re:publica 2018: Automaten als Allheilmittel zur Rechtsdurchsetzung

Auf die Frage, wie das Internet in Zukunft reguliert werden soll, droht die aktuelle EU-Urheberrechtsreform mit einer gefährlichen Antwort. Durch Uploadfilter wären Plattformen verpflichtet, Urheberrechtsverstöße ihrer Nutzer*innen präventiv durch automatisierte Zensur entgegenzuwirken. In seinem Vortrag macht John Weitzmann das Urheberrecht als Testfeld für zukünftige Regulierungsansätze aus.

Screenshot: Weitzmann und Wikimedia laufen seit über einem Jahr mit bedruckten Filtertüten rum, „weil die in Erinnerung bleiben“.

Die aktuelle EU-Urheberrechtsreform sieht eine Maßnahme zur Vorab-Filterung aller Inhalte auf Plattformen vor. Kritiker befürchten, dass sie als automatisierte Zensurinfrastruktur missbraucht werden können. Zuletzt bewertete der UN-Sonderberichterstatter für freie Meinungsäußerung Uploadfilter als mögliche Menschenrechtsverletzung. Die Reform enthält auch ein europäisches Leistungsschutzrecht für Presseverleger. Ein ähnliches Gesetz ist in Deutschland schon krachend gescheitert.

Morgen, am 20. Juni von 10 bis 12 Uhr, findet im federführenden Rechtsausschuss eine entscheidende Abstimmung statt. Bis dahin aber könnt Ihr noch aktiv werden und Uploadfilter verhindern.

Die Lobby-Schlacht um Uploadfilter

John Weitzmann (Syndikus und Teamleiter Politik und Recht bei Wikimedia Deutschland) hat sich in der Schlacht um die EU-Urheberrechtsreform aktiv gegen Uploadfilter und ein europäisches Leistungsschutzrecht eingesetzt. In seinem Vortrag auf der diesjährigen re:publica erklärt er, wie die Argumentationen in der Debatte funktionieren und warum die Abstimmung über die Uploadfilter so wichtig ist. Die Befürworter gingen dabei hart ins Gericht: Wer gegen Filter sei, wolle anderen etwas wegnehmen und spreche ihnen das Grundrecht auf Eigentum ab, warf der konservative Berichterstatter für das Parlament, Axel Voss, den Kritikern von Uploadfiltern vor.

Dieser Vorwurf war auch an Weitzmann gerichtet, der sich eine solche Ausschweifung nur mit dem sogenannten Value-Gap-Argument erklären kann. Demnach werde es Plattformen aktuell zu leicht gemacht, fremde Inhalte zumindest indirekt zu monetarisieren, ohne dabei den Urhebern etwas abzugeben. Uploadfilter seien deshalb eine Notwendigkeit. Weitzmann entgegnet diesem Vorwurf, indem er auf die eigentliche Problemsituation des zunehmend zentralisierten Internets verweist:

Das zu geringe Beteiligen an Erlösen in einem Markt ist ein chronisches Problem von Märkten mit zu starken Akteuren. Das ist nichts Neues. Und es ist normalerweise die Aufgabe des Kartell- und Wettbewerbsrechts, das zu korrigieren. Stattdessen soll jetzt übers Urheberrecht […], das geistige Eigentum ist ja so ein toller Hebel, eine Gesamtfilterung aller Netzplattformen etabliert werden, bei der Grundrechte wie Meinungsfreiheit auf Beschwerdemechanismen verwiesen werden und ein gesellschaftlicher Flurschaden epischen Ausmaßes droht. Alles nur, um etwas zu tun, was man eigentlich ohnehin mit einem völlig anderen Rechtsinstitut tun sollte.

Was in den nächsten Jahren droht

Mit dem „Flurschaden epischen Ausmaßes“ meint Weitzmann die Abkehr vom mühsam ausbalancierten EU-Haftungsregime des Internets. Bisher mussten Plattformbetreiber gemeldete Inhalte erst dann löschen, wenn sie darauf aufmerksam gemacht wurden („notice-and-take-down-Verfahren“). Nun fordere man aber eine Umkehr der Beweislast mit verheerenden Konsequenzen: Der Online-Verkehr aller Plattformen könne zukünftig „permanent und so lückenlos überwacht werden, dass Ex-Stasi Mitarbeiter […] ein melancholisches Glänzen in den Augen bekommen beziehungsweise alle Datenschützer ihren Job kollektiv […] an den Nagel hängen können.“

Denn die Vorhaben der Urheberrechtsreform, so Weitzmanns Beobachtung, stünden sinnbildlich dafür, dass Automaten immer mehr zum Allzweckmittel für Unerwünschtes im Netz werden. Probleme wie Terrorpropaganda, Hassrede, Desinformation und sexuelle Gewalt würden dabei schlicht in einen Topf geworfen. Die Wurzel des Problems dabei sei, so Weitzmann, eine neue Technikgläubigkeit. Sein Vortrag ist auch ein Plädoyer für eine kantianische Wende in der Künstliche Intelligenz:

Viele Teile des Journalismus und der Politik schauen einfach in die falsche Richtung. Die Frage ‚Was kann Künstliche Intelligenz in 5 oder 10 Jahren?‘ verstellt den Blick […] auf die eigentlich entscheidende Frage […]: Wollen wir, dass Künstliche Intelligenz das, was sie in fünf oder zehn Jahren kann, auch darf.

 

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4 Ergänzungen

  1. Es stimmt wirklich, die aktuelle Reform ist alles andere als die Ideal Lösung. Dass sich allerdings ausgerechnet Hardliner John Weitzmann beschwert ist dann doch sehr schwere Heuchelei. 10 Jahre wäre es möglich gewesen, mit den Betroffenen bessere Lösungen zu verhandeln und alternativen auszuarbeiten. Stattdessen wurde mit Hurrah und mit Finanzgeld der Digital Lobby jeder noch so durchschaubare Plattform Lobby Quatsch in extremer Weise als „Unumgänglich“ dargestellt, und nur zufällig wäre Google und Co halt Nutznießer dessen. Als Highlight, hat John gleich mal den Creative Commens Quatsch, als „Lösung“ promotet. Sicher eine Lösung, allerdings ausschließlich für jene, die schon immer das Geld machen wollten und sich dazu die Leistung und die Rechte Dritter kostenlos in die Tasche stecken wollten. Es ist zwar putzig mit anzusehen, wie all jene, die durch naiven Lobbyismus in Interesse der Plattformen, tatsächlich das „Internet kaputt „gemacht haben., und auch die beschriebene Reform ist nicht wirklich der Brüller, sich zunehmend in Grund und Boden schämen. Nützt nur nichts. Schämen auch nicht. Vielleicht zukünftig einfach mal die Klappe halten.

    1. Liebe Pocorn Piratin, ich werte deinen Kommentar mal als Beleg für eine zumindest zugespitzte und vielleicht sogar festgefahrene Urheberrechtsdebatte. Wegen deinem letzten Satz möchte ich dich dann aber doch bitten, auf persönliche Untergriffe zu verzichten. Hier unsere Kommentarregeln: https://netzpolitik.org/kommentare/. LG

  2. Um konstruktiv zu sein, könnte man den Bericht auch als Anlass nehmen, alles Mögliche für die Abwahl von Axel Voss zu tun (Zumindest die Rheinländer). Wie der Bericht oben schon ahnen lässt, findet man auch auf seiner Homepage nur Dinge von denen einem direkt schlecht wird:
    zu Uploadfiltern https://www.axel-voss-europa.de/startseite/themen/urheberrecht/
    zur Fluggastdatenspeicherung (ausgerechnet unter „Datenschutz“) https://www.axel-voss-europa.de/startseite/themen/europaischer-datenschutz/
    und ein schönes Bild mit dem NRW-Innenminister Reul, der heute noch Richter aufgefordert hat nach gesunden Volksempfinden (genauer: „Rechtsempfinden der Bevölkerung“) zu urteilen:
    https://www.axel-voss-europa.de/2018/07/04/bezirksparteitag-nominiert-axel-voss-mit-983-fuer-die-europawahl/
    http://www.spiegel.de/politik/deutschland/fall-sami-a-herbert-reul-wird-fuer-aussagen-zu-rechtsempfinden-kritisiert-a-1223518.html

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.