Apps zur Kontaktverfolgung gibt es inzwischen in zumindest 31 Staaten in Europa und der Welt – sie sollen dabei helfen, die weitere Ausbreitung des Coronavirus zu stoppen. (Die wichtigsten Infos zu solchen Apps haben wir in einem FAQ zusammengetragen.)
In Deutschland liefen zuletzt heiße Debatten über die technischen Voraussetzungen und Datenschutz bei der App. Die von der Bundesregierung bei der Deutschen Telekom und SAP beauftragte Software dürfte Mitte Juni an den Start gehen.
Während Politiker:innen und Stimmen aus der Wissenschaft in Deutschland und bei der EU-Kommission einige Hoffnungen in die App setzen, sind die bislang international gesammelten Erfahrungen durchwachsen. Die technischen Voraussetzungen sind von Land zu Land verschieden, allerdings sind Apps bislang meist bloß eine Ergänzung zur manuellen Kontaktverfolgung. Das zeigt ein Rundblick von netzpolitik.org in den Nachbarländern Österreich und Tschechien sowie Großbritannien, Island und Norwegen und – jenseits von Europa – Singapur und Israel.
Österreich
Die App Stopp Corona des österreichischen Roten Kreuzes verzeichnet seit ihrem Start Ende März rund 600.000 Downloads, rund sieben Prozent der österreichischen Bevölkerung. Startschwierigkeiten bereiteten der App Äußerungen österreichischer Regierungskreise, ihre Nutzung könne verpflichtend gemacht werden. Eine repräsentative Umfrage im April zeigte großes Misstrauen gegenüber Stopp Corona, nur knapp jeder Fünfte zeigte sich bereit, die App auf dem eigenen Smartphone oder Tablet zu installieren.
Die österreichische App ist eine Entwicklung der Consultingfirma Accenture Österreich. Wie die geplante deutsche Tracing-App setzt Stopp Corona auf Kontaktverfolgung mittels Bluetooth, die Kontakte werden dezentral gespeichert und lassen sich
Bisher kann die österreichische App nur auf Android-Geräten automatisch Kontakte über Bluetooth aufzeichnen. Bei iPhones klappt dies hingegen lediglich manuell oder solange der Handybildschirm nicht gesperrt ist. Derzeit wird daran gearbeitet, die App auf die technische Basis der von Google und Apple geschaffenen Bluetooth-Schnittstelle zu stellen. Die neue Version der App soll bis Mitte Juni starten. Dann möchte das Rote Kreuz sie nochmals intensiv bewerben und hofft darauf, skeptische Österreicher:innen für sich zu gewinnen.
Tschechien
Anfang April für Android vorgestellt, folgte einen Monat später die iOS-Variante der tschechischen Corona-App eRouška („eSchutzmaske“). Zum damaligen Zeitpunkt sollen rund 180.000 Android-Nutzer:innen die App heruntergeladen haben, drei Wochen später steht das Projekt laut eigenen Angaben heute bei insgesamt rund 210.000 Downloads. Das entspricht ungefähr zwei Prozent der Bevölkerung. Die tatsächliche Nutzung ist nicht bekannt, dürfte aber unter dem Wert liegen.
Entsprechend still ist es rund um die App. Der Twitter-Account des Projekts liegt weitgehend brach, Berichte über die App finden sich selbst in tschechischen Medien nur spärlich. Das mag daran liegen, dass die Pandemie in Tschechien bislang relativ glimpflich verlaufen ist: Mitte März eingeführte Maßnahmen wie strikte Ausgangssperren und Maskenpflicht dürften dazu beigetragen haben, dass weite Teile der Bevölkerung nur wenig Interesse an der App zeigen.
Oder, weil viele die integrierte Funktion einer App nutzen, die sie ohnehin schon installiert haben. Bereits im März preschte das reichweitenstarke Portal Seznam.cz vor und baute einen Corona-Tracker in seinen Karten-Dienst Mapy.cz ein. Die Karten-App nutzt grobe GPS-Informationen, um Nutzer:innen per Push-Nachricht zu informieren, sollte deren Weg den einer mit dem Coronavirus infizierten Person gekreuzt haben. Die Daten liegen in einer zentralen Datenbank, zurückgelegte Wege werden der App-ID zugeordnet. Eigenen Angaben zufolge haben inzwischen 1,3 Millionen App-Nutzer die Zusatzfunktion aktiviert, mehr als zehn Prozent der Bevölkerung – und das, obwohl schon kurz nach der Vorstellung Kritik an der Sinnhaftigkeit des Ansatzes laut wurde.
Beide Projekte betonen diplomatisch, nicht in Konkurrenz zu stehen, sondern sich zu ergänzen. Beide sind Teil der „Chytrá karanténa“-Initiative („Smarte Quarantäne“) der Regierung, wobei deren Fokus eher auf der eigens entwickelten eRouška-App liegt. Auch diese speichert die Daten in einer zentralen Datenbank, unterscheidet sich sonst aber grundlegend von Mapy.cz.
Entwickelt und auditiert haben die quelloffene Software von eRouška Freiwillige. Mit Hilfe von Bluetooth ermittelt sie Smartphones in der näheren Umgebung, auf denen ebenfalls die App läuft. GPS ist nicht im Spiel. Dabei gesammelte pseudonymisierte IDs verbleiben zunächst auf dem Gerät. Stellt ein Arzt eine Infektion fest, kann die jeweilige Nutzerin freiwillig diese Kontakt-IDs an den zentralen Server übermitteln. Dort ordnen Mitarbeiter des Gesundheitsamts die IDs schließlich Telefonnummern zu, die für die App-Anmeldung notwendig sind. Möglicherweise infizierte Nutzer:innen werden dann informiert und bei der Gelegenheit gebeten, ebenfalls die auf ihrem Handy liegenden Kontakt-IDs an den Server zu schicken.
Derzeit prüfen die Entwickler eine Anbindung an die Schnittstellen von Apple und Google, geben sich gegenüber netzpolitik.org aber zurückhaltend. Dazu wäre ein drastischer Umbau notwendig, sagt eine Sprecherin, da eRouška für das zentralisierte Modell entworfen worden sei. Zudem wolle man abwarten, wie die europäische Debatte verlaufe, um gegebenenfalls Interoperabilität und Benachrichtigung im Ausland nachzurüsten.
Ob die Apps dabei geholfen haben, eine der nur rund 9.000 Corona-Infektionen in Tschechien zu entdecken, bleibt unbekannt. Das Gesundheitsministerium reagierte auf wiederholte Anfragen nicht.
Island
Rund 38,5 Prozent der Bevölkerung Islands haben Rakning C-19 heruntergeladen. Schon am ersten Tag habe fast jeder Fünfte die App installiert, wie die Gesundheitsbehörde netzpolitik.org mitteilte. Sie sei in dem Land großteils positiv aufgenommen worden, so Sprecher Kjartan Hreinn Njálsson. Einzelne hätten skeptisch reagiert. „Das hat es uns aber ermöglicht, Bedenken anzusprechen.“
Nirgendwo sonst auf der Welt sei die Durchdringungsrate ein App so hoch, berichtet MIT Technology Review. Da in Island aber gerade mal so viele Menschen leben wie in Bochum, ist die Bedeutung einer solchen Einordnung fraglich.
Bei der Umsetzung agierten die Behörden für Gesundheit und Bevölkerungsschutz offenbar schnell und unkompliziert. Sie ließen die App von einer neunköpfigen Firma in Reykjavík entwickeln, schon Anfang April erschien sie für Android und iOS. Der Programmcode von Rakning C-19 ist quelloffen, unabhängige Sicherheitsexpert:innen sollen ihn geprüft haben.
Nutzer:innen registrieren sich mit ihrer Handynummer. Derzeit speichert die App das GPS-Bewegungsprofil, zunächst auf dem eigenen Smartphone. Erst im Fall einer Infektion fordert die App Betroffene auf, ihr Einverständnis zur Weitergabe der Daten zu erteilen. Möglichen Kontaktpersonen soll dann eine häusliche Quarantäne empfohlen werden.
Weil in Island aktuell nur zwei Covid-19-Erkrankungen bekannt sind, habe der Bedarf nach der Kontaktverfolgung stark nachgelassen, so Ingi Steinar Ingason, Teamleiter im Nationalen Zentrum für eHealth.
Ein Polizist, der die Ausbreitung des Virus verfolgt, hatte MIT Technology Review kürzlich gesagt, die App habe wenig gebracht. Erst in Kombination mit der manuellen Kontaktverfolgung hätten sich Ergebnisse gezeigt. Ingason wollte dies nicht bestätigen. „Die GPS-Daten haben sich in einigen Fällen als nützlich erwiesen“, teilte er mit.
Offenkundig glaubt man in Island auch weiterhin an die automatische Kontaktverfolgung: Zurzeit wird Ingason zufolge eine neue Version der App entwickelt, die auf Bluetooth basiert. Wenn mehr Menschen in den Alltag zurückkehren, soll sie die Übertragungswege nachvollziehbarer machen.
Großbritannien
Die britische Tracing-App aus der Digitalabteilung des Gesundheitsministeriums (NHSX) wird seit dem 5. Mai auf der kleinen Isle of Wight an der Südküste Englands getestet. Sie erkennt Kontakte über Bluetooth und speichert sie über 28 Tage als anonymisierte IDs. Der Code ist öffentlich einsehbar, Sicherheitsforscher:innen haben bereits Lücken in der Umsetzung gefunden.
Sobald Nutzer:innen der App angeben, dass sie Symptome für eine Infektion wie hohe Temperatur oder durchgehenden Husten verspüren, werden die bisher lokal gespeicherten Daten aus der eigenen App mit Kontakt-IDs der letzten 14 Tage in eine Datenbank des Gesundheitsdienstes übertragen. Von dort laden alle Apps regelmäßig die IDs möglicher Kontakte herunter und warnen, wenn eine heruntergeladene ID mit einer lokalen übereinstimmt, also ein Kontakt mit einer infizierten Person stattgefunden hat. Mit dieser Version mit einem zentralen Server hat sich Großbritannien gegen eine Zusammenarbeit mit Apple und Google entschieden.
Wenn der Test auf der Isle of Wight erfolgreich ist, soll die App für ganz Großbritannien freigegeben werden. Noch sei die App aber nicht so weit, heißt es in London. Die Testversion auf der Isle of Wight haben bereits Mitte Mai haben mehr als 72.000 Menschen die App heruntergeladen – das entspricht rein rechnerisch mehr als der Hälfte der Bevölkerung, die im Vergleich zu ganz Großbritannien im Durchschnitt leicht älter und weniger Smartphone-affin ist. Tatsächlich sind diese Zahlen ungenau, denn einzelne User:innen könnten sich die App auch mehrfach oder von außerhalb der Insel heruntergeladen haben.
Mitte Mai zog die BBC ein gemischtes Fazit: Bis dahin waren auf der Isle of Wight nur 173 bestätigte Fälle von Covid-19 bekannt. Durch den allgemeinen Lockdown sei es ohnehin unwahrscheinlich, dass sich infizierte Personen träfen. Die Forschungsgesellschaft Royal Society geht davon aus, dass die App zwischen 5 und 15 Prozent der Infektionen verhindern kann – allerdings nur, wenn alle Kontakte innerhalb von drei Tagen gefunden werden und 80 Prozent aller Menschen ihre Symptome übermitteln oder für 14 Tage in Quarantäne gehen, wenn nötig.
Norwegen
Die norwegische Regierung kämpft gegen einen Vertrauensverlust in die Smittestopp-App. Die Nutzungszahlen sind zuletzt stark eingebrochen, trotz ursprünglich 1,5 Millionen Downloads haben nur noch 700.000 Menschen haben die App aktiviert. Das entspricht knapp acht Prozent der Bevölkerung.
Ein Problem ist, dass die Anwendung nicht überprüfbar ist, da der Code nicht quelloffen ist. Außerdem hat ein Teil der Bevölkerung grundsätzlich keinen Zugang zur App, da Smittestopp erst ab 16 Jahren freigegeben ist und nur auf Norwegisch verfügbar ist.
Grundsätzlich funktioniert die Kontaktverfolgung hier, wie in anderen Ländern auch, mittels Bluetooth. Tritt ein Corona-Fall auf, werden Kontake automatisch per SMS über das Datum der möglichen Infektion verständigt.
Doch darüber hinaus hat Smittestopp noch eine zweite Funktion: Die App sendet stündlich den genauen Aufenthaltsort aller Nutzer:innen an eine zentrale Datenbank. Die pseudonymisierten Daten werden dort für 30 Tage gespeichert, um Analysen zur Wirksamkeit staatlicher Maßnahmen durchzuführen. Für die Kontaktverfolgung ist die Erhebung der GPS-Daten und die zentrale Speicherung nicht nötig. Expert:innen fordern, die beiden Funktionen zu entkoppeln, um das Vertrauen in die App zu steigern.
Singapur
Singapur war das erste Land weltweit mit einer App zur Kontaktverfolgung. Bereits am 20. März 2020 veröffentlichte der Stadtstaat TraceTogether. Die App erzielte in den ersten beiden Wochen eine Millionen Downloads, danach flachte die Kurve ab. Rund ein Viertel der Bevölkerung hat die Anwendung installiert.
Bei der Registrierung in der App wird die Mobilfunknummer abgefragt. Kontakte werden mittels Bluetooth erkannt und ausschließlich lokal auf dem Gerät gespeichert. Bei einer bestätigten Infektion mit dem Coronavirus wird die betroffene Nutzerin aufgefordert, die Aufzeichnungen über Kontakte an das Gesundheitsamt auszuhändigen. Kontaktpersonen werden anschließend telefonisch über die mögliche Ansteckung informiert.
Der Code ist quelloffen. Die Entwickler:innen machten von Beginn an klar, dass TraceTogether lediglich als Ergänzung zur händischen Kontaktverfolgung dient. Ein Vorteil sei, dass Sprachbarrieren im polyglotten Singapur so aufgehoben würden. Gleichzeitig gäbe es Menschen, die in so großer Armut leben, dass sie kein Smartphone besitzen und auf diesem Wege nicht erreichbar seien.
Israel
Dass die israelische Regierung den Inlandsgeheimdienst Schin Bet und seine Überwachungskapazitäten einsetzt, um Corona-Kontakte nachzuverfolgen und per SMS zu warnen, ist inzwischen weithin bekannt. Weniger weit verbreitet ist jenseits von Israel die Information, dass das Land frühzeitig eine eigene Contact-Tracing-App gestartet hat. Die HaMagen („Schutzschild“) genannte Anwendung nutzt die Geo- und WLAN-Daten von Smartphones und gleicht die Aufenthaltsorte stündlichen mit der behördlichen Datenbank der Geodaten von bestätigten Erkrankten ab.
Die Nutzung der App ist freiwillig und der Source-Code ist auf Github einsehbar. Ende März wurde sie veröffentlicht, Anfang April hatten laut SZ 1,6 der 6,5 Millionen Smartphone-Besitzer:innen in Israel die Anwendung heruntergeladen, ein knappes Viertel der Bevölkerung.
Mit welchen Methoden genau der indes Geheimdienst die Kontaktverfolgung überprüft, ist nicht bekannt. Sicher ist nur, dass der Dienst Zugriff auf die Metadaten der Telefonanbieter hat und mit Ortsdaten arbeitet. Ende Mai verlängerte der Geheimdienstausschuss des Parlaments die Überwachung durch den Schin Bet bis mindestens 8. Juni. In diesem Zusammenhang bestätigten die Abgeordneten eine Entscheidung der Regierung, der zufolge der Geheimdienst nur noch dann für die Nachverfolgung eingesetzt werden soll, wenn andere Maßnahmen nicht funktionieren.
Die Regierung hatte den Einsatz des Geheimdienstes anfangs per Notstandsverordnung am Parlament vorbei entschieden. Das oberste Gericht des Landes urteile Ende April jedoch, dass es dafür eine Gesetzesgrundlage brauche. Diese müsse Ausnahmen für Journalist:innen enthalten. Zunächst hatte der Geheimdienst mithilfe von Smartphone-Daten kontrolliert, ob Infizierte die Quarantäne-Vorschriften einhalten. Dies war durch das Parlament jedoch unterbunden worden.
Unter Berufung auf die israelische Regierung berichtet die BBC Mitte Mai, dass mehr als 79.000 Warn-SMS an mögliche Kontakte von Covid-Infizierten gesendet wurden, welche sich daraufhin in Quarantäne begeben muss. Israelische Gesundheitsorganisationen warnten dem Bericht zufolge davor, dass das Messsystem zu unscharf kalibriert sei und es deshalb zu viele Fehlalarme gebe. Laut Standard seien die Benachrichtigungen ausgelöst worden, wenn Smartphones mehr als zehn Minuten im Umkreis von zwei Metern einer infizierten Person aufhielten. Ende Mai betont eine Abgeordnete der Regierungskoalition, dass die Überwachung durch den Geheimdienst geholfen, 4.000 der bis dahin knapp 17.000 Corona-Erkrankten zu identifizieren.
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