Der Branchenverband BITKOM hat am gestrigen Montag ein Positionspapier zur „Digitalen Souveränität“ vorgestellt. BITKOM-Präsident Dieter Kempf kommentierte:
Wir müssen unsere digitale Handlungsfähigkeit wiederherstellen. Die digitale Revolution erfordert Digitale Souveränität für Deutschland und Europa. Wir müssen bei digitalen Schlüsseltechnologien, Diensten und Plattformen internationales Spitzenniveau erreichen und gleichzeitig in der Lage sein, selbstbestimmt und selbstbewusst zwischen Alternativen vertrauenswürdiger Partner zu entscheiden […] Die Politik, aber auch alle relevanten Akteure in Wirtschaft und Gesellschaft, müssen dem Ziel der Digitalen Souveränität oberste Priorität einräumen. Derzeit spielen Deutschland und Europa im internationalen Vergleich der digitalen Leistungsfähigkeit nur im Mittelfeld.
Digitale Souveränität – eine schöne Vorstellung. Vor allem wenn man sich den Vertrauenszusammenbruch der letzten zwei Jahre bei Hard- und Software ansieht. Und so ist die Forderung nach digitaler Souveränität allgegenwärtig, auch die Digitale Agenda will unsere „technologische Souveränität“ erhalten (so sie denn jemals bestand). Das Wirtschaftministerium hat überdies ein eigenes Referat „Ökonomische Fragen der Digitalen Agenda und gesellschaftliche Entwicklungen, Digitale Souveränität“ eingerichtet.
Digitale Souveränität – was ist das eigentlich?
Doch was steckt überhaupt hinter dem blumigen Ausdruck? Fragt man Wikipedia, passt die Definition erst einmal nicht zum Erwarteten:
Digitale Souveränität bezeichnet im Allgemeinen die Möglichkeit eines Menschen, digitale Medien souverän nutzen zu können.
Klingt eher nach Medienkompetenz, doch das ist kaum das, was BITKOM hier meint. BITKOM siedelt Digitale Souveränität zwischen Fremdbestimmung und Autarkie an, als Fähigkeit „selbstbestimmt und
selbstbewusst zwischen Alternativen leistungsfähiger und vertrauenswürdiger Partner zu entscheiden, sie bewusst und verantwortungsvoll einzusetzen und sie im Bedarfsfall weiterzuentwickeln und zu veredeln.“
Also am Beispiel: Nicht darauf angewiesen sein müssen, Technologie von US-Firmen zu beziehen, in der sich potentiell Backdoors zu US-Geheimdiensten befinden – ohne Alternative.
Der Weg zum Ziel laut BITKOM
BITKOM zählt acht Maßnahmen auf, die beim Erlangen digitaler Souveränität zum Ziel führen sollen. „Deutschland muss Motor einer digital souveränen EU sein,“ heißt die erste und es soll Standards für den Weltmarkt setzen. Als Nachteil in Europa sieht BITKOM die Zerfaserung des europäischen Marktes in viele nationale Märkte und fordert einen „echten“ digitalen Binnenmarkt. Ganz in GroKo-Sprechweise will BITKOM auch Start-Ups, Start-Ups und noch mehr Start-Ups. „Gründen, wachsen und internationalisieren“ heißt die Devise. Bürokratie wird bemängelt.
Datenschutz bleibt in den BITKOM-Vorschlägen nicht unerwähnt. Die Europäische Datenschutzgrundverordnung, eine „Datenpolitik aus einem Guss“ soll entwickelt werden. Weiterhin soll geforscht werden, „denkbar ist ein Mindestanteil von 50 Prozent, der Maßnahmen mit Relevanz für die Digitale Souveränität zu Gute kommt.“
Zuletzt fordert BITKOM, dass alle mit digitalen Technologien umgehen können. Bildung soll verbessert werden, Informatik für alle und Englisch ab der ersten Klasse. Und dann noch à la „Verschlüsselungsstandort Nr. 1“ ein Schutzschild für die digitale Welt!
Realitätsabgleich
Die Forderungen klingen schön und gut, doch was taugen sie? Naturgemäß sind sie zunächst einmal so allgemein gehalten, dass man kaum Angriffspunkte findet, doch ihre Allgemeinheit gibt auch wenig konkrete Handlungsschritte.
Einheitlicher Binnenmarkt schön und gut. Das könnte man mal Günther Oettinger sagen, der sich derzeit noch in Geoblocking-Ideen ergeht, die Europa noch stärker trennen würden.
Den überschwänglichen Start-Up-Optimismus kann man kritisch sehen. In einer Anhörung zum Datenschutz im Mittelstand als Wettbewerbsvorteil oder Hindernis wurde Datenschutz an einigen Stellen als Bremse verantwortlich gemacht. Freiheit „bedeutet eben auch, dass man einfach mal loslegen kann,“ so einer der Eingeladenen. Datenschutzregeln sind da lästig.
Außerdem zum Thema EU-Datenschutzgrundverordnung: Die hätten wir auch gerne, aber wenn, dann richtig. Leider sieht es nicht ganz so rosig aus. Je länger die Verhandlungen im Rat dauern, desto mehr wird echter Datenschutz verwässert. Lobbyisten versuchen auf der Zielgeraden noch, so viel Einfluss wie möglich zu nehmen und die vergleichsweise erfreuliche Position des EU-Parlaments „zurechtzubiegen.“ Noch dazu wissen wir, dass Deutschland nicht gerade ein treibender Motor in der Sache ist und die Verhandlungen im Gegenteil eher bremst.
Forschungsmäßig ist das, was den BITKOM-Forderungen entspricht am ehesten in der Hightech-Strategie der Bundesregierung umgesetzt. 180 Millionen Forschungsgeld in Richtung IT-Sicherheit und Co. sollen investiert werden. Die Forderung des BITKOM nach einem „Mindestanteil von 50 Prozent, der Maßnahmen mit Relevanz für die Digitale Souveränität zu Gute kommt,“ dürfte jedoch unrealistisch sein.
In Puncto „digitales Bildungsideal“ sieht es noch ziemlich düster aus. Eine aktuelle Experten-Anhörung im Bundestag hat gezeigt, dass es kein übergreifendes Konzept gibt, wie Medienbildung/-Kompetenz vermittelt werden kann. Die Verantwortung wird von Bund auf Länder auf Kommunen auf Schulen auf … geschoben und am Ende bleibt es bei einer fragmentierten Lehrlandschaft ohne Curricula und viel Erkenntnisgewinn. Dass Englischkenntnisse gut sind, kann man kaum kritisieren, dass BITKOM aber Informatik ab der 5. Klasse als Pflichtfach ab der 5. Klasse als Lösung aufführt, greift zu kurz.
Und zum letzten: So lange Politikern im Bundestag nicht ordentlich ermöglicht wird, verschlüsselte Mails zu schreiben und Minister fordern, dass man im Cyberraum Nachrichten von bösen Terroristen entschlüsseln können muss und damit eine Schlüsselhinterlegung für alle wünschen, brauchen wir nicht anfangen, von digitalen Schutzschilden zu reden.
Fazit – What about Open Source?
Die Forderungen des BITKOM sind nicht verwerflich, aber auch nicht besonders konkret. Was uns jedoch stört: Ein Punkt fällt komplett unter den Tisch – die Bedeutung von Open Source für digitale Souveränität. Open Source wird mit keinem einzigen Wort erwähnt und doch gibt es keinen zentraleren Punkt in der Debatte. Freie und Offene Soft- und Hardware sowie Standards helfen Start-Ups, alteingesessener Wirtschaft und Forschung gleichermaßen. Open Source ist DIE notwendige Bedingung, wenn wir uns vertrauenswürdige Systeme und echte Schutzschilde in der digitalen Welt wünschen. Offene Lernmaterialien können auch der Bildung viel Gutes tun und endlich Rechtsunsicherheiten bei Copyright und Co. lösen. Schade, dass das komplett weggelassen wurde.
Danke für den Bericht.
Das Verhalten der Bitkom ist wirklich unerträglich.
Die einzige Chance von Europas IT-Wirtschaft sich aus der feucht-schwitzenden Umarmung der NSA zu befreien ist quelloffene Software. Alles andere bedeutet, nicht nur der NSA sondern auch dem Hersteller der Software vertrauen zu müssen. Bei Linux durfte sogar die NSA mitarbeiten: Weil sie es öffentlich tun musste (SELinux – ein Kernelmodul).
Wichtig ist, dass unsere insoweit ebenfalls VÖLLIG versagenden Uni-Professoren endlich einzelne Linux-Module zur Begutachtung durch StudentInnen als Master- oder Bachelorarbeiten verteilen, damit Sicherheitslücken erkannt werden können.
Die Informatikprofessoren, die ich kenne sind absolut gefragte Berater von Politik und Wirtschaft und öffnen dümmlich ihren Microsoft-Laptop um mit ihrer Powerpoint-Präsentation zu beginnen. Dabei ist wichtig: NIEMAND kann wissen, was ein Microsoftrechner so im Hintergrund in die USA überträgt, denn es ist nach militärischen Standards verschlüsselt. Eine Kopie erhält der Nutzer nicht, obwohl das lächerlich einfach machbar wäre. Und unsere Krankenkassen, Ärzte, Anwälte, Steuerberater, die EZB, unsere Politiker, die Regierungen, bis hin zum Verteidigungsministerium … alle „auf Windows“, einem naiven Consumer-Produkt: Ein Auto mit zugeschweißter Motorhaube. Nur Apple ist noch schlimmer: Hier ist sogar der Kofferraum zugeschweißt – die teilweise Quelloffenheit nützt GAR nichts, der Torjaner steckt dann im geschlossenen Teil, und die beschränkte Konnektivität ist der verschlossene Kofferraum. Nur für Kinder.
Ich denke, dass man neben der Quelloffenheit von Software auch immer Interoperabilität bzw. offene Standards und Schnittstellen nennen muss. Klingt vielleicht selbstverständlich, ist es aber für Politiker und Anwender sicherlich nicht ..