Radio DreyecklandFreiburger Journalist soll jetzt doch vor Gericht

Wegen einer Verlinkung soll sich ein Journalist des freien Senders Radio Dreyeckland nun doch vor Gericht verantworten. Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart kippt damit in zweiter Instanz einen Beschluss des Landgerichts Karlsruhe. Fachleute sehen die Pressefreiheit in Gefahr.

Das Logo von Radio Dreyeckland; ein Betreten-Verboten-Schild; der Name des Portals linksunten.indymedia
Verlinkung mit Folgen (Symbolbild) – Screenshot: Radio Dreyeckland; Montage: netzpolitik.org

Beim Vorgehen der Staatsanwaltschaft Karlsruhe gegen einen Freiburger Journalisten gab es eine Kehrtwende: Der Redakteur soll sich nun doch vor Gericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, durch eine Verlinkung in einem Nachrichtenartikel eine verbotene Vereinigung unterstützt zu haben – und das wäre eine Straftat.

Vor knapp einem Monat hatte das Landgericht Karlsruhe noch gesagt: Nein, es soll kein Verfahren gegen den Journalisten geben. Beobachter*innen feierten das als Erfolg für die Pressefreiheit. Aber die Freude währte nur kurz. Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart hat den Beschluss des Landgerichts in zweiter Instanz aufgehoben; die Hauptverhandlung soll beginnen.

Der Freiburger Radiosender hatte in einem Artikel auf die Archivseite von linksunten.indymedia verlinkt. Das Portal war bis zu seinem Verbot eine wichtige Anlaufstelle für Teile der linken und linksextremen Szene, für Demonstrationsaufrufe und Bekennerschreiben. Die Vereinigung hinter linksunten.indymedia ist allerdings seit 2017 verboten – das heißt, ihre Unterstützung ist strafbar. Und eine solche Unterstützung erkennt die Staatsanwaltschaft in der Verlinkung des Portals bei Radio Dreyeckland.

Link als „Verlängerung der Internetseite“

Seit dem Verbot vor fünf Jahren ist linksunten.indymedia eine Archivseite, es erscheinen dort keine neuen Artikel. Das OLG Stuttgart argumentiert jedoch in einer Pressemitteilung, es sei „überwiegend wahrscheinlich“, dass die Vereinigung „linksunten.indymedia“ weiterhin existiere. Der Grund: Das Archiv sei noch online. Außerdem gebe es im Archiv einen Hinweis darauf, Geld zu spenden. Der Artikel von Radio Dreyeckland habe laut OLG einen „Werbeeffekt“, und dieser Effekt stehe gar „im Vordergrund“. Das Gericht schlussfolgert, der Artikel erscheine „als ‚Verlängerung‘ der Internetseite“. Er sei „mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht von der Pressefreiheit gedeckt.“

Weiter heißt es in der Pressemitteilung des OLG: Durch seinen „Appellcharakter unterscheide sich der Artikel des Angeklagten grundlegend von anderen Berichten, die ebenfalls einen Link auf das Archiv enthielten, dazu aber sachlich über das Gesamtgeschehen und die Standpunkte der Kritiker der Verbotsverfügung informierten.“

Völlig anders bewertet das die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF). „Die Verlinkung der Archivseite ist keine Propaganda, sondern gehört zu den Aufgaben der digitalen Presse“, sagt David Werdermann, Jurist und Verfahrenskoordinator der GFF. Nur so könnten Leser*innen sich selbst informieren und eine Meinung bilden. „Wenn Medien mit Strafverfahren rechnen müssen, nur weil sie kritisch über staatliche Vereinsverbote berichten, dann bleibt von der Pressefreiheit nicht mehr viel übrig.“

Anklage „verunsichert Journalist*innen in der ganzen Republik“

Die GFF möchte den angeklagten Journalisten weiter unterstützen. Mit wie viel Nachdruck die Staatsanwaltschaft das Anliegen verfolgt, wurde im Januar dieses Jahres deutlich: Im Vorfeld der Anklage gab es Razzien, unter anderem in der Privatwohnung des Journalisten und in der Redaktion des Radiosenders. Das heißt, Polizist*innen haben wegen einer Verlinkung Zimmer durchsucht. Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ verurteilt das, der Radiosender und die GFF haben gegen die Durchsuchungen Beschwerden eingereicht.

Das Ganze könnte noch weiter eskalieren: „Für den Fall, dass die Beschwerden keinen Erfolg haben oder der RDL-Journalist gar verurteilt wird, kündigt die GFF an, Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht zu erheben“, schreibt Werdermann.

Vor Gericht wegen eines Links – der angeklagte Radio-Redakteur Fabian Kienert spricht von „Kriminalisierung“. Das belaste nicht nur ihn, „sondern verunsichert Journalist*innen in der ganzen Republik“, schreibt er. Die baden-württembergische Justiz brauche offenbar Nachhilfe in Sachen Pressefreiheit. „Es muss möglich sein, kritisch über Vereinsverbote zu berichten, ohne sich direkt dem Vorwurf auszusetzen, eine verbotene Vereinigung zu unterstützen.“

Interessierte können sich selbst ein Bild von der Nachrichtenmeldung machen, der ein „Appellcharakter“ und „Werbeeffekt“ für linksunten.indymedia vorgeworfen wird. Sie besteht aus knapp 150 Wörtern und ist nach wie vor online.

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26 Ergänzungen

  1. Kreative Rechtsauslegung baden-württembergischer Justiz wird gerne als „Verlängerung des juristischen Pimmels“ herangezogen, wenn es um kritischen linken Journalismus geht.

      1. Naja, im Südwesten (auf der Deutschland-Karte links unten gelegen) war ein Hans Filbinger als Ministerpräsident möglich und auch lange beliebt:

        Filbinger war während seiner Juristenausbildung 1937 NSDAP-Mitglied und 1940 freiwillig Soldat in der deutschen Kriegsmarine geworden. Im März 1943 wurde er in die Marinejustiz berufen. Er wirkte nacheinander an fünf Militärgerichten in Norddeutschland und Norwegen und nahm an mindestens 234 Strafverfahren teil. In 169 Fällen war er als Vorsitzender Richter direkt für Urteil und Strafverfügung verantwortlich, in 63 Fällen indirekt als Ankläger oder Untersuchungsführer. Nach Kriegsende wurde er als Kriegsgefangener der Briten in Oslo bis Februar 1946 zur Lageraufsicht weiter als Marinerichter eingesetzt.

        Dieses Kapitel seiner Biografie wurde erstmals 1972 zum Medienthema, aber erst 1978 bundesweit öffentlich debattiert. Bis dahin unbeachtete Akten von 41 Verfahren, an denen Filbinger beteiligt war, wurden bis zum 13. Juni 1978 im Bundesarchiv, Zweigstelle Kornelimünster, aufgefunden, aber von ihm nicht zur Einsicht freigegeben.

        https://de.wikipedia.org/wiki/Filbinger-Affäre

        1. Einer seiner Nachfolger als BaWue MP, ebenfalls Jurist, hat Filbinger uebrigens am Grab als „Gegner des NS-Regimes“ gewuerdigt, bevor er nach Bruessel befoerdert wurde um seine Zukunft zu vergolden.

    1. Wenn für jeden Unfug Rechtssicherheit geschaffen werden soll, dann sind Gerichte bis ans Ende aller Tage blockiert.

      1. Das ist die bekannte Argumentation der StA in BaWue, haben sie auch bei Nix-Gut gebracht. Das ging bis zum BGH, vor dem dann die Bundesanwaltschaft uebernommen und Freispruch gefordert hat.

  2. Damit ist auch klar, dass es durch alle Instanzen gehen wird: egal, wie das LG Karlsruhe entscheidet wird das OLG Stuttgart in Berufung verurteilen.

    1. Es sei denn das wäre schon Befangenheit, oder sogar Landesverrat, Bildung einer kriminellen Vereinigung, Sabotage einer Demokratie, Verschwörung zum Staatsstreich…

      Wie viele voneinander unabhängige Prüfinstanzen gibt es da eigentlich im Süden?

      1. > Wie viele voneinander unabhängige Prüfinstanzen gibt es da eigentlich im Süden?

        Nicht mehr und auch nicht weniger als anderswo. Es ist auch keine Frage der Anzahl von Prüfinstanzen, als vielmehr eine Frage einer (althergebrachten) Gesinnung, die ein Vorverständnis prägen, und Entscheidungen beeinflussen kann.

        1. „Gesinnung“

          Wobei, eine Gesinnung ja eigentlich ein Abhängigkeitskonstrukt zwischen mehreren Menschen bilden könnte. Damit wären es streng genommen nicht mehr unahbhängige Instanzen – und da sieht man dann auch, ob die rahmengebende Konstruktion Unabhängigkeit fodert, fördert, oder fiedelt.

  3. Hoch gefährlich hier.

    Jetzt wird hier ein Artikel verlinkt, in dem auf linksunten verlinkt wird. Ist dieser Artikel hier jetzt auch verboten, insbesondere weil dazu aufgerufen wird sich den „bösen“ Artikel anzuschauen, welcher wiederum wohl dazu auffordert linksunten zu unterstützen?

    Klingt nach einem guten Einstieg in jahrelange Zensur und juristische Scharmützel.

    1. Der Artikel hier verlinkt auch direkt auf linksunten. Irgendwie habe ich die Vermutung, dass das die Berliner Justiz nicht ganz so eng sehen wird.

    2. Um der Lächerlichkeit von Deutschland noch einen drauf zu setzen, man sollte nicht die Kupferleitungen vergessen, durch die die Daten dieses Links fließen, den Hersteller derer, den der sie verbudellt hat und den Festplattenhersteller, auf dem die Daten liegen. Im Grunde sollte man auch die Rohstofflieferanten mit ins Boot nehmen. Alles böse.^^

      1. Naja, bei den Aktivisten werden „nur“ Leute angegriffen, die direkt für die etwas machen, Spenden, Bühnen aufbauen, auf der Straße aus dem Weg gehen, o.ä.

        D.h. Infrastruktur, die für die Gesellschaft bzw. allgemein gebaut wird, ist hier sicherlich nicht im Visir. Es sei denn sie wird von jemandem genutzt auf den der erste Absatz zutrifft, dann gilt zumindest „Schnorcheln bis der Arzt kommt“ .

        Wo ist dieser Arzt jetzt?

        1. Mit dem Telefonhören von Pressegesprächen wäre vielleicht mal der Verfassungsarzt dran. Man könnte dann Berlin verklagen, maßnahmen zu treffen, dass sich dieses Fehlverhalten nicht wiederholen kann.

          Naja, in der Realität hat Bayern halt der Telekom o.ä. einen reingebügelt – meiner Meinung nach ein Grund für eine bundesweite Korrektur. Hier zeigen sich auch die Kosten, solche Gesetze bestehen zu lassen, obwohl klar ist, dass die in einer modernen Demokratie so nichts zu suchen haben.

  4. Der Staat ist eben keineswegs ein Garant von Pressefreiheit. In Deutschland zunehmend ganz im Gegenteil. Schon das Verhalten beim Fall Assange hat das längst angekündigt.

    1. Bitte nicht „der Staat“ schreiben, wenn „Polizei, Justiz und Politik“ gemeint sind.

      Der Staat sind wir alle.

      Staatsverdrossenheit ist das Ziel derer, die demokratische kontrollierte Gewalt durch das Recht des Stärkeren ersetzen wollen.

      1. Ich bin sicher kein Staat und identifiziere mich weder als noch mit irgendwelchen Staaten. Staaten sind vor allem eines: Konstrukte, die der Ausübung von Macht und Organisation dienen – das kann zum Guten, wie zum Schlechten erfolgen. Sie sind aber keine alternativlose Organisationsform, die eine demokratische, egalitäre, freiheitliche Gesellschaft ermöglichen würde. Das ginge, je nach Organisation und Gemeinschaftsinteresse auch ganz ohne Staat, wofür es theoretische wie historische Beispiele gibt.

        Andererseits gibt es genug Staaten ganz ohne Demokratie. Und dann gibt es solche, mit zunehmend dysfunktionaler, entkernter, gelenkter, anti-partizipativer Demokratie. Viele Staaten sind auch hybrid – sie haben einerseits demokratische Elemente und andererseits garantieren sie antidemokratische Zustände, wie beispielsweise ein neoliberales System, dessen Interessen und Hierarchien der Staat eifrig gegen das Wohl der Gemeinschaft und der Individuen durchdrückt und dessen Erhalt er garantiert (vom Eigentumsrecht bis zum Einsatz des staatlichen Gewaltmonopols) – erwiesenermaßen auch bereitwillig auf Kosten von Demokratie, Bürger:innen/Bewohner:innen und ihren Freiheitsrechten.

        Insgesamte Staatsverdrossenheit mag vielleicht über das Ziel hinausschießen. Aber Staatskritik, die nicht das selbe ist, ist mehr als deutlich angebracht.

  5. Wenn doch nur Richter*innen für Fehlurteile zur Verantwortung gezogen werden könnten (oder können sie das etwa?)…

    Schon das Vereinsverbot ohne Verein und die abgelehnte Beschwerde dagegen, die nur Vereinsmitglieder (des nicht-existierenden Vereins) hätten stellen können, widersprachen meinem Sinn für Gerechtigkeit. Jetzt also noch juristische Verfolgung von Journalist*innen. Schwierig…

    1. Gerechtigkeit?
      Es geht um profane Konstruktionsmechanik für einen Rechtsstaat. Hier liegt offenbar eine Verletzung der MÖGLICHKEITEN vor.

    2. Es gibt den Straftatbestand der Rechtsbeugung, das ist aber eine hohe Huerde und selten. Ansonsten koennen Richter auch wegen generell mangelnder Neutralitaet oder Rechtsstaatstreue aus dem Amt entfernt werden. Aber das auch das ist sehr selten.

      Letztlich will man eine unabhaengige und so kompetent wie konsistent agierende Justiz, und damit eine primaer selbstbeaufsichtigte. Das Problem wird mE immer dann gross, wenn es ganze „Zirkel“ von zB konservativen Richtern gibt, die sich dann gegenseitig im ihrem Tun bestaetigen und negative Folgen verhindern. Gibt auch erschreckende Untersuchungen zu Strafmassen im Vergleich der Bundeslaender oder Landgerichte, oder das LG Hamburg zu Copyright, etc, pp.

      Da waere mehr Transparenz (davor hat der konservative Richterbund eine Heidenangst) und auch mehr Durchmischung des Personals sehr hilfreich. Letzteres betrifft nicht nur die Juristen.

    3. Hier sieht man, dass das System ein Korrektiv braucht, das nicht der Trägheit eines an Fehlentscheidungen hängenden Systems krankt. Die Demokratiewächter sollten auf den Plan treten, im Grunde nach Iranischem Vorbild, und wenn solche Gesetze gemacht werden oder so Anwendung finden, dann grätschen die dazwischen und frieren die Situation ein. Dann muss ein bundesweiter Korrekturprozess eingeläutet werden, während dem Gesetze oder Handlungen eingefroren sind, d.h. keine Gültigkeit haben.

      Wir sind aber besser als der Iran. Unsere Wächter bekommen Falschheitspunkte, die nur durch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes verteilt werden können, und dann gibt es ab einem bestimmten Level eine Neubesetzung.

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