Mit einem offenen Brief protestieren zahlreiche Kulturinstitutionen, Theater und Einzelpersonen aus Deutschland dagegen, dass das Künstler:innenkollektiv „Peng!“ auf die bundesweite Terrorliste des Verfassungsschutzes aufgenommen werden soll. Der Vorgang war durch eine kleine Anfrage des Linksparteiabgeordneten Niklas Schrader bekannt geworden. Zuvor hatte die Polizei Privatwohnungen von (ehemaligen) Mitgliedern und die Büroräume der Aktionskünstler:innen durchsucht.
In einem offenen Brief an die Berliner Senatoren für Inneres, für Kultur und für Justiz heißt es:
Wir erkennen hierin einen grenzüberschreitenden, beispiellosen Vorgang, der die Freiheit der Kunst gefährdet und Künstler*innen mit extremistischen Gruppen wie etwa der Al-Nusra Front oder potenziellen NSU-Attentätern in Verbindung bringt und formal sogar gleichsetzt. [..]
Die Einstufung erscheint angesichts der langjährigen Arbeitsweise des Kollektivs, das sich mit thematischer Aktionskunst in den politischen wie ästhetischen Diskurs einbringt, aus Sicht von DIE VIELEN e.V. und den hier unterzeichnenden Kunst- und Kultureinrichtungen sowie Künstler*innen unverhältnismäßig.
Hintergrund des Vorgehens gegen die Aktionskünstler:innen ist die Webseite tearthisdown.com, auf der Peng zusammen mit der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland Denkmäler mit kolonialer Vergangenheit auf einer interaktiven Karte auflistet und in provokativer Weise zu Aktionen gegen diese aufruft. Die Staatsanwalt interpretiert diese Webseite als Aufruf zu Straftaten und behauptet – ohne stichhaltige Beweise vorzulegen -, dass neun Beschädigungen an Denkmälern im Zusammenhang mit der Aktion von Peng stünden.
Schon früher Kunst als Terror eingestuft
Im Rahmen der Durchsuchungen bei Peng hat das Berliner Landeskriminalamt den Fall zuletzt beim Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) eingebracht. Das GETZ ist eine Koordinierungsstelle von über 40 Geheimdiensten und Polizeien aus Bund und Ländern zur Abwehr von Rechtsextremismus, Linksextremismus, Ausländerextremismus und Spionage. Die Koordinierungsstelle steht in der Kritik, weil sie nach Einschätzung einiger Jurist:innen das Trennungsgebot zwischen Geheimdiensten und Polizei verletzt.
Schon in der Vergangenheit hatten der Berliner Verfassungsschutz und die Berliner Polizei Aktionskunst an das GETZ gemeldet, damals handelte es sich um veränderte Plakate – so genanntes Adbusting. Damals schon kritisierten Juristen das Vorgehen der Behörden: Vor dem Hintergrund des normalerweise geringen Sachschadens durch Adbusting entstehe der Verdacht, dass der Ermittlungseifer vom Inhalt der Adbustings befeuert würde.
„Kunstfreiheit darf nicht auf die Terrorliste“
Die Unterzeichner:innen des offenen Briefes sehen in dem Vorgang einen Angriff auf die im Grundgesetz garantierte Kunstfreiheit. Mit der Webseite kämpfe das Peng-Kollektiv für Dekolonialisierung, also für etwas, für das auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) mit der Rückgabe von Beutekunst eintrete, sagt Oliver Reese, Intendant am Berliner Ensemble gegenüber dem Deutschlandfunk. Die Gleichsetzung von Künstlern, die sich für dieses Ziel einsetzen, mit dem NSU sei ein schlimmer, absurder und nicht akzeptabler Vorgang.
Reese ist nur einer der prominenten Unterzeichner:innen. Neben ihm haben auch der Satiriker Jan Böhmermann und die Intendantin des Berliner Gorki-Theaters Shermin Langhoff unterzeichnet. Bei den Organisationen und Initiativen reicht die Unterstützung von fast allen namhaften Berliner Theatern, über kleinere Theaterkollektive bis hin zum Chaos Computer Club und der Berliner Clubcommission.
Das Peng-Kollektiv hat seit dem Jahr 2015 zahlreiche Aktionen im Spannungsfeld zwischen Kommunikationsguerilla und Aktionskunst durchgeführt. Dabei sabotierten die Künstler:innen eine Werbeveranstaltung von Shell, warfen der AfD-Politikerin Beatrix von Storch eine Torte ins Gesicht, riefen zur Fluchthilfe auf, fälschten Webseiten von Bundesämtern oder versuchten Geheimdienstmitarbeiter zum Ausstieg zu bewegen. Zahlreiche Aktionen von Peng bewegen sich am Rande der Legalität, versuchen aber durch genau diese Provokation im Rahmen der Kunstfreiheit eine gesellschaftliche und politische Debatte auszulösen.
Des einen Terrorist, ist bekanntlich des anderen Freiheitskämpfer.
Wer es als Künstler auf diese Liste schafft, der hat es geschafft! Als designierter „Terrorist“ und Künstler kann man kaum mehr Aufmerksamkeit erlangen. Chapeau!
Den so erlangten Ruhm freilich schmälert es kaum, dass „die Terroristenjäger“ einerseits fast durchgängig kulturfern sozialisiert sind und zudem eine peinliche Historie von Fehleinschätzungen vorweisen können.
„Irren ist menschlich,“ sprach der Igel, und stieg von der Klo-Bürste.
Moin. Ich hatte seinerzeit ein False-Positive gemeldet, da die Namensgeberin der Straße definitiv keinen Bezug zu irgendeiner kolonialen Vergangenheit hat. Trotzdem finde ich das Sichtbarmachen dieser Informationen gut. Leider scheint die Karte nicht mehr zu laden (ich hab’s in mehreren Browsern und auf verschiedenen OS’en probiert). Leider funktioniert auch das manuelle Laden über die Mapbox API nicht; vielleicht sind die Tokens abgelaufen. Gibt es eine GeoJSON Datei der identifizierten Punkte irgendwo anders?
Vielleicht könnte man so was auch mal für andere historisch vorbelastete Personen und deren Geschichte durchführen. Bei uns in der Gegend gibt es z.B. viele „Herman-Löns-Irgendwas“; siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Hermann_L%C3%B6ns#L%C3%B6ns-Kritik
Ist es nicht bizarr, dass unsere Exekutive gemeinsam mit affirmativen Teilen der vierten Gewalt den damaligen NSU-Terror lange Zeit als „Dönermorde“ verharmlost haben und dass sogar dessen Aufklärung von der Exekutive behindert wurde – während hier aktive bzw. aktivierende Künstler:innen von unserer Exekutive zu Terroristen abgestempelt, kriminalisiert und zur Verfolgung frei gegeben werden sollen?
Da läuft doch echt was schief bei uns, wenn Teile unserer staatlichen Gewalt ganz offensichtlich auch heute noch Adenauers schmutziges Wasser zum Hände waschen benutzt.
Das unterscheidet sich nicht von der Einschüchterungslogik beliebiger Despoten.
Der „Verfassungsschutz“ darf jetzt ja Staatstrojaner einsetzten. Müssen die Peng!-Aktivisten nun befürchten einen Staatstrojaner aufs Mobiltelefon zu bekommen?
Anonymous: Ja, sicher müssen sie das. Denn das (eigentliche) Ziel des Staatstrojaner-Gesetzes ist es, die folgende Gleichung aufgehen zu lassen:
(Personen mit unliebsamen Meinungen erfassen und einschüchtern + diese Meinungen dadurch präventiv verhindern + dadurch gleichgeschaltete, unkritische Gesellschaft ausbauen + dadurch Machtstrukturen erhalten + dadurch Demokratie verhindern) x Staatstrojaner samt Totalüberwachung = Totalitarismus