Adbusting ist eine Form politischer Kunst. Sie gestaltet Werbung um, hängt falsche Plakate auf oder nutzt Werbeplätze für eigene, oftmals satirische Kampagnen. Die Aktionen richten sich gegen Unternehmen, gegen Parteien oder auch gegen Institutionen des Staates wie Polizei, Geheimdienste und Bundeswehr. Nichts, was irgendwie politisch ist, kann vor Adbusting sicher sein.
Adbusting ist eine Intervention im öffentlichen Raum, die sich meist in sozialen Medien fortsetzt und dort größere Sichtbarkeit erlangt. Die rechtlichen Vergehen beim Adbusting liegen im Bereich der Sachbeschädigung oder im Diebstahl, wobei sich die Delikte meist im Bagatellbereich bewegen.
Rigides Vorgehen gegen Adbusting
Seit einigen Jahren gehen Behörden in Deutschland allerdings „(un)verhältnismäßig rigide“ gegen Adbusting vor, wie Andreas Fischer-Lescano und Andreas Gutmann in einem Beitrag im Verfassungsblog schreiben. So ordnete das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in seinem Jahresbericht 2018 eine Adbusting-Aktion gar dem Bereich des „gewaltorientierten Linksextremismus“ zu.
In einer Kleinen Anfrage zum Thema antwortete die Bundesregierung:
Die Aktionsform des „Adbusting“ ist im Teil „Gewaltorientierter Linksextremismus“ angesiedelt, um den thematischen Zusammenhang zwischen „Adbusting“ als strafbare Aktionsform zur Diskreditierung der Vertreter des Staates durch Linksextremisten und gewaltsamen Aktionsformen zu wahren.
Das heißt konkret: Der Staat, hier sein Inlandsgeheimdienst, sieht polizeikritisches Adbusting als Vorstufe zur Gewalt gegen Polizist:innen. Mit dieser Begründung könnte alle Staatskritik, welche die Bundesregierung für „verallgemeinernd und über eine sachliche Kritik deutlich hinausgehend“ hält, dazu führen, im Verfassungsschutzbericht genannt zu werden.
Terrorabwehr gegen Plakate
Die politische Kunstform hat es sogar bis ins Gemeinsame Extremismus- und Terrorabwehrzentrum (GETZ) geschafft. Dort waren in den Jahren 2018 und 2019 tatsächlich vier Sachverhalte mit diesem Thema auf der Tagesordnung. Die Bundesregierung wollte auf eine weitere Kleine Anfrage hin nicht beantworten, warum Adbusting im GETZ besprochen wurde – und begründete die Ablehnung damit, dass durch die Beantwortung ein Nachteil für die Bundesrepublik Deutschland entstehen könne.
Bei einer parlamentarischen Anfrage im Land Berlin kam jetzt jedoch heraus, dass der Berliner Verfassungsschutz für drei Meldungen beim Terrorismusabwehrzentrum zuständig war. Die Berliner Polizei übermittelte darüber hinaus Daten mit Adbusting-Bezug an das Bundeskriminalamt.
„Satire jagen, während Nazis ihr Unwesen treiben“
Auch der Militärische Abschirmdienst (MAD), der Geheimdienst der Bundeswehr, beschäftigte sich zwischen 2015 und 2019 insgesamt 13 Mal mit Veränderungen von Bundeswehrplakaten. Ein Fall davon betraf das Peng-Kollektiv, das eine Bundeswehr-Werbung parodierte.
Peng hatte Plakatwerbung der Bundeswehr mit einer eigenen Internetadresse überklebt und auf dieser Website, die der Rekrutierungswerbung sehr ähnlich sah, die Bundeswehr kritisiert. Jean Peters von Peng kritisiert gegenüber netzpolitik.org die Erfassung:
Wenn der militärische Geheimdienst dieses Landes Satire jagt, während Nazis in der KSK-Elitetruppe der Bundeswehr ihr Unwesen treiben und privat Waffen horten, dann hat der Chef dieser Behörde, Christof Gramm, seinen Laden nicht unter Kontrolle, ja sogar den inneren Kompass verloren.
Der Übereifer der Behörden zeigte sich auch in Thüringen gegen das Adbuster-Kollektiv „Dies Irae“. Hier fing die Polizei, nachdem Plakate gegen den AfD-Politiker Björn Höcke in Erfurt auftauchten, selbst an wegen Beleidigung zu ermitteln. Die Behörde trat dann an den Rechtsradikalen heran, damit dieser doch bitte einen Strafantrag stelle, berichtet das Verfassungsblog.
Später nahm die Polizei gar DNA-Proben an den Plakaten und von einem Angestellten des Außenwerbeunternehmens, wie aus der Antwort der Thüringischen Landesregierung auf eine Kleine Anfrage hervorgeht.
Vehikel „Schwerer Diebstahl“
In einem anderen Fall arbeiteten Polizist:innen aus Hamburg und Berlin unter großem Aufwand zusammen, um einen Adbuster zu finden. Beschuldigt wird dieser, fünf Werbekästen in Berlin mit Plakaten bestückt zu haben. Für die Ermittlungsbehörden Sachbeschädigung und Schwerer Diebstahl, sie ermittelten aus öffentlichem Interesse – obwohl in keinem der Fälle das betroffene Außenwerbeunternehmen eine Anzeige erstattet hatte. Am Ende gab es Hausdurchsuchungen und ein Gerichtsverfahren. Der Betroffene willigte in eine Einstellung gegen Auflagen ein und musste 1.200 Euro zahlen oder 120 Sozialstunden leisten. Für dieses Verfahren wurde ein beispielloser Aufwand getrieben, vier Jahre liefen die Ermittlungen, allein beim Landeskriminalamt Berlin waren drei Beamte damit befasst.
„Inhalt der Adbustings befeuert Ermittlungseifer“
Die Juristen Lescano und Gutmann sehen einen Zusammenhang zwischen den Themen des Adbustings und der Reaktion des Staates. Vor dem Hintergrund des normalerweise geringen Sachschadens durch Adbusting entstehe der Verdacht, dass der Ermittlungseifer vom Inhalt der Adbustings befeuert würde – gerade wenn sich diese kritisch mit Polizei, Geheimdiensten und Bundeswehr auseinandersetzten.
Das sieht auch ein Sprecher der Soligruppe plakativ, der sich Klaus Poster nennt, ähnlich. An den Überreaktionen der Behörden könne man sehen, wie diese intern tickten. Sie sähen Adbustings nicht als Teil des demokratischen Diskurses, sondern nehmen die Aktionen als Angriff wahr. Das führe zu dieser Form der Willkür, würde aber auch peinlich für die Behörden: „Beim Vorgehen gegen veränderte Werbeposter steigert es die Lächerlichkeit auf ein Niveau, das die Kommunikationsguerilla allein nie hinbekommen hätte“, so Poster gegenüber netzpolitik.org.
Lescano und Gutmann weisen auch darauf hin, dass die intensive Verfolgung von Adbusting den Schutz der Meinungsfreiheit ins Gegenteil verkehre:
Ein Verhalten, das in den Schutzbereich spezieller Freiheitsrechte – hier das Art. 5 GG – fällt, wird stärker eingeschränkt als eine vergleichbare Handlung ohne entsprechenden Meinungsbezug.
Dabei sei das Vorgehen gegen spezifische Meinungsinhalte durch Artikel 5 des Grundgesetzes grundsätzlich untersagt. „Es wird Zeit, dass die deutschen Sicherheitsbehörden diesen Grundsatz auch dann beherzigen, wenn es um Adbusting geht, das sich kritisch mit ihren Praxen und Imagekampagnen auseinandersetzt“, so Lescano und Gutmann weiter.
Schrille Töne statt Gelassenheit
Aber nicht nur die Sicherheitsbehörden sollten in Sachen Aktionskunst abrüsten, sondern auch die Betroffenen von unerwünschten Kommunikationsmaßnahmen.
Als die SPD mittels Adbusting für ihre Flüchtlingspolitik kritisiert wurde, beklagte deren Verband in Essen eine „Verleumdungskampagne“ und „hohe kriminelle Energie“, die den „demokratischen Diskurs“ beschädige. Man habe Strafanzeige erstattet und sei im „ständigen Austausch“ mit der Polizei. Darunter geht es bei der SPD wohl nicht, wenn ein paar Plakate ausgetauscht werden.
Dabei ist die Nutzung von echten Logos zum Sichtbarmachen von Missständen wirklich kein neues Stilmittel, wie die Gruppe „Dies Irae“ anmerkt. Klaus Staeck, einer der bekanntesten Plakatkünstler Deutschlands, ein Unterstützer der Sozialdemokratie, hat sich dieses Mittels schon vor Jahrzehnten bedient.
Kriminalisierung von Adbusting ist nicht nur ein deutsches Phänomen. In Polen wurden jüngst zwei Menschen festgenommen, weil sie eine Buswerbung in Warschau mit einem eigenen Plakat veränderten. Die Polizei wirft den Aktivist:innen „Diebstahl“ und „Einbruchdiebstahl“ vor. Auf diese Vergehen stehen zwischen ein und zehn Jahren Gefängnis.
Mittlerweile hat sich Amnesty International eingeschaltet. In einer Urgent Action kann jede:r die beiden Betroffenen unterstützen – und einen Brief an den polnischen Innenminister schreiben.
Was für ein großartiger Artikel! Und eine schöne Einführung in diese Kunstform. Große Freude!
Gerne mal auch an diese Kunstrichtung denken, anstelle wohlfeiler Katzenbildchen oder gemeinfreier Symbolbildchen.
Das ist so krank das einem die Worte fehlen. Verhältnismäßig ist da garnichts. Wenn Kritik kriminalisiert wird, und Trojaner Staatlich werden, ist man dann wirklich noch weit von Chiba entfernt?
In den Kommentaren zum link https://verfassungsblog.de/adbusting-unbequem-aber-grundrechtlich-geschuetzt/ findet sich das:
> Das läuft so in der Tradition von „ist ja nur (legitime) Gewalt gegen Sachen“.
> Aktivisten können ihre eigenen Plakatwände mieten und dort plakatieren so viel sie wollen.
Der Kommentar war gewiss nicht konstruktiv gemeint, aber wenn man die Idee, Plakatwände zu mieten ernst nimmt, ergäben sich völlig neue Perspektiven. Plötzlich wäre das Kunstwerk gesetzlich geschützt und sogar gegen Vandalismus müsste die Polizei ermitteln (also die Rechte der angeblicher Linksterroristen wahren). Für diesen Spaß sollten sich doch ein paar Euro spenden lassen. Und wenn die Polizei anrückt, um ein völlig legales Adbusting zu entfernen, in der Annahme es sei nicht legal) dann müsste die Polizei gegen sich selbst ermitteln, und sich intellektuelle Defizite in einem schönen Gerichtsurteil attestieren lassen. Dass man mit der Miete die Werbewirtschaft unterstützen würde, das sollte man temporär für den übergeordneten Zweck mal aushalten können.
Der tatsächlich konstruktive Beitrag zur Diskussion und Auseinandersetzung in einer Demokratie, wenn es sich denn um demokratische Beiträge handelt und nicht um Hass und Hetze (in den im Artikel gezeigten Fällen steht das außer Frage), bedingt, dass gerade deutlich Inhalte des Originals wahrnehmbar verändert werden, oder offensichtlich so in das Gegenteil verkehrt werden, dass das Original sichtbar bleibt.
Das Überkleben und Verändern ist der Kommentar, Teil des Diskurses, die Äußerung zu dem, was dort eigentlich plakatiert war.
Das Ganze ist und war schon immer ein wichtiges Diskursmittel. Dass es genau dort ansetzt, bei der unendlichen Penetration durch Werbeplakate und -botschaften, und nicht nur stiller Kommentar im Parallelmedium ist, ist einer Demokratie mehr als würdig. Immer unter der Bedingung (Kein Hass, keine Hetze) ist und bleibt es eine mindere Ordnungwidrigkeit. Wenn die Repressionsmechanismen wie derzeit anscheinend derart darauf reagieren, wie beschrieben, dann kann man ihnen nur tiefe antidemokratische Tendenzen und Neigungen unterstellen.
„Dass es genau dort ansetzt, bei der unendlichen Penetration durch Werbeplakate und -botschaften, und nicht nur stiller Kommentar im Parallelmedium ist, ist einer Demokratie mehr als würdig.“ Demokratie bedeutet nur, dass Meinungäußerungen nicht wegen des Inhaltes der Meinung verboten werden dürfen. Das bedeutet nicht, dass das Eigentum anderer für die eigenen „Meinungsäußerungen“ gestohlen oder beschädigt werden darf. Es ist im Gegenteil einem Rechtsstaat unwürdig, Verstöße gegen Gesetze mit falsch verwendeten Schlagworten zu rechtfertigen. Man kann möglicherweise im Detail die Einstufungen durch staatliche Stellen als überzogen ansehen, aber die Taten sind illegal und das völlig zurecht.
Was für ein unendlich kaputtes Wertesysten. Außenwerbung hat ein Ausmaß und eine Penetranz angenommen, bei dem ich wirklich Probleme habe, noch vor die Tür zu gehen.
Menschen gegen ihren Willen tagein, tagaus zum Zweck der Konsumsteigerung und Propaganda mit einem System von Werbeglotzen das Hirn zu vandalisieren wird aber offenbar nicht als problematisch angesehen, obwohl es sich eigentlich klar um Nötigung handelt und das Konzept des öffentlichen Raumes zu einer Lachnummer verkommt.
Ein Gegendarstellungsrecht für diese verrlogene Form der Einweg-Kommunikation ist auch nicht vorgesehen und gleichzeitig werden diejenigen verfolgt, die dem Werbeterror und seinen Lügen kreativ etwas entgegensetzen.
Wie kann man dieses System nicht hassen?
„Menschen gegen ihren Willen tagein, tagaus zum Zweck der Konsumsteigerung und Propaganda mit einem System von Werbeglotzen das Hirn zu vandalisieren wird aber offenbar nicht als problematisch angesehen, obwohl es sich eigentlich klar um Nötigung handelt und das Konzept des öffentlichen Raumes zu einer Lachnummer verkommt.“
Wer kennt sie nicht, die zahllosen Menschen, die nach dem Betrachten von Werbeplakaten psychologische Betreuung benötigen…. Im Ernst: Diese Vorwürfe sind vollkommen haltlos: Zunächst einmal sind ein wesentlicher Teil der Werbeflächen in kommunalem Besitz, es ist also unser aller Entscheidung diese Reklame für Geld zuzulassen. Zweitens wird durch das Betrachten von Werbung niemand geschädigt. In diesem Zusammenhang vollkommen falsche Begriffe wie „Nötigung“ sind absolut unbegründet.
„Zweitens wird durch das Betrachten von Werbung niemand geschädigt.“
Sicher?
Dachte ich auch immer, komme aus dem Metier. Es entsteht aber durchaus ein Schaden, wenn auch erstmal scheinbar geringfügig. Was ist z.B. mit den Jahrzehnten der Tabakwerbung, unterstützt durch verfälschende Studien und weitere massive Lobbyarbeit, alles akribisch für Interessierte dokumentiert. Viele der Millionen Raucher, die damals mit dem Brustton der Überzeugung die Haltung des Camel/Marlboro/Gauliose-Menschen einnahmen, „stimmt nicht/kaum/ist nicht nachgewiesen, mach Dich locker!“ haben heute schon lange keine Stimme mehr.
Ihr schreibt, es ginge ums GTAZ. In den verlinkten Belegen ist aber nirgends von GTAZ die Rede. Dort steht, dass es sich um das GETZ gehandelt hat….
Ja, richtig. Ist jetzt korrigiert.
Ich möchte nur höflich auf einen kleinen Tippfehler hinweisen.
In der ersten Zeile des zweiten Absatzes (Terrorabwehr gegen Plakate) ist vom „Gemeinsame[n] Extreismus- und Terrorabwehrzentrum“ die Rede. Im Extremismus fehlt scheinbar das erste ‚m‘.
Danke, ist korrigiert.