Der Bericht zum Urheberrecht von EU-Parlamentarierin Julia Reda fordert ein Ende von Geoblocking innerhalb der EU, was unbestreitbar eine Voraussetzung dafür ist, einen einheitlichen digitalen Binnenmarkt herzustellen.
Dies ist ein Gastbeitrag von Cory Doctorow. Das englische Original erschien zuerst am 27. April 2015 auf boingboing.net. Cory Doctorow wird in diesem Jahr auf der re:publica an Tag 2 die Keynote halten.
Der Einwand, dass dies schlechte Auswirkungen auf audiovisuelle Werke in weniger weit verbreiteten Sprachen hätte, ist ein Fehlschluss. Geografische Restriktionen sind im Wesentlichen nur eine Abbildung von Sprachgrenzen. Die Rechte an der italienischen Version eines Filmes sind in Deutschland praktisch wertlos und Änderungen an territorialen Beschränkungen, die dazu führen würden, dass ein italienischer Vertrieb die italienische Version in der ganzen EU verkaufen darf, würden daran nichts ändern.
Welche Werke werden durch territoriale Beschränkungen bevorzugt? Nicht jene der kleineren Sprachgemeinden und auch nicht jene von unabhängigen Produzenten.
Einige EU-Mitgliedsstaaten teilen eine gemeinsame Sprache – Österreich und Deutschland, die Niederlande und Teile von Belgien, usw. In anderen Regionen – z.B. den nordischen Staaten – sind gute Englischkenntnisse weit verbreitet. Die Aufteilung dieser Gebiete entlang nationaler anstatt sprachlicher Grenzen generiert zwar zusätzliches Einkommen – aber per Definition fällt dieses zusätzliche Einkommen nur bei Produkten an, die in weitverbreiteten Sprachen verfasst sind.
Daneben gibt es noch die Werke, deren Reiz in erster Linie visuell oder akustisch, statt sprachlich ist – z.B. Sportereignisse oder bestimme Arten von Musik. Die territoriale Unterteilung erlaubt diese
sehr populären und profitablen Werke finanziell noch ein bisschen mehr auszureizen, indem lokale Vertriebshändler gegeneinander ausgespielt werden.
Mit anderen Worten: Geoblocking ist keine existentielle Grundlage – es ist eine Strategie, um die Profite der populärsten Werke in den weitverbreitesten Sprachen zu maximieren.
Geoblocking geht auf Kosten von unabhängigen Künstlern, auf Kosten von Werken in den Sprachen der kleineren EU-Mitgliedsstaaten und auf Kosten der wesentlichen Merkmale eines europäischen Binnenmarktes.
Die Wahrscheinlichkeit, dass Werke in Minderheitensprachen außerhalb der Gebiete, wo die Sprache gesprochen wird, Vertriebspartner finden, ist verschwindend gering. Niemand außerhalb Spaniens kauft die Rechte an katalanischen Werken, aber katalanisch sprechende Menschen gibt es überall in der EU – insbesondere, seitdem die wirtschaftlichen Verhältnisse so viele spanische Staatsbürger auf der Suche nach besseren Chancen ins Ausland getrieben haben. Die katalanische Diaspora würde gerne Werke von Amazon.es, aus dem Google Play Store und von anderen Internetdiensten kaufen. Jedoch blockieren alle diese Dienste routinemäßig Nutzer außerhalb Spaniens den Zugang zu katalanischen Werken, da die Vertriebe diese Werke nur für den Vertrieb innerhalb der von ihnen kontrollierten Gebieten freigegeben haben – oder weil digitale Plattformen in diesem rechtlichen Graubereich lieber mögliche Probleme vermeiden, indem sie sich weigern, Werke zu verkaufen, bei denen die Rechtslage nicht zu 100 Prozent geklärt ist.
Kein Künstler freut sich darüber, wenn zahlungswillige Kunden an der Kasse zurückgewiesen werden. Der Gedanke, dass jemand dort draußen meine englischsprachigen Bücher in Schweden oder Italien kaufen will und damit bei Google oder Apple abblitzt, weil sie sich nicht sicher sind, ob sie die Rechte dazu haben, ist für mich entsetzlich. Meine Leser wollen mir Geld geben; ich will ihr Geld haben, um meine Familie zu ernähren und meine Miete zu bezahlen; aber wegen des Sumpfes an territorialen Beschränkungen, der dazu dient, die Profite der größten Player in der Unterhaltungsbranche zu maximieren, schert sich niemand darum, ihr Geld einzusammeln und mir zu geben.
Die einzige erwiesenermaßen wirksame Maßnahme gegen Urheberrechtsverstöße ist, attraktive legale Angebote zu schaffen. Zuschauer und Leser, die auf Werke nicht über legale Kanäle zugreifen können, nutzen mit größerer Wahrscheinlichkeit illegale. Und wenn sie einmal damit begonnen haben, diese Kanäle zu nutzen, tendieren sie dazu, das auch weiterhin zu tun. Geoblocking schürt also Urheberrechtsverletzungen, indem es Europäern legale Wege verweigert, für kulturelle Werke zu bezahlen, von denen Freunde in anderen EU-Staaten online schwärmen.
Die ökonomische Logik von Geoblocking führt unweigerlich dazu, dass Werke in weitverbreiteten Sprachen eher ausländischen Vertrieb finden als solche in weniger verbreiteten, und dass sprachlichen Minderheiten ein legaler Zugang zu Werken in ihrer eigenen Sprache verwehrt wird. Es fördert Urheberrechtsverstöße und unterminiert die Idee, für Kunst und Kultur zu zahlen.
Doctorows Vortrag basiert auf einer falschen Prämisse:
„Geografische Restriktionen sind im Wesentlichen nur eine Abbildung von Sprachgrenzen.“
Das ist falsch. So sind beispielsweise der BBC iPlayer und die US-Plattformen Netflix und Hulu in englischsprachigen Ländern wie Kanada, Australien und Neuseeland gesperrt. Und auch die Regional Codes bei DVDs hatten nix mit Sprachgrenzen zu tun.
„Die Rechte an der italienischen Version eines Filmes sind in Deutschland praktisch wertlos und Änderungen an territorialen Beschränkungen, die dazu führen würden, dass ein italienischer Vertrieb die italienische Version in der ganzen EU verkaufen darf, würden daran nichts ändern.“
Hier wird suggeriert, dass es zurzeit einem italienischen Vertrieb verboten sei, Rechte an der italienischen Version in der ganzen EU zu verkaufen. Das ist falsch!
„Welche Werke werden durch territoriale Beschränkungen bevorzugt? Nicht jene der kleineren Sprachgemeinden und auch nicht jene von unabhängigen Produzenten.“
Worauf stützt sich diese Aussage? Soweit ich es überblicke, behaupten abhängige und unabhängige Produzenten europaweit, dass durch die bisher geltende Rechtslage (Territorialprinzip) die Produktion in kleinen Märkten überhaupt erst ermöglicht wird.
„Geoblocking geht auf Kosten von unabhängigen Künstlern, auf Kosten von Werken in den Sprachen der kleineren EU-Mitgliedsstaaten und auf Kosten der wesentlichen Merkmale eines europäischen Binnenmarktes.“
Wieso? Was für Zusammenhänge sollen da bestehen? Beispiele. Und was, bitte schön, sind die „wesentlichen Merkmale eines europäischen Binnenmarktes“?
„Der Gedanke, dass jemand dort draußen meine englischsprachigen Bücher in Schweden oder Italien kaufen will und damit bei Google oder Apple abblitzt, weil sie sich nicht sicher sind, ob sie die Rechte dazu haben, ist für mich entsetzlich. Meine Leser wollen mir Geld geben; ich will ihr Geld haben, um meine Familie zu ernähren und meine Miete zu bezahlen; aber wegen des Sumpfes an territorialen Beschränkungen, der dazu dient, die Profite der größten Player in der Unterhaltungsbranche zu maximieren, schert sich niemand darum, ihr Geld einzusammeln und mir zu geben.“
Mir kommen gleich die Tränen. Ein Blick auf Amazon.it genügt: In Italien kann man jede Menge Bücher von Doctorow in englisch, spanisch und sogar auf italienisch kaufen! Und wenn Doctorow tatsächlich glaubt, sein Verlag sei nicht in der Lage, die Einnahmen zu maximieren, wer oder was hindert ihn daran, seine Bücher selbst europaweit zu vermarkten?
„Geoblocking schürt also Urheberrechtsverletzungen, indem es Europäern legale Wege verweigert, für kulturelle Werke zu bezahlen, von denen Freunde in anderen EU-Staaten online schwärmen.“
Auf diesem Niveau hat früher nur die Content-Mafia argumentiert, wenn verschärfte Gesetze durchgesetzt werden sollten.
„Die ökonomische Logik von Geoblocking führt unweigerlich dazu, dass Werke in weitverbreiteten Sprachen eher ausländischen Vertrieb finden als solche in weniger verbreiteten.“
Das ist ganz einfach Kapitalismus: Produziert wird dass, was am meisten Profit verspricht. Das hat mit Geoblocking nix zu tun.
Der Zusammenhang zwischen Geoblocking und Produktionen für kleine Märkte besteht in der entgegengesetzten Richtung: Geoblocking schützt lokale / nationale Kulturen! Die Schaffung eines „einheitlichen Binnenmarktes“, wie ihn die EU-Kommission ganz strikt im Sinn der neoliberalen Ideologie kreieren will, führt dazu, dass die Verwertungsbedingungen für globale Monopole / für Massenprodukte optimiert werden. Und dazu, dass lokale Kulturen veröden.
Verstehe ich nicht.
Stelle mir gerade vor, wie irgendwo eine öffentliche Ausschreibung stattfindet, die EU-weit erfolgen muss lt. Gesetz, um keine EU-Mitglieder zu benachteiligen, und dann kommt da auf das Angebot eine Antwort: „Nanana, in Ihrem Land ist unsere Ausschreibung leider nicht gültig.“ Wobei ich es da noch nachvollziehen könnte, dass regionale Auftragnehmer bevorzugt werden – beim Filmeschauen nicht. Wer meint, dass das der Kultur oder Wirtschaft schadet, sollte auch nicht bei Amazon $HEIMATLAND einkaufen, sondern alles schön lokal im Geschäft um die Ecke zu meist ähnlichen Konditionen kaufen.
Innerhalb Europas ist definitiv die Sprache der trennende Faktor und nicht nationale Grenzen. Der Punkt ist doch, dass Werke von unabhängigen Künstler*innen und Künstler*innen, die ihre Werke in einer weniger weit verbreiteten Sprache verfassen, im analogen Zeitalter nur selten im Ausland vertrieben wurden, weil der Aufwand für den erwartbaren finanziellen Erfolg zu groß gewesen wäre. Wieso diese Grenzen im Internet, wo dieser Mehraufwand nicht mehr existiert, aufrecht erhalten werden ist dabei nur schwer argumentierbar.
Dabei geht es nicht (wie von dir kritisiert) darum ob die Vertriebsrechte an z.B. einem Film im Ausland zu verkauft werden dürfen, sondern um den Verkauf des Films an die Endkund*innen. Wenn ein Online-Streamingdienst derzeit die Rechte am Verkauf eines Films erwirbt, dann für jeden einzelnen EU-Mitgliedsstaat extra — oder eben nur für einen oder eine handvoll und die Nutzer*innen in den anderen Ländern werden geblockt. Würde sich die rechtliche Lage ändern, sodass der Online-Streamingdienst die Rechte europaweit kaufen würde, täte er das wohl nur in den Sprachen der Länder, in denen er auch wirklich agiert, trotzdem könnten alle Menschen europaweit darauf zugreifen.
Dadurch wird jenen erstmals legaler Zugang ermöglicht, die auf Inhalte zugreifen wollen, die z.B. aufgrund der Sprache nur in einem Land sinnvoll finanziell verwertbar sind. Der springende Punkt ist, dass sich die Großen schon heute den Vertrieb in ganz Europa leisten können, in welchem Land gibt es keine Hollywood-Blockbuster? Die Kleinen (und dazu zählt auch schon der verhältnismäßig große französische Film) sind online außerhalb des Heimatlandes (und oft auch dort) wenn dann nur als Torrent verfügbar, und genau das ist es was Cory hier kritisiert. Nur wenn es die rechtliche Lage endlich ermöglicht, dass der legale Zugang für alle Europäer*innen einfach und ohne unnötige Hindernisse funktioniert, sinkt die Bereitschaft für Urheber*innenrechtsverstöße (zu dieser Aussage verweist Cory in der englischen Version des Artikels übrigens auf dieses Paper: http://www.heinz.cmu.edu/~rtelang/ms_nbc.pdf).
Ich ärgere mich schon, dass der bbc iplayer und svtplay.se Geoblocking unterliegen. Außerdem sind für mich als GEZ-Zahler die Beiträge aus den deutschen Mediatheken im europäischen Ausland gesperrt. M. E. sollten für EU-Bürger, die ja alle in ihren Heimatländern über Gebühren und Steuern die dortigen öffentlichen Rundfunkanstalten finanzieren, sämtliche Mediatheken zugänglich sein. Es ist doch absurd, dass wir in EU-Europa die Freizügigkeit haben, in ein anderes EU-Land zu ziehen, dort zu arbeiten, die dortige Infrastruktur zu nutzen und u.U. auch Sozialleistungen zu beziehen, aber gleichzeitig online gegen Grenzen laufen.
Positivbeispiel ist NPO.nl wo mit Uitzendinggemist die allermeisten Beiträge der publieke omroepen zugänglich sind.
Geoblocking ist heute Gott sei Dank mit Hola umgehbar (wurde von einem deutschstämmigen Onlineredaktuer einer britischn Zeitung empfohlen, damit auch seine deutschen Freunde mitbekommen konnten, worüber er redete).
Der Nationalismus in einem globalen Medium ist ein Anachronismus, der abgeschafft gehört. Er behindert die Kultur. Das Urheberrecht ist sein williger, zerstörerischer Helfer.
Ich hatte da mal am Beispiel Sherlock dargestellt, wo man nicht mal legal die DVDs legal in Deutschland kaufen konnte, weil die ARD die Rechte gekauft hatte und erst Monate später zuerst mit deutscher Synchronisation national auf den Markt kam. Ich wollte aber das Original sehen. Durfte ich aber nicht mal gegen Geld im nationalen Gefängnis. Wie in der DDR damals. Dresden, Tal der Ahnungslosen.
Seit dem finde ich immer irgendwelche Proxies, die den nationalistischen Unsinn überwinden helfen. Und meine Marktelastizität hat deutlich gelitten, wenn ich immer erst Monate nach der freien Welt das sehen darf, was mich interessiert.
http://wk-blog.wolfgang-ksoll.de/2012/05/13/sherlock-holmes-das-dartmoor-und-das-urheberrecht/
„Die katalanische Diaspora würde gerne Werke von Amazon.es, aus dem Google Play Store und von anderen Internetdiensten kaufen. Jedoch blockieren alle diese Dienste routinemäßig Nutzer außerhalb Spaniens den Zugang zu katalanischen Werken.“
Hat der Autor jemals versucht MP3 Files bei Amazon.es zu kaufen?
Also spanische Künstler, von mir aus katalanische Künstler?
Das einzige, was etwas anders ist: Amazon.es will eine kreditkarte haben und nicht vom bei Amazon.de hintgerlegten Konto abbuchen.
Da wird nichts verhindert. Das Gleiche gilt für haptische Ware.
Die Intention hinter der Aktion gegen GeoIP ist verworren. Es betrifft nur sehr wenig Gewerke (Film. TV) trotzdem wird so getan, als wenn es nicht möglich ist, im EU Ausland einzukaufen.
Das ist leider falsch. Ein simpler Test hätte das bestätigt, aber Fakten werden überschätzt, warum recherchieren?
Die Aussage von Doctorow ist Beweis durch Behauptung. Und viele in der Netzgemeinde werden es nachplappern.
Herr Gsoll: Ich kaufe seit Jahren DVDs in UK ein. Muss unendlich schwer sein dort eine Bestellung abzugeben wenn man Ihrem Artikel Glauben schenken darf. Das einzige was nervt sind Portokosten und die Lieferzeit. Mehr aber auch nicht.
Das krasseste unverschämteste und dümmste an dem sogenannten Geoblocking ist, dass im deutschen freien Fernsehen nicht-deutsch sprachige Spielfilme fast ausschlieslich in der
Syncroversion gesendet werden. OHNE Originalton. Über Satellit mit mehreren sinnlos das gleiche wiedergebenden Audiokanälen.
Weil das so ist, habe ich nicht das geringste Problem damit, mir die Version mit Originalton zu kopieren. Damit bin ich in meinem Umfeld nicht der Einzige.
Ergänzung:
Deutsche Untertitel als Kostengrund zu nennen wäre ebenfalls unglaubhaft.
Man sollte das Argument zum Diversitätseffekt ernst nehmen. Immerhin ist die Sprache ja auch immer der Diskursraum eines Volkes wie wir seit Herder wissen. Ohne noch durch Geoblocking abgeschottete Märkte wird gewiss die Dominanz englischsprachiger Inhalte befördert. Die Frage ist wie man trotz Entfernung von Geoblocking die Vielfalt mit geeigneten Maßnahmen bewahren kann.