Link auf LinksuntenFreiburger Journalist muss sich vor Gericht verantworten

Am heutigen Donnerstag beginnt der Strafprozess gegen einen Redakteur von Radio Dreyeckland – wegen eines Links auf die Archivseite des verbotenen Portals Indymedia Linksunten. Journalismus-Verbände sehen die Pressefreiheit in Gefahr.

Das Logo von Radio Dreyeckland, Justitia und der Link von Indymedia Linksunten
Verbände sprechen von Einschüchterung (Symbolbild) – Logo: Radio Dreyeckland: Justitia: Pixabay; Montage: netzpolitik.org

Es soll der erste von bis zu neun Prozesstagen sein. Am heutigen Donnerstagmorgen muss sich der Radio-Journalist Fabian Kienert vom freien Sender Radio Dreyeckland vor dem Landgericht Karlsruhe verantworten. Ihm wird vorgeworfen, eine verbotene Vereinigung unterstützt zu haben, und zwar mit der Verlinkung auf die Seite linksunten.indymedia.org in einem Nachrichtenartikel. Bei einem „Verstoß gegen das Vereinigungsverbot“ sieht das Strafgesetzbuch eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe vor.

Indymedia Linksunten war eine der wichtigsten Anlaufstellen für die linke und linksradikale Szene in Deutschland. 2017 ist der Betrieb der Seite durch den damaligen Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) verboten worden. Schon damals kritisierte etwa die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ das Verbot als „rechtsstaatlich fragwürdig“. Denn das Verbot wurde mit dem Vereinsrecht begründet; Linksunten Indymedia kurzerhand als „Vereinigung“ deklariert. Aus Sicht von „Repoter ohne Grenzen“ handelte es sich bei der Seite aber vielmehr „um ein informationelles Online-Angebot, das dem hohen Schutzstandard der Pressefreiheit unterliegt“.

Heute ist die Seite noch als Archiv online. Kienert verlinkte linksunten.indymedia.org in einer knappen Nachrichtenmeldung; sie handelte von eingestellten Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen die mutmaßlichen Betreiber*innen.

Einfach ausgedrückt dreht sich der Fall also um zwei Dinge. Vordergründig geht es um die Frage: Kann es sein, dass ein Journalist wegen eines Links vor Gericht muss – oder gar in den Knast? Im Hintergrund steht jedoch eine weitere Frage, nämlich: Wie geht es weiter mit Indymedia Linksunten – einem Thema, das dem Staat offenbar auch sieben Jahre nach dem Verbot noch ein Dorn im Auge ist?

Rechtswidrige Razzia in Radio-Redaktion

Im Vorfeld des Prozesses gab es mehrere Hausdurchsuchungen, unter anderem im Januar 2023 bei Fabian Kienert selbst sowie beim Geschäftsführer von Radio Dreyeckland und in den Redaktionsräumen. Die letzten beiden Hausdurchsuchungen wurden später als rechtswidrig erklärt. Im August 2023 wurden zudem Wohnungen von fünf Verdächtigen durchsucht, die mit dem Archiv von Indymedia Linksunten in Verbindung stehen sollen.

Vertreten wird Kienert von der Rechtsanwältin Angela Furmaniak. Auf Anfrage von netzpolitik.org kritisiert sie: Die Staatsanwaltschaft verkenne mit der Erhebung der Anklage „den Bedeutungsgehalt der Pressefreiheit“. Es gehe unter anderem um die Frage, „unter welchen Umständen die Verlinkung fremder Quellen in einem journalistischen Textes nicht lediglich eine Information der Lesenden darstellt“.

Auch die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) unterstützt Kienert. Der gemeinnützige Verein schützt Grundrechte durch strategische Gerichtsverfahren. GFF-Anwalt David Werdermann schreibt auf Anfrage, die Verlinkung einschlägiger Quellen gehöre zur Pressefreiheit. „Das ermöglicht den Leser*innen, sich selbst ein Bild zu machen, und stärkt so das Vertrauen in die Medien.“ Die Anklage würde zudem mit der kritischen Berichterstattung von Radio Dreyeckland zum Verbot von Indymedia Linksunten begründet. „Es muss möglich sein, Vereinsverbote zu kritisieren, ohne sich den Vorwurf der Unterstützung einer verbotenen Vereinigung einzuhandeln“, schreibt Werdermann.

Einschüchterung von Journalist*innen

Für Journalismus-Verbände geht vom Fall Radio Dreyeckland schon jetzt eine negative Signalwirkung aus. Nicola Bier von „Reporter ohne Grenzen“ sagt, die bereits geschehenen Eingriffe in die Pressefreiheit müssten vor Gericht deutlich anerkannt werden. „Nur so kann das Gericht verhindern, dass das Vorgehen gegen den freien Radiosender zu einer großen Verunsicherung bei Redakteurinnen und Redakteuren in ganz Deutschland führt.“

Martin Gross, Landesbezirksleiter bei Verdi Baden-Württemberg, warnt: „Die vierte Gewalt kann nur stattfinden, wenn man nicht das Gefühl hat, in seiner Arbeit eingeschüchtert zu werden“. Mit der sogenannten vierten Gewalt ist Journalismus gemeint, der die Aufgabe hat, die Öffentlichkeit über den Staat und seine Institutionen zu informieren und sie kritisch zu begleiten. Das Vorgehen der Staatsanwaltschaft wirke sich nicht nur auf den Mut von Journalist*innen aus, sondern könne auch Menschen einschüchtern, die sich mit vertraulichen Informationen an Redaktionen wenden, sagt Gross. Der Gewerkschafter hat sein Statement für eine Solidaritätskundgebung zum Prozessauftakt aufgezeichnet.

So auch Fabian Ekstedt von Radio LORA München; er ist Vorstand im Bundesverband Freier Radios (BFR). Freie Radios sind kleine, nicht-kommerzielle Sender, die sich meist basisdemokratisch verwalten; eines davon ist Radio Dreyeckland. Ekstedt sagt, auch er verstehe die Hausdurchsuchungen als Einschüchterung. Und die betreffe alle, die sich in freien Radio betätigen, wenn nicht sogar alle Journalist*innen. Ekstedt nimmt Bezug darauf, dass die Polizei bei der Razzia auch Kienerts Laptops und Handys mitgenommen hat. „Die Beschlagnahmung von Smartphones und Computern ist in einer digitalen Gesellschaft eine Strafe in sich“, sagt er, „ein Entzug des digitalen Ichs“.

Kienert sagt gegenüber netzpolitik.org im Vorfeld des Prozesses, es sei „völlig unverhältnismäßig“ gewesen, auf eine sachlich gehaltene Meldung über die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens mit einer Hausdurchsuchung zu reagieren. „Mit der Kriminalisierung eines Links kriminalisiert man das journalistische Bemühen mündigen Bürger:innen weitere Quellen für ihre Meinungsbildung zur Verfügung zu stellen.“

Das Landgericht Karlsruhe hatte die Anklage gegen Kienert im Mai 2023 zunächst nicht zugelassen, Beobachter*innen feierten das als Erfolg für die Pressefreiheit. Die Kehrtwende kam jedoch nur wenige Wochen später, als das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart den Beschluss des Landgerichts in zweiter Instanz aufhob.

Korrektur, 18. April, 22:30 Uhr: Die Höchststrafe für Paragraf 85, Absatz 2 StGB beträgt nicht fünf, sondern drei Jahre.

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1 Ergänzungen

  1. Die weiteren Termine, jeweils 9:30h in der großen Strafkammer (Staatsschutzkammer): 23.04.2024; 24.04.2024; 29.04.2024; 07.05.2024; 14.05.2024; 16.05.2024; 4.06.2024; 06.06.2024

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