„Deine Kurven brechen mir das Herz“, schreibt jemand unter ein Foto von Mocha. Darin zeigt Mocha sich nackt, ein Bein aufgestellt, eine Hand lässig auf den Oberschenkel gelegt. Mochas Fingernägel: altrosa, passend zur Tür im Hintergrund. Das Bild reicht nur bis zum Hals, ihr Gesicht bleibt verborgen. Veröffentlicht hat sie das Bild an einem Ort namens GoneWildCurvy auf dem sozialen Netzwerk Reddit. Selbstbeschreibung: „eine sichere Community, in der weibliche Redditoren ihre nackten oder teilweise nackten Körper zeigen können.“
GoneWildCurvy unterscheidet sich von vielen anderen Nackt-Communitys im Netz. Hier darf kein Bild online sein, wenn sich die darauf gezeigte Person nicht zuvor verifiziert hat. Dafür genügen ein Blatt Papier und ein Stift. So hat es auch Mocha gemacht: Auf das Papier kommen der eigene Nickname, das Datum und der Name der Community, GoneWildCurvy. Dann das Papier vor den Körper halten und drei Fotos aus verschiedenen Winkeln knipsen. „Merkt euch, dass alle Beteiligten verifiziert sein müssen“, mahnen die Moderator:innen der Community. Das gilt auch für Paare, wenn von einer Partner:in nur die Hände im Foto zu sehen sind.
GoneWildCurvy gibt es seit zehn Jahren und zählt rund 652.000 Mitglieder. Die meisten davon schauen wohl nur zu. „Wir haben über die Jahre lange und hart darüber nachgedacht, wie wir Nutzer:innen schützen können und zugleich sicherstellen, dass sie Inhalte nur mit vollem Einverständnis veröffentlichen“, schreibt Maeby im Gespräch mit netzpolitik.org auf Englisch. Maeby ist Moderatorin bei GoneWildCurvy – und auch bei der Schwester-Community GoneWildColor. Das heißt, sie wacht gemeinsam mit anderen Freiwilligen über die Regeln.
„Wir haben Worst-Case-Szenarien im Blick und versuchen, uns darauf vorzubereiten“, erklärt Maeby. Das spiegelt sich auch in den Regeln wieder. Mindestens eines der Fotos zur Verifikation soll vom Hals bis zu den Knien gehen. „Wir müssen deinen Körper sehen, um ihn zu verifizieren“, heißt es auf einer Erklärseite. Das Papier soll zerknittert sein, damit es umso schwerer per Bildbearbeitung gefälscht werden kann. Schlecht beleuchtete, unscharfe oder nachbearbeitete Bilder würden nicht akzeptiert.
EU könnte anonyme Porno-Uploads verbieten
Die Mitglieder der beiden Nackt-Communitys packen damit konstruktiv Probleme an, an dem sich Porno-Imperien und Politiker:innen derzeit international abarbeiten. Seit Jahren berichten Nachrichtenmedien über nicht-einvernehmliche Aufnahmen auf den größten Pornoseiten der Welt. Umgangssprachlich ist von „Rachepornos“ die Rede, Fachleute sprechen lieber von bildbasierter Gewalt. Betroffene wehren sich mit Sammelklagen gegen die Pornoseiten. Petitionen sammeln Millionen Unterschriften. Politiker:innen in den USA und Europa planen schärfere Gesetze.
Wie lässt sich verhindern, dass Täter:innen Nacktaufnahmen ohne Einverständnis verbreiten? Aktuell verhandelt die Europäische Union über neue Regeln für Pornoseiten. Das passiert im Zusammenhang des Digitale-Dienste-Gesetzes. Dieses umfassende Paket zur Internetregulierung ist fast fertig. Der darin geplante Paragraf für Pornoseiten unterscheidet sich jedoch komplett von den anonymen Verfahren. Demnach sollen sich alle Porno-Uploader:innen mit E-Mail und Telefonnummer verifizieren müssen. Dafür gibt es scharfe Kritik – dazu später mehr.
Der Gedanke hinter der Registrierung per Telefonnummer ist zunächst: Sie macht Porno-Uploader:innen identifizierbar. In vielen EU-Ländern lassen sich offiziell keine anonymen SIM-Karten mehr kaufen. Verbreitet jemand bildbasierte Gewalt, könnten Ermittlungsbehörden über den Telefonprovider Verdächtige ausfindig machen.
Porno-Regulierung der EU steht auf der Kippe
Außerdem würden potentielle Täter:innen zum Nachdenken gezwungen, wenn sie eine Telefonnummer angeben müssen, wie Europa-Abgeordnete Alexandra Geese (Grüne) im Gespräch mit netzpolitik.org erklärt. Sie hat den Porno-Paragrafen gemeinsam mit Fraktionskolleg:innen der Grünen und der liberalen Fraktion Renew eingebracht. Derzeit ist allerdings nicht klar, ob der Paragraf es überhaupt ins Gesetz schafft.
Aktuell sind die Verhandlungen zum Digitale-Dienste-Gesetz in den letzten Zügen. Eine Einigung könnte es noch diese Woche Freitag geben, so Geese. „In den Verhandlungen gibt es eine komplexe Gemengelage. Die Situation ändert sich ständig“. Sie könne nicht ausschließen, dass die Regulierung für Pornoseiten nur in einem Erwägungsgrund lande und kein eigener Artikel werde. „Dann wäre es eine zahnloser Tiger. Das wäre eine herbe Niederlage.“
Die Initiative Anna Nackt vertritt in Deutschland die Interessen von Menschen, deren Nacktaufnahmen gegen ihren Willen im Internet verbreitet wurden. Die Initiatorin ist selbst von bildbasierter Gewalt betroffen, möchte in der Öffentlichkeit anonym bleiben und nennt sich daher Anna Nackt. Sie kritisiert das mögliche Scheitern einer Regulierung von Pornoseiten im Digitale-Dienste-Gesetz gegenüber netzpolitik.org. Das wäre ein „Schlag ins Gesicht“ für die „tausenden Frauen und Mädchen in Europa und weltweit, deren privaten Bilder illegal im Internet verbreitet werden“.
Anonymität schützt Uploader:innen vor Gewalt
Die geplante verpflichtende Registrierung per Telefonnummer käme jedenfalls einem Verbot anonymer Porno-Uploads gleich – und das wirft viele Probleme auf. Um den Wert der Anonymität für Uploader:innen zu verstehen, muss man vor allem zwischen zwei Gruppen unterscheiden.
Da sind einmal Menschen, die sich ohne kommerzielle Interessen gerne nackt oder bei Sex zeigen möchten. Das ist gelebte sexuelle Selbstbestimmung. Anonymität ist dabei für einige einfach Schutz der Privatsphäre; für andere bedeutet es Schutz vor Diskriminierung und Gewalt. In Communitys wie RepressedGoneWild posten etwa Frauen aus repressiven Staaten Nacktfotos, um sich gegen die Unterdrückung ihrer Sexualität zu wehren. „Ich poste auf RepressedGoneWild, um den religiösen Extremisten ein großes ‚Fuck you‘ zu zeigen“, schrieb eine Nutzerin dem VICE-Magazin. Wenn ihre Identität auffliegt, könnte sie getötet werden.
Die zweite Gruppe, die Wert auf Anonymität legt, sind kommerzielle Darsteller:innen. Sie verdienen mit Nacktaufnahmen Geld und stehen teilweise auch jenseits von Pornoseiten in der Öffentlichkeit. Trotzdem sind Datenschutz und Privatsphäre für sie ein Thema. Das unterstreicht die European Sex Workers Rights Alliance (ESWA) im Gespräch mit netzpolitik.org. Mitglied der ESWA sind mehr als 90 Organisationen und Verbände, zwölf davon aus Deutschland.
Sexarbeiter:innen-Verband gegen Handynummern-Pflicht
„Sexarbeit ist weltweit eine stark stigmatisierte Tätigkeit und in vielen Ländern auch kriminalisiert“, schreibt ESWA-Sprecher Yigit Aydin auf Englisch. Vielen Sexarbeiter:innen drohe Diskriminierung, Verfolgung, Abschiebung, Verhaftung und körperlicher Gewalt. In vielen Fällen seien Sexarbeiter:innen erpresst worden, nachdem ihre private Daten in die falschen Hände geraten sind. „Für Sexarbeiter:innen ist Online-Sicherheit gleich Offline-Sicherheit“, schreibt Aydin.
Es stimme zwar, dass große Plattformen schon jetzt viel mehr Daten sammeln. Aber ESWA plädiere für Datenminimierung. „Indem Plattformen so sensible Daten sammeln, bringen sie Sexarbeiter:innen in Gefahr und erhöhen die Wahrscheinlichkeit von Datenlecks, die ihnen das Leben kosten können“, schreibt Aydin. ESWA lehnt den EU-Vorstoß ab, wonach Uploader:innen einer Pornoseiten ihre Telefonnummer offenlegen müssen. „Es ist eine Verletzung unseres Rechts auf Privatsphäre und ein populistischer, übereilter und diskriminierender Entwurf.“
Andere Routinen bei professionellen Porno-Drehs
Zumindest für die größten Anbieter wie xHamster und Pornhub dürfte die Sammlung von Handynummern keinen großen Unterschied machen. Beide verlangen schon jetzt viel mehr. Uploader:innen sollen etwa Selfies mit ihrem Personalausweis hochladen, und damit deutlich sensiblere Daten herausrücken als eine Telefonnummer. Zugleich sind Ausweiskontrollen eine verlässliche Methode, um zu überprüfen, dass Darsteller:innen volljährig sind.
Für Profis ist die Überprüfung von Einvernehmlichkeit am Filmset zudem längst Routine. Besonders anschaulich beschreibt das Porno-Darstellerin Texas Petti im BR-Podcast Wild Wild Web. Sie erzählt darin von der Routine beim Dreh für die Pornhub-Schwester Brazzers. „Die Kamera läuft, und bevor dein Shoot startet, hast du deine ID-Card in der Hand“. Dann müsse man eine Menge Fragen beantworten, etwa: „Bist du dir im Klaren, dass wir gleich pornografisches Material aufnehmen?“ Eine zweite Fragerunde gebe es nach dem Dreh: „Bist du zufrieden mit dem Material und fühlst du dich gut dabei, dass dieses Material veröffentlicht werden darf?“ Wir haben Brazzers gefragt, wie diese Routine entwickelt wurde und keine Antwort bekommen.
Die am Set dokumentierten Gespräche sind jedenfalls ein großer Unterschied zur bloßen Angabe einer Telefonnummer. Beim Upload lässt sich allein mit einer Telefonnummer nicht überprüfen, ob eine Person in einer Nacktaufnahme mit der Verbreitung einverstanden ist. Das mag im Profi-Bereich weniger relevant sein, bei nicht-kommerziellen Nutzer:innen aber umso mehr. Eine Telefonnummer kann zwar dabei helfen, Verdächtige zu ermitteln. Aber in diesem Szenario ist die bildbasierte Gewalt schon geschehen, wurde bemerkt und Behörden haben Ermittlungen gestartet. Bis all das passiert, kann sich eine Aufnahme millionenfach verbreiten – ein deutlicher Nachteil dieser Methode.
Geese: anonyme Verifikation „sehr interessant und spannend“
Im Gespräch mit netzpolitik.org zeigt Alexandra Geese Verständnis für die Kritik an einer verpflichtenden Registrierung per Telefonnummer. „Die Kritik ist nachvollziehbar und ich teile sie auch. Das ist nicht unproblematisch.“ Die Angabe einer Telefonnummer sei das Ergebnis einer Abwägung gewesen. „Der konkrete Schaden durch digitale sexuelle Gewalt ist jedoch so groß, dass wir das in Kauf nehmen.“ Bei betroffenen Frauen seien die Schäden durch die Verbreitung solcher Aufnahmen teilweise so groß wie durch einen körperlichen, sexuellen Missbrauch.
Eine anonyme Verifikation per Selfies aller Beteiligten bezeichnet Geese als „sehr interessant und spannend“. Die Methode „wäre eine sehr hohe Anforderung für die Moderation von Inhalten, aber ich kann mir dieses Verfahren sehr gut vorstellen“, so Geese. Sie werde das in die aktuell laufenden Verhandlungen zum Digitale-Dienste-Gesetz miteinbringen. Offenbar war diese Methode bislang nicht auf dem Schirm der Gesetzgeber:innen. „Wir wollen nicht verhindern, dass Menschen Pornos hochladen, sondern dass Aufnahmen gegen den Willen der gezeigten Personen verbreitet werden“, sagt Geese.
Interessenverbände bewerten anonyme Verifikation positiv
Anna Nackt von der gleichnamigen Initiative gegen bildbasierte Gewalt zeigt sich aufgeschlossen gegenüber einer anonymen Verifikation für Porno-Uploads. Wenn sich alle Beteiligten von Nacktaufnahmen anonym verifizieren, dann erscheint die Methode auch für Anna Nackt „sehr sinnvoll“. Es greife zwar recht stark in das Geschäftsmodell der großen Seiten ein, da es deutlich mehr Aufwand bedeute. „Aber das ist ja nichts Schlechtes.“
GoneWildCurvy-Moderatorin Maeby, die selbst anonyme Verifikation für ihre Communitys durchführt, schreibt über die großen Pornoseiten: „Ich bezweifle stark, dass sie freiwillig etwas implementieren, dass ihre Einnahmen bedroht“.
Die ESWA bewertet eine anonyme Verifikation ebenso positiv: „Wir begrüßen solche Praktiken einiger Plattformen, die innovative Wege finden, um den Nutzer:innen mehr Anonymität und Privatsphäre zu ermöglichen und gleichzeitig sicherzustellen, dass eine Zustimmung vorliegt.“ Zugleich betont ESWA-Sprecher Aydin, dass technische Lösungen allein nicht reichen. „Probleme wie bildbasierte sexuelle Gewalt lassen sich am besten angehen, indem man gegen Frauenfeindlichkeit und die Stigmatisierung von Sexarbeiter.innen vorgeht“. Außerdem brauche es eine umfassende Sexualerziehung, die darauf abziele, alle Formen geschlechtsspezifischer Gewalt zu bekämpfen.
Weltgrößte Pornoseite verifiziert anonym – aber halbherzig
Nur wenige versuchen derzeit den Spagat zwischen Einvernehmlichkeit und Anonymität. Ein interessantes Beispiel ist die meistbesuchte Pornoseite der Welt, XVideos. Hier verifizieren sich Nutzer:innen nicht über Ausweise wie bei Pornhub und xHamster, sondern über ein Video. In dem Video sollen sie ihren Nicknamen und „XVideos“ auf ein Blatt Papier oder ihren Körper schreiben. Das Verfahren ähnelt der Verifikation bei GoneWildCury und GoneWildColor. Der entscheidende Unterschied: Es ist nicht verpflichtend. Entsprechend lassen sich mutmaßliche Aufnahmen sexualisierter Gewalt dennoch auf der Plattform verbreiten, wie unsere Recherchen im März zeigten.
Auch die populäre Reddit-Community GoneWild arbeitet mit anonymer Verifikation. Die bereits erwähnten Communitys GoneWildCurvy und GoneWildColor sind sozusagen kleinere Ableger des großen GoneWild, das rund 3,8 Millionen Mitglieder zählt. „Nicht alle werden sofort gefragt, sich zu verifizieren“, erklärt ein GoneWild-Moderator gegenüber netzpolitik.org. „Aber die meisten Accounts werden während ihrer ersten Uploads gefragt oder bevor sie viele Views bekommen.“ Man versuche, mögliche nicht-einvernehmliche Accounts auszusortieren, wolle es neuen Accounts aber auch einfach machen, zu posten.
Die nächsten Tage könnten entscheiden
Ansätze für anonyme Verifikation gibt es also schon außerhalb der Nische. Sie werden aber nicht flächendeckend angewandt. Die schlauste Methode bringt wenig, wenn die Schlufplöcher groß sind. Diese Erfahrung hat auch GoneWildCurvy-Moderatorin Maeby gemacht. Sie zeige sich inzwischen nicht mehr öffentlich nackt im Netz, schreibt sie – weil Fremde ihre Fotos gegen ihren Willen an anderen Orten verbreitet hätten. Sie habe sie zwar löschen lassen, aber sie seien wieder aufgetaucht. „Es war wie eine Hydra mit vielen Köpfen.“
Eine mögliche Regulierung durch die EU kann also nicht mehr als ein erster Schritt sein. Mit Sicherheit wird es viele Orte im Netz geben, die sich nicht daran halten. Was genau dazu im Digitale-Dienste-Gesetz zu lesen sein wird, ist derzeit offen.
Update, Montag, 25. April, 11 Uhr: Die EU hat sich inzwischen auf das Digitale-Dienste-Gesetz geeinigt. Die Pflicht für Uploader:innen zur Angabe von Handynummern schafft es nicht ins Gesetz. Mehr dazu berichten wir hier.
Ich hege ja bei all diesen Maßnahmen schon lange den Verdacht, dass es den Verantwortlichen langfristig darum geht, den Menschen Pornografie insgesamt abspenstig zu machen. Man darf sich nicht mehr anonym registrieren, man darf demnach nichts mehr anonym hochladen, und dank Registrierungspflicht „zur Alterskontrolle“ darf man auch nichts mehr anonym anschauen. Schon jetzt unterbinden so manche Seiten von sich aus Uploads, wenn der Zugriff anonymisiert per VPN oder Tor erfolgt. Angesichts der nach wie vor herrschenden, ebenso menschenverachtenden wie schizophrenen Stigmatisierung von Pornografie (Produktion wie Konsum), an deren Abbau kein einziger Amtsinhaber jemals auch nur das geringste Interesse gezeigt hätte, ist die Verknüpfung von persönlichen Daten und pornografischen Aktivitäten eine so offensichtlich und fundamental schlechte Idee, dass das Stadium, in dem ich den Verantwortlichen nur Unwissenheit gepaart mit Ignoranz unterstellt hätte, längst überschritten ist; ich kann mittlerweile nur noch von böser Absicht ausgehen. Wer Ausweiskontrollen oder Zwänge zur Verknüpfung persönlicher Daten bei Pornografie im Internet auch nur ansatzweise für ein legitimes Mittel hält, hat nach 12 Jahren NS-Staat, 40 Jahren DDR und Stasi, rund 30 Jahren WWW und hunderten Ransomware- und Cyberattacken später den Schuss immer noch nicht gehört.
Ferner bin ich der Meinung, dass die ganze Tabuisierung von Sexualität, egal in welchem Kontext, vor allem dem Zweck dient, den vielen Eltern, denen es zu peinlich ist, mit ihren Kindern über Sex zu reden (nicht selten, weil sie bereits selbst mit dem Tabu und Stigmatisierung aufgewachsen sind und es entsprechend weitergeben), dieses Erlebnis zu ersparen und sie weiter in der falschen Hoffnung zu wiegen, dass die Kinder wohlbehütet und „unschuldig“ aufwachsen, irgendwann geschlechtsreif werden und dann mit einem Schlag Bescheid wissen können. Analog dazu wirken „jugendschutzbedingte“ Verbote im medialen Bereich vor allem als Weg, Eltern von Verantwortung zu entbinden. Seit jeher empfinde ich die Brandmarkung von allem Sexuellen als „schmutzig“ und „sündig“ als unfassbar kindisch, was umso ironischer ist, wo es doch zur Begründung immer heißt: „Schützt die Kinder!“ Erwachsene Menschen treten auf wie zehnjährige Grundschuljungen, die kichernd, halb belustigt, halb peinlich berührt einander die Worte „Penis“ und „Vagina“ ins Ohr flüstern. Und die generelle Stigmatisierung von Pornografie gehört zu den größten Heucheleien der Gesellschaft überhaupt, die sie nachweislich regelmäßig und in gewaltigem Umfang konsumiert, gleichzeitig aber alles ächtet und als abartig hinstellt, was damit in Verbindung steht, vom Konsumenten bis zu den Sexarbeiterinnen. Deren Werke konsumiert man emsig, verachtet aber die Damen für ihre Arbeit und gibt ihnen dann gleichzeitig keine Möglichkeit, eine andere Tätigkeit auszuüben – man denke nur an die Fälle, in denen Lehrerinnen entlassen wurden, weil herauskam, dass sie früher in Pornos mitgespielt hatten (übrigens nur die Frauen, nie die Männer). Viele mögen die Auffassung vertreten, dass Pornografie „Schmutz“ sei, von dem unsere Gesellschaft „rein“ bleiben bzw. „gesäubert“ werden müsse, aber ich halte dagegen, dass diese Behandlung von Pornografie und damit verbundener Sexarbeit weitaus schandhafter und weitaus schädlicher ist, weil sie weiterhin Dienstleister stigmatisiert, die genauso ein Recht haben, zu existieren und deren Wert für die Gesellschaft gar nicht deutlich genug betont werden kann. Sexarbeiterinnen werden niemals sicher sein, solange ihre Arbeit als schmutzig, unverzeihlich und illegitim angesehen wird, von einer Gesellschaft, die von ihrer Arbeit profitiert und sie konsumiert, während sie den Arbeiterinnen nur für ihre bloße Existenz nichts als die allerhöchste Verachtung entgegenbringt. Auch diese Menschen muss der Staat schützen, nicht die Schikanen erleichtern und sie noch größeren Gefahren aussetzen. Mal ganz davon abgesehen, dass man mit Tabuisierung und Verboten generell unzählige Menschen unnötigerweise kriminalisiert, und erfahrungsgemäß nicht selten psychisch traumatisiert (wenn sie z.B. ihre ersten sexuellen Erfahrungen unweigerlich mit dem Gedanken verbinden, „unnormal“, „abartig“ und – wenn Religion im Spiel ist – „sündig“ gehandelt zu haben).
Gefährdete Menschen – ob Sexarbeiterinnen, Missbrauchsopfer oder Kinder und Jugendliche – müssen geschützt werden, und das funktioniert nicht, solange wir von Kindsköpfen regiert werden, die insbesondere beim Thema Sexualität nie erwachsen geworden sind und sich auch mit Händen und Füßen dagegen wehren.
Das Durchboxen christlich angehauchter Frigidität zur Zerstörung der Pornographie wurmt mich ebenfalls, sei es nun durch christlich-nationalistische Aktivisten oder Landesmedienanstalten.
Die hier im Artikel angesprochene anonyme Verifikation sehe ich dagegen nicht als Bedrohung. Das klingt doch eher danach, dass es Leuten hilft, die gegen ihren Willen auf den Plattformen veröffentlicht wurden. Vorherige NP-Artikel beleuchteten, wie schwierig es für Betroffene ist, gegen die Veröffentlichungen vorzugehen.
Das Problem ist, dass der Staat bzw. die EU a) ganz offenkundig kein Interesse an anonymisierten Verifikationsverfahren hat (sofern so etwas überhaupt möglich ist, s.u.) und b) schon immer jedes Feigenblatt recht war, um die verhasste Pornografie und Sexarbeit als solche zu bekämpfen. Mal tut man es „zum Schutz der Kinder und Jugendlichen“, die mit so etwas auf gar keinen Fall in Berührung kommen sollen, mal zum Schutz potentieller und tatsächlicher Missbrauchsopfer, minder- wie volljährig. Ersteres scheitert daran, dass ab einer gewissen Altersgrenze Jugendliche Pornografie suchen und finden und technische Sperren gewiefter umgehen als Staat und Eltern sie aufstellen, und wer darunter liegt, sollte m.E. überhaupt nicht unkontrolliert ins Internet gelassen werden. Bei Letzterem hält man die Zahlen künstlich hoch, indem man die Straftatbestände immer weiter ausgedehnt hat. Heraus kamen dabei Schöpfungen wie „Jugendpornografie“, wo verliebte Jugendliche sich strafbar machen, wenn sie einander Nacktfotos von sich selbst schicken. Mittlerweile sind wir an dem Punkt, dass „Anscheinspornografie“ – wenn also ein CSU-Richter findet, die da sehe aber garantiert minderjährig aus – schon ausreicht, um eine Straftat zu begründen; und selbst fiktive Darstellungen, wo es überhaupt keine Darstellerinnen und somit kein Missbrauchsopfer gibt (weil z.B. alles gezeichnet oder computeranimiert ist, ohne dass es eine reale Vorlage gab), unter Strafe stehen.
Das ist übrigens auch mein nächstes Problem bei den Plänen der EU: Aufgrund der obigen Erfahrungen gehe ich nicht davon aus, dass der Gesetzgeber bei einer solchen Verifikationspflicht auf Pornoportalen zwischen realen Aufnahmen einerseits und gezeichneten/gerenderten/animierten Darstellungen andererseits unterscheiden wird. Bei Portalen, die sich auf Letzteres spezialisiert haben, zieht das Argument, dass man Missbrauchsopfer vor der Veröffentlichung ungewollter Aufnahmen schützen wolle, aber nicht, weil es da keine Missbrauchsopfer gibt. Bei realen Aufnahmen mögen wir eine Grundrechtsabwägung vornehmen müssen – das Recht auf Anonymität bei pornografischen Aktivitäten einerseits und das Recht der Opfer am eigenen Bild und der Schutz ihrer Intimsphäre andererseits; bei der anderen Art Pornografie bleibt nur das Recht auf Anonymität übrig. Als jemand, der selbst schon in seiner Freizeit den einen oder anderen Hentai gezeichnet und anonym veröffentlicht hat, fehlt mir hier der berechtigte Nutzen, den eine erzwungene Aufhebung meiner Anonymität hierbei hätte, da bleibt nur der Schaden übrig, den eine Verknüpfung persönlicher Daten – in welcher Form auch immer – mit pornografischen Aktivitäten verursachen würde.
Davon abgesehen ist es auch nicht gerade so, dass derartige Vorschriften oder Verbote dazu beigetragen hätten, die Probleme aus der Welt zu schaffen, warum sollte es diesmal anders sein? Wer wirklich Aufnahmen „bildbasierter Gewalt“ bzw. „Rachepornos“ veröffentlichen oder ansehen will, weicht eben auf alternative, kleinere Portale aus, welche sich dem Gesetz entziehen, und mit dem Risiko steigt der Preis, sodass das Geschäft immer profitabler wird (was auch z.B. die Kosten für eine anonyme Prepaid-SIM aus dem EU- oder Nicht-EU-Ausland wieder reinholt, mit der man die Verifikationspflicht aushebeln könnte). Verbote und Netzsperren haben bisher immer nur dazu geführt, dass man die Leute in den Untergrund (bzw. ins Darknet) gedrängt hat, wo sie sich gegenseitig weiter radikalisiert haben.
Worauf ich mit meinem Ausgangsbeitrag hinauswollte, ist auch, dass das Problem möglicherweise wesentlich komplizierter ist und in der Gesellschaft zu suchen ist: Warum kann man mit der Veröffentlichung ungewollter Nacktaufnahmen eine Person so nachhaltig schädigen? Sicher gibt ein grundlegendes Unwohlsein dabei, dass jemand aufs Schlimmste in die eigene Intimsphäre eingedrungen ist und nun potentiell Milliarden von Menschen daran teilhaben lässt, aber wie viel macht das aus? Das ist je nach Person völlig unterschiedlich, manche stecken das leichter weg als andere. Hat es am Ende auch etwas damit zu tun, wie wir als Gesellschaft mit solchen Aufnahmen umgehen? Nach wie vor wird geschlechterübergreifend eine hohe sexuelle (am besten noch promiskuitive) Aktivität bei Männern tendenziell als erstrebenswert angesehen, bei Frauen hingegen geächtet, Ausnahmen bestätigen die Regel – er ist der „Womanizer“, sie die „Schlampe“; schon bei Jugendlichen kann man diese Einstellung beobachten. Deswegen haben wir auch, obgleich wir deutlich weiter als die meisten anderen Länder und Kulturen sein mögen, nie ganz das Stigma beseitigen können, das eine Vergewaltigung für das Opfer mit sich bringt: Nach wie vor hört man desöfteren in so einem Fall die Frage, was denn die Frau für Kleidung getragen habe (so als ob das irgendwas bedeute); und die Ansicht, dass es per Definition kein männliches Missbrauchsopfer geben könne, schon gar nicht in Kombination mit einer weiblichen Täterin, ist ebenfalls nach wie vor im Unterbewusstsein vieler Menschen (darunter auch Feministinnen) verankert, der Betroffene ist dann „in Wahrheit gar nicht dagegen“ oder alternativ halt „kein richtiger Mann“. Diese Denkweisen spiegeln sich auch im Umgang mit pornografischen Aufnahmen wider: Man konsumiert sie heimlich und als Gesellschaft in großem Umfang, stellt Pornokonsum aber öffentlich als etwas Schändliches hin, was selbstverständlich nur Männer täten, die sexuell erfolglos und frustriert seien, und ächtet die Frauen, die darin zu sehen sind, nicht aber die Männer, die es filmen, veröffentlichen und noch finanziell davon profitieren. Darum sind uneinvernehmliche Aufnahmen, „Rachepornos“ oder auch Vergewaltigungsvideos so ausgesprochen effektiv – nicht nur verletzten sie das Opfer nochmal und zwingen es, die Tat immer und immer wieder zu durchleben, sondern sie treffen dabei noch auf eine Gesellschaft, in der die bloße Existenz solcher Aufnahmen ganze Biografien zerstören kann, aber eben die der Opfer; zumindest in ihrer Blase aus lauter Anons, die aus allen Teilen der Gesellschaft kommen können, werden die Täter sogar noch dafür gefeiert, so einen „Fang“ gemacht zu haben.
Und die einzige Antwort, welche dieser Gesellschaft bzw. ihrer Vertretung in Form des Staates/der EU jetzt darauf einfällt, ist, mit zweifelhaften und gefährlichen Mitteln halbherzig zu verhindern, dass solche Aufnahmen zu leicht von zu vielen Menschen im Netz gesehen werden können. Weder hat sie eine zufriedenstellende Antwort auf die Frage, wie man das Hochladen und Verbreiten insgesamt verhindern könnte, noch – und das ist m.E. viel wichtiger – auf die Frage, wie man dafür sorgt, dass uneinvernehmliche Aufnahmen gar nicht erst entstehen. Denn das hieße – wieder einmal –, sich kollektiv einzugestehen, dass es sich hierbei um ein grundlegendes soziales Problem handelt, dass man soziale Probleme nicht mit Technologie lösen kann, und dass die „christlich-konservative“, von Prüderie und „Neopuritanismus“ besessene Sexualmoral nicht die Lösung, sondern Ursache des Problems ist – sexueller Missbrauch und toxische Männlichkeit sind bekanntlich weit älter als das Internet und Smartphones.
Es sollen also zwei verschiedene Systeme genutzt werden:
1. die Identifikation der Uploader per Telefonnummer – eine typisch konservative Idee wo es vorrangig nur darum geht am Ende jemanden zu haben der schuldig ist und den man „prügeln“ kann, aber die Verhindernung der unerwünschten Verbreitung ist zweitranging, obwohl man genau dafür die Massnahme einzuführen vorgibt. Doofheit at work.
2. die Verifikation der Darsteller*innen, um sicherzustellen, dass das Video auch wirklich zur Veröffentlichung/Verbreitung auf einer bestimmten Platform vorgesehen/erstellt wurde. Das könnte mit moderner Bild/Videobeartbeitungs-Software und/oder „Deep Fakes“ ausgehebelt werden (vielleicht heute noch nicht, aber in Zukunft?).
Am Ende stellt sich natürlich die Frage, ob dann nicht einfach alle unidentifizierten/unverifizierten Videos auf andere Seiten abwandern und die Kontrolle ins leere läuft. Das Gesetz muss ja auch irgendwie durchgesetzt werden, sonst endet es wieder wie der Datenschutz bei Facebook/Google/etc. als zahnloser Tiger.
Bitte „bildbasierte Gewalt“ nicht ohne Anführungszeichen verwendetn, das ist ein Kampfbegriff der prüden Neocons. Ansonsten gute Arbeit!
Danke für das Lob. Wir verwenden den Begriff bildbasierte Gewalt bewusst als bessere Alternative zum umgangssprachilchen Wort Racheporno. So tun es auch Betroffenenverbände, Hilfsorganisationen und Akademiker:innen. Mehr zum Hintergrund und zur Verwendung des Begriffs findest du hier:
https://link.springer.com/article/10.1007/s10691-017-9343-2
https://hateaid.org/interview-bildbasierte-gewalt-im-netz/
https://www.bundestag.de/resource/blob/829734/73da936cc645c306b14d408886686f18/Stellungnahme-Grieger-data.pdf
Eine anonyme Verifikation ist ein Oxymoron. Entweder eine Person kann verifiziert werden, oder sie ist anonym.
Worum es hier geht ist eine pseudonyme Verifikation und die läuft idR darüber, das ein verifizierbares Merkmal (siehe Telephonnummer) bei einem vertrauenswürdigem Partner bleibt und nicht veröffentlicht wird.
Nicht vergessen: Alle digitalen Bild und Videowerke können gefälscht sein.
„Eine anonyme Verifikation ist ein Oxymoron.“ Das stimmt nicht. Punkt.
Es kommt darauf an was man verifizieren („bewahrheiten“) will: die Identität einer Person? Dann geht es nicht anonym, ist klar. Aber wenn man verifizieren will ob die Veröffentlichung von pornografischen Videos auch im Sinne der Darsteller*innen ist, dann ist es durchaus anonym möglich, z.B. wie oben im Artikel beschrieben.
Dann verifiziert man aber eben nicht die Person sondern eine Eigenschaft des Videos.
Einiges geht schon „sehr anonym“.
Beispiel mit Altersprüfung: Weder müssen Anbieter wissen, wer ich bin, noch muss der Staat wissen wofür ich eine Altersprüfung mache. „Wissen“ beim Staat wäre vielleicht „Erinnern“, kann aber auch kryptographisch geregelt sein, so dass Nutzer durchstellen, ohne dass Staat und Anbieter einander sehen.
Ich will offen sein: Ich glaube nicht, dass es nur um den Schutz von Privatpersonen geht. Es ist ein Vorwand um gegen Pornografie im Allgemeinen vorzugehen. „War against porn“, „war against drugs“ … Alte, religiöse und konservative Sichtweisen stehen dahinter.
Das Verhindern der ungewollten Veröffentlichung von Nacktaufnahmen der eigenen Person würde ich nicht in die Sichtweise-Ecke stellen, sondern eher als legitimes Anliegen.
Was die Landesmedienanstalten etc. angeht, steht wiederum auf einem anderem Blatt…
Wie allgemein und mit welcher Aufprallenergie?
Wie läuft das (analog?) mit Veröffentlichung von Aufnahmen, die andere z.B. ohne mein Wissen in der Öffentlichkeit von mir gemacht haben?
Kann ich irgendwo mein Bild hinterlassen (Danke Datengöttin!) , und alle Anbieter müssen von nun an „ES verhindern“? Oder werden jetzt alle biometrisch gescant, und nur digital in Blockchain unterschriebene Bilder dürfen überhaupt veröffentlicht werden?
zu Brazzers:
Das „Vorher“-Interview wird benötigt für die gesetzlich vorgeschriebene Altersverifikation der Darsteller (daher der „Custodian of Records“ in jedem Vorspann)
https://uscode.house.gov/view.xhtml?path=&req=granuleid%3AUSC-prelim-title18-section2257A&f=&fq=&num=0&hl=false&edition=prelim
Das „Nachher“-Interview geht auf die Klage von Alaina Hicks (aka Bonnie Rotten) gegen Paul Little (aka Max Hardcore) von 2014 zurück worin sie geltend machte, Little hätte keine Einwilligung zur Verwendung von ihr erhalten.
Produzenten weisen seitdem prophylaktisch die Einwilligung der Darsteller zur Verwendung des entstandenen Materials nach.