Das Ausländerzentralregister (AZR) ist eine der größten Verwaltungsdatenbanken des Landes. Als „zentrale Informationsdrehscheibe“ bezeichnet das Bundesverwaltungsamt die Sammlung mit derzeit 26 Millionen Datensätzen zu Ausländer:innen. Das AZR wurde immer wieder erweitert, es kamen immer mehr Datenpunkte dazu, vor allem zu Geflüchteten.
Eine Änderung aus dem Jahr 2021 zog besonders viel Kritik auf sich: Sie sorgte dafür, dass auch Daten aus Asylverfahren im Register abgelegt werden können. Das betrifft Asylentscheidungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge oder Gerichtsentscheidungen in asyl- oder aufenthaltsrechtlichen Verfahren.
Die Neuregelung trat im November 2022 in Kraft, gilt also mittlerweile seit rund einem halben Jahr. Die linke Bundestagsabgeordnete Clara Bünger hat deshalb nachgefragt, wie die neuen Möglichkeiten eingesetzt werden. Das Ergebnis: kaum. Je drei Mal landeten BAMF- und Gerichtsentscheidungen bis Ende April in der Datensammlung. Sechs mal rief eine Ausländerbehörde entsprechende Informationen ab, ein Mal eine Außenstelle des BAMF.
Trotz der offensichtlich geringen Nutzung hält die Bundesregierung die Regelung derzeit für „erforderlich“, schreibt sie. Sie will „Verhältnismäßigkeit und Sinnhaftigkeit vor dem Hintergrund des damit verbundenen Aufwands im Vergleich zum vermuteten Mehrwert“ jedoch bei der Evaluierung des Gesetzes überprüfen.
„Regelung gehört schlicht abgeschafft“
Für Fragestellerin Bünger zeigen nicht nur die niedrigen Zahlen, dass die Regelung wieder rückgängig gemacht werden sollte: „Offenbar ist mal wieder eine komplett unsinnige und datenschutzrechtlich gefährliche Regelung gegen jeden Sachverstand ins Gesetz geschrieben worden. Und jetzt wird diese Vorschrift in der Praxis faktisch nicht angewandt, weil das zu viel Arbeit machen würde“, schreibt sie gegenüber netzpolitik.org. „Sensible Asylbescheide und Gerichtsurteile haben in riesigen Datenbanken nichts zu suchen, diese Regelung gehört schlicht abgeschafft.“
Eine der Sorgen bei der AZR-Erweiterung war, dass eine Vielzahl von Behörden Zugriff auf sensible Informationen der Schutzsuchenden erhält. Denn in den Asylentscheidungen können auch besonders schützenswerte Daten enthalten sein, etwa Angaben zur sexuellen Orientierung der Geflüchteten, wenn dies Grund für ihre Gefährdung ist. Pro Asyl schrieb dazu: „So beispielsweise lässt ein Textbaustein des Bundesamts zur allgemeinen Lage von Homosexuellen in Pakistan Rückschlüsse auf die sexuelle Orientierung eines Antragstellers zu – wozu sonst sollte das Bundesamt sich dazu äußern?“
Solche privaten Daten sind laut AZR-Gesetz „unkenntlich zu machen“, sie müssen also geschwärzt werden. Sie dürfen außerdem nur gespeichert werden, wenn „überwiegende schutzwürdige Interessen des Ausländers“ dem nicht entgegenstehen. Der Paritätische Wohlfahrtsverband gab dazu während des Gesetzgebungsprozesses zu bedenken, dass ein solches Interesse eigentlich die Regel ist, wenn es um Asylanträge geht – gerade wenn in ihrem Herkunftsland verfolgte Menschen davor geschützt werden müssen, dass ihre Daten in ebenjenes Land zurückfließen könnten. Doch wie werden die Vorschriften in der Praxis umgesetzt?
Ein unerlässliches Häkchen
Ganz geklärt ist das offenbar noch nicht. Im Februar schrieb die Bundesregierung: Inhalte, die großflächig geschwärzt werden müssten, sollen erst mal überhaupt nicht gespeichert werden. „Zur Übermittlung an das AZR sind ausschließlich die Entscheidungen vorgesehen, die aufgrund ihrer Entscheidungsnatur keine Fluchtgründe oder weitere Daten, die den Kernbereich privater Lebensgestaltung berühren könnten, enthalten.“ Doch noch fehlen konkrete Weisungen, wie die entsprechenden Mitarbeitenden der Behörden das handhaben sollen. „Die Weisungsinstrumente befinden sich aktuell in der Abstimmung und sollen kurzfristig implementiert werden“, heißt es in der aktuellen Antwort.
Für den Abruf der Dokumente gelten gleichzeitig offenbar kaum Sicherheitsvorkehrungen. „Beim Zugriff auf Dokumente im Registerportal muss die Unerlässlichkeit des Abrufs zuvor bestätigt werden“, schreibt die Bundesregierung zwar in ihrer Antwort. Aber: „Diese Abfrage erfolgt durch die technische Implementierung einer Checkbox, welche vor dem Dokumentenabruf zu bestätigen ist“, heißt es weiter. Das heißt: Ein „unerlässlicher“ Abruf wird nicht etwa geprüft. Es reicht, dort ein Häkchen zu setzen.
Die Gesetzesänderung 2021, auf die all das zurückgeht, war bereits die dritte Erweiterung des AZR binnen weniger Jahre. 2019 hatte die Große Koalition bereits eine Kennnummer für Asylantragsteller:innen eingeführt, die an alle am Verfahren beteiligten Behörden weitergegeben werden kann. Für Aufsehen hatte damals auch gesorgt, dass die Fingerabdrücke von Kindern ab sechs Jahren erfasst werden.
2016 hatte die Regierung das so genannte Kerndatensystem eingeführt. Dadurch konnten wesentlich mehr Daten im AZR gespeichert werden, etwa Fingerabdrücke, Impfstatus oder der Name von mitreisenden Kindern und Angehörigen. Gleichzeitig können tausende Behörden seitdem automatisiert auf Daten zugreifen, die sie bis dahin nur auf Antrag bekommen haben. Dazu gehören neben den Asylbehörden auch Jobcenter, Arbeitsagenturen oder Jugendämter.
Im Artikel heißt es, Asyl- und Gerichtsentscheidungen „können“ im Ausländerzentralregister gespeichert werden. Leider ist es noch schlimmer: Nach dem Wortlaut des Gesetzes „sind“ diese Dokumente zu speichern, die Behördenmitarbeiter*innen müssen das also tun. Die Regelung findet sich in § 6 Abs. 5 Ausländerzentralregistergesetz (AZRG). Dort ist auch detailliert aufgelistet, in welchen Fällen eine solche Speicherung vorzunehmen ist.