Überwachungskameras von RingAmazon gibt Aufnahmen ohne richterlichen Beschluss an deutsche Polizei

Mit seinem weit verbreiteten Heim-Überwachungssystem sammelt Amazon auf seinen Servern umfangreiches Videomaterial. Ohne Rechtsgrundlage gibt das Unternehmen die Daten an die Polizei weiter, wenn diese danach fragt.

Großaufnahme eines Smartphones, auf dem Bilder aus einer Überwachungskamera mit zwei Männern in einem Vorgarten zu sehen
Ring wirbt mit dem Slogan „Get tough on crime“ für seine Überwachungssysteme, könnte aber selbst gegen Datenschutzrecht verstoßen – Alle Rechte vorbehalten Screenshot: Ring/Youtube

Dass Amazon und sein Heim-Überwachungssystem Ring eine besonders enge Verbindung zur Polizei pflegen, ist seit langem bekannt. Im Sommer stellte sich heraus: Die Nähe geht so weit, dass das Unternehmen Daten von Ring-Nutzer:innen, zum Beispiel Videoaufzeichnungen, auch ohne richterliche Anordnung an die Polizei in den USA herausgibt. Jetzt zeigt das Handelsblatt [€]: Die umstrittene Praxis findet auch in Deutschland statt.

Die Daten würden weitergegeben, „wenn die Strafverfolgung eine unmittelbare Bedrohung nachweisen kann und die Zeit drängt“, sagte ein Amazon-Sprecher der Zeitung. Dies komme jedoch nur selten vor. Wie oft genau, wollte Ring dem Handelsblatt nicht sagen. In den USA bietet das Unternehmen für diesen Zweck eine eigene Schnittstelle an, über die Polizist:innen mit einem einfachen „Notfall“-Knopf schnell an die Videoaufzeichnungen gelangen können.

Amazon-Angestellte und die Polizei schauen zu

Ring stellt sogenannte smarte Systeme zur Videoüberwachung an der eigenen Haustür her, die mit dem Smartphone bedient und mit dem Türöffner gekoppelt werden können. Auch Geräte zur Überwachung innerhalb von Wohnungen gehören zum Repertoire. 2018 von Amazon aufgekauft, sind die Heimüberwachungsprodukte von Ring in den USA in den vergangenen Jahren sehr populär geworden. In einer gemeinsamen Marketing-Kampagne hatte die US-Polizei immer wieder explizit für Ring und die zugehörige Neighbors-App des Unternehmens geworben.

Mittlerweile sind die Überwachungssysteme von Ring auch in Deutschland und Europa verbreitet. Das anfallende Material weckt jedoch nicht nur bei Ermittlungsbehörden Interesse. So will Amazon etwa eine Fernseh-Show mit kuriosen Aufnahmen aus den Überwachungskameras ausstrahlen. Pikant an dem System ist zudem, dass die Aufzeichnungen der Kameras auf Amazon-Servern liegen und standardmäßig nicht Ende-zu-Ende-verschlüsselt sind.

Das Unternehmen ist anhaltender Kritik ausgesetzt, weil es die Aufnahmen nicht ausreichend schützt. Amazon musste etwa eingestehen, dass Mitarbeiter:innen unbefugt auf die Videos von Kund:innen zugegriffen haben. Außerdem klagt die US-Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation, weil Ring Aufnahmen herausgab, die die privaten Überwachungskameras von Black-Lives-Matter-Demonstrationen gemacht hatten.

Kritik an fehlender Rechtsgrundlage

In dem Handelsblatt-Artikel kritisieren der SPD-Digitalpolitiker Jens Zimmermann und der baden-württembergische Datenschutzbeauftragte, Stefan Brink, das Unternehmen. „Kritisch dürfte vor allem die anlasslose, längere Speicherung und Verarbeitung der Aufnahmen ohne Einwilligung sein“, so Zimmermann. Besucher:innen könnten kaum erwarten, dass ihre Daten auf Dauer von Amazon gespeichert werden, wenn sie einfach nur an einer Haustür mit Ring klingeln.

Auch Datenschützer Brink warnt das Unternehmen vor Rechtsverletzungen. „Von der eigenmächtigen Herausgabe ihrer Daten betroffene Kunden können sich bei der Datenschutz-Aufsichtsbehörde über solche Unternehmen beschweren, denen Untersagungen, Bußgelder und Schadensersatzpflichten drohen.“

Update, 21. September 2022: Eine PR-Firma im Auftrag von Ring hat uns kontaktiert und darüber informiert, dass das Unternehmen dem Handelsblatt gar nicht explizit gesagt habe, dass sie auch in Deutschland Daten an Strafverfolgungsbehörden weitergeben. Vielmehr habe man nur in einem allgemeinen Statement über das Thema gesprochen. Auf Nachfrage, ob die Behauptung, dass Ring Daten in Deutschland an die Polizei weitergibt, falsch oder richtig ist, sagte der Sprecher, dass sich das Unternehmen dazu nicht äußern wolle.

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10 Ergänzungen

  1. Es reicht langsam. Der EuGH hat die Vorratsdatenspeicherung in der bisher gewollten Form quasi in die Wüste geschickt. Stattdessen erleben wir nun durch US-Unternehmen massive Rechtsverletzungen auf ausseramerikanischem Terrain.
    Dieses Aushebeln sämtlicher, die Digitalisierung betreffender Gesetze der EU und deren Mitgliedsländern durch die USA und den dort ansässigen Konzernen ist nicht mehr zu ertragen.
    Wenn unsere Regierung klug ist und den Koalitionsvertrag ernst nimmt, muss sie sich schnell und klar etwas einfallen lassen!

    1. Die Bundesregierung ist vor allem transatlantisch, da passiert erstmal garnichts. Die einzige Hoffnung ist eine Profilierungsaktion der FDP.

  2. „Pikant an dem System ist zudem, dass die Aufzeichnungen der Kameras auf Amazon-Servern liegen und standardmäßig nicht Ende-zu-Ende-verschlüsselt sind.“

    Ist das so gemeint, dass die Daten gegenüber Amazon verschlüsselt sein sollten?

    1. Ja.

      Wenn sie korrekterweise nur für den Benutzer zugänglich sind, wären sie auch für Amazon nicht zugänglich.

  3. Danke, Ingo, für deinen Artikel.
    Ich befürchte, so wie andere US-Big-Data-Unternehmen es auch halten, wird auch Fa. Amazon hier „einfach weitermachen“.

    BTW: Der Link zur Studie „Medienmäzen Google“ führt zu Error 404…

  4. Die Frage der Polizeiseite der Schnittstelle ist auch noch interessant, sowie dann diejenigen Metadaten, die für Berechtigungsprüfung und Schadenseingrenzung nötig wären. Abgesehen von der Verifizierung des Zugriffs und wer noch alles in welchem Land zugreifen kann.

  5. Und bei so einem Unternehmen, das derart gegen Grundrechte und geltendes Gesetze verstösst, lagern die die Entscheider hiesiger BodyCam-Lösungen alle Ihre Videos ab. Angeblich weil es keine adäquate Alternative zur Amazon gäbe… was für ein Bullshit!

    Wenn eine Polizeibehörde, mit lokalem (auf ein Bundesland bezogenen), maximal nationalen Einzugsbereich es nicht schafft Infrastruktur in einem NOC vorzuhalten, spricht das für sich.

  6. Im SmartHome-Bereich sollte man ab 2023 nur noch auf den matter-Standard setzen. Darauf basierende Lösungen kommen i. d. Regel ohne Cloud aus (es sei denn, man möchte dies).
    Wer unbedingt in der Cloud speichern will, sollte es in D oder zumindest der EU tun. Wer die Daten anderer Menschen in die Hände von Datenschutzrechtsverletzern gibt, macht sich u. U. selbst strafbar.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.