„Politikwäsche“ bei innerer Sicherheit: Nach der „Gruppe der 6“ kam die „Gruppe der 9“, die sind aber auch schon 12

Jetzt auch "impulsgebend" mit dabei: Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner. (Bild: BMI)
Jetzt auch „impulsgebend“ mit dabei: Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner. (Bild: BMI)

Gesetzesvorhaben oder Willensbekundungen im Bereich der inneren Sicherheit können auf EU-Ebene entweder von den Mitgliedstaaten oder der Kommission auf den Weg gebracht werden. Mehrmals im Jahr treffen sich die Innenministerien aller 28 Mitgliedstaaten deshalb in Luxemburg, in Brüssel oder im Land der jeweiligen Ratspräsidentschaft.

Bevor sie dem Parlament vorliegen werden entsprechende Maßnahmen in den Ratsarbeitsgruppen diskutiert, wo alle Regierungen Vorschläge oder Änderungen einbringen können. Ratsarbeitsgruppen existieren beispielsweise zu den Themen „Grenzen“, „Terrorismus“, „Informationsaustausch und Datenschutz“, „Zusammenarbeit in Strafsachen“. Aus Deutschland entsendet das Innenministerium Delegierte.

Alle Ratsarbeitsgruppen arbeiten bei Bedarf mit den EU-Agenturen zusammen, etwa Europol (organisierte Kriminalität und Terrorismus), Frontex (Grenzüberwachung), Eurojust (Vernetzung der Staatsanwaltschaften). Nach dem Vertrag von Lissabon hat die EU den „Ständigen Ausschuss des Rates für die innere Sicherheit“ (COSI) eingerichtet, der vorwiegend Themen der organisierten Kriminalität behandelt und nun vermehrt auch zu „Terrorismus“ arbeiten könnte.

„Gedankenaustausch im kleinen Kreis“

Genug Möglichkeiten also, um im demokratischen Verfahren neue Gesetze auf den Weg zu bringen. Trotzdem versuchen die ohnehin starken Mitgliedstaaten, ihre Vorstellungen zunächst in informellen Strukturen vorzuverdauen und schließlich durchzudrücken. Die Innenminister der sechs größten EU-Mitgliedstaaten treffen sich hierzu im Format der „G6“ (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Polen, Spanien). Zusammen repräsentieren sie die Hälfte der EU-Bevölkerung.

Auf Betreiben des früheren deutschen Innenministers Wolfgang Schäuble (CDU) nehmen seit 2007 auch der Justizminister und der Heimatschutzminister der USA regelmäßig teil. Die Gruppe firmiert seitdem als „G6+1“. Das ist insofern bedenklich, als dass sensible Vorhaben im Bereich der inneren Sicherheit besprochen werden, etwa eine EU-Fluggastdatensammlung, mehr Grenzkontrollen mit Fingerabdrücken für alle Reisenden, mehr Überwachung des Internet oder die bessere Zusammenarbeit mit „Industrie und Providern“. Die Treffen der „G6+1“ sind informell. Das Bundesinnenministerium lobt das sogar:

Das Format soll den freien Gedankenaustausch im kleinen Kreis ermöglichen, insbesondere bei Themen, bei denen noch kein unmittelbarer Entscheidungsbedarf besteht.

Jetzt auch "impulsgebend" mit dabei: Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner. (Bild: BMI)
Nach dem „Fünfländertreffen“ jetzt auch bei der „Gruppe der 9“ „impulsgebend“ mit dabei: Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner. (Bild: BMI)

„Gruppe der 9“ nun auch mit Österreich, Polen und Italien

Seit 2013 gibt es auf Initiative Belgiens mit der „Gruppe der 9“ einen weiteren, ähnlich informellen Zusammenhang (Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Irland, Niederlande, Schweden und Spanien). Die Gruppe tauscht sich seit zwei Jahren zum Phänomen „Ausländische Kämpfer“ aus und erörtert entsprechende Maßnahmen. Mittlerweile gehören Österreich, Polen und Italien ebenfalls zur „Gruppe der 9“. Mehrmals waren auch weitere Regierungen eingeladen, darunter die USA, Kanada und Australien, Jordanien, Marokko, Tunesien und die Türkei.

Laut der Bundesregierung finden Treffen gewöhnlich „im Vorfeld oder am Rande“ von Ratssitzungen der Justiz- und Innenminister statt. Außer Migration stehen etwa die gleichen sensible Themen wie bei der „Gruppe der 6“ auf der Agenda. Offiziell wird die Vernetzung als die „übliche exekutive zwischenstaatliche Zusammenarbeit“ bezeichnet. Dass es aber um Meinungsbildung für EU-Vorhaben geht bestreitet das Bundesinnenministerium nicht:

Die Treffen haben sich als impulsgebend für Aktivitäten erwiesen, die auf Ebene der Europäischen Union (EU) weiterverfolgt werden.

EU-Koordinator für die Terrorismusbekämpfung hat Schlüsselrolle

Gilles de Kerchove, der "Anti-Terror-Koordinator" der EU. Sein Daseinszweck besteht darin, möglichst weitgehende Gesetzesänderungen für mehr Überwachung auf den Weg zu bringen.
Gilles de Kerchove, der „Anti-Terror-Koordinator“ der EU. Sein Daseinszweck besteht darin, möglichst weitgehende Gesetzesänderungen für mehr Überwachung auf den Weg zu bringen.

Stets anwesend ist neben der Europäische Kommission auch der EU-Koordinator für die Terrorismusbekämpfung Gilles de Kerchove. Der ist so etwas wie der Visionär für Gesetzesverschärfungen und gibt mehrmals jährlich Berichte heraus, in denen er neue Maßnahmen vorschlägt. Eigentlich soll er nur beratende Funktion haben, mit der „Gruppe der 9“ hat er sich aber einen Zusammenhang geschaffen der seinen Forderungen stets aufgeschlossen gegenüber steht.

Vergangenen Sommer hatte die „Gruppe der 9“ Schlussfolgerungen verabschiedet, die sich der Rat der Europäischen Union auf seinem letzten Treffen zu 100% zu eigen machte (und die Kerchove zuvor vorschlug): Aushebelung des Schengener Grenzkodex mit mehr Grenzkontrollen, mehr Datentausch im Schengener Informationssystem, Ausbau von Europol sowie Zusammenarbeit mit Internetdienstleistern für leichteres Löschen unerwünschter Inhalte.

Die informellen Netzwerke europäischer und amerikanischer Innenministerien dienen also dazu, Druck auf die EU-Innenpolitik auszuüben. Über die Ebene der EU werden Maßnahmen eingefädelt, die in den einzelnen Mitgliedstaaten nicht durchsetzbar sind. Die Bürgerrechtsorganisationen Statewatch, Privacy International und ACLU hatten hierfür den Ausdruck „Policy Laundering“ („Politikwäsche“) geprägt: Ein undurchsichtiges Agieren der Regierungen unter Umgehung demokratischer Gremien.

2 Ergänzungen

  1. Na dann wissen wir ja jetzt wer die tatsächlichen Feinde der demokratischen rechtsstaatlichen Grundordnung sind. Würden die Sicherheitskräfte ihre Hausaufgaben machen, bräuchten sie nicht noch mehr Daten, die sie eh nicht zeitnah auswerten können um Anschläge zu verhindern, wie die jüngsten Beispiele in Paris und Kopenhagen zeigen. Inzwischen geht es tatsächlich nur um die Kontrolle der „Massen“. Und nur so am Rande bemerkt: Ich kann mit nicht vorstellen das die Vorgänge in Braunschweig vom letzten Wochenende einen realen Hintergrund hatten und in den Karnevalshochburgen alles „geschmeidig“ war. In Braunschweig hatte man von Seiten der Sicherheitskräfte vornherein mit weniger „Gegenwehr“ gerechnet. Für mich war das nur ein Versuchsballon, auch vor dem Hintergrund der Zustimmung weiter Bevölkerungsteile für einen erneuten Vorstoß zur VDS und FGDS. Es würde mich sehr wundern wenn aus Braunschweig Zugriffsmeldungen zu dem möglicherweise „geplanten“ Attentat vom vergangen Wochenende erfolgten. Mir Drängen sich im Zusammenhang der Begehrlichkeiten an unseren Daten, immer mehr Vergleiche mit der Propagandamaschinerie des Dritten Reiches auf; z. B. der Reichtagsbrand 1933. Heute wissen wir, dass die Nazis ihn wohl selbst und nicht wie in den Zeitungen seinerzeit kolportiert, der Niederländer van der Lübbe den Brand gelegt hat. Es würde mich ehrlich gesagt nicht verwundern wenn zur Erreichung der totalen Datenkontrolle der Griff zu solchen Mitteln erwogen wird. Vielleicht sollten sich die westliche Welt mit den Staaten in nahen Osten zu einer Allianz gegen den IS verbünden um gemeinsam das Übel bei den Wurzeln zu packen. Soviel ist sicher, gibt es „niemals nie“ einen 100 prozentigen Schutz vor Terror. Auch nicht wenn die Sicherheitsbehörden auch noch unsere letzten Geheimnisse kennen würden. Wer Böses im Schilde führt, kennt Mittel und Wege sein Ansinnen zu verheimlichen.

    -Sarkasmus an: Die Sicherheitsexperten der EU führen zum 01.04.2015 die Kontrolle von mit der Verbringung von Nachrichten betrauten Brieftauben ein. Diese werden gesetzlich verpflichtet, vor Zustellung der Nachricht an den Empfänger, das Hauptquartier von EUROPOL anzufliegen und das kopieren der zu überbringenden Nachricht zuzulassen. -SarkasmusEnde

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