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DegitalisierungEin schlechter Zeitpunkt für Bequemlichkeit

Big Tech hat eine bequeme Hängematte aufgespannt, in der die halbe deutsche Verwaltung baumelt. Um da wieder rauszukommen, bräuchte es Willenskraft und Ideen, schreibt unsere Kolumnistin. Stattdessen deklarieren wir die Abhängigkeit von Microsoft, T-Systems und Google als „Souveränität“.

Symboldbild - Verschiedene alte Computer
CC-BY-NC-SA 4.0 owieole

„Bianca, du könntest doch mal eine Kolumne dazu schreiben, was du auf der re:publica so erlebt hast, so was Einfaches.“ Mal was ganz Einfaches schreiben in dieser Ausgabe von Degitalisierung. Nach der re:publica 2023, Leitmotto Cash. Ich könnte mir das ja bequem machen. Also eigentlich.

Nun, leider ist gerade ein ziemlich schlechter Zeitpunkt für Bequemlichkeit. Oder anders gesagt: Auf dieser re:publica wurde mir noch stärker bewusst, was Bequemlichkeit zum falschen Zeitpunkt für verheerende Folgen hat. Die Auswirkungen von schlecht getimter Bequemlichkeit merken wir heute aller Ort am Zustand der Digitalisierung in Deutschland. Aber nicht nur dort. Es geht weit tiefer. Letztlich betrifft uns ein bequemer Umgang mit Digitalisierung zum falschen Zeitpunkt als Gesellschaft.

Leider fürchte ich, dass uns diese Bequemlichkeit im Umgang mit Digitalisierung zu immer mehr Problemen führen wird. Auch wenn wir das noch so nett mit Floskeln wie digitaler Souveränität zu übertünchen versuchen. Der schwammige Begriff der digitalen Souveränität sei in diesem Text eher gelesen als die Möglichkeit, Kontrolle über Abhängigkeiten von digitalen Technologien oder Unternehmen selbstbestimmt ausüben zu können.

Selbstverstärkende Systeme

Aus der Eröffnungskeynote von Signal-Präsidentin Meredith Whittaker ist für mich vor allem ein Abschnitt wesentlich: „Die Technologieunternehmen, die das Geschäftsmodell der computergestützten Überwachung frühzeitig verfeinert haben, bauten massive Infrastrukturen, riesige Datenspeicher und große Nutzerbasen auf. Konkurrenten konnten das nicht einfach nachahmen oder kurzerhand einkaufen. Auf diese Weise verstärkte sich das System selbst.“

Big Tech hat systematisch ein feingliedriges Gesamtkonstrukt aufgebaut, das im Wesentlichen nichts wirklich besser kann in individuellen Aspekten, nur eben alles wesentlich bequemer als Gesamtpaket.

Beispiel Microsoft: IT-Infrastruktur auf Basis von Microsoft-Produkten ist nichts, was sich nicht auch mit anderen Produkten oder Open-Source-Lösungen anders umsetzen ließe. Es ist nur sehr bequem auf das ganze Ökosystem zu setzen. Microsoft Exchange als Basis zur Verwaltung von Unternehmenskonten, Office für Dokumente, dazu jetzt auch noch sogenannte KI mit ChatGPT. Selbstverstärkende Systeme auf vielen zueinander passenden Ebenen. Eine ganze Abhängigkeitskaskade.

Am Ende kommt dann aber wieder das große Wehklagen, wenn die finanzielle Abhängigkeit von Microsoft-Produkten etwa in der Bundesverwaltung von Jahr zu Jahr größer wird.

Versteckte Bequemlichkeit

Nun naht aber Abhilfe: eine Cloud, mit der „der öffentliche Dienst souverän“ bleibe. So zumindest die Ankündigung auf der Webseite von Delos, einer Cloudplattform auf Basis von Microsoft Azure und Microsoft 365 für die Verwaltung. Falls man nun meinen könnte, das sei doch wieder nur Microsoft, nein, nein. Das ist alles – ganz souverän – in deutschen Rechenzentren und unter eigenem Betrieb.

Bemerkenswerterweise übersetzt Delos-Chef Georges Welz die postulierte Souveränität eher als „Wahlfreiheit“. Das ist bemerkenswert anhand der tiefen Verzahnung einer Cloud-Office-Suite wie Office 365 mit allen Abhängigkeiten. Insbesondere dem De-Facto-Stillstand von Behörden ohne Zugriff auf Microsoft Office in eben dieser vermeintlich souveränen Cloud. Aber die Verfehlungen der letzten 20 Jahre könne man nun mal nicht „mit einem Fingerschnippen“ umkehren, befindet der Delos-Chef. Kannste nichts machen. Aber immerhin kann alles so bleiben wie es ist und das auch noch in der Cloud.

Klar, Clouds und deren zugrundeliegende Software gingen auch anders. Ebenfalls auf der re:publica gelernt habe ich, dass es problemlos möglich wäre, selbst aufgebaute Clouds in echten physikalischen Containern direkt in einem Wärmekreislauf aus Photovoltaik und Nahwärme zu Wohngebieten einzubinden.

Nur müsste man sich dann sehr genau damit beschäftigen, wie sich das mit „der Cloud“ in unsere gesellschaftliche Umgebung angemessen einfügen kann. Bequem ist das nicht. Stattdessen setzt der Markt lieber auf so fadenscheinige Produkte mit Spuren gefühlter Unabhängigkeit wie eine „T-Systems Sovereign Cloud powered by Google Cloud“.

Die in letzter Zeit oft beschworene digitale Souveränität geht also eigentlich in dem Moment verloren, an dem verzweifelt versucht wird, einen Weg zu finden, die eigenen kaum aufzulösenden Abhängigkeiten als „souverän“ zu deklarieren.

Schlimmer noch: Mit den bequem verzahnten Technologiestacks aus Clouds, Datenspeichern und darauf aufbauender sogenannter KI wird es immer schwieriger, eine wirklich selbstbestimmte und damit im eigentlichen Sinne souveräne Alternative zu wählen. Geht ja so bequem alles miteinander zusammen.

Wann sind wir falsch abgebogen?

Ein Hinweis, wann wir technologisch etwa in der Verwaltung abgebogen sind und aus Bequemlichkeit den Anschluss verloren haben, gab mir der kurzweilige Talk von Lilith Wittmann zum Thema Verwaltungsdigitalisierung. 1999 erschien ein Konzept namens Bund Online 2005. Ziel: Verwaltung digital bis 2005. Mit frappierender Ähnlichkeit zu aktuellen Vorhaben wie dem Onlinezugangsgesetz, auch in Version 2.0.

Im Konzept zu Bund Online lassen sich – neben der schon angesprochenen Abhängigkeit von Microsoft schon damals – folgende Perlen finden, die heute unverändert zutreffen: „Ein wichtiger Aspekt ist die zentrale Koordination der gesamten Aktivitäten. Zum einen müssen die einzelnen Aktivitäten in einer integrierten Gesamtarchitektur münden. Zum anderen können durch eine zentrale Koordination bzw. Bereitstellung einer Reihe von Basiskomponenten erhebliche Einsparungspotenziale bei gleichzeitig gesteigerter Qualität realisiert werden.“

Eigentlich wurde damals schon die Problematik des gebündelten Betriebs in Clouds heute und der Mangel an architektonischer Gesamtplanung klar umrissen. Eigentlich war alles absehbar, schon damals. Aus Bequemlichkeit und Verantwortungsdiffusion haben wir uns aber stattdessen tiefer in Abhängigkeiten und digitalen Zugzwang begeben. Immerhin hat das Tradition: „Das haben wir schon immer so gemacht“.

T.I.N.A.?

Technologie und ihre Abhängigkeitsfallen entwickeln sich aber weiter. Cloud-Infrastrukturen etwa sind gar nicht mehr die einzige Abhängigkeit, die wir auflösen müssten. Wir haben das Thema Clouds in der Digitalisierung in Deutschland auf einer so basalen Ebene verschlafen, dass der Verwaltung oder dem Gesundheitswesen droht, beim Hype-Thema KI nicht mehr hinterher zu kommen.

Die Entwicklung digitaler Technologien suggeriert oft, dass es keine Alternative gäbe. There is no alternative. T.I.N.A. Kannste nichts machen, musste hinterhergehen dem Trend.

Jedem technologischen Trend folgen zu müssen ist aber genauso gefährlich wie sich nicht verändern wollen. Es gilt einen sinnvollen Mittelweg zu finden zwischen den Polen „Haben wir schon immer so gemacht“ und „Hilfe, wir haben technologische Veränderungen verschlafen und müssen jetzt schnell unreflektiert Technologien einführen – obwohl sich gar kein gesellschaftlicher Mehrwert ergibt“.

Für mich ist die wesentliche Botschaft zur re:publica 2023 die aus tantes fabulösem Talk: Nichts, absolut nichts ist alternativlos.

Es ist mühsam und beschwerlich, sich ernsthaft mit technischen Entwicklungen und ihren Konsequenzen zu beschäftigen. Speziell wenn die Digitalisierung von Verwaltung und Gesundheitswesen Jahrzehnte im Rückstand ist. Aber diesen digitalen Rückstand werden wir nicht durch das hastige Aufbauen neuer versteckter Abhängigkeiten aufholen. Auch wenn es der vermeintlich einfache und bequeme Weg wäre.

Also ran an die Details neuer und verschlafener Technologien. Denn jetzt ist ein ganz und gar schlechter Zeitpunkt für Bequemlichkeit.

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10 Ergänzungen

  1. Vielen Dank Bianca für diesen wunderbaren Essay: Unschöne Inhalte sehr schön formuliert.
    Bequemlichkeit (Denkfaulheit, Denkverbote) und Verantwortungsdiffusion (und Zuständigkeits-Wirrwar) sind bestimmt zwei wesentliche Faktoren, weshalb #neuland digital nicht auf einen grünen Zweig kommt. Es gibt noch einen dritten, der gerne übersehen und unterschätzt wird: Lobbyarbeit. Alle großen US-Konzerne setzen auf allen Ebenen von der Kommune bis zur EU-Kommission „nützliche Aufwendungen“ ein. Die können zu sachfremden Entscheidungen führen. Beispiele: München mit LiMux, Niedersachsen mit dem unbegründeten Rollback, nachdem die CDU in die Koalition eintrat. In diesem Zusammenhang empfehle ich die hervorragende Doku „Das Microsoft-Dilemma“. Dank des {Fluch eigener Wahl einsetzen} Medienstaatsvertrages ist die Doku nicht mehr in den ÖR Mediatheken verfügbar. Aber glücklicherweise gibt es immer wieder Aktivisten, die solche Dinge zu YT hochladen. Über Invidious kann man die ja auch ohne Verfolgung anschauen, beispielsweise https://invidious.snopyta.org/watch?v=_7583HNrZJs

    1. Jetzt muss ich mir selbst antworten. Leider wird gegenwärtig Invidious massiv von Google bekämpft (kein Wunder, geht doch Google auf diese Weise die schöne Benutzerverfolgung durch die Lappen). Also, wenn keine der Instanzen von Invidio.us funktioniert, mit dem Parameter hinter v= direkt zu YT gehen. Achtung, dieser hier beginnt mit einem _, also „_7583HNrZJs“. Mit NoScript und Cookie Autodelete kann man ja auch bei YT die Verfolgung reduzieren. – Diese Instanz geht gerade: https://yt.artemislena.eu/watch?v=_7583HNrZJs

  2. Gab’s einen Cloud-kritischen Beitrag auf der RePublica?

    Oder eine MS-Ausstiegsstory?

    Oder jemand der auf offener Bühne seinen Twitter Account gelöscht hat?

    1. Lebe stets so, dass Du niemals bei Microsoft einsteigen musst.
      Dann erübrigt sich auch ein Ausstieg.

    2. > … jemand der auf offener Bühne seinen Twitter Account gelöscht hat?

      Das ist doch mal ein super Vorschlag! Einfach genial.
      Medienwirksamer kann man seinen Umzug ins Fediverse kaum inszenieren.

  3. >> Ein Hinweis, wann wir technologisch etwa in der Verwaltung abgebogen sind und aus Bequemlichkeit den Anschluss verloren haben, …

    Wer bitte ist denn „wir“? Die NP-Redaktion? Ich?
    Ich finde „wir“ in diesem Zusammenhang durchaus als übergriffig.
    Die klare Benennung jener, die ein „Abbiegen“ angeordnet haben, hätte Informationswert. Und in einer Überschrift sogar Wirkung.

    1. Das ist der Titel von Biancas Kolumne, kein Rechtschreibfehler, sondern eher ein Wortwitz. Zugegeben, er kommt nicht bei allen an.

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