Liebe Leser:innen,
in unserer Arbeit passiert jeden Tag etwas Neues. Meistens mag ich das. Ich habe Spaß daran zu sortieren und mit Kolleg:innen über die Relevanz einer Neuigkeit zu diskutieren. Aber ab und an führt das dazu, dass Texte schlecht altern. Dass sich etwas überholt. Und obwohl das unvermeidlich dazugehört, wurmt mich das manchmal.
Diese Woche ging mir das so mit der Meldung, dass ein Journalist des freien Senders Radio Dreyeckland sich nun doch vor Gericht verantworten soll. Weil er einen Link auf das Archiv von linksunten.indymedia gesetzt hat. Im Raum steht der Vorwurf, er habe dadurch eine verbotene Vereinigung unterstützt.
Eigentlich dachte ich, der Fall wäre erledigt, als das Gericht in erster Instanz die Anklage nicht zugelassen hat. Deshalb schrieb ich vor einem Monat im Wochenrückblick: „Als ich das gelesen habe, war ich froh und erleichtert.“ Ein ganz klassisches Beispiel von „zu früh gefreut“. Ich verzichte jetzt darauf, mich nochmal im Detail darüber zu empören. Warum der ganze Vorgang zum Schreien und ein Schlag in die Magengrube der Pressefreiheit ist, haben andere bereits beschrieben.
Mir ist aber sofort noch ein weiterer Text von uns eingefallen, den die Realität überholt hat und den sie mit einem bitteren Beigeschmack zurücklässt. Zum Amtsantritt von Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat mein Kollege Markus Reuter die SPD-Politikerin porträtiert. Abgesehen davon, dass wir heute – nach dem 24. Februar 2022 – vermutlich nicht mehr „Zeitenwende“ in die Überschrift geschrieben hätten, blickte durch den Text doch einiges an Hoffnung durch. Vor allem darauf, dass sich nach der Seehoferschen Hardliner-Innenregentschaft nun etwas ändern könnte. Immerhin war Faeser als hessische SPD-Generalsekretärin ja noch gegen den Hessentrojaner für Geheimdienste und hat auch mal Razzien als überzogen kritisiert. Die jahrelangen Unionsregierungskonstellationen waren weg, Zeit für eine neue Innenpolitik, bei der Grundrechte im Fokus stehen. Oder?
Was stattdessen passiert: Faeser will IP-Adressen auf Vorrat speichern, Faeser verteidigt die Razzien gegen die Letzte Generation und Faeser stimmt Verschärfungen im EU-Asylrecht zu. Von anderen Zeiten im Innenministerium merken wir wenig. Die rote Tür ist schwarz.
Nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern, möchte man vielleicht das alte Sprichwort aus dem Ärmel zaubern. Aber ganz so einfach und ganz so frustrierend ist es auch nicht. Wir tun gut daran, ab und an zurückzuschauen. Wo wir uns geirrt haben. Was sich anders entwickelt hat als wir es dachten. Um dann die Frage zu stellen: Warum? Und vielleicht hilft uns dann diese alte Zeitung zu erkennen, wo wir in Zukunft aufmerksamer sein müssen. Und was wir nicht aus den Augen verlieren dürfen.
Ich wünsche euch ein Wochenende ganz im Hier und Jetzt!
anna