Ein Schrank voller Akten, stapelweise Mappen auf dem Schreibtisch, daneben händisch ausgefüllte Formulare, die als eingescannte PDFs ins Postfach wandern – so sieht der Alltag in vielen Behörden aus. Mitarbeiter:innen in der öffentlichen Verwaltung müssen sich nach wie vor in Geduld üben, bevor sie vollumfänglich auf digitale Systeme setzen und Bürger:innen, Unternehmen und Organisationen deren Leistungen online beantragen können.
Die lahmende Verwaltungsdigitalisierung soll ein Gesetz seit nunmehr sieben Jahren beschleunigen. Das Onlinezugangsgesetz (OZG) trat 2017 in Kraft und verpflichtet Bund, Länder und Kommunen dazu, knapp 600 Verwaltungsleistungen für Bürger:innen, Unternehmen und Organisationen online anzubieten. Laut Gesetz sollte dies bis Ende 2022 erfolgen. Die Frist ist längst verstrichen und eine neue Version des Gesetzes liegt nun seit einigen Monaten auf dem Tisch.
Doch das OZG 2.0 hat einen schweren Stand. Zuerst zogen sich die Verhandlungen der Regierungsparteien über Jahre hin, bevor der Bundestag im Februar das Gesetz endlich verabschiedete. Im März folgte dann aber bereits der nächste Dämpfer: Der Bundesrat lehnte das OZG 2.0 ab und stoppte das Gesetzgebungsverfahren damit kurz vor der Ziellinie.
Länder wollen mehr mitreden
Vor allem die unionsgeführten Länder stimmten gegen das Vorhaben – obwohl die Ampel nicht nur die Verbesserungsvorschläge von Sachverständigen in die neue Fassung, sondern auch zahlreiche Forderungen der Länder aufnahm. So können die Länder laut Gesetz weiterhin Elster für die Identifizierung und Authentifizierung verwenden. Die Plattform haben Bund und Länder unter Federführung Bayerns entwickelt, um die Steuererklärungen der Bürger:innen und Unternehmen online einzuholen. Ursprünglich wollte der Bund, dass das Nutzerkonto Bund – kurz BundID – Elster vollständig ablöst.
Vor allem aber adressiert das Gesetz eines der Hauptprobleme der Verwaltungsdigitalisierung: den Flickenteppich digitaler Verwaltungsleistungen von Bund, Länder und Kommunen. Das OZG 2.0 sieht fortan einheitliche Standards und offene Schnittstellen vor. Eben das ist aber der Stein des Anstoßes. Denn die Standards sollen zwar zunächst nur für Bundesleistungen gelten. Die Zuständigkeit, diese festzulegen, liegt aber allein beim Bundesinnenministerium (BMI). Das muss das Ländergremium des IT-Planungsrates lediglich über seine Beschlüsse informieren.
Die passive Rolle des IT-Planungsrates im neuen Gesetz zeige, dass der Bund keine umfassende Standardisierungsstrategie anstrebe, „die alle relevanten Beteiligten aus Verwaltung und Privatwirtschaft angemessen einbezieht“, sagt Reinhard Sager vom Deutschen Landkreistag (DLT) in einer Pressemitteilung. Laut Kay Ruge (DLT) sei der Bund nicht zu Zugeständnissen bereit gewesen.
Das liebe Geld
Nach der Ablehnung im Bundesrat rief der Bund auf Drängen der Innenministerin Nancy Faeser (SPD) am 10. April den Vermittlungsausschuss an. Die erste Sitzung ist für Mitte Mai vorgesehen, der genaue Termin steht noch nicht fest. Ob Bund und Länder das OZG 2.0 noch gemeinsam in dieser Legislaturperiode verabschieden werden und wie das Gesetz konkret aussehen wird, ist derzeit offen. Das hängt unter anderem davon ab, wie weit die Forderung der Länder geht, die Standards mitzugestalten.
So hält Ruge gegenüber netzpolitik.org eine Einigung im Vermittlungsausschuss nur dann für möglich, „wenn bei der Setzung von Standards für die Digitalisierung auch die Rechte der Länder gewahrt werden.“ Doch die Einigung hängt auch an einem weiteren Punkt: Der Bund müsse die Folgekosten des OZG 2.0 auch mit eigenen finanziellen Beiträgen begrenzen, so Ruge.
Wie sehr die Kosten mit der Umsetzung des OZG 2.0 ansteigen werden, sei laut Schleswig-Holsteins Digitalisierungsminister Dirk Schrödter (CDU) kaum einzuschätzen. Fest stehe aber, dass sie vor allem Länder und Kommunen belasten werde. Die trügen die Hauptumsetzungslast, begründet Florian Herrmann (CSU) aus Bayern die Ablehnung seines Landes im Bundesrat.
Die Länder hätten zum Teil schon viel in die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung investiert. Das OZG 2.0 mache vieles davon zur Makulatur, kritisiert Schrödter. Schleswig-Holstein etwa habe seine Hausaufgaben erledigt. „Dafür dürfen wir nicht bestraft werden“, so der Landesminister.
FDP verweist auf Schuldenbremse
Der Forderung nach finanzieller Unterstützung erteilt jedoch nicht zuletzt die FDP eine klare Absage. Die Liberalen verweisen ebenso wie die Union auf die Schuldenbremse. Für die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung sieht der Bundeshaushalt für 2024 nur noch 3,3 Millionen Euro vor. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr veranschlagte die Bundesregierung dafür 377 Millionen Euro.
Während die Länder ihre Forderungen öffentlich äußern, hält sich der Bund im Vorfeld der ersten Ausschusssitzung zurück. Eine Presseanfrage an das BMI dazu, wie eine Einigung zwischen Bund und Ländern aussehen könnte, bleibt unbeantwortet. Aus dem Büro des Bundestagsabgeordneten Lars Zimmermann (SPD) heißt es, man wolle sich nicht zum laufenden Verfahren äußern.
Die grüne Innenpolitikerin Misbah Khan findet derweil klare Worte: „Ich gehe davon aus, dass allen beteiligten Akteuren, aus der Opposition und den Ländern, die Bedeutung der Reform ebenfalls bewusst ist und sich dieses Verfahren nicht für parteitaktische Spielereien eignet“, sagt sie gegenüber netzpolitik.org. Das OZG sei enorm wichtig, damit die digitale Transformation der öffentlichen Verwaltung gelingt.
3,3 Millionen Euro? Soll das ein schlechter Scherz von unserem Finanzminister sein?