Die Bundesregierung will einfach nicht locker lassen: Obwohl die anlasslose und massenhafte Speicherung von Vorratsdaten wiederholt von Gerichten für illegal erklärt wurde, beharrt die große Koalition weiterhin darauf, das Instrument in Gesetzesform zu gießen.
Im Referentenentwurf der anstehenden Novelle des Telekommunikationsgesetzes (TKG), den wir kürzlich veröffentlicht haben, finden sich einschlägige Passagen aus dem bisher geltenden Gesetz wieder. Die Bestimmungen wurden zuletzt vom Bundesverwaltungsgericht ausgesetzt. Derzeit prüft der Europäische Gerichtshof erneut, ob eine verdachtsunabhängige Überwachung rechtens ist.
Verdachtsunabhängige Speicherung
Dessen ungeachtet hat die Bundesregierung die rechtlich fragwürdigen Regeln übernommen. Demnach sollen Telefonie-Anbieter unter anderem alle Rufnummern samt der Uhrzeit des jeweiligen Telefonats oder einer SMS-Nachricht speichern, und zwar für zehn Wochen. Selbiges gilt für IP-Adressen, über die Internetverbindungen abgewickelt werden. Standortdaten sollen vier Wochen lang vorgehalten werden.
Das Bundesinnenministerium wiegelt ab: „Die Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung sind nach wie vor geltendes Recht“, sagt ein Sprecher gegenüber netzpolitik.org. Offenbar hofft das Ministerium, aus dem Rechtsstreit als Gewinner hervorzugehen. In dem Falle wäre die Vorratsdatenspeicherung bereits im Gesetz verankert, man könnte dann sofort loslegen. „Die Entscheidungen des EuGH und des BVerwG bleiben abzuwarten“, sagt der Sprecher.
„Klarer Verstoß“
Dennoch könnten Probleme auf die Regierung zukommen. Schließlich muss das geplante Gesetz bei der EU-Kommission zur Notifizierung vorgelegt werden, bevor es in Kraft treten kann. Dies könnte sich als Stolperstein entpuppen, sagt Ulf Buermeyer von der Gesellschaft für Freiheitsrechte.
„Aus europarechtlicher Sicht ist der TKG-Entwurf ein ziemlich klarer Verstoß gegen Verpflichtung der Mitgliedstaaten der EU zu unionstreuem Verhalten, weil kein Staat Gesetze erlassen darf, die gegen Europarecht verstoßen“, so Buermeyer weiter. „Und in diesem Fall hat die Bundesregierung bereits vom Oberverwaltungsgericht Münster schriftlich bekommen, warum die Vorratsdatenspeicherung im TKG mit Unionsrecht unvereinbar ist.“
Bereits 2017 hatte das Oberverwaltungsgericht festgestellt, dass die aus 2015 stammende und jetzt wieder aufgekochte Regelung in dieser Form unionsrechtswidrig ist. Damals bemängelten die Richter, die Speicherpflicht erfasse pauschal die Verkehrs- und Standortdaten nahezu aller Nutzer:innen von Telefon- und Internetdiensten – ohne jeglichen Verdacht, dass diese eine Straftat begangen hätten.
Auflagen werden ignoriert
„Erforderlich seien aber nach Maßgabe des Gerichtshofs jedenfalls Regelungen, die den von der Speicherung betroffenen Personenkreis von vornherein auf Fälle beschränkten, bei denen ein zumindest mittelbarer Zusammenhang mit der durch das Gesetz bezweckten Verfolgung schwerer Straftaten bzw. der Abwehr schwerwiegender Gefahren für die öffentliche Sicherheit bestehe“, zeigte das Gericht auf, wo die Regierung nachbessern muss.
Gefruchtet hat dies bislang nicht, allerdings steht Deutschland nicht alleine da. Europaweit drängen vor allem Innenminister darauf, die grundrechtsfeindliche Vorratsdatenspeicherung auf Biegen und Brechen durchzusetzen. Nur wenige Länder konnten sich bislang dazu durchringen, von dem Instrument abzurücken und andere Verfahren einzusetzen. Österreich etwa setzt inzwischen auf „Quick Freeze“. Hierbei werden bestimmte Vorratsdaten erst dann eingefroren, wenn ein Anfangsverdacht besteht.
Zu noch nicht verabschiedeten Gesetzen will sich die EU-Kommission nicht äußern. Allerdings stellt ein Kommissionssprecher gegenüber netzpolitik.org klar: „Grundsätzlich ist es so, dass es zunächst in der Verantwortung der Mitgliedstaaten liegt zu prüfen, ob ihre nationalen Gesetze mit EU-Recht vereinbar sind.“
Update, 17:00: Uns erreichte eine Stellungnahme des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Ulrich Kelber:
Bevor wir über neue Befugnisse für die Sicherheitsbehörden reden, sollten zunächst die Erfahrungen aus der Polizeipraxis evaluiert werden. Viele der aktuellen Ermittlungserfolge sind Ergebnis von mehr Personal und besserer Koordination bei den Sicherheitsbehörden und eben nicht einer vermehrten Datenspeicherung. Abgesehen davon speichern die Telekommunikationsanbieter die Verkehrsdaten aus technischen Gründen ohnehin kurzfristig. Vorstellbar wäre beispielsweise ein sogenannter „Quick Freeze“. Dabei können die Sicherheitsbehörden bei einem Verdacht einen Telekommunikationsanbieter anweisen die Verkehrsdaten länger zu speichern. Die Gerichte würden dann entscheiden, ob die Daten für eine Ermittlung genutzt werden können oder gelöscht werden müssen.
Da bekommt die Hysterie um „Rechtlosigkeit im Internet“ einen ganz anderen Geschmack, als damals noch Rechtsverletzungen von (anachronistischer) Monopolrechte als Untergang des Abendlandes propagiert wurden.
Die gleichen Leute, die hier stets eine angeblich geduldete „Rechtlosigkeit im Internet“ anprangern, ignorieren nun aber nicht nur Gesetze, sondern unsere höchsten Gerichte – offenbar bis ein Richter „ihr“ Recht spricht? Wie nennt man das – Demokratie?
Dabei ging es da ’nur‘ um die Medienrechte-Branche, die sich an überkommene Geschäftsmodellen klammerte. Am Ende hat das dazu geführt, dass Apple das Geschäft mit der Vermarktung von MP3s gemacht hat. Herzlichen Glückwunsch!
Heute aber, wo Teile der Politik geltendes Recht recht großzügig zu ignorieren scheint, geht es um das ‚digitale Selbstbestimmungsrecht‘ von uns Bürgern und damit um unsere Souveränität und unsere Würde im digitalen Raum.
Die Würde, die uns hier großzügig abgesprochen werden soll, brauchen wir aber, um den digitalen Raum demokratisch zu gestalten – und damit gerade den autoritären Versuchungen widerstehen zu können die dem digitale Raum inne wohnen.
Genau diesen Versuchungen können aber gerade konservative und noch weiter rechts stehende Politiker kaum widerstehen. Man kann nur ahnen, was es mit Augustus Intelligence auf sich hat/hatte – und wie demokratisch da im Hintergrund Entscheidungen herbei geführt werden sollen: Wer darf wissen, wer darf entscheiden und wer entscheidet, wer entscheidet?
Wenn neue Gesetze immer wieder und wiederholt höchstrichterlich gerügt oder als unwirksam erklärt werden müssen, deutet das darauf, dass es eine Regierungsmehrheit gibt, die als Wiederholungs- und Intensivtäter Gesetze produziert, die gegen geltendes Verfassungsrecht verstoßen.
Wer solche Gesetzgeber hat, der braucht keine Verfassungsfeinde mehr.
Teile des Gesetzgeber sind offensichtlich Verfassungsfeinde.
Leider werden sie weiterhin gewaehlt. Demokratie wird von innen zerstoert, und diesmal ist die SPD Teil der konservativen Angreifer.
Nicht erst seit der aktuellen Groko. Schon bei der Regierungsbeteiligung 2005–2009 hat die SPD maßgeblich dazu beigetragen, die damalige VDS einzuführen. Manche SPD-Spitzenpolitiker wie Wiefelspütz wurden damals wie folgt zitiert:
„Vorratsdatenspeicherung hat mit Terrorismusbekämpfung relativ wenig zu tun. Ich wäre für die Vorratsdatenspeicherung auch dann, wenn es überhaupt keinen Terrorismus gäbe.“
Und in einer gemeinsamen Erklärung meinte eine Reihe SPD-Bundestagsabgeordneter zu der Zeit:
„Trotz schwerwiegender politischer und verfassungsrechtlicher Bedenken werden wir im Ergebnis dem Gesetzentwurf aus folgenden Erwägungen zustimmen. Erstens. Grundsätzlich stimmen wir mit dem Ansatz der Bundesregierung und der Mehrheit unserer Fraktion dahingehend überein, dass die insbesondere durch den internationalen Terrorismus und dessen Folgeerscheinungen entstandene labile Sicherheitslage auch in Deutschland neue Antworten benötigt. […] Eine Zustimmung ist auch deshalb vertretbar, weil davon auszugehen ist, dass in absehbarer Zeit eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts möglicherweise verfassungswidrige Bestandteile für unwirksam erklären wird.“
Dabei sollte man nicht vergessen, dass alles, was heute verfassungsrechtlich, aber auch hinsichtlich der Ineffizienz als Strafverfolgungsinstrument gegen die VDS spricht, damals schon dagegen sprach und auf der Hand lag. Bitte im daran denken, wenn wieder mal ein Politiker das Thema Kindesmissbrauch oder Terrorismus instrumentalisiert, um eine dahingehend und auch im Hinblick auf andere schwere Straftaten weitgehend wirkungslose VDS durchzusetzen.
Ein typischer „Juncker“
Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, ob was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.
Wenn man bedenkt dass Bürger bis heute noch nicht einmal verstehen was auf ihren eigenen Geräten passiert, wie sollen sie verstehen was in der Politk gerade vor sich geht und im Endeffekt wieder von auf auf Geräten landet?
Würde eine VDS die Intogrität der Corona-App untergraben?
Meldet jemand seine Erkrankung, so könnte doch mittels der Server-Logs und den VDS-Logs der Anschluß, bzw. das Gerät von dem eine Meldung kam ermittelt werden? Könnten Aussagen ermittelt werden, wer die App nutzt, bzw. wer nicht.