re:publicaWas Pornoseiten aus kleinen Nackt-Communitys lernen können

Auf Pornoseiten kursieren auch Aufnahmen von Menschen, die sich niemals nackt im Netz zeigen wollten. Also führen große Anbieter Ausweiskontrollen ein. Das macht wenig besser – und vieles kaputt. Kreative Lösungen aus kleinen Communitys zeigen: Eine bessere Zukunft der Online-Pornografie ist möglich, ohne Datensammelei und digitale Gewalt.

Strichzeichnung. Drei posierende Figuren; eine hält einen Zettel vor sich.
Kreative Lösung mit Papier und Stift (Symbolbild) – Zeichnungen: DALL-E-2; Montage: netzpolitik.org

Das ist ein Transkript meines Vortrags auf der re:publica 2023. Triggerwarnung: Es geht um bildbasierte Gewalt.

Als Journalist sollte ich mit steilen Thesen vorsichtig sein, an dieser Stelle sind aber einige angebracht. In diesem Vortrag geht es um nichts weniger als um ein besseres Internet, ein freieres, ein weniger gewaltsames und ein weniger überwachtes Internet. Es geht auch um ein sexy Internet.

Ich rede über die Orte im Netz mit den meisten Besucher*innen, dem meisten Datenverkehr und dem geringsten Ausmaß an öffentlicher Debatte. Es geht um Pornoseiten. Die größten von ihnen rangieren auf den Top-Plätzen der weltweit meistbesuchten Websites, auf Augenhöhe mit Amazon oder Wikipedia. Die drei Branchen-Riesen sind Pornhub aus Kanada, xHamster aus Zypern, XVideos und Schwesterseite XNXX aus Tschechien. Und es gibt schier unzählige weitere Seiten.

Als Redakteur für netzpolitik.org liegt mein Interesse auf digitalen Grund- und Freiheitsrechten. Bei Pornoseiten besonders relevant ist ein Recht, das bisher in der netzpolitischen Debatte kaum eine Rolle gespielt hat, und das ich hiermit einmal in den Fokus der Aufmerksamkeit rücken möchte. Es ist das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung.

In einfacher Sprache erklärt die Zeitung vom Bundestag, „Das Parlament“, dieses Recht so:  „Jeder Mensch darf für sich selbst entscheiden, bei welchen sexuellen Handlungen er mitmachen will.“ Meine These ist: Genau dieses Recht auf sexuelle Selbstbestimmung wird auf Pornoseiten immer wieder verletzt, und zwar auf zwei deutlich verschiedene Arten.

Ohne Einverständnis ist es kein Porno

Die erste Art ist die Bekannteste. Es geht um Aufnahmen von Menschen, die sich niemals nackt im Netz zeigen wollten, umgangssprachlich bekannt als „Racheporno“. Viele Fachleute, Betroffene und auch ich sprechen lieber von bildbasierter, sexualisierter Gewalt.

Die Unterscheidung lautet: Ohne Einverständnis ist eine Aufnahme keine Pornografie. Oft sind es geleakte oder gehackte Fotos. Oft sind die Aufnahmen während der Beziehung entstanden, waren nicht zur Veröffentlichung bestimmt, und irgendwann laden Täter*innen sie trotzdem hoch. Der Kampf gegen bildbasierte Gewalt ist eine Odyssee für sich. Wer sich dazu einlesen möchte, findet dazu Berichte auf netzpolitik.org.

Es gibt aber noch eine zweite, eine deutlich weniger bekannte Art, wie das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung im Netz verletzt wird. Das Recht bedeutet nämlich auch: Wenn ich das möchte, dann darf ich bei sexuellen Handlungen mitmachen. Menschen dürfen Pornos von sich hochladen. Und genau das wird im Netz erschwert, wenn Nutzer*innen vermehrt ihre Identität offenlegen müssen, bevor sie sich überhaupt nackt im Netz zeigen dürfen.

Ausweiskontrollen verbreiten sich gerade auf Pornoseiten, teilweise für Zuschauer*innen, noch mehr aber für Uploader*innen. Der Grund für letzteres ist der Kampf gegen bildbasierte Gewalt. Um Täter*innen abzuschrecken, sollen Uploader*innen zuerst einen Ausweis vorlegen, bevor sie etwas veröffentlichen. Diese Regel gibt es schon bei den Branchenriesen xHamster und Pornhub. Fast hätte die Europäische Union noch eine Handynummern-Pflicht für Pornoseiten obendrauf gepackt. Ein solches Vorhaben als Ergänzung im Digitale-Dienste-Gesetz ist aber letztlich gescheitert.

Mit Ausweisen lässt sich kein Einverständnis prüfen

Mechanismen wie Ausweiskontrollen für Porno-Uploader*innen wirken nur auf den ersten Blick sinnvoll. Man könnte meinen: So eine Ausweispflicht, die kann doch wirklich Täter*innen davon abhalten, illegal Fotos zu verbreiten. Ich halte das aber für keine gute Lösung. Die Datensammelei kann das Problem zwar eindämmen, aber nicht auf die beste und wirksamste Art. Ein Ausweis verrät nicht, ob sich eine Person wirklich auf einer Pornoseite zeigen wollte. Mit einem Ausweis kann man kein Einverständnis überprüfen.

Aber Einverständnis – auf Englisch: consent – ist der Knackpunkt bei Aufnahmen auf Pornoseiten, und zwar in dreifacher Hinsicht:

  1. Einverständnis, dass eine intime Aufnahme auf einer bestimmten Seite hochgeladen wird,
  2. Einverständnis, dass die intime Aufnahme überhaupt erst entstanden ist,
  3. Einverständnis, dass die Handlungen in der Aufnahme überhaupt passieren.

Man kann mit einem Ausweis allenfalls eine Identität prüfen, und man kann damit nachträglich verdächtige ermitteln, wenn es schon zu spät ist und Aufnahmen illegal verbreitet worden sind. Besser wäre es, die Verbreitung bildbasierter Gewalt von Anfang an zu verhindern. Das ist auch möglich, dazu gleich mehr.

Ausweiskontrollen richten außerdem einen Kollateralschaden an, denn sie verhindern den anonymen Upload von Pornos. Manche mögen sich fragen: Wer braucht das denn? Sollte es überhaupt so etwas geben, ein Recht auf anonymen Porno-Upload? Immerhin sind es Profi-Darsteller*innen ohnehin gewohnt, beim Dreh ihre Daten anzugeben. Profis unterschreiben ja Verträge, bekommen Honorare überwiesen. Es gibt aber nicht nur Profis. Viele Menschen nutzen ihr Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, um sich ohne kommerzielle Interessen nackt zu zeigen. Als Hobby, als Leidenschaft – oder als politischer Protest. Für manche ist anonymer Porno-Upload gelebte Freiheit und Emanzipation.

„Um den Extremisten ein großes ‚Fuck you‘ zu zeigen“

Ein anschauliches Beispiel dafür hat mein ehemaliger VICE-Kollege Tarek Barkouni recherchiert, als er die Geschichte von Melissa aufgeschrieben hat. Melissa, deren echter Name zu ihrem eigenen Schutz nicht genannt wird, postet Nacktfotos von sich auf Reddit.

Die Geschichte von Melissa hat grundlegend verändert, wie ich über anonyme Nackt-Communitys im Netz denke, wie ernst ich sie nehme. Ich durfte den Text damals als Redakteur begleiten und kann ihn nicht besser zusammenfassen als mit diesem Zitat:

Ich poste auf RepressedGoneWild, um den religiösen Extremisten ein großes ‚Fuck you‘ zu zeigen“, schreibt uns eine Frau, die wir hier Melissa nennen. Sie stamme aus China und lebe nun in einem Teil Indonesiens, in dem die Scharia gilt. Frauen werden dort durch rund 300 Scharia-Gesetze in ihrer Freiheit beschnitten. Demnach müssen Opfer einer Vergewaltigung mindestens vier Zeugen nennen, um die Tat zu beweisen; der Täter dagegen muss fünf mal schwören, er sei unschuldig.

Wir fragen Melissa, warum sie ihre Fotos nicht auch in größeren Subreddits zeigt, sondern gezielt im Nacktforum für unterdrückte Frauen. „Ich möchte Frauen aus repressiven Systemen zeigen, dass es OK ist, stolz auf die eigene Sexualität zu sein“, schreibt Melissa. „Ich bin Feministin. Ich kämpfe dafür, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

Menschen wie Melissa sind auf Anonymität angewiesen, sonst droht ihnen das Schlimmste. Mir ist schon klar, dass die meisten Nutzer*innen wohl kein Interesse haben, sich selbst nackt im Netz zu zeigen. Doch Abermillionen Nutzer*innen schauen sich Porno-Aufnahmen gerne an – und einen besseren Grund für Solidarität mit den Uploader*innen könnte ich mir nicht vorstellen.

Anonymer Upload von Pornos ist eine kaum diskutiere Form von Teilhabe. Ausweispflichten für Porno-Uploads schränken diese Teilhabe ein. Ich argumentiere: Es sollte ein Recht geben für anonymen Porno-Upload, genauso wie es ein Recht geben sollte zum Schutz vor bildbasierter Gewalt.

Beide Gruppen schützen

Beide Forderungen scheinen auf den ersten Blick kaum miteinander vereinbar. Immerhin machen es anonyme Uploads einfach, ohne Sorge vor Konsequenzen bildbasierte Gewalt zu verbreiten. Man könnte meinen: Schutz vor bildbasierter Gewalt und anonyme Porno-Uploads, das wäre ein unvereinbarer Widerspruch.

Aber beides ist möglich, und die Lösung ist kaum bekannt. Sie fehlt schmerzlich in der Debatte um netzpolitische Regulierungen von Pornoseiten. Ich spreche von einer Lösung, um beide betroffene Gruppen zu schützen: Einerseits die betroffenen bildbasierter Gewalt; andererseits die Menschen, die sich anonym nackt im Netz zeigen wollen.

Ausprobiert und gelebt wird diese bessere Lösung von kleinen Communitys im Netz. Für die Methode genügen ein Blatt Papier und ein Stift. Auf das Papier kommen das eigene Pseudonym, das Datum und der Name der Community, in der man etwas hochladen möchte. Dann das Papier vor den Körper halten und aus mehreren Winkeln Fotos machen. Die Regel lautet: Online sein dürfen nur Aufnahmen von Personen, die sich auf diese Weise verifiziert haben.

Am Beispiel von Reddit

Wer das ganze in Aktion sehen möchte, wird zum Beispiel fündig in Subreddits wie GoneWildCurvy oder GoneWildColor. Für einen Artikel bei netzpolitik.org konnte ich mit den Menschen sprechen, die diese Methode durchsetzen. Es sind Moderator*innen aus Online-Foren, die – wie ich lernen durfte – extrem ungerne Anfragen von Journalist*innen beantworten. Aber offenbar hatte ich Glück, weil meine Frage so noch niemand gestellt hatte. Ich wollte wissen, wie genau sie die Anonymität ihrer Nutzer*innen und den Schutz vor bildbasierter Gewalt miteinander vereinbaren.

Eine Moderatorin beider Foren, sie nennt sich Maeby, hat mir daraufhin das hier geschrieben: „Wir haben über die Jahre lange und hart darüber nachgedacht, wie wir Nutzer:innen schützen können und zugleich sicherstellen, dass sie Inhalte nur mit vollem Einverständnis veröffentlichen.“ Sie erklärte mir, das Papier auf den Fotos müsse zerknittert sein, damit es umso schwerer per Bildbearbeitung gefälscht werden kann. Außerdem müsse man Fotos aus mehreren Winkeln machen.
Schlecht beleuchtete, unscharfe oder nachbearbeitete Bilder würden nicht akzeptiert. Inzwischen wissen wir: So viel Vorsicht ist umso wichtiger, da man mit generativer KI leichter als je zuvor Bilder manipulieren kann.

Anonyme Verifikation für Porno-Uploads gibt es aber nicht nur in kleinen Nischen-Communitys. Es gibt sie auch an einem Ort, an dem ich es am wenigsten erwartet hätte: Bei der meistbesuchten Pornoseite der Welt, XVideos aus Tschechien. Allerdings verlangt XVideos diese Verifikation nur auf freiwilliger Basis, und dann verfehlt sie ihren Zweck. Schutz vor bildbasierter Gewalt bringt sie nur, wenn die Verifikation Pflicht ist. Trotzdem zeigt das Beispiel: Anonyme, auf Einverständnis basierende Verifikation für Pornoseiten, das wäre auch in großem Stil möglich.

Consent ist sexy

Ich wollte wissen, ob ich der einzige bin, der das ziemlich krass findet, und habe nachgefragt, bei der European Sex Workers‘ Rights Alliance, ESWA. Das ist ein europäischer Verband von Sex -Arbeiter*innen. Die ESWA schrieb: „Wir begrüßen solche Praktiken einiger Plattformen, die innovative Wege finden, um den Nutzer:innen mehr Anonymität und Privatsphäre zu ermöglichen und gleichzeitig sicherzustellen, dass eine Zustimmung vorliegt.“

Ich wollte auch wissen, was Betroffene bildbasieter Gewalt davon halten, und habe der deutschen Initiative Anna Nackt geschrieben. Ihr Kommentar: „sehr sinnvoll“.

Ich glaube, diese anonyme, auf Einverständnis basierende Verifikation für Pornoseiten bringt gleich mehrere Vorteile.

  1. Sie kann das Ausmaß von bildbasierter Gewalt deutlich einschränken. Auf Pornoseiten herrscht eine Copy-Paste-Kultur; einzelne Accounts verbreiten teils Hunderte, teils Tausende Bilder, die sie offensichtlich irgendwo im Netz gesammelt haben. So etwas wäre nicht mehr möglich, wenn man künftig nur noch Bilder von Menschen zeigen darf, die sich per Papier und Stift für diese spezifische Seite verifiziert haben.
  2. Kleinere Pornoseiten werden den Teufel tun, jemals Ausweiskontrollen einzuführen. Viel eher würde ich solchen Seiten aber zutrauen, eine anonyme Verifikation mit Fotos einzuführen. Das mag Idealismus sein, aber ich stelle mir vor, dass Menschen im Netz zunehmend begreifen: Consent ist sexy. Gewalt ist nicht sexy. Und eine Copy-Paste-Schleuder ohne Verifikation, die will man lieber nicht besuchen.
  3. Auch für Profi-Darsteller*innen würde eine solche Verifikation etwas verbessern. Denn selbst wenn Profis immer wieder personenbezogene Daten rausgeben – Datenminimierung ist auch für sie ein Thema. Die ESWA hat mir dazu das hier geschrieben: „Indem Plattformen so sensible Daten sammeln, bringen sie Sexarbeiter*innen in Gefahr und erhöhen die Wahrscheinlichkeit von Datenlecks.“
  4. Und schließlich bedeutet anonyme Verifikation für Hobby-Darsteller*innen: Sie können ohne Sorge vor Repressionen ihr Recht auf sexuelle Selbstbestimmung ausleben.

Zerknittertes Papier?! – Sonderbar

All das ist für die Politik noch Neuland. Das durfte ich lernen, als vergangenes Jahr mögliche Regulierungen für Pornoseiten diskutiert wurden. Anlass war das Digitale-Dienste-Gesetz der Europäischen Union, also das umfassende Paket, um Online-Plattformen zu regulieren.

Von anonymer Verifikation war da keine Rede. Das liegt sicher auch daran, dass solche Lösungen sehr „internettig“ sind, und so gar nicht nach den typischen Wegen klingen, mit denen Behörden üblicherweise Rechte im Netz durchsetzen. Ausweiskontrollen, das ist typisch, oder Klarnamen, Handynummern, IP-Adressen. Aber Fotos von zerknittertem Papier?! Sonderbar.

Ich glaube auch, eine Bremse für die Debatte um Porno-Regulierung sind gesellschaftliche Tabus. Für viele ist es immer noch ein Tabu, Pornos zu konsumieren, und erst Recht sie zu produzieren. Warum sollten sich Politiker*innen also für die Rechte von Konsumierenden und Produzierenden einsetzen, wenn sich kaum jemand dazu bekennt?

So ziemlich jeder Porno-Regulierung, die ich sehe, liegt eine weltfremde Weltsicht zugrunde. Und das ist die Weltsicht, dass Menschen nur in Ausnahmefällen mit Pornografie in Berührung kommen, nach dem Motto: Ja, ich hab mir das auch mal angeschaut, aber ist nicht so wichtig. Doch schon die Abrufzahlen von Pornoseiten zeigen: Pornografie ist ein Massenphänomen. Eine Säule des Internets, eine Unterhaltungsindustrie, ähnlich bedeutsam wie Musik, Spiele, Filme und Serien, ein Kulturgut. Das Tabu um Pornografie macht uns blind für gute, netzpolitische Lösungen, die längst existieren. Ich glaube, Öffentlichkeit und Politik können viel von Porno-Communitys lernen.

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2 Ergänzungen

  1. Ich sehe nicht so recht, wie die Papier-Methode Missbrauch unterbinden soll: ein Täter könnte sein Opfer zwingen, so ein Blatt Papier in die Kamera zu halten und dabei zu lächeln.

    1. hallo lupino o/ ich freue mich über dein interesse an dem thema. darüber haben wir auch nachgedacht. es gibt wohl keine verifikations-methode, die vor jedem szenario schützen kann. wer unmittelbar unter zwang steht, kann durch gar keine technische methode geschützt werden. da helfen auch keine ausweiskontrollen. zumindest die massenhaften re-uploads auf zig weiteren seiten könnte eine papier-methode allerdings eindämmen.

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