Netflix-Doku "Money Shot"Tiefe Einblicke in die Skandale von Pornhub

Darsteller*innen zeigen ihre Studios. Mächtige Porno-Bosse verteidigen ihre Geschäfte. Und ein Whistleblower packt aus. „Money Shot“ präsentiert die wichtigsten Stimmen zur meistgehypten Pornoseite der Welt. Wo die Netflix-Doku brilliert – und wo sie Lücken lässt.

In der linkten Bildhälfte sieht man drei Darstellende zu Beginn eines Pornodrehs. In der rechten Bildhälfte das Cover der Doku "Money Shot". Das Cover zeigt ein Pornomodel.
„Money Shot“ erzählt die Geschichte von Pornhub – Alle Rechte vorbehalten Money Shot: The Pornhub Story. Netflix 2023

In einer Fabrik für Feuerwerkskörper sollte man besser nicht rauchen, sonst fliegt einem alles um die Ohren. So ähnlich ist das auch bei Pornoseiten, wie man aus der Netflix-Doku „Money Shot“ lernen darf. Pornoseiten, sagt eine Expertin, seien wie eine Feuerwerksfabrik ohne Rauchverbot. Und bei Pornhub kam es im Jahr 2020 zum zündenden Funken.

Die Netflix-Produktion „Money Shot“ (ab 16 Jahren, online ab 15. März) erzählt vom Aufstieg und den Skandalen von Pornhub, eine der meistbesuchten Websites der Welt. Es dürfte zugleich die bekannteste Pornoseite der Welt sein, denn kein anderer Branchenriese sucht so aktiv die Öffentlichkeit.

Der Funke, der Pornhub hochgehen ließ, ist die Geschichte einer Teenagerin aus Kalifornien. Serena Fleites. Als sie 14 Jahre alt war, schickte sie einem Jungen ein Nacktvideo von sich. Später verbreitete sich das Video auf Pornhub. Der umgangssprachliche Begriff dafür ist „Racheporno“. Betroffene, Fachleute und auch wir sprechen lieber von bildbasierter Gewalt.

Die New York Times berichtete. Fleites wurde zum Gesicht für Betroffene weltweit. Eine Empörungswelle gegen Pornhub rollte los, gefolgt von einer Klage. Pornhub stürzte in die größte Krise seiner Geschichte. Dienstleister wie Visa und Mastercard weigerten sich, länger für Pornhub Zahlungen abzuwickeln. Die Folgeschäden trafen auch die gesamte Branche professioneller Porno-Darsteller*innen, die mit bildbasierter Gewalt nichts zu tun haben.

Das Besondere: Bei „Money Shot“ kommen alle wichtigen Köpfe selbst zu Wort. Von ehemaligen Angestellten hinter den Kulissen über radikale Porno-Feinde bis hin zu Darsteller*innen, die von Pornhub schwärmen. Über das Phänomen Pornhub gab es schon einige starke Veröffentlichungen, doch so viele Stimmen hat noch niemand vereint.

Zweifelhafte Klage soll Pornhub in die Knie zwingen

Rechtsanwalt Michael Bowe
Rechtsanwalt Michael Bowe vergleicht Pornhub mit den Sopranos - Alle Rechte vorbehalten Money Shot: The Pornhub Story. Netflix 2023

Da ist zum Beispiel der US-amerikanische Rechtsanwalt Michael Bowe, der Pornhub mit seiner Klage in die Knie zwingen will. Die Doku zeigt Bowe in seinem New Yorker Büro, ein verglaster Wolkenkratzer. Bei der schwarzen Ledercouch stehen Dosen mit Diet Coke. Der Anwalt rasiert sich die Bartstoppeln im Büro, legt beim Telefonieren die Füße auf den Tisch. Bowe hat schon Ex-US-Präsident Donald Trump vertreten. Pornhub und die Konzernmutter Mindgeek nennt er in der Doku „organisiertes Verbrechen“. Er vergleicht sie mit der fiktiven Mafia-Familie „Sopranos“, spricht von „Soldaten“, die für Pornhub „schlimme Dinge tun“. Keine Frage, Bowe trägt extrem dick auf.

„Absoluter Bullshit!“, sagt Gwen Adora, als sie vor laufender Kamera die Klageschrift liest. Vorwürfe wie die von Bowe hält sie für erfunden. Die Doku präsentiert die Porno-Darstellerin Adora neben ihrer knallbunten Blumentapete. Auf der Fensterbank werfen rosa Lavalampen Blasen. Zuvor wurde auch ihr Arbeitsplatz gezeigt: Adoras Kamera mit Stativ; ihre Dildo-Sammlung, zu der auch ein mit Saugnäpfen bestückter Tentakel gehört. Auf sozialen Medien hatte Adora vor Desinformation über Pornhub gewarnt. Für die Erzählung von mafiösen Zuständen im Konzern gibt es von ihr keinen Zuspruch.

Und genau das ist das Stilmerkmal von „Money Shot“: Die Doku arbeitet allein mit Zitaten von Interviewgästen. Es gibt keine Stimme aus dem Off, die Widersprüche sichtbar macht oder einordnet. Dabei gibt es über Pornhub und Online-Pornos hitzige Debatten. Radikale Porno-Feinde und leidenschaftliche Verteidiger*innen der Branche bezichtigen sich gegenseitig der Lüge. Die Doku hätte das gnadenlos ausschlachten können. Sie hätten die Streitparteien direkt aufeinander loslassen können und mit provokanten Fragen bis zum Wutausbruch treiben. Doch das passiert nicht.

„Money Shot“ nimmt das Genre der Dokumentation wörtlich und dokumentiert, was die Beteiligten zu sagen haben. Die Interviewgäste treten allein durch den Filmschnitt in einen Dialog. Die Zuschauer*innen dürfen – und müssen – die Bezüge selbst herstellen und daraus ihre Schlüsse ziehen.

Kaum ein Interviewgast über alle Zweifel erhaben

Porno-Darstellerin Gwen Adora
Gwen Adora warnt vor Desinformation über Pornhub - Alle Rechte vorbehalten Money Shot: The Pornhub Story. Netflix 2023

Kaum ein Interviewgast in der Doku ist über alle Zweifel erhaben. Zu Beginn schwärmen etwa Darsteller*innen davon, dass Pornoseiten wie Pornhub ihnen Freiheit, Macht und Geld bescheren. Eine Darstellerin sagt, sie konnte sich von ihren Einnahmen sogar ein Haus kaufen. An dieser Stelle erscheint „Money Shot“ geradezu werblich.

Relativiert wird die Schwärmerei etwa durch die Anekdote einer ehemaligen Angestellten. Sie erzählt von einer Betriebsversammlung. Der CEO habe nichts von den damals neuen US-Gesetzen gewusst, die Sexarbeiter*innen im Netz massiv einschränken. Es ging um Gesetze, die als SESTA/FOSTA bekannt wurden. Bis heute bewirken sie, dass Darsteller*innen reihenweise von Social-Media-Plattformen verbannt werden. Das kann ihre finanzielle Existenz bedrohen. Der Vorwurf der ehemaligen Angestellten: Die Pornhub-Chefs seien zwar durch Sexarbeiter*innen reich geworden, aber deren Wohlergehen sei ihnen egal.

Auch ein Whistleblower packt aus, für die Zuschauer*innen bleibt er anonym. Im Auftrag von Pornhub habe er Anfragen von Menschen gesichtet, die um die Löschung von Videos baten. Das könnten Menschen wie Serena Fleites gewesen sein, die gegen ihren Willen nackt im Netz zu sehen waren. „Es gab Tausende solcher Bitten“, berichtet der Whistleblower. „Wir haben sie nicht wirklich kontinuierlich bearbeitet. Viele dieser Videos blieben noch monatelang online.“ Pornhub selbst lobt die eigene Inhaltemoderation.

Netflix überlässt Radikalen die Bühne bei bildbasierter Gewalt

Kritik an Pornhub kommt auch von der US-amerikanischen NGO namens NCOSE, das steht für National Center on Sexual Exploitation. Auf den ersten Blick sind das Kinderschützer*innen, die sich für Betroffene bildbasierter Gewalt stark machen. Doch die Doku arbeitet heraus: Hinter NCOSE steckt eine religiös-fundamentalistische Ideologie, die erotische Dienstleistungen grundsätzlich ablehnt und jegliche Form von Sexarbeit für Ausbeutung hält.

In der Doku machen Vertreter*innen der Porno-Branche unmissverständlich deutlich: Nein, professionelle Darsteller*innen werden nicht ausgebeutet und gehen ihrem Beruf aus freien Stücken nach: „Es gibt keinen Sex ohne Einvernehmen, das ist Vergewaltigung. Es gibt keinen Porno ohne Einvernehmen, das ist Vergewaltigung“. Diesen Unterschied zwischen Ausbeutung und Freiwilligkeit will NCOSE-Rechtsberaterin Dani Pinter offensichtlich nicht wahrhaben. „Ich denke, sie werden ausgebeutet“, behauptet sie in der Doku.

Einige Äußerungen der Anti-Porno-Aktivist*innen sind offensichtlich wahrheitsfern. Die Doku gibt ihnen allerdings viel Raum. Weniger Porno-feindliche Ideologie hätte „Money Shot“ sicher gut getan. Vor allem, weil die Porno-Feinde in der Doku die einzigen sind, die sich gezielt politisch gegen bildbasierte Gewalt stark machen. Und das entspricht nicht der Realität.

Zwar drängen sich Porno-Gegner*innen bei dem Thema lautstark in den Vordergrund. Es gibt aber auch Initiativen gegen bildbasierte Gewalt, die Sexarbeit und Pornografie nicht ablehnen, etwa die deutsche Initiative Anna Nackt oder die Organisation HateAid. Der Einsatz gegen bildbasierte Gewalt kann gemeinsam mit der Porno-Branche geschehen. Netflix tut radikalen Porno-Feinden einen Gefallen damit, sie so prominent als Anlaufstelle für Betroffene zu präsentieren.

Wer war nochmal die weltgrößte Pornoseite?

Es gibt noch etwas, das bei „Money Shot“ unter den Tisch fällt. Bildbasierte Gewalt auf Pornoseiten ist vielschichtig. Es geht nicht nur um Videos von Minderjährigen, die gegen ihren Willen verbreitetet wurden. Auch zahlreiche Erwachsene sind betroffen, das Spektrum reicht von heimlichen Aufnahmen am Strand bis hin zu schweren Gewalttaten.

Eine Randerscheinung bleiben in der Doku auch Pornhubs wichtigste Konkurrenten. Da gibt es vor allem XVideos aus Tschechien, immerhin die weltgrößte Pornoseite, sowie der dritte von drei Branchenriesen, xHamster aus Zypern. Diese Plattformen blitzen bloß in Form von Screenshots auf, während „Money Shot“ Pornhub als Stellvertreter der gesamten Branche überhöht. Zwar geht aus der Doku hervor, dass vor allem Medien zu dieser Sonderrolle von Pornhub beitragen. Doch nichts anderes macht die Netflix-Produktion selbst.

Das steckt wirklich hinter dem Streit um die Account-Sperre

Dennoch brilliert „Money Shot“ durch bemerkenswerte Tiefe. Kein Zweifel, das Team hinter der Doku kennt sich richtig gut aus. Geschickt eingewoben werden zahlreiche Details, über die unter anderem netzpolitik.org in den vergangenen Jahren ausführlich berichtet hat, etwa die Anhörung der Mindgeek-Bosse vor dem kanadischen Parlament, der Krimi um die abgebrannte Villa von Mindgeek-CEO Feras Antoon, die Arbeit einer US-amerikanischen Organisation namens NCMEC. Sogar die bizarre Zensur von Wörtern auf der Pornhub-Alternative OnlyFans findet in der Doku Erwähnung.

Differenzierte Berichte über die Probleme und Debatten rund um Pornografie waren lange ein Nischenphänomen. Zu mächtig ist nach wie vor das Tabu gegenüber Sexualität und Pornos, auch in großen Medienhäusern. Aber Pornografie ist ein Kulturgut und eine der wichtigsten Unterhaltungsindustrien der Welt, genauso wie Musik oder Spiele. Wo Abermillionen Menschen involviert sind, braucht es fundiertes Wissen. „Money Shot“ liefert davon in rund 90 Minuten eine beachtliche Menge.

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