Seit eineinhalb Jahren lebt der Journalist Fabian Kienert in Ungewissheit, denn ihm wird vorgeworfen, eine verbotene Vereinigung unterstützt zu haben. Das Urteil des Landgerichts Karlsruhe wird am morgigen Donnerstag erwartet. Ob Kienert verurteilt wird oder freigesprochen, ist nicht nur für ihn wichtig. Es wird auch ein Indikator, wie es um die Pressefreiheit in Deutschland steht.
Fabian Kienert hat in einer kurzen Nachrichtenmeldung für die Website des Senders Radio Dreyeckland (RDL) auf die Website linksunten.indymedia.org verlinkt. Anlass war der Bericht über ein eingestelltes Verfahren rund um diese Seite, die der damalige Innenminister Thomas de Maizière (CDU) 2017 mit Bezug aufs Vereinsrecht verboten hatte. Damals war Linksunten Indymedia eine Open-Posting-Seite. Seit 2020 ist unter dem Link nur noch ein Archiv abrufbar. Kienert wird vorgeworfen, die verbotene Vereinigung, die einst linksunten.indymedia.org betrieben hatte, mit seiner Verlinkung im Artikel unterstützt zu haben.
Der Staat reagierte darauf mit großem Aufgebot: Durchsuchungen in seiner Wohnung und der Wohnung eines RDL-Geschäftsführers. Es wurden Geräte beschlagnahmt und darauf gespeicherte Daten kopiert. Auch in den Redaktionsräumen des Senders drangen die Ermittler:innen ein.
Die Durchsuchungen der Wohnung des Geschäftsführers und der Redaktionsräume wurden vom Landgericht Karlsruhe inzwischen für rechtswidrig erklärt. Nicht aber die Durchsuchung der Wohnung von Fabian Kienert, die vom Oberlandesgericht als rechtens bestätigt wurde. Dagegen läuft derzeit eine Verfassungsbeschwerde. Diese ist jedoch unabhängig vom Strafverfahren vor dem Landgericht, das sich um die Verlinkung dreht.
Mit Blick auf das am morgigen Donnerstag erwartete Urteil sagt Hendrik Zörner, Sprecher des Deutschen Journalistenverbandes (DJV) auf Anfrage von netzpolitik.org:
Die Maßnahmen der Ermittlungsbehörden sind so ziemlich das Härteste, was sie gegen eine Redaktion auffahren können. Da hat eine Grenzüberschreitung stattgefunden, die sich auf keinen Fall wiederholen darf.
Vom Grundgesetz geschützt
Artikel 5 des Grundgesetzes garantiert eine weitreichende Pressefreiheit in Deutschland. Eine Grundvoraussetzung dafür ist der Quellenschutz, so der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Doch wenn Ermittlungsbehörden journalistisch genutzte Datenträger beschlagnahmen, ist dieser in Gefahr. Zörner fordert: „Die Ermittlungsbehörden müssen mit dem Urteil einen Riegel vorgeschoben bekommen.“ Sie dürften nur in seltenen Fällen in Redaktionen tätig werden, etwa wenn es Verbindungen zu Terrorismus geben könne. „Und hier ging es eindeutig nicht um Terrorismus“, so Zörner. „Es ging um eine als linksextremistisch verschriene Seite und das war der Punkt, der die Ermittlungsbehörden in Wallung gebracht hat.“ Dass Journalist:innen Links setzen, sei Teil ihrer Transparenzpflicht, damit sich Lesende eine eigene Meinung bilden können.
Auch David Werdermann sieht Verlinkungen als grundlegendes Werkzeug eines emanzipativen Journalismus. Er ist Jurist bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die Kienert unterstützt. „Für uns als Leserinnen und Leser von Internetpublikationen ist es wichtig, dass man sich ein Bild von den Primärquellen machen kann.“ Quellen rechtssicher verlinken zu können, sei auch für die Pressefreiheit wichtig, so Werdermann. „Wenn es um staatliche Maßnahmen wie zum Beispiel Vereinsverbote geht, ist es die Aufgabe der Presse, kritisch darüber zu berichten“, sagt er. Wenn daraus der Vorwurf erhoben würde, man würde dadurch solche Vereinigungen unterstützen, „dann bleibt von der Pressefreiheit nicht viel übrig“.
In der ersten Episode unseres Doku-Podcasts „Systemeinstellungen“ erzählen wir die Geschichte hinter den Razzien bei Radio Dreyeckland.
Das Strafmaß für einen Verstoß gegen das Vereinigungsverbot, wie er Kienert vorgeworfen wird, beträgt laut Strafgesetzbuch bis zu drei Jahre Haft oder eine Geldstrafe. Die Staatsanwaltschaft fordert von dem Journalisten 90 Tagessätze à 40 Euro, die Verteidigung einen Freispruch.
Hoffnung auf Freispruch
Am gestrigen Dienstag sprach Kienert vor Gericht darüber, was die Razzien für ihn persönlich bedeuteten. „Wenn Geflüchtete morgens von der Polizei für eine Abschiebung aufgesucht werden, ist die Bedrohung existenzieller als in meinem Fall“, so Kienert. „Allerdings ist eine Hausdurchsuchung immer ein tiefgreifender Eingriff in die Privatsphäre, der Spuren hinterlässt. Zahlreiche Nächte nach dem 17. Januar 2023 waren bei mir vom Alptraum geprägt, da poltert jemand an der Tür.“
Vor Gericht sieht es aktuell offenbar gut aus für den Angeklagten. David Werdermann schätzt: „Es deutet sich sehr stark an, dass es einen Freispruch geben wird. In der Verhandlung hat sich gezeigt, diese verbotene Vereinigung existiert eigentlich nicht mehr oder man kann zumindest nicht beweisen, dass sie noch existiert.“ Und wenn es die Vereinigung nicht mehr gibt, kann man sie auch nicht unterstützen. Werdermann ist gespannt, ob sich das Gericht auch dazu äußern wird, „ob die Verlinkung, wenn es denn eine Vereinigung gäbe, eine Unterstützungshandlung wäre oder ob das im Licht der Pressefreiheit so auszulegen ist, dass es straffrei ist.“
Werdermann sieht in Deutschland aktuell eine Tendenz, mit kritischen Medien und kritischer Zivilgesellschaft sehr repressiv umzugehen. Als Beispiele nennt er das Verbot von linksunten.indymedia.org selbst und das harte Vorgehen gegen Klimaaktivist:innen der Letzten Generation. Bei ihnen wurde der Vorwurf der kriminellen Vereinigung erhoben und das Pressetelefon überwacht. Auch dort wurde gegen die Presse vorgegangen oder zumindest in Kauf genommen, dass sie ebenso überwacht wird.
„Die Presse übt eine Kontrollfunktion aus in einer Demokratie“, so Werdermann. Ohne freie Presse sei Demokratie nicht zu machen. „Da haben wir schon starke Bauchschmerzen, dass die Handlungsspielräume für kritische Zivilgesellschaft immer weiter schrumpfen. Und sie zunehmend Repression und Kriminalisierung ausgesetzt ist.“
Die Zukunft der Pressefreiheit
Auch der DJV-Sprecher Hendrik Zörner sieht im Fall von Radio Dreyeckland eine unverhältnismäßige, aber nicht untypische Repression: „Wenn Staatsanwälte meinen, sie müssten jetzt die Kavallerie satteln, müssen Redaktionen auf der Hut sein.“ Im schlimmsten Fall gehe es bei solchen Aktionen auch darum, Journalist:innen einzuschüchtern. „Sie werden keine Dokumente in Behörden finden, aus denen hervorgeht, dass eine unliebsame Berichterstattung verhindert werden soll, aber man kann diesen Versuch in dem einen oder anderen Fall unterstellen.“
Zörner erhofft sich ein eindeutiges Urteil zugunsten der Pressefreiheit. „Eine Verurteilung wäre ein schlimmes Signal an Journalistinnen und Journalisten. Ich kann mir vorstellen, dass es Kollegen gibt, die dadurch eingeschüchtert würden.“
Der Jurist Werdermann sagt mit Blick auf die Razzien: Selbst bei einem Freispruch sei der Schaden schon angerichtet. „Aber wenn es zum Freispruch kommt, wird das zumindest ein bisschen Vertrauen in die Justiz wieder herstellen.“ Der angeklagte Fabian Kienert sagte am gestrigen Dienstag vor Gericht: „Gerade angesichts der stetigen politischen Entwicklung nach rechts kann einem dieser Fall Angst machen. Er zeigt nämlich, wie wenig Schutz die Presse- und Rundfunkfreiheit und das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung schon jetzt bieten.“
Ein Freispruch am morgigen Donnerstag muss jedoch nicht zwingend das Ende des Falls bedeuten. Die Staatsanwaltschaft könnte in Revision gehen, die dann am Bundesgerichtshof geprüft würde.
Der Staat ist kein Rechtsstaat, wenn er unbequeme Bürger drangsaliert oder schikaniert.
Unfassbar, was hier gegen eine Redaktion (wegen einem Link?!) aufgefahren wurde, während bei Angriffen auf Politiker:innen so gut wie nicht gehandelt wird
Dreyeckland ist halt kein gern gesehener Gast bei Politiker, somit ist die Jagt eröffnet.
Wollen wir hoffen, das das Verbot Bestand hat und bis ganz oben (EugH oder so) gefochten wird. Alles andere bringt langfristig nichts.
Zitat letzter Absatz: „Selbst wenn bei einem Freispruch sei Schaden schon angerichtet.“
Der Satz ist wohl irgendwie durcheinander geraten. Sonst guter Text, danke.
Ist korrigiert. Vielen Dank. Sehr aufmerksam.
Parallel-Fall in Hessen – Hausdurchsuchung wegen Kritik an Polizei?
Fragwürdige Polizeiaktion in Hessen/ Kritik an Todesschüssen unerwünscht
Vor zwei Jahren erschoss ein Beamter in Fulda einen Geflüchteten. Bis heute sieht sich die Polizei durch kritische Stimmen in ihrem Ansehen gefährdet.
BERLIN taz | Das Polizeigroßaufgebot vor seiner Wohnung im osthessischen Haunetal empfängt Timo Schadt noch im Pyjama. Die Hausdurchsuchung am 17. Oktober 2019 findet um 7:30 Uhr statt. „Ich habe noch heute das Bild im Kopf“, sagt der 52-jährige Journalist. „Da steht jemand mit Hand an der Waffe vor meiner Tür, dahinter mehrere Polizisten in schusssicheren Westen mit blauen Gummihandschuhen.“
Gegen Schadt läuft zu dem Zeitpunkt ein Ermittlungsverfahren wegen Verleumdung, der Durchsuchungsbeschluss wurde vom Amtsgericht Fulda ausgestellt. Schadt wird vorgeworfen, auf der Facebook-Seite des Netzwerks „Fulda aktiv gegen Rassismus“ (AGR), auf der er als Kontaktperson angegeben ist, einen Artikel des Online-Portals Belltower News verlinkt zu haben. (…) (taz, 17.4.20)
https://taz.de/Fragwuerdige-Polizeiaktion-in-Hessen/!5679277/