BundesverfassungsgerichtAuch ein Mörder hat das Recht darauf, dass sein Name irgendwann nicht mehr in Suchmaschinen gefunden wird

In Einzelfällen und nach begründeter Aufforderung müssen Online-Pressearchive Maßnahmen treffen, um die Auffindbarkeit von Personen in gängigen Suchmaschinen zu begrenzen. Das Bundesverfassungsgericht begründet das mit dem Persönlichkeitsrecht: Jeder Mensch habe das Recht, sich zu verändern und frei zu entfalten – egal, was er in der Vergangenheit getan habe.

Bundesverfassungsgericht Karlsruhe bei Nacht
Auch wenn der Mord 1982 ein zeitgeschichtliches Ereignis ist, muss der Täter 37 Jahre später nicht mehr im Rampenlicht stehen. CC-BY 2.0 TMC-Fotografie.de

Ein im Jahr 1982 verurteilter Mörder hat das Recht, dass sein Name nach einer gewissen Zeit nicht mehr über gängige Suchmaschinen auffindbar ist. Das hat das Bundesverfassungsgericht beschlossen, wie es heute mitteilte.

Der Beschwerdeführer wurde 1982 wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt und im Jahr 2002 aus dem Gefängnis entlassen. Der Spiegel veröffentlichte 1982 und 1983 drei Artikel in seiner gedruckten Ausgabe, in dem der Name des Täters auftauchte. Im Jahr 1999 stellte der Spiegel sein Archiv der gedruckten Ausgaben online. Gibt man heute den Namen des Täters in einer Suchmaschine ein, tauchen die Artikel des Spiegels prominent auf.

Die Zeitlichkeit der Freiheit

Eine Berichterstattung unter Nennung des vollen Namens ist insbesondere bei schweren Straftaten nach Verurteilung einer Person in der Berichterstattung zulässig. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts stellt dies auch nicht in Frage, sondern macht klar, dass bei der Abwägung zwischen Pressefreiheit und Persönlichkeitsrechtsschutz die zeitlichen Umstände eine große Rolle spielen: Das berechtigte Interesse an einer identifizierenden Berichterstattung nehme mit zeitlichem Abstand zur Tat ab.

Die technische Entwicklung schafft aber nach Ansicht des Gerichts neue Tatsachen:

Während Informationen früher als Printmedien und Rundfunksendungen der Öffentlichkeit nur in einem engen zeitlichen Rahmen zugänglich waren und anschließend weithin in Vergessenheit gerieten, bleiben sie heute – einmal digitalisiert und ins Netz gestellt – langfristig verfügbar. Sie entfalteten ihre Wirkung in der Zeit nicht nur gefiltert durch das flüchtige Erinnern im öffentlichen Diskurs fort, sondern bleiben unmittelbar für alle dauerhaft abrufbar.

Zur Freiheit gehöre es, persönliche Überzeugungen und das eigene Verhalten zu ändern. Es bedürfe eines rechtlichen Rahmens, der es ermögliche, Irrtümer und Fehler hinter sich zu lassen. Und dann heißt es im Beschluss fast schon poetisch: „Die Möglichkeit des Vergessens gehört zur Zeitlichkeit der Freiheit.“

Es geht um die Suche nach Namen

Der Beschluss des höchsten Gerichtes führt nicht dazu, dass Online-Archive die Artikel nicht mehr einstellen dürfen, automatisiert Namen löschen oder zwingend den Namen aus alten Artikeln unkenntlich machen müssen. Das Gericht stellt klar:

Schutzmaßnahmen können erst dann geboten sein, wenn Betroffene sich an ihn gewandt und ihre Schutzbedürftigkeit näher dargelegt haben.

Anzustreben sei ein Ausgleich, der einen „ungehinderten Zugriff auf den Originaltext“ möglichst weitgehend erhalte, diesen bei Schutzbedarf – insbesondere gegenüber namensbezogenen Suchabfragen mittels Suchmaschinen – aber einzelfallbezogen doch hinreichend begrenze, schreibt das Gericht.

In diesem Passus trägt der Beschluss der Pressefreiheit und dem Recht auf ungehinderten Zugang zu Informationen Rechnung, indem er das Recht auf Vergessen auf Einzelfälle und vor allem auf die Auffindbarkeit in gängigen Suchmaschinen beschränkt.

Vergessen nur auf Anfrage

Auf alle Archive mit Onlinefunktionen dürfte Arbeit zukommen: Sie müssen Möglichkeiten schaffen, um Namen aus Suchmaschinen fernzuhalten – ohne dabei die Artikel selbst, um die Namen zu bereinigen. Der Beschluss führt nicht dazu, dass alle Berichterstattung nach einer Zeit um identifizierende Elemente bereinigt werden muss. Außerdem sollen die Originalberichte weiterhin ungehindert in Online-Archiven verfügbar sein.

Das Gericht begründet den Beschluss ausschließlich mit dem Persönlichkeitsrecht. Das heißt, dass Unternehmen ihnen nicht genehme Berichterstattung nicht basierend auf diesem Beschluss unauffindbar machen können.

Europäischer Gerichtshof urteilte schon 2014

Das Recht auf Vergessenwerden ist seit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs 2014 europaweit verankert. Das EU-Gericht entschied damals, dass Personen in gewissen Fällen das Recht auf Entfernung von Links auf personenbezogener Information haben, etwa wenn die Information veraltet ist.

Seither entfernte allein Google auf Anträge von Betroffenen hunderttausende Links aus seinen Suchergebnissen. Die Rechtsprechung um das Recht auf Vergessenwerden entwickelt sich indes laufend weiter: Zuletzt entschied das EU-Gericht, dass der Suchmaschinenbetreiber bei Berichten etwa über strafrechtliche Verurteilungen „sämtliche Umstände des Einzelfalls“ prüfen müsse.

Darüber hinaus gibt es zahlreiche Agenturen, die sogenanntes Online Reputation Management betreiben. Diese Firmen versuchen auf unterschiedliche Art und Weise nicht-genehme Artikel aus dem Netz zu bekommen oder diese hinter anderen Inhalten zu verstecken oder mit Suchmaschinenoptimierung zu verdrängen.

Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

Eine Ergänzung

  1. Mir stellt sich bei dieser Entscheidung die Frage einer Abwägung – ein Mord wurde begangen, das Opfer ist tot. Mir kommt es so vor, als würde der Täter sich seiner Verantwortung entziehen wollen. Opfer und Angehörige können den Konsequenzen dessen, was der Täter getan hat, nie mehr ausweichen. Mit welchem Recht macht der Täter dies im Internet für sich geltend?
    Ja, auch der Täter ist ein Mensch. Punkt. Aber er/sie nahm sich das Recht, ein anderes Leben zu zerstören. „Ich will jetzt nicht mehr damit konfrontiert werden“ (egal ob Internet oder „Realität“) zählt hier, meines Erachtens nach, nicht.
    Eine gesellschaftliche Diskussion darüber (jenseits von populistischer Instrumentalisierung bitte) fände ich wichtig und angemessen.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.