EilverfahrenGericht bremst Netzsperren bei Glücksspielseiten

Mit der Glücksspielaufsicht gibt es seit 2022 eine neue Akteurin, die Netzsperren in Deutschland durchsetzen möchte. Jetzt soll ein Gericht klären, ob eine von der Behörde angeordnete Netzsperre rechtens ist. Vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz gab es dafür vorerst einen Dämpfer.

Ein Zutritt-verboten-Schild vor Glücksspiel-Automaten.
An einem Zutritt-verboten-Schild kann man vorbeilaufen – an einer Netzsperre auch (Symbolbild) – Alle Rechte vorbehalten Motiv: IMAGO / Michael Kristen; Montage: netzpolitik.org

Mit Glück scheint Deutschlands neue Glücksspielaufsicht bislang nicht besonders gesegnet, zumindest wenn es um das Vorgehen gegen illegale Angebote im Netz geht. Die Gemeinsame Glücksspielbehörde der Länder (GGL) mit Sitz in Sachsen-Anhalt hat ihre Arbeit im vergangenen Sommer aufgenommen.

Zuerst hatte die GGL mit einem kuriosen Rundbrief an große und kleine Internet-Provider auf sich aufmerksam gemacht. In dem Brief hatte die Behörde den Providern nahegelegt, praktisch auf Zuruf Netzsperren für illegales Glücksspiel hochzuziehen. Das kam gar nicht gut an – sowohl bei den Providern selbst als auch bei Fachpolitiker*innen im Bundestag. Immerhin sind Netzsperren eine Maßnahme, die gravierend in Grundrechte eingreift, etwa in die Informationsfreiheit.

Da der kurze Dienstweg offenbar keinen Erfolg hatte, geht es nun auf dem Rechtsweg weiter, und zwar vorm Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz. Der Fall lässt sich knapp zusammenfassen: Die GGL wollte, dass ein Provider eine Netzsperre hochzieht. Der Provider – in diesem Fall 1&1 – wollte das nicht.

Im Eilverfahren hat das Gericht der GGL nun einen Dämpfer verpasst und dem Internet-Provider Recht gegeben: Nein zur Netzsperre, so geht es aus der Pressemitteilung des Gerichts hervor. 1&1 „begrüßt die Entscheidung“, wie das Unternehmen auf Anfrage mitteilt. Das ist aber nicht das Ende der Geschichte, sondern bloß der Anfang. Die Glücksspielaufsicht setzt nun auf das Hauptsacheverfahren und teilt auf unsere Anfrage mit: „Wir werden weiterhin unseren Standpunkt vertreten“.

„Netzsperren sind ein großes Problem“

Hinter dem Fall steckt mehr als nur ein Scharmützel zwischen Aufsicht und Internet-Provider. Aus der Perspektive digitaler Freiheitsrechte geht es um die Frage, ob und wann Netzsperren überhaupt akzeptabel sind. Die Debatte ist bereits viele Jahre alt.

Einerseits lassen sich Netzsperren mit wenigen Kniffen umgehen, beispielsweise einem VPN-Dienst oder dem Tor-Browser. Statt illegale Inhalte zu löschen, werden sie mit einer Netzsperre bloß mehr oder weniger versteckt. Andererseits setzen autoritäre Staaten Netzsperren als Zensur-Instrument ein und haben damit eine negative Signalwirkung.

Zocken gegen den Bullshit

„Netzsperren sind ein großes Problem, weil sie unpräzise sind und auch den Zugang zu rechtmäßigen Informationen sperren“, sagt Rechtsanwalt Joschka Selinger von der Gesellschaft für Freiheitsrechte im Gespräch mit netzpolitik.org. Der Verein verteidigt Grund- und Menschenrechte mit rechtlichen Mitteln. Zwar seien Netzsperren europarechtlich vorgeschrieben, „ihr Einsatz sollte allerdings, wenn überhaupt, auf das absolute Minimum beschränkt werden, nachdem alle anderen Mittel ausgeschöpft worden sind“, so Selinger.

Der Streit um die geplanten Netzsperren der Glücksspielbehörde wirft nun ein Schlaglicht auf die ambivalente Rechtslage in Deutschland. Konkret sind es zwei Passagen im Telemediengesetz, die Netzsperren je nach Auslegung erleichtern – oder bremsen. Die Passagen handeln davon, was Anbieter von Internet-Anschlüssen tun müssen, also zum Beispiel Telekom, 1&1, Telefónica oder Vodafone.

Es gibt zwei Ansichten

Auf den ersten Blick nimmt das Telemediengesetz die Provider aus der Schusslinie. Wenn Kund*innen mit ihrem Internetanschluss illegale Inhalte abrufen, dann sind die Provider dafür in der Regel nicht verantwortlich. Das geht aus den Paragrafen acht bis zehn hervor, auf die sich auch das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz beruft.

Es gibt aber noch eine andere Stelle im Gesetz, und zwar Paragraf sieben. Und dort steht sinngemäß: Es stimmt zwar, dass Provider in der Regel fein raus sind – aber zu Netzsperren können sie trotzdem verpflichtet werden. Im Wortlaut heißt es:

Verpflichtungen zur Entfernung von Informationen oder zur Sperrung der Nutzung von Informationen nach den allgemeinen Gesetzen aufgrund von gerichtlichen oder behördlichen Anordnungen bleiben auch im Falle der Nichtverantwortlichkeit des Diensteanbieters nach den §§ 8 bis 10 unberührt.

Also, was jetzt? „Es gibt einen rechtswissenschaftlichen Meinungsstreit um die Frage, wie das Telemediengesetz in dieser Hinsicht auszulegen ist“, erklärt Rechtsanwalt Selinger. Einfach ausgedrückt: Die einen sagen so, die anderen so. Diese Ambivalenz sieht auch die Glücksspielaufsicht. „Unsere Auslegung ist genauso vertretbar wie die des Oberverwaltungsgerichts“, teilt die Behörde mit.

Auch die Medienaufsicht mag Netzsperren

Es gibt noch eine weitere Behörde, die das Recht zugunsten von Netzsperren auslegt, und zwar die Medienaufsicht. Die Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalen droht nämlich Pornoseiten mit Netzsperren, wenn sie keine strengen Alterskontrollen einführen. Im Visier ist unter anderem Deutschlands meistbesuchte Pornoseite xHamster. Dabei beruft sich auch die Landesmedienanstalt auf den bereits genannten Paragrafen sieben des Telemediengesetzes, wie die Pressestelle auf Nachfrage bestätigt.

Der Streit wird noch komplizierter, wenn man sich die rechtlichen Grundlagen für die jeweiligen Aufsichtsbehörden anschaut. Bei der Glücksspielaufsicht ist das der Glücksspielstaatsvertrag, und dort ist nur von jenem Teil des Telemediengesetzes ausdrücklich die Rede, der Netzsperren einschränkt (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 GlüStV 2021). Der Netzsperren-freundliche Teil dagegen wird an dieser Stelle nicht ausdrücklich erwähnt. Das könnte zumindest ein Fingerzeig sein, der für die Glücksspielaufsicht höhere Hürden in Sachen Netzsperren nahelegt. Bei der Medienaufsicht wiederum ist die Grundlage der Medienstaatsvertrag, dort ist der Verweis auf das Telemediengesetz allgemeiner ( § 109 Abs. 1 MStV).

Es wird also spannend, wie es in Rheinland-Pfalz weitergeht. Die Glücksspielaufsicht teilt mit, sie werde sich mit dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts „intensiv auseinandersetzen“, um dessen Argumente „zu entkräften“.

Jenseits von Glücksspielaufsicht und Medienaufsicht gelten nochmal andere Regeln. Netzsperren rund ums Urheberrecht – etwa bei Streamingseiten – lassen sich im Vergleich leichter durchsetzen. Hier hat das EU-Recht die Hürden niedriger gesetzt. Konkret geht das aus zwei Richtlinien hervor, die Netzsperren bei Verletzungen des Urheberrechts erlauben (Art. 8 Abs. 3 InfoSoc und Art. 11 Abs. 3 Enforcement-RL). Da gibt es auch schon passende Urteile vom Bundesgerichtshof.

Die Hürden in Deutschland sind sogar derart gering, dass der kurze Dienstweg für Netzsperren beim Urheberrecht institutionalisiert wurde. Dafür gibt es ein Gremium, die sogenannte Clearingstelle Urheberrecht im Internet (CUII), zusammengesetzt aus Vertreter*innen von Unterhaltungsindustrie und Providern. Es empfiehlt Sperrungen für „strukturell urheberrechtsverletzende Webseiten“ – eine Bedrohung für das freie Internet, schrieb hierzu etwa Felix Reda von der Gesellschaft für Freiheitsrechte.

Update, 3. Februar, 16:40 Uhr: Wir haben das Statement von 1&1 ergänzt.

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Eine Ergänzung

  1. Warum geht man nicht über die Zahlungsanbieter, sondern will immer sofort Netzsperren? Visa, PayPal und co haben alle einen Sitz in Deutschland und sperren illegale Anbieter wahrscheinlich schneller als man das jetzt vor Gericht durchsetzen kann. Außerdem sollte man denken, dass mittlerweile bekannt ist das Domainsperren nichts bringen (siehe xHamster), aber man muss wohl als Behörde zeigen, dass man nicht überflüssig ist.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.