Verschlüsselte KommunikationBreite Ablehnung für „skandalösen“ Hintertüren-Vorschlag der Union

Die Union will in der Koalition mit der SPD Messenger und Co. zur Entschlüsselung und Weitergabe von Kommunikationsinhalten verpflichten. Digital-, Menschenrechts-, Umwelt- und Journalistenorganisationen halten das für „unverhältnismäßig“ und einen „tiefen Eingriff“ in die Grundrechte mit gravierenden Folgen für die nationale Sicherheit und die Demokratie.

Kamera schaut auf Person, die ein Smartphone in der Hand hält
Mit der Chatkontrolle würde es keine unbeobachtete Kommunikation mehr geben. (Symbolbild) – Public Domain generiert mit Midjourney

Das Verhandlungspapier von Union und SPD zur Innen- und Sicherheitspolitik setzt die Axt an Grundrechten an. Doch die CDU will so weit gehen, dass sie fordert, dass Anbieter elektronischer Kommunikationsdienste „im Einzelfall zur Entschlüsselung und Ausleitung von Kommunikationsinhalten an Strafverfolgungs- und Gefahrenabwehrbehörden“ verpflichtet werden. Im Verhandlungspapier lehnt die SPD diese hingegen explizit ab.

Käme die Forderung der Union in den Koalitionsverhandlungen durch, wäre einer Umgehung von Ende-zu-Ende-Verschlüsselung oder Hintertüren der Weg geebnet. Zusätzlich würde die Forderung letztlich ein Ja zur umstrittenen EU-Chatkontrolle bedeuten, die derzeit auch am Widerstand Deutschlands scheitert. Wir haben Digital- und Menschenrechtsorganisationen sowie Umwelt- und Journalistenverbände gefragt, was sie von der Forderung der Union halten.

„Tiefer Eingriff in Grundrechte“

Christoffer Horlitz, Experte für Menschenrechte im digitalen Zeitalter bei Amnesty International, kritisiert das Vorhaben als einen „tiefen Eingriff in die Grundrechte aller Menschen“. Durch so etwas werde die Arbeit von Menschenrechtler:innen, Journalist:innen und Oppositionellen weltweit gefährdet.

Elina Eickstädt, Sprecherin des Chaos Computer Clubs, sagt: „In einer Demokratie, in der vertrauliche Kommunikation unmöglich gemacht wird, ist eine lebendige Zivilgesellschaft unmöglich.“ Anstatt immer weiteren Überwachungsträumen nachzujagen, sollte die zukünftige Koalition lieber darüber reden, wie eine gute digitale Gesellschaft für alle aussieht.

„Gefährdet Vertraulichkeit von Recherchen“

Bei Reporter ohne Grenzen fürchtet man hingegen um die Pressefreiheit. Es stelle sich die Frage, inwieweit die Koalitionspartner den journalistischen Schutz im digitalen Zeitalter tatsächlich ernst nehmen würden. „Sicher verschlüsselte Dienste sind für Medienschaffende ein essenzielles Mittel der Recherche und Kommunikation“, so Helene Hahn, Referentin für Internetfreiheit. „Wer dieses Instrument in Frage stellt und Hintertüren für Sicherheitsbehörden offenhält, gefährdet die Vertraulichkeit journalistischer Recherchen und damit die Kontrollfunktion der Medien in einer Demokratie.“ Was die Union fordere, führe dazu, dass verschlüsselte Kommunikation weltweit geschwächt würde.

Hanna Möllers, Justiziarin des Deutschen Journalisten-Verbandes, stellt fest, dass viele Grundrechtseinschränkungen im Namen der Sicherheit vor allem aus symbolischen Gründen erfolgen, damit die Politik behaupten kann, „etwas getan zu haben“. Statt mehr Überwachung und Kontrolle fordert der Verband „von den Parteien mutige und überzeugende Initiativen zur Stärkung der Freiheitsrechte“.

„Gefährdet nationale Sicherheit“

Erik Tuchtfeld, Co-Vorsitzender des netzpolitischen Vereins D64, warnt vor Auswirkungen auf die Sicherheit aller: „Die Schwächung verschlüsselter Kommunikation gefährdet die nationale Sicherheit. Es gibt keine ‚Hintertüren nur für die Guten‘ – wenn sie eingebaut werden, werden sie auch von feindlichen Akteuren genutzt.” Die Co-Vorsitzende Svea Windwehr fordert, dass sich der Koalitionsvertrag stattdessen explizit für den Schutz von Verschlüsselung und vertraulicher Kommunikation aussprechen solle, sonst werde er den Grundwerten einer freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft nicht gerecht.

Tom Jennissen vom Verein Digitale Gesellschaft warnt vor einem „autoritären Umbau des Staates und dem Aushöhlen rechtsstaatlicher Grundsätze“ durch die Union. „Statt sichere und vertrauliche Kommunikation als Voraussetzung einer offenen und demokratischen Gesellschaft zu stärken, werden auf Zuruf der Sicherheitsbehörden und ihrer Lobbyverbände deren rechtliche und technische Grundlagen angegriffen“, so Jennissen weiter.

Wikimedia Deutschland, der Verein hinter der deutschen Wikipedia, möchte, dass sich Menschen im Netz frei engagieren und Wissen teilen können – ohne Angst vor Überwachung. „Die Politik muss der Versuchung widerstehen, Verschlüsselungstechnologien aufzuweichen, die nur vermeintlich für mehr Sicherheit sorgen“, sagt Lilli Iliev, Leitung Politik & Öffentlicher Sektor.

„Dystopischer Schundroman“

„Die CDU hat sich offenbar von Orwells dystopischem Roman 1984 inspirieren lassen“, sagt Noa Neumann von Attac Deutschland. Das Vorhaben sei „nicht vereinbar mit unseren freiheitlichen Grundrechten“. Attac erwarte von einer Bundesregierung, dass sie die Rechte und die Privatsphäre von Menschen aktiv schütze und nicht den Datenschutz aushöhle.

Auch Britta Rabe vom Komitee für Grundrechte und Demokratie fühlt sich an Literatur erinnert, allerdings von eher minderer literarischer Qualität: „Das Koalitions-Verhandlungspapier liest sich wie ein dystopischer Schundroman. Hier soll endgültig die Büchse der Pandora geöffnet werden – mit verheerenden Folgen etwa für marginalisierte Gruppen, Zivilgesellschaft und Engagement.“

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„Unverhältnismäßig“

Greenpeace-Sprecherin Eva Schaper sieht die Forderung der Union als „Teil eines politischen und gesellschaftlichen Roll-backs“. Unter dem Schlagwort „Sicherheit“ würden Datenschutz und Freiheitsrechte, aber auch Informationsrechte zurückgeschnitten. „Setzt sich das durch, werden wir sehr schnell in ein weniger freien, letztlich aber auch unsicheren Gesellschaft leben.“

Die Humanistische Union hält die Forderung der Union für „einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Grundrechte“. Philip Dingeldey, Geschäftsführer der Bürgerrechtsorganisation, warnt vor einem verengten Blick auf „technokratische Überwachungsinstrumente, die unsere Freiheitsrechte auf skandalöse Weise bedrohen“.

Rena Tangens von Digitalcourage kritisiert, dass sich die Konservativen immer weiter vom Bewahren der gesellschaftlichen Ordnung entfernten. „Wer unsere bürgerlichen Freiheiten durch immer weitere Gängelung und Überwachung angreift, hat sich von diesem Wertebegriff offenbar verabschiedet“, so Tangens. Bei der Union gäbe es keine Einsicht, dass „unser Rechtsstaat kein Ort für ein Überwachungs-Wunschkonzert ist“.

12 Ergänzungen

  1. Auch auf EU-Ebene sieht es unter Magnus Brunner als Innekommissar keinen Deut besser aus.
    Der hat anscheinend genauso einen Überwachungsfetisch wie Johansson ihn hatte.

    https://www.msn.com/de-de/nachrichten/other/eu-kommission-will-zust%C3%A4ndigkeiten-von-europol-erweitern/ar-AA1C57id?ocid=winp2fp&cvid=67ec09c1fb614549af148de69e6d2c09&ei=39

    „Die EU-Kommission will in den nächsten fünf Jahren die Mandate ihrer Behörden Europol und Frontex ausweiten und prüfen, wie Ermittler auf verschlüsselte Daten zugreifen können.[…] Innenkommissar Brunner will auch zwei heiße Eisen anfassen, die sowohl unter den Staaten als auch im Parlament hoch umstritten sind. Das betrifft zum einen den Zugang zu verschlüsselten Daten. […] Brunner will nun die nationalen Gesetzesbestimmungen und technische Optionen prüfen, um dann einen neuen Dialog über eine europäische Regelung zu führen.
    Ein ähnliches Vorgehen plant der österreichische Kommissar bei der Vorratsdatenspeicherung“

    Umso schlimmer, wenn dann in den Ländern auch noch grund- und bürgerrechtsfeindliche Parteien wie CDU & Co gewählt werden

  2. Schade, das mit der CDU. Der Scheiß kommt immer wieder.

    Man stelle sich vor, es wäre kein Krieg, und das Geld würde trotzdem audgewandt. Wieviel würde in Risikominimierung und Konsolidierung fließen?

  3. Die wahren Feinde der Demokratie sitzen in den Parlamenten, Regierungen und der EU Kommission. Sie bereiten das Terrain für die Faschisten. Ich fürchte, wir werden uns immer mehr zur autokartie und weg von der Demokratie entwickeln. Das werden BVerfG und EuGH auch nicht aufhalten, denn die Richter werden nicht unabhängig berufen, sondern von der Politik.

  4. Als wenn die CDU sich für die Meinungen von (aus ihrer Sicht) demokratie- und staatsfeindlichen Organisationen interessieren würde. Wer hat vor ein paar Wochen gefragt, welcher dieser augenscheinlichen terroristischen und radikalen Gruppen vom Staat gefördert wird? …… Was ich damit sagen will: Solange es keine Politiker oder Parteien gibt, die sich kritisch äußern, wird auch die SPD zustimmen. Ist ja nicht so, als hätten die Sozial“demokraten“ Überzeugung oder auch nur Verhandlungsgeschick.

  5. Immer daran denken, dass das diese Freiheit ist, die jetzt mit Milliarden für die Rüstungsindustrie angeblich verteidigt werden soll…

  6. ich frag mich dann immer, wo eigentlich die Digital-, Menschenrechts-, Umwelt- und Journalistenorganisationen waren, als das gleichwertig in der Telekommunikation (Lawful Interception) eingeführt wurde?

    Die Situation, das aus StPO-Gründen Kommunikation beobachtet/mitgelesen/mitgehört wird, haben wir seit langem. Und jetzt, weils an die App Anbieter geht, ist das plötzlich „skandalös“?

    Gut für die, die ihre Schlüsselverwaltung nicht an die App abgegeben haben.

    1. Als Lawful Interception in Telefonnetzen technisch umgesetzt und dann zum Standard wurde, gab es ebenfalls zahlreiche Proteste, auch Gerichtsverfahren. Allerdings sollte man dabei im Hinterkopf haben, dass eine vollständige Digitalisierung der Telefonnetze und eine automatisierte Erfassung und Verarbeitung auf Knopfdruck in großer Zahl erst später und nach und nach Realität geworden ist. Gewarnt davor wurde schon, auch von einigen der oben im Artikel Genannten, aber manches war vielleicht nicht jedem technisch vorstellbar.

  7. Rena Tangens wirft also den Konservativen vor, sich von ihren eigenen Grundsätzen radikal zu entfernen. Das beträfe dann konservative Werte, wie etwa das verfassungsgemäße Menschenrecht auf individuelle ungestört Kommunikation – ein Thema seit etwa 1700, dann 1849, im Grundgesetz seit 1949. Ferner würde ja das Recht auf Besitz angegriffen, wenn mein Smartphone staatlichen Stellen unterstellt wird. Es gehört mir dann ja nicht mehr, wenn ich nicht bestimmen kann, wer mithört.

    Vielleicht sehe ich das ja falsch. Mir scheint aber, immerhin wird der von der Wikipedia behauptete konservative Grundsatz der der „Einsicht in die Unzulänglichkeit der menschlichen Vernunft“ bestätigt. Dass man aber wegen des Grundsatzes „konkrete Anschauung und aus der Geschichte gewonnene Erfahrung“ auf Spitzeilmaßnahmen aus der DDR oder dem dritten Reich setzt, das geht einfach zu weit. Man kann es mit Traditionen auch übertreiben.

  8. Vielleicht sollte man auch einmal über Kosten und Profitöre sprechen. Facebook/Meta lebt von den Daten ihrer Nutzer. Verschlüsselte Kommunikation stört beim Geld scheffeln (so dass bei WhatsApp gerade mit dem KI-“Feature“ die p2p Verschlüsselung zunichte gemacht wird). Konzerne mögen keine Verschlüsselung fremder Daten.

    Die Politik liefert uns den Konzernen aus und wirft dabei noch (unser!) Geld zum Fenster raus. Denn eine mathematisch korrekte (moderne) Verschlüsselung ist nicht zu entschlüsseln. Überwacht werden als nur noch WhatsApp-Gruppen in Schulklassen, während „echte“ Verbrecher sich der Überwachung einfach entziehen.

    Hallo, auch wenn Konservative es mit „abstrakter Systematik“ nicht so haben, sich in den Fuß zu schießen ist … (zensiert, weil ja bestimmt jemand mithört – gewöhnt euch dran). Vielleicht ist jetzt Zeit, sich von unsicheren Messengern zu verabschieden?

    1. „Denn eine mathematisch korrekte (moderne) Verschlüsselung ist nicht zu entschlüsseln.“
      Nein. Es gilt weiterhin: Wenn du Zugriff auf den Schlüssel hast, kann du entschlüsseln.

      1. Das ist sicher korrekt. Nur werden „Verbrecher“ den „Behörden“ diesen Zugriff nicht geben. Es gibt sogar die Möglichkeit, etwa bei Massenspeichern, abstreitbare Verschlüsselung zu verwenden. Niemand kann dann beweisen oder erkennen, dass es sich überhaupt um verschlüsselte Daten handelt. Natürlich, mit Willkür oder Folter lässt sich „da was machen“. Dann allerdings ist nichts mehr mit Rechtsstaat.

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