Gut 40 Demonstrierende rund um die Initiative „Chatkontrolle stoppen“ versammelten sich am gestrigen Mittwoch in Berlin für eine Kundgebung. Sie sprachen sich gegen die von Expert:innen als grundrechtswidrig eingestufte geplante Überwachung privater Kommunikation aus. Anlass der Kundgebung war die Konferenz der Innenminister:innen, welche vom 14. bis 16. Juni stattfindet, und auf welcher das Thema wohl auf der Tagesordnung stehen wird.
Die sogenannte Chatkontrolle ist Teil eines Gesetzesvorschlages der EU-Kommission, der sexualisierte Gewalt gegen Kinder im Netz bekämpfen will. Dabei will sie etwa auch Betreiber von Chatdiensten auf Anordnung dazu verpflichten, die private Kommunikation von Nutzer:innen zu scannen. Eine Mehrheit der EU-Länder steht hinter dem Vorschlag und will auch verschlüsselte Kommunikation und Audio-Kommunikation überwachen.
Big sisters are watching you
Im Fokus standen gestern die drei „Big Sisters“, die als treibende Kräfte hinter der Chatkontrolle gelten. Das sind zum einen die Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen sowie Innenministerin Nancy Faeser, welche sich über den Koalitionsvertrag hinwegzusetzen versuchte. Die dritte im Bunde ist EU-Innenkommissarin Ylva Johansson. Sie verteidigte die Chatkontrolle-Pläne mit irreführenden Aussagen und wurde von den deutschen Innenminister:innen zur Konferenz eingeladen.
Diese drei haben die Missgunst der Aktivist:innen nicht zuletzt dadurch auf sich gezogen, dass sie eine Abschwächung der Privatsphäre unter dem Vorwand des Jugendschutzes vorantreiben würden. Sie alle zeigten sich zufrieden mit dem kürzlich verabschiedeten EU-Pakt zur Migration, welcher kaum Ausnahmen für flüchtende Kinder vorsieht. „Das Asyl-Desaster zeigt: Es geht ihnen nicht um die Kinder“, kritisiert Sebastian Marg vom Verein Digitale Gesellschaft.
Verantwortung der Bundesregierung
Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Tobias Bacherle merkte an, wie wichtig die Bundesregierung für die Debatte auf europäischer und globaler Ebene ist: „Wir verlieren nicht nur unseren Datenschutz, sondern auch einen krediblen Fürsprecher.“ Er forderte eine Verschiebung der Debatte zum Jugendschutz, weg von Chatkontrolle und in Richtung der Frage, wie angemessenere Lösungen wie Login-Fallen sicher umgesetzt werden könnten.
Mitglieder der Piratenpartei betonten insbesondere den „Chilling effect“ der Massenüberwachung. Dahinter steht die Befürchtung, dass eine dauerhafte Überwachung der Kommunikation Menschen abschrecken würde, zum Beispiel politische Ansichten im digitalen Raum miteinander auszutauschen. Sie argumentierten deshalb für das Recht auf ein digitales Briefgeheimnis, und zeigten beim Aufbrechen eines Briefkastens, welche sensiblen Daten durch eine Chatkontrolle angegriffen werden würden.
Der Landesvorsitzende der Piratenpartei in Schleswig-Holstein Alban David Becker schloss mit den Worten: „Lasst uns nicht zulassen, dass die Chatkontrolle zu einem weiteren Schritt in Richtung einer Überwachungsgesellschaft wird. Lasst uns gemeinsam für unsere Grundrechte kämpfen und das Internet als einen Ort bewahren, der Freiheit, Vielfalt und offenen Austausch ermöglicht.“
40 Demonstrierende sind leider nicht sehr viele.
Das Problem ist, dass die ganze Sache völlig an der Öffentlichkeit vorbeigeht. Wer nicht hier bei Netzpolitik oder zum Beispiel bei heise.de und ein paar anderen wenigen Seiten regelmäßig mitliest, weiß mit hoher Wahrscheinlichkeit gar nichts von dem Vorhaben.
Als besonders beschämend finde ich hier die quasi nicht vorhandene Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Medien. Wenn ich beispielsweise auf ZDF.de den Suchbegriff „Chatkontrolle“ eingebe, bekomme ich nur 2 Artikel mit unmittelbarem Zusammenhang zum Thema geliefert. Und diese sind beide vom letzten Jahr. In der Tageschau oder den Heute-Nachrichten kann ich mich nicht erinnern, jemals etwas zu dem Thema gehört zu haben.
Wenn es aber etwas datenkritisches über KI oder Google, Facebook und Co. zu vermelden gibt, ist dies wiederum sehr häufig zu sehen.
Dann kommt aber auch leider die Einstellung vieler Bürger hinzu: „Ich habe doch nichts zu verbergen.“
Keiner von denen würde wohl tagsüber nach dem Verlassen des Hauses die Haustüre offen stehen lassen, damit die Polizei zwischendurch mal nachsehen kann, ob alles rechtens ist.
Als Google mit den Aufnahmen für Street View in Deutschland unterwegs war, war dagegen bei vielen Personen der Empörungslevel auf 100%. In dem Fall gab es jedoch auch eine groß angelegte Berichterstattung in den gesamten Medien.
Ohne Hund und Termine… Ich wäre dort gewesen. 40 Leute sind einfach nicht genug auf einer Demo zu so einem wichtigen Thema!
https://chat-kontrolle.eu/index.php/2023/06/06/protestaktion-chatkontrolle-stoppen-am-14-juni/
Spendenaufruf Stand 16. Juni 2023:
https://www.betterplace.org/de/projects/108237-kampagne-chatkontrolle-stoppen
Spende für die Kampagne „Chatkontrolle STOPPEN!“
2.354 € fehlen noch von 8.000 €
Für die Kampagne benötigen wir Flyer, Broschüren und Aufkleber. Weiter geplant ist ein Erklärfilm und auch Demos kosten den Veranstalter Geld für einen Lautsprecherwagen, Plakate und Banner.
37 Organisationen haben sich der Kampagne angeschlossen: https://chat-kontrolle.eu
Und nur 40 Personen auf der Demo. Das sollte den Veranstaltern zu Denken geben. Und sie sollten sich der Frage stellen, ob es einer Kampagne zuträglich ist, wenn danach in den Medien von nur 40 Demonstranten berichtet wird, und Bürger den Eindruck gewinnen, das Thema ist uninteressant.
Die Fragen, die sich aufdrängen:
Ist eine Demo ein angemessenes Mittel zur Erreichung von Aufmerksamkeit, wenn nur so wenige mobilisiert werden können?
Hätte es nicht einen besseren Ort der Veranstaltung gegeben, der bessere öffentlich Aufmerksamkeit ermöglicht hätte?
Hätte das Geld anstatt für Demo-Kosten nicht effektiver verwendet werden können?
Wenn es schon eine Demo sein soll, hat die Orga vorher ausreichend mobilisiert?
Eine Demo hat ihren Zweck verfehlt, wenn die Veranstalter nur mit Selfies nach Hause gehen.