Anhörung: Digitale Bildung und Medienkompetenz

Quelle: Bundesarchiv. Fotograf: Jan-Peter Kasper

Mittwoch früh hat der Bundestags-Ausschuss für Bildung, Forschung und Technologiefolgenabschätzung getagt. Unter der Vorsitzenden Patricia Lips von der CDU/CSU fand eine öffentliche Fachanhörung statt. Die Haltung der Bundesregierung zum Thema „Digitales Lernen“, über die wir im März berichtet hatten, sollte in diesem Antrag (pdf) konkreter werden.

Um jedoch ein völlig überraschendes Ergebnis vorauszuschicken: Alle eingeladenen Sachverständigen betonten in ihren Aussagen, dass verbindliche Leitlinien schon einige Zeit fehlen und im Prinzip noch immer nicht in Sicht sind bzw. dauern können.

Die angehörten Experten waren:

  • Prof. Dr. phil. habil. Birgit Eickelmann – Universität Paderborn, Professur für Schulpädagogik, Mitbetreuerin der ICILS-Studie
  • Richard Heinen – Universität Duisburg-Essen, Fachbereich Bildungswissenschaft
  • Uwe Lübking – Beigeordneter im Deutschen Städte- und Gemeindebund
  • Prof. Dr. Jörg Müller-Lietzkow – Universität Paderborn, Medienökonomie und Medienmanagement
  • Daniel Seitz – geschäftsführender Gesellschafter, medialepfade.de, Agentur für Medienbildung GmbH, Berlin

Wer ist zuständig? Schulen, Kommunen, Länder oder Bund?

Ein großer angesprochener Themenkomplex ist die Zerfaserung der Zuständigkeiten für Bildungspolitik. Eickelmann hält verbindliche Schul-Curricula für essentiell. Dadurch, dass es keine flächendeckenden Prüfungsregularien gebe, hätten auch Lehrende grundsätzlich keinen Anreiz, das Thema durchzunehmen und sich selbst ausreichend in die Materie einzuarbeiten. Es mangele am Gesamtkonzept:

Ich bin ja Wissenschaftlerin und keine Politikerin und darf deshalb offen sprechen. Wenn wir kein Gesamtkonzept haben, dann rudern wir weiter irgendwie auf hoher See und jeder macht so seins und kommen tatsächlich nicht weiter.

Lübking bemängelte, dass es auf Länderebene an Umsetzung in Strategien und konkrete Lehrpläne fehlt, auch wenn die Grundvoraussetzungen wie Breitbandausbau realisiert sein würden. Er schickt eine klare Aufforderung an die Kulturministerkonferenz, Einheitlichkeit zu schaffen, damit Schulen wissen, innerhalb welches Rahmens sie überhaupt agieren sollen/müssen/können. Denn hinsichtlich technischer Ausstattung der Schulen mündet ein finanzielles Gefälle direkt in ein digitales:

Wir müssen aufpassen, dass wir hier nicht noch ein weiteres Nord-Süd-Gefälle bekommen oder Nord-Südost-Gefälle, wie wir es leider haben.

Lübking fordert in der den Eingangsstatements folgenden Fragerunde auch, dass Länder Grundstandards festlegen und evaluieren sollen. Sonst endeten Projekte schlagartig. Er bezweifelt, dass Kostenaufstellungen, Projektmanagement und Infrastruktur immer nur Aufgabe der Schule seien und appelliert an die Verantwortlichkeit des Staates, sich um den digitalen Zugang zu kümmern. Daher wollen wohl alle verbindliche Rahmenbedingungen, an denen seit Jahren gearbeitet wird. Leider scheint aber, außer einem bunten Blumenstrauß an Initiativen, nichts zu passieren.

Heinens Meinung unterscheidet sich partiell. Er findet, dass Schulen ihre Konzepte selbst definieren müssten. Er merkt jedoch an, dass Schulen damit nicht alleine gelassen werden sollen, man könne auf regionale Vernetzungszentren setzen. Diese Vernetzung solle auf Länder- und, mit struktureller Verankerung und bspw. Konferenzen, auch auf Bundesebene stattfinden.

Lehrerausbildung

Damit Wissen und Medienbildung überhaupt vermittelt werden können, auch darin sind sich alle einig, müssten auch Lehrer hinreichend ausgebildet sein. Das ist leider oft noch nicht der Fall. Heinen plädiert dafür, nicht wie vor zwanzig Jahren einzelne Lehrende in Textverarbeitung und Präsentationsprogrammen fortzubilden. Um etwas zu ändern, brauche es einen langen Atem, viele Konzepte und engagierte SchulleiterInnen – ein verändertes Lehr- und Lernverhältnis von Schülern und Lehrern müsse das Ziel sein.

Seitz bedauert, dass Lehrer ein eher negatives Bild von Digitalem hätten. Außerschulische Bildungsträger, die im Antrag nur am Rand vorkämen, sollten mehr mit ins Boot geholt werden, beispielsweise in Gremien und in Beratungsfunktionen, da dort teilweise schon kompetentere Leute vorhanden seien.
Heinen betont außerdem, dass es vor allem Unterstützung in den Schulen brauche, die zwischen Technik und Menschen mittele. Er führt das Beispiel einer niederländischen Schule mit 900 Schülern an, die eigens zwei Techniker direkt an der Schule beschäftigen. Keine „ausgeliehenen“ Techniker, die eigentlich bei der Kommune beschäftigt sind und dann eben mal mit der Technik aushelfen sollen. Eine engere Einbindung ist zentral, so dass auch Lehrer gebrieft werden können. Als kurzfristige Maßnahmen sind diese Punkte sicher sinnvoll.

Juristische Grundlagen und IT-Sicherheit

Oft hätten Lehrende aus Unsicherheit auch Angst, dass in ihrem Unterricht etwas passiert, was juristisch nicht gewünscht sei – Stichwort Störerhaftung. Auch Jugendmedienschutz ist ein Thema. Technische Filterung soll Schulen hier juristisch absichern, eine pädagogische Reflexion wäre wichtiger. Die Klärung der Debatte um die Störerhaftung ist für Schulen nicht unbedeutend. Welche Regelungen greifen dort? Sind Schulnetze als „öffentlich“ zu betrachten und würden damit unter eine Störerhaftung fallen, die u. a. weitreichende Kennzeichnungspflichten mit sich bringen würde? Es handelt sich ja auch um Kinder, also Minderjährige, die auch immer ihre eigenen technischen Geräte mitbringen.

In der dritten Frage- und Antwortrunde fällt der Verweis, es gehe bei IT-Sicherheit schulischer Infrastruktur nicht nur um Jugendmedienschutz, sondern auch um sehr sensible Daten:

Wir werden in Zukunft auch das Lernverhalten von Schülern möglicherweise beobachten, was vom Prinzip her kein Schaden ist, wenn es den Schülern nutzt. Aber es darf natürlich nicht sein, dass diese Daten frei verfügbar sind.

Zu Forschungszwecken ist das in Berlin bereits geschehen und wurde vom Landesdatenschutzbeauftragten beanstandet und daraufhin laut Landesdatenschutzbericht von 2014 erstmal gestoppt. Und weiter:

Also, es geht schon auch um Datenschutz, auch um die Daten der Lehrkräfte, Vertretungspläne, an solchen Schulorganisationen, all diese Dinge, die Systeme müssen schon auch sicher sein.

Seitz erwähnt später, manche Länder verhinderten die Teilnahme von Lehrern an Fortbildungen zum Thema OER (Open Educational Ressources, quasi „Open-Source-Lernmaterialen“) – aus Angst vor Urheberrechtsverletzungen. In der zweiten Fragerunde wird angemerkt, dass der 2011 geplante und 2012 wieder begrabene „Schultrojaner“ eher, hm, kontraproduktiv gewesen sei, um Lehrpersonal und Schulleitern die Freuden der digitalen Zeit und den Umgang mit digitalen Lernmaterialien näher zu bringen.

Offene Ressourcen würden bei Urheberrechtsproblemen helfen. Seitz kommentiert:

OER ist ein Hack, um mit einem kaputten Urheberrecht umzugehen, aber es ist nicht die Lösung fürs Urheberrecht.

Das trifft den Nagel auf den Punkt und macht klar, dass auch Politikbereiche schulische Bildung betreffen, die man im generellen Diskurs nicht sofort mit „Schule“ in Verbindung bringt.

Erfreulicherweise bringt Seitz noch ein anderes Thema auf, das man nicht vermutet hätte: die Vorratsdatenspeicherung:

Überwachte Medien als Grundlage von Partizipation in der Gesellschaft sind ein Paradoxon, das sich in der Bildung nur schwer auflösen lässt. Das heißt, wer sich für Bildung stark macht, sollte sich gegen Vorratsdatenspeicherung stark machen.

Finden wir auch.

(Freie) Lernmaterialien

Digitale Lernmaterialien gibt es zuhauf. Müller-Lietzkow drängt darauf, dass die Medienproduktion an sich hinterfragt und darüber nachgedacht werden soll, wie Qualitätskriterien festgelegt werden können. Damit nicht in die Falle getappt werde, irgendwelche medialen Mittel irgendwie zu produzieren. Es müsse hinterfragt werden, etwa bei Lernspielen, ob mit diesen gelernt wird, „was gelernt werden soll“.

Am Ende erzählt Müller-Lietzkow sehr angeregt eine kleine Kulturgeschichte des Gamings:

Digitale Spiele haben es in den 80er Jahren ermöglicht, dass viele, damals noch Nerds, vor allem Jungs, sich das Traumgerät Brotkasten C64 irgendwie vom letzten Taschengeld gekauft haben. Dann gab’s die wunderbare 1541 Floppy Disk […] Was wir damals entwickelt haben, sind kleine Programmierkenntnisse. Und in der Tat, was haben wir programmiert? Spiele. Spiele sind nicht nur attraktiv aus der Idee heraus, sie selber zu spielen und die Kreativität anderer zu nutzen, sondern sie sind auch attraktiv, sie selber zu machen.

Die „Maker“-Kultur der 1980er Jahre sei durch den Siegeszug der Konsolen und deren Funktionsweise der Passiv-Rezeption „ein bisschen eingeschlafen“. „Intellektuelle Potentiale“ böten die Konsolen auch nicht gerade.

Wie bereits erwähnt, freie Lernmaterialien und Open Source helfen, Urheberrechtsproblematiken zu vermeiden und teure Lizenzgebühren zu sparen. Ihr Potential ist aber nicht ausgeschöpft, kritisiert Seitz. Wenn sich das nicht ändert, könnten OER zum „Smartboard der nächsten zehn Jahre“ werden. Heinen schlägt „kluge Verweissysteme“ für Schulen vor. Müller-Lietzkow knüpft an und betont, dass Lehrende auch zur Nutzung von OER ausgebildet werden müssten:

Es reicht nicht, jemandem nur ein Werkzeug hinzulegen, wenn ich ihm nicht irgendeine Gebrauchsanweisung gebe.

Bildung neu denken – Digitale Mündigkeit und Souveränität

Die oben erwähnten Punkte stehen alle unter dem Einfluss der Metafrage, was digitale Bildung überhaupt bedeutet. „Was bedeutet eigentlich digitale Bildung im Kontext digitaler Sovueränität?“, fragt Müller-Lietzkow und fordert, die Bildungsvermittlung neu aufzustellen. „45-minütige Bildungsslots in der Schule“ werden nicht ausreichen, um digitale Bildung zu betreiben. Heinen äußerte sich ähnlich und betonte, man solle Schulen dabei unterstützen, „eigene Visionen“ vom Lernen in „einer digitalen Zeit“ zu entwickeln. „Wir haben ganz viel Geld auf den Hochaltären interaktiver Whiteboards gelassen.“ Die sich am Ende als tote Technologie erwiesen haben.

Es gehe darum, ob man „Bildung für das Digitale“ oder „Bildung mit dem Digitalen“ wolle. Die Frage dürfe nicht sein, wieviele Druckkosten eingespart werden können, sondern wie viel Bildungsgerechtigkeit hergestellt werden kann.

Seitz spricht noch grundsätzlichere Fragen an:

Als Erstes sollten wir uns über das Menschenbild und die Erziehungsziele unterhalten, die zu Grunde liegen. Ich denke, es geht um Emanzipation, es geht um Mündigkeit, um ein souveränes Handeln in der digitalen Gesellschaft.

„Wir sollten uns in der Bildung nicht zu sehr von einer wirtschaftlichen Perspektive treiben lassen“, fährt er fort. Man solle die Jugendlichen und deren Medienbildung in den Mittelpunkt zu stellen, zunächst auch erstmal „ohne wirtschaftliche Interessen“. Damit kritisiert er den vorliegenden Antrag, in dem dieser Aspekt deutlich ausgeprägt ist.

Wenn wir nicht auch auf die Kultur von Medien gucken, die Medienethik herausstellen bei Jugendlichen, dann wird das nicht funktionieren […] Die Geräte vereinen das nun mal alles.

Fazit

In der Ausschusssitzung wurde deutlich, dass die Wahrnehmung digitaler Problemstellungen sehr unterschiedlich ist. Das geflügelte Wort „Bildung ist Ländersache“ ist im Zusammenhang mit diesem Gesetzgebungsprozess genauso negativ zu sehen, wie es meistens auch benutzt wird. Die Geschwindigkeit des digitalen Wandels wird sich nicht von langwierigen Gesetzgebungsprozessen aufhalten lassen. Und im Zweifelsfall steht nicht für alle Abgeordneten der Bildungserfolg so vieler wie möglich im Mittelpunkt. Dadurch hängt der Erfolg von Bildungsträgern (von Schule über Kommune zu Land und wieder zurück) weiterhin vom Engagement Einzelner ab, die zufälligerweise motiviert sind, sich mit der Thematik überhaupt auseinanderzusetzen.

Auf die Frage eines CDU-/CSU-Abgeordneten, wie denn genau Leuchtturm-Schulen Schüler mit „herausragendem Talent“ besser zu Start-Up-Unternehmenden befördern könnten, wurde denn auch recht trocken geantwortet: „Es braucht Leute, die mehr als ein eigenes Unternehmen entwickeln.“

Özcan Mutlu (Grüne) wollte am Ende der ersten Befragungsrunde „noch ein bisschen Wasser in den Wein schütten“ und betonte die Notwendigkeit, gemeinsam an einem Strang zu ziehen angesichts der Mammutaufgabe „Digitale Bildung“. Das würde vermutlich auch helfen, vergangene Fehler zu vermeiden, vor denen Eickelmann warnt:

Denn dies ist ja nicht der erste Versuch, ‚Digitale Bildung‘ in das deutsche Bildungssystem zu implementieren.

Dabei gilt es jetzt auch, auf die vorhandenen Erkenntnisse zu blicken, die es, beispielsweise in Form der ICLIS-Studie und durch Erfahrungen in anderen Ländern bereits gibt. ICLIS zufolge haben 30 % der Deutschen nur sehr geringe Kenntnisse zu Digitalem und dem Umgang damit und sind 40 % der Schüler, die das Fach Informatik belegt haben, nie mit einem Computer in Berührung gekommen. Laut Eickelmann dauere es im Schnitt drei bis fünf Jahre, bis Änderungen im Bildungssystem wirksam implementiert seien. Das heißt, es wird höchste Zeit, um nicht noch mehr den Anschluss zu verlieren. Ansatzpunkte gibt es wohl zur Genüge. Da kann man sich Eickelmanns freundlichem Hinweis „Machen Sie was draus“ nur anschließen.

Dank für die redaktionelle Mitarbeit an Anna

3 Ergänzungen

  1. Ich bin einer von denen, die durchs Raster gefallen sind. Konnte mich mit dem Stoff nie anfreunden. Sterbenslangweilig die Schule. Mir schien es, als lebten meine ehemaligen Mitschüler in einem Wertesystem, dass den Schulnoten alles unterordnete. Die eigene Wertigkeit, gemessen am Ansehen beim Lehrpersonal. Wertvoll ist der, der den Vorgaben am besten folgt. Was bleibt einem auch anderes übrig, wenn kein Thema behandelt wird, dass einem wirklich am Herzen liegt. Die nun hier angesprochenen, gar geforderten „Leitlinien“ sind genau das falsche vorgehen. Wen wunderts. Mich nicht. Man schaue sich die TED Beiträge rund um ein modulares Schulsystem an. Wunderwelten, sage ich euch. Deutsche Bildung ist so ein Quatsch.

    1. Disclaimer: ich habe nicht alle 16 Schulsystheme im Kopf, kann also nur aus Thüringer Sicht bericht:
      Dort gibt es seit ein paar Jahren Medienkunde als Unterrichtsfach. Der Lehrplan bietet u.a. recht viel Spielraum, was man machen kann. Zusätzlich kommen natürlich Medien auch noch in anderen Fächern zum Einsatz. Das Problem ist jedoch, dass man hier mit ~40 Jahren der jüngste Lehrer ist.
      Wie sollen denn Schüler etwas vom Lehrer lernen, wenn dieser kaum Ahnung hat (ja ich weiß, es gibt Ausnahmen…). Irgendwo habe ich mal von einem Modell gesehen (Hamburg?), bei dem ältere Schüler den jüngeren etwas beibrachten. Fand ich recht innovativ den Ansatz…

  2. Das (größte?) Problem an Schulen mit einer (wie auch immer) Rechnerausstattung ist doch, dass es keinen Vollzeit Admin gibt, der sich zeitgemäß um die Wartung, sichern, zurücksetzen, installieren, Netzwerkmanagement, usw. kümmert.
    Herr Meyer vom Sport kann das nun mal nicht nebenbei machen.
    So kommt zu schnell Frust und Unsicherheit bei der Verwendung der „schönen“ neuen Medien auf.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.