboter und sterbliche Journalist:innen können diese Vorlage gerne im halbjährlichen Rhythmus weiterverwenden und mit den jeweils aktuellen Zahlen befüllen. Unsere Beiträge stehen unter einer Creative-Commons-Lizenz.
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