Pornoseiten müssen auch künftig ihre Nutzer:innen nicht nach ihrer Handynummer fragen, bevor sie etwas hochladen dürfen. Das ist eines der Ergebnisse aus den Verhandlungen für das Digitale-Dienste-Gesetz (DSA), dem umfassenden Gesetzesvorhaben der EU zur Regulierung des digitalen Lebens.
Der fertig ausgehandelte Text ist noch nicht öffentlich. Dennoch ist bereits klar: Aus der bis zuletzt kritisch diskutierten Handynummernpflicht zum Schutz vor bildbasierter Gewalt wird nichts.
Eingebracht hatte die Regulierung unter anderem die Europa-Abgeordnete Alexandra Geese (Grüne). Die Angabe von Handynummern hätte Täter:innen abschrecken sollen, die Nacktaufnahmen ohne Einverständnis verbreiten. Solche bildbasierte Gewalt wird umgangssprachlich auch als Racheporno bezeichnet. Da anonyme SIM-Karten in vielen Ländern nicht mehr offiziell verkauft werden, hätte die Regulierung ein Verbot anonymer Porno-Uplodas bedeutet. Die FDP-Europa-Abgeordnete Svenja Hahn hatte das gegenüber netzpolitik.org als „Klarnamenpflicht durch die Hintertür“ kritisiert.
Anna Nackt: „Frustration ist groß“
Alexandra Geese bezeichnet das Aus in einer Pressemitteilung als „Niederlage beim Kampf gegen Missbrauch auf Porno-Plattformen“. Der DSA bleibe „an dieser Stelle blind“. Man habe es nicht geschafft, wirksame Mittel zum Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt im Internet zu verankern.
Die Aktivistin Anna Nackt setzt sich mit ihrer gleichnamigen Initiative für die Rechte von Betroffenen bildbasierter Gewalt ein. „Die Frustration ist groß“, sagt sie gegenüber netzpolitik.org. Ähnlich äußert sich Josephine Ballon von der Beratungsstelle HateAid. Der Schutz vor digitaler Gewalt sei vor allem für Frauen dringend notwendig, schreibt sie netzpolitik.org. Es sei eine fundamentale Schwäche des DSA, dass er alle Plattformen über einen Kamm scheren wolle. Man könne „nur an die Entscheidungsträger*innen appellieren, dies an anderer Stelle schnellstmöglich anzugehen.“
Das Vorhaben, Handynummern zu speichern, ist allerdings auch heftig kritisiert worden. Andere Konzepte zur anonymen Verifikation von Porno-Uploads existieren bereits. Über die Schwächen des Vorhabens und mögliche Alternativen haben wir ausführlich hier berichtet. Einer der Kritikpunkte: Pornoseiten hätten mit den Handynummern massenhaft sensible Daten angehäuft. Im Falle eines Leaks hätte das Gefahr für viele Uploader:innen bedeutet – beispielsweise, wenn sie aufgrund ihrer Arbeit oder Sexualität diskriminiert und verfolgt werden.
Sexarbeiter:innen-Verband: „Brauchen bessere Alternativen“
Zu den Kritiker:innen gehörte etwa die European Sex Workers‘ Right Alliance (ESWA). Sie vertritt zahlreiche nationale Verbände und Organisationen von Sexarbeiter:innen in Europa. Ihr Sprecher Yigit Aydin begrüßt die Entscheidung der EU. „Wir brauchen eine bessere Alternative“. Bereits jetzt würden viele Pornoseiten auf problematische Weise Daten sammeln, so Aydin. Jegliche Regulierung habe Auswirkungen auf die Gesundheit, Sicherheit und Privatsphäre von Sexarbeiter:innen, die auf den Plattformen ihren Lebensunterhalt verdienen.
Härtere Regulierungen gegen bildbasierte Gewalt brauche es dennoch. Auch die „ESWA wird weiterhin gegen bildbasierte sexuelle Gewalt im Internet kämpfen“, schreibt Aydin. Es handele sich allerdings um ein strukturelles Problem. „Wir glauben nicht an rein technische Lösungen“. Die ESWE hofft auf Austausch mit Gesetzgeber:innen. Man sei zuversichtlich, dass man gemeinsam effektive Wege finden könne.
Pornoseiten sollen Details der Löscharbeit offenlegen
Auch ohne Pflicht zum Sammeln von Handynummern bringt der DSA umfassende Änderungen für Pornoseiten. Zumindest die größten von ihnen – Pornhub, xHamster und XVideos – dürften als „sehr große“ Online-Plattformen besonders strengen Regeln unterworfen sein. Diese Regeln gelten für solche Angebote, die mehr als 45 Millionen Nutzer:innen in Europa haben.
Laut DSA sollen „sehr große“ Plattformen etwa Prüfberichte über die von ihnen verursachten Risiken vorlegen – und darüber, wie sie diese Risiken bekämpfen. Zu diesen Offenlegungen gehöre Alexandra Geese zufolge auch, wie viel Personal für die Inhaltemoderation eingesetzt werde und wie das Personal geschult werde. All das wären weitreichende Änderungen für die meistbesuchten Pornoseiten der Welt, Pornhub, XVideos und xHamster. Bislang ließen sich alle drei kaum in die Karten schauen, nicht nur beim Thema Löscharbeit.
Neuland für die großen Pornoplattformen wären auch die vom DSA verlangten, jährlichen Transparenzberichte über Inhaltsmoderation. Solche Berichte könnten dabei helfen, erstmals einen zahlenmäßigen Eindruck von der Dimension bildbasierter Gewalt zu erhalten.
Was der DSA konkret erreichen kann, lässt sich aktuell schwer abschätzen. Immer wieder finden Tech-Konzerne Schlupflöcher, um Regulierungen abzuschwächen. Manchmal braucht es einen jahrelangen Rechtsstreit und saftige Geldstrafen, bis sich notorische Drückeberger bewegen. Bevor das Digitale-Dienste-Gesetz in der EU in Kraft treten kann, muss es noch in Parlament und Rat bestätigt werden.
Bitte lasst den Duktus „bildbasierte Gewalt“. Auch Audiomitschnitte können Revenge Porn sein und Opfern schweren Schaden zufügen.
Transparenz ist hier eigentlich ganz einfach.
Alle Meldungen sind in einem öffentlichen Ticket-System sichtbar (wie bei GitHub).
Mehrfachmeldungen werden geclustert.
Ab spätestens 2 Meldungen wird ein Warnhinweis beim Video angezeigt
Bei bestimmten Dingen wie z.B. einer mutmaßlichen Vergerwaltigung oder KiPos
wird das Video präventiv nach der ersten Meldung ohne Kompromisse gesperrt.
(Kann ggf. später wieder freigeschaltet werden)
Damit so nicht die ganze Porno-Seite via Fake-Meldungen lahmgelegt werden kann,
sind gründlich geprüfte Videos (vorallem professionelle Eigenproduktionen) vom
Melde-System ausgeschlossen und können jederzeit betrachtet werden.
Unter jedem Video steht dann zusätzlich zur Anzahl der Views:
– Ob das Video gemeldet wurde
– Warum es gemeldet wurde
– Wann das Video das erste Mal gemeldet wurde
– Wann sich ein Mitarbeiter das erste Mal drum kümmerte inkl. Mitarbeiter-ID
– Wann sich ein Mitarbeiter das letzte Mal drum kümmerte inkl. Mitarbeiter-ID
Anmerkung:
Die Mitarbeiter-ID sollte anonym und der echte Name nur von
der Firma einsehbar sein, aber das ist wahrscheinlich klar.
Hinzu kommt, dass die Pornoseitenbetreiber nicht nur das Video löschen,
sondern das Video an die Polizei melden sollten, damit sie es selbst nochmal
prüfen und ggf. die Täter + Uploader verfolgen und einbuchten.
„Die Mitarbeiter-ID sollte anonym und der echte Name nur [..]“
Also _pseudonym_, nicht anonym. Sorry, aber das ist ein bedeutender Unterschied, auf den mal als Leser von netzpolitik.org Wert legen muss.
Ich fühl mich gerade extrem verarscht, was die Handynummerpflicht betrifft.
Die von der FDP hat es als „Klarnamenpflicht“ betitelt.
Ist ihr eigentlich klar, auf welchen Seiten man mittlerweile überall seine Handynummer hinterlassen muss weil einzig und alleine die E-Mail nicht mehr anerkannt wird? Für sämtliche Seiten, wo teilweise Bewertungen und Kommentare abgegeben werden.
Aber bei solch wichtigen Themen sind sie dann gegen eine Handynummerpflicht? Ich glaub ich spinne. Ich muss Twitter und Google meine Nummer geben um mich zu registrieren kann aber anonym Gewaltpronos hochladen ohne Einverständnis weil hier die Handynummer nicht wichtig ist
Wie es sich für so eine Maßnahme gehört, träfe sie nicht nur die „Bösen“, sondern alle. Und dass die Verknüpfung von Porno-Aktivitäten (ob Konsum oder Produktion/Veröffentlichung) und persönlichen Daten an und für sich eine ganz schlechte Idee ist, brauche ich Ihnen hoffentlich nicht zu erklären. Bei allem Verständnis für die Ängste und Nöte von potentiellen und tatsächlichen Missbrauchsopfern: Auch hier muss die verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben, und das ist bei Maßnahmen, die massiv und aufs Empfindlichste in die Grundrechte Millionen unbescholtener Menschen eingreifen, um eine Minderheit zu schützen, grundsätzlich nicht gegeben, wenn man nicht genau weiß, was man tut, die Bedeutung der geschützen Grundrechte jene der verletzten nicht massiv überwiegt und man keine Alternativen auch nur in Erwägung zieht.
Maßnahmen wie Handynummernzwang oder gar Ausweiskontrollen auf Pornoportalen führen erfahrungsgemäß nicht dazu, dass die Leute aufhören, sexuelle Belästigung und Missbrauch zu filmen und zu veröffentlichen, sie suchen sich dafür nur abgelegenere Portale aus, die sich außerhalb der Reichweite der EU-Jurisdiktion befinden – mal davon ab, dass mit dem Risiko der Preis und somit die Profitabilität steigt. Anders ausgedrückt: Man löst das Problem nicht, sondern macht es nur unsichtbar, nach dem Motto „aus den Augen, aus dem Sinn“. Wie Kindergartenkinder, die sich die Augen zuhalten und dann meinen, jetzt seien die anderen nicht mehr da. Die Maßnahme ist also nicht nur unverhältnismäßig, sie ist auch gar nicht geeignet, das (angebliche) Ziel zu erreichen.
Und wo wir schon dabei sind: Das Ziel sollte nicht sein, die Verbreitung solcher Aufnahmen zu erschweren, sondern, dafür zu sorgen, dass die Aufnahmen gar nicht erst entstehen. Ich habe mich dazu schon einmal in einem vorherigen Beitrag geäußert, hier die Kurzfassung: Solange die große Mehrheit der Gesellschaft ein schizophrenes, von Lügen, Heuchelei und Machtstrukturen geprägtes Verhältnis zu Sexualität, Pornografie und Sexarbeit hat, und solange sie männliche Sexualität zelebriert und gleichzeitig weibliche unterdrückt, wird toxische Männlichkeit immer von einem soliden Anteil an Menschen belohnt werden und Missbrauchsaufnahmen werden immer ihre Abnehmer finden und somit weiter produziert werden. Toxische Männlichkeit und sexueller Missbrauch gibt es nicht erst seit dem Internet, sie sind kein technisches, sondern ein soziales Problem; und Sie können und werden soziale Probleme niemals mit technischen Lösungen aus der Welt schaffen.
Nach dem fehlgeschlagenen Versuch, das Pornoportal xHamster im Netz zu sperren, stehen die Medienanstalten wieder am Anfang. »Medienrechtlich sind wir gezwungen, nun von vorne anzufangen«, sagte Laura Braam von der Landesanstalt für Medien NRW in Düsseldorf. »Das haben wir auch schon gemacht, erneut Kontakt zu den zypriotischen Behörden aufgenommen und auf das ›neue‹ Angebot hingewiesen.«
Drei Jahre lang war die Medienaufsichtsbehörde gegen Pornoportale wie xHamster mit Sitz auf Zypern vorgegangen, die ihre Inhalte im Netz entgegen den Vorgaben des Jugendschutzes für Kinder und Jugendliche frei zugänglich halten. Am Ende stand eine Sperrverfügung für die deutsche Subdomain von xHamster mit »de« im Namen.
https://www.spiegel.de/netzwelt/web/xhamster-medienaufsicht-beginnt-kampf-gegen-pornoseite-von-vorne-a-1568a3d2-29a3-4483-a129-d7d0a5eded43