KW 42Die Woche, in der die Fortschrittskoalition stirbt

Die 42. Kalenderwoche geht zu Ende. Wir haben 15 neue Texte mit insgesamt 84.898 Zeichen veröffentlicht. Willkommen zum netzpolitischen Wochenrückblick.

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Liebe Leser:innen,

ein Zitat von Olaf Scholz hallt bei mir nach. Am Rande des Gipfels der Staats- und Regierungschefs in Brüssel sagte der Kanzler am Donnerstag: „Anpacken ist wahrscheinlich das Beste, statt nichts tun und dann sich was ausdenken.“ Bei dem Treffen war Migration das bestimmende Thema.

Scholz’ Aussage ist beredt, finde ich. Anscheinend gehört es zum politischen Besteck des Kanzlers, sich im Nachhinein Ausreden fürs Nichtstun auszudenken. Vor allem aber verdeutlicht sie, wie sehr der Kanzler und mit ihm die Parteien der „Mitte“ von Getriebenen zu Treibern des Rechtsrucks geworden sind. Und dabei fallen reihenweise die Tabus.

In der EU gelten die Internierungslager der Postfaschistin Giorgia Meloni inzwischen als beispielhaft. Menschenrechtler:innen sprechen hingegen von einem „italienischen Guantánamo“.

Und im Bundestag wurde gestern das sogenannte Sicherheitspaket beschlossen. Es bringt massive Verschärfungen beim Asylrecht und neue Überwachungsbefugnisse für die Ermittlungsbehörden.

Als unverhältnismäßig und rechtswidrig hatten Kirchen, Menschenrechtsverbände und Jurist:innen das Gesetzespaket im Vorfeld kritisiert. Die geballte Kritik hat die Ampel weitgehend ignoriert. Auch in der gestrigen Plenardebatte kam sie kaum vor. Stattdessen dominierten Forderungen nach noch schärferen Restriktionen.

Man könnte das jetzt als Symbolpolitik abtun. Das aber würde ausblenden, dass die Ampel mit ihrem „kopflosen Aktionismus“, wie Kritiker:innen es nennen, die Grundrechte aller schleift. Dass sie Asylsuchende entrechtet und aushungert. Und dass sie den Diskurs noch einmal erheblich weiter nach rechts verschoben hat.

„Die Fortschrittskoalition ist tot“, schreibt daher mein Kollege Markus Reuter. Von ihrem Versprechen einer grund- und menschenrechtsfreundlichen Politik ist nichts mehr geblieben.

Nun ist zu hoffen, dass das „Sicherheitspaket“ möglichst bald dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt wird. Ich bin gespannt, wie Karlsruhe dann entscheidet. Und was die Ampel-Vertreter:innen sich ausdenken, um ihr „Anpacken“ im Nachhinein zu rechtfertigen.

Damit wir euch aber nicht nur mit schlechten Nachrichten aus dieser Woche entlassen, noch ein Hinweis in eigener Sache: Am Mittwoch erhielt das Team von netzpolitik.org gleich zwei Grimme Online Awards. Ausgezeichnet wurden der Doku-Podcast „Systemeinstellungen“ und die Recherche zu den „Databroker Files“, die in Kooperation mit dem Bayerischen Rundfunk entstand.

Wir haben uns riesig über die Ehrung gefreut und fühlen uns bestärkt, weiter mit allen Kräften für digitale Freiheitsrechte zu kämpfen!

Ein schönes Wochenende!

Daniel


Statt VorratsdatenspeicherungWir veröffentlichen den Gesetzentwurf für Quick-Freeze

Ermittlungsbehörden sollen Verkehrsdaten einfacher speichern und auswerten können. Das steht im Gesetzentwurf zum Quick-Freeze-Verfahren, den wir veröffentlichen. Das Justizministerium will damit einen Punkt aus dem Koalitionsvertrag umsetzen – falls das Innenministerium seine Blockade aufgibt.

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Digital Services ActMuss Elon Musk persönlich für X-Verstöße blechen?

Der Digital Services Act der EU gibt Online-Diensten neue Regeln vor. Wer sich nicht an sie hält, muss hohe Strafen zahlen. Aber wie hoch fallen sie aus? Und wer genau muss zahlen? Da ist das Gesetz nicht ganz klar. Besonders für X und Elon Musk könnte das Zahlungen von Milliarden statt Millionen bedeuten.

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Biometrische ÜberwachungAmpel beschließt umstrittenes Sicherheitspaket

Mit einer deutlich größeren Mehrheit als erwartet hat die Ampel-Koalition das umstrittene „Sicherheitspaket“ durch den Bundestag bekommen. Das Paket sieht Verschärfungen im Asylrecht und weitreichende biometrische Befugnisse für Sicherheitsbehörden vor. Im Bundesrat fiel ein Teil des Pakets durch.

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PressefreiheitFragDenStaat-Chefredakteur Arne Semsrott verurteilt

Ein Berliner Gericht verurteilt den Journalisten Arne Semsrott wegen der Veröffentlichung von Gerichtsdokumenten zu einer Geldstrafe auf Bewährung. Doch für Semsrott ist das Urteil nur der Auftakt: Er will einen Paragrafen, der die Pressefreiheit einschränkt, notfalls bis vor das Bundesverfassungsgericht bringen.

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