Digital Services ActDigital-NGOs fordern mehr Macht für Nutzer:innen

In einem offenen Brief appellieren zivilgesellschaftliche Organisationen an EU-Abgeordnete, den geplanten Digital Services Act nicht gegen die Wand zu fahren. Grundlage künftiger Netzregulierung sollen Menschenrechte und Offenheit sein, fordern die Digital-NGOs.

In einem offenen Brief wünschen sich Digital-NGOs Nachbesserungen am Digital Services Act der EU. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Lucas George Wendt

Der kommende Digital Services Act müsse sich an Menschenrechten ausrichten und dürfe die Meinungsfreiheit im Internet nicht einschränken, appellieren über ein Dutzend Nichtregierungsorganisationen an EU-Abgeordnete. In einem heute veröffentlichten offenen Brief fordern sie Regeln für das Internet, die „Offenheit und Transparenz“ fördern sowie Nutzer:innen die Kontrolle über Informationen im Netz geben.

Mit dem Digital Services Act (DSA, auf Deutsch: „Gesetz über digitale Dienste“) will die EU die Regeln für den digitalen Raum überarbeiten und vor allem die Macht der großen Unternehmen wie Google oder Facebook einhegen. Derzeit legen sowohl die EU-Mitgliedstaaten als auch das EU-Parlament noch ihre Positionen fest, im Winter sollen die Verhandlungen mit der Kommission über den endgültigen Gesetzestext starten.

Ab wann haften Anbieter?

Die Digital-NGOs, darunter die Digitale Gesellschaft, Access Now und die Electronic Frontier Foundation, warnen nun vor Vorschlägen einzelner Abgeordneter – etwa davor, Online-Dienste von der bedingten Haftungsfreiheit auszunehmen, sobald sie Inhalte kuratieren.

Das ist bei praktisch allen Anbietern der Fall und könnte Dienste wie Twitter treffen, die beispielsweise automatisiert Trending Topics erstellen. Derzeit laufen Anbieter nur dann Gefahr, das sogenannte Providerprivileg zu verlieren, wenn sie illegale Inhalte trotz ausdrücklicher Kenntnis nicht von ihren Diensten entfernen.

Der Vorschlag der Kommission rührt dieses Prinzip nicht an, auch der Berichtsentwurf des federführenden Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz rüttelt nicht an diesem Grundpfeiler der Internetregulierung. Allerdings stehen die entscheidenden Abstimmungen im Parlament noch an.

Öffentlicher Pranger statt harte Sanktionen

Zudem fürchten die Netzaktivist:innen zu strenge Vorgaben für sehr große Online-Plattformen. So sollen im Rechtsausschuss des Parlaments Vorschläge auf dem Tisch liegen, welche Anbietern das Providerprivileg entziehen, sollten sie sich nicht an die vorgesehenen DSA-Sorgfaltspflichten halten. Diese Pflichten sollten nicht bindend sein, schlagen die NGOs vor, sondern vielmehr dazu dienen, private Unternehmen gegebenenfalls an den öffentlichen Pranger zu stellen.

Ferner sperren sich die Aktivist:innen gegen Ansätze, Messenger wie WhatsApp oder Signal in den DSA aufzunehmen. Hierfür sei die ePrivacy-Verordnung – die schon seit Jahren auf Eis liegt – deutlich besser geeignet. Keinesfalls dürfe das Recht auf Privatsphäre und Ende-zu-Ende-verschlüsselte Kommunikation aufgeweicht werden, heißt es in dem Brief.

Auch wehren sich die Digital-NGOs gegen sogenannte vertrauenswürdige Hinweisgeber („trusted flaggers“) staatlicher Behörden. Meldungen solcher etwa auf Hassrede spezialisierter Hinweisgeber an die Online-Dienste sollen dem Kommissionsvorschlag zufolge „vorrangig und unverzüglich“ bearbeitet werden.

Dies könnte ein politisch beeinflussbares Zwei-Klassen-Meldungssystem schaffen, mahnt der Brief, da die EU-Länder die privilegierten Hinweisgeber selbst benennen können sollen. Auf Ablehnung stößt auch der Vorschlag, Informationen staatlicher Behörden, etwa Gesundheitsinformationen zu Corona, in den Empfehlungssystemen der Anbieter besser zu behandeln.

Zankapfel Löschfristen

Zuletzt warnen die Netzaktivist:innen vor zu knappen Löschfristen für illegale Inhalte. Im Berichtsentwurf der dänischen Sozialdemokratin Christel Schaldemose ist etwa die Rede von 24 Stunden, manche Abgeordnete setzen sich in gewissen Fällen sogar für eine halbstündige Reaktionszeit ein. Auch unter den EU-Ländern gibt es Auffassungsunterschiede, wie streng die neuen Regeln ausfallen sollen.

Sollten zu knappe Zeitfenster zum Gesetz werden, würde dies Online-Anbieter dazu anreizen, auf ihren Diensten liegende Inhalte zu überwachen und automatisierte Moderationswerkzeuge einzusetzen, heißt es in dem Brief. Zwar ist dies insbesondere bei großen Anbietern schon lange gelebte Praxis, die NGOs warnen aber vor einer Ausweitung: „Inflexible und kurze Löschfristen werden zu Uploadfiltern führen und sind mit den Grundrechten der Nutzer:innen nicht vereinbar.“

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