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Wir decken auf: TikTok und die Meinungsfreiheit
Rein statistisch gesehen hat fast jeder achte Mensch auf der Welt einen Account bei TikTok. Aber bisher war wenig darüber bekannt, wie das chinesische Unternehmen im Maschinenraum arbeitet. Wir konnten in dieser Woche mehr Einsichten an die Öffentlichkeit bringen. In ihrer Recherche haben Chris Köver und Markus Reuter jetzt gezeigt, dass es TikTok mit der Meinungsfreiheit nicht ganz so genau nimmt. Sie konnten interne Moderationsregeln einsehen und haben festgestellt, dass bestimmte Inhalte systematisch unterdrückt werden. Proteste, LGTBQI-Inhalte und andere tendenziell „problematische“ Posts sind deshalb bislang kaum sichtbar. Die Plattform möchte gute Laune, keine Politik oder kontroverse Diskussionen. Der Artikel ist auch in englischer Fassung verfügbar.
Im zweiten Teil ihrer Recherche, die auch auf Englisch verfügbar ist, zeigen Markus und Chris, dass TikTok ebenfalls sehr empfindlich reagierte, wenn Kritik an der Plattform geäußert oder Konkurrenten genannt werden. Solche Inhalte führten dazu, dass die Reichweite eines Videos stark eingeschränkt wird. Der nächste Teil erscheint am kommenden Montag.
Aufgrund dieser Art Inhalte nach intransparenten Kriterien hervorzuheben oder runter zu spielen wirft Markus Beckedahl TikTok vor, so „intransparent wie bisher kein anderer marktdominanter Konkurrent“ vorzugehen und dabei eine neue Dimension der Inhaltskontrolle zu zeigen.
Merkel entdeckt die digitale Zivilgesellschaft
Diese Woche fand in Berlin das Internet Governance Forum (IGF) statt. Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach in ihrer Eröffnungsrede von der Bedeutung des Internets als globales öffentliches Gut und betonte dabei die Bedeutung der digitalen Zivilgesellschaft. Das hat uns ehrlich gesagt etwas überrascht, aber besser spät als nie. Ein längst überfälliger Schritt, findet Markus Beckedahl und fordert, den Worten jetzt auch Taten folgen zu lassen.
Transparenz und Offenheit
Wir haben diese Woche das Eckpunktepapier der Berliner Innenverwaltung für das lang angekündigte Transparenzgesetz veröffentlicht. Der Entwurf bleibt in vielen Punkten hinter den Erwartungen zurück und enthält eine lange Liste an Ausnahmen und Versagungsgründen. Das überhaupt etwas passiert, ist nicht zuletzt auf den gestiegenen öffentlichen Druck zurückzuführen. Ein Volksbegehren für ein Transparenzgesetz konnte 30.000 Unterschriften sammeln und hat einen eigenen Entwurf für ein Gesetz ausgearbeitet.
Auch in unserer neuen Montagsreihe geht es im weiteren Sinne um Transparenz. Die Open Knowledge Foundation hat in Zusammenarbeit mit Wikimedia eine Broschüre herausgegeben, in der sie verschieden Konzepte von „offenen“ Herangehensweisen erläutern. Wir veröffentlichen in den folgenden Woche Ausschnitte daraus. Diese Woche ging es um Freies Wissen, Offene Daten und die Vorteile für die (digitale) Gesellschaft.
Umkämpftes Internet und gefährliche Algorithmen
Indymedia feierte in dieser Woche ihren 20. Geburtstag. Anlass genug für Anne Roth einen Rückblick auf die Entstehungsgeschichte einer der ersten interaktiven Web-Anwendungen mit der Möglichkeit zum Open Publishing zu werfen. Heute selbstverständlich, damals revolutionär.
Dass das freie Internet kein Selbstläufer ist sondern immer wieder verteidigt werden muss, zeigt der geplante Verkauf der .org-Domain. Die bevorzugte Adresse vieler gemeinnütziger Organisationen und Open-Source-Projekte soll an einen Investmentfonds verkauft werden, doch die Nutzer:innen wehren sich.
Auch die Veröffentlichung der China Cables zeigt in bedrückender Deutlichkeit, dass ein freies Internet keineswegs selbstverständlich ist. Die muslimische Minderheit der Uiguren in der Provinz Xinjiang wird mithilfe von Algorithmen überwacht und aufgrund ihrer Empfehlungen oft auf unbestimmte Zeit in Umerziehungslager gesteckt, wie die geleakten Geheimdokumente beweisen.
Transparente Bürger, Intransparentes Europa
Die Europäische Union möchte gerne mehr über Fluggäste wissen und verhandelt deswegen aktuell mit Kanada über den Abschluss eines Abkommens zur Übermittlung und Verwendung von Passagierdaten. Auch mit Japan sollen Verhandlungen für ein solches Abkommen aufgenommen werden, ein entsprechender Vorschlag wurde im September veröffentlicht. Eine Erweiterung auf Land- und Seeverkehr war auch in der Diskussion, wurde nun aber vorläufig auf Eis gelegt.
Während sich die EU meistens sehr motiviert zeigt, wenn es darum geht Daten den Sicherheitsorganen zur Verfügung zu stellen, lässt ein Gesetz zum Schutz der digitalen Kommunikation seit längerem auf sich warten. Die ePrivacy-Verordnung ist auch nach drei Jahren Beratungen immer noch im Schwebezustand und droht in den Gremien zu verhungern. Alexander Fanta zeigt, wer die Gesetzgebung verhindern möchte und welche ungewöhnlichen Allianzen dabei entstanden sind.
EU kann auch Datenschutz
Die Institutionen der EU haben einen neuen Datenschutzbeauftragten. Der polnische Jurist Wojciech Wiewiórowski bleibt bis mindestens Dezember 2023 im Amt und wird die Einhaltung des Datenschutzes durch EU-Institutionen überwachen und die EU-Kommission bei neuen Gesetzesvorschlägen beraten. Er selbst geht davon aus, dass Künstliche Intelligenz, Biometrie und automatisierte Gesichtserkennung, Blockchain und Quantencomputer die wichtigsten Themen seiner Amtszeit werden. Als eine seiner ersten Amtshandlungen hat er bekanntgegeben, eine Weitergabe von Daten von EU-Bürger:innen an eine Firma zu untersuchen, die bei Datenschützern umstritten ist.
Unserem Bundesdatenschutzbeauftragten dauert das Verfahren Irlands gegen Facebook, Google und Co. zu lang. Er hat dem Land seine Hilfe angeboten und schlug vor, dass sein Haus Teile des Verfahrens übernehmen und autonom bearbeiten könnte. Bleibt abzuwarten, ob man auf der Grünen Insel geneigt ist, das Angebot anzunehmen.
Aus den Gerichtssälen direkt ins Internet
Das Bundesverfassungsgericht (BGH) hat entschieden, dass auch Mörder ein Recht auf Vergessen haben. Geklagt hatte ein 1982 verurteilter Mörder, der wollte, dass Google bei Eingabe seines Namens nicht mehr Artikel aus der Zeit der Tat anzeigt. Die auf Digitalisierung und Fragen des Umgangs mit dem Kulturellen Gedächtnis spezialisierte Juristin Ellen Euler erklärt in einem Gastbeitrag, welche Auswirkungen der Fall ihrer Ansicht nach hat.
In einem anderen Fall hat das BGH den Betreibern von sogenannten Legal-Tech-Angeboten wie wenigermiete.de den Rücken gestärkt. Das Grundsatzurteil beantwortet die Frage, ob solche Angebote überhaupt klageberechtigt seien mit einem eindeutigen „Ja“. Rechtsdienstleistungen dürfen grundsätzlich auch von Inkassounternehmen im Internet durchgeführt werden, so die Begründung.
Thesen für die (digitale) Zukunft
Plattformen müssen ihre gesamte Arbeitsweise überdenken, wenn sie zukünftig bestehen wollen. Dieser Meinung ist Mathias Vermeulen und stellt die These auf, das Prozesse reguliert werden müssen anstelle von Inhalten. Welche Tipps und Ideen er für eine Netzregulierung sonst noch hat, kann hier nachgelesen werden.
In Folge 53 unserer Rubrik „Neues aus dem Fernsehrat“ antwortet Leonhard Dobusch auf zwölf Thesen eines Auftragsgutachtens zum künftigen Zusammenspiel der Öffentlich-Rechtlichen mit privaten Medienanbietern mit zwölf Gegenthesen. Es geht um Digitalisierung, Public Value, Rundfunkbeiträge und vieles mehr.
Wir wünschen Euch ein angenehmes Wochenende.
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