Die EU-Mitgliedstaaten haben sich darauf geeinigt, das seit 2008 geplante System „Intelligente Grenzen“ nächstes Jahr in einem Pilotprojekt zu testen. Dies geht aus einem Dokument hervor, dass vergangene Woche vom Ausschuss der Ständigen Vertreter veröffentlicht wurde. In der Arbeitsgruppe organisieren sich alle 28 Regierungen der Europäischen Union.
Bei allen Einreisen an den Außengrenzen sollen in einem „Ein/Ausreiseystem“ zukünftig bis zu zehn Fingerabdrücke abgenommen werden. Dies beträfe sämtliche Angehörigen von „Drittstaaten“, also jenen Ländern außerhalb der EU. Dabei soll es keine Rolle spielen, ob diese aus geschäftlichen, touristischen oder schutzbedürftigen Gründen einreisen. Ziel ist, sogenannte Over-Stayer aufzuspüren. Gemeint sind Personen, die zwar mit einem legalen Aufenthaltstitel (gewöhnlich ein Visum) einreisen, die dort festgeschriebene Aufenthaltsdauer aber überschreiten.
Massive Investitionen: 1,35 Milliarden für die biometrische Industrie
Das System „Intelligente Grenzen“ besteht aus einem weiteren Programm zur Bevorzugung von „vertrauenswürdigen Vielreisenden”. Für eine Gebühr von 20 Euro können vorab biometrische Daten auf einer Chipkarte hinterlegt werden. Damit könnten die Reisenden dann elektronische Kontrollgates nutzen, wie sie derzeit an mehreren deutschen Flughäfen installiert werden.
Das gesamte „Maßnahmenpaket intelligente Grenzen” soll nach gegenwärtigem Stand 1,35 Milliarden Euro kosten und wird massive Investitionen für biometrische Systeme zur Folge haben. Die genauen Ausgaben können nicht beziffert werden: Die EU-Kommission hat noch keine Übersicht über ihre Verteilung auf den EU-Haushalt bzw. die Haushalte der Mitgliedstaaten vorgelegt.
Im Herbst hatte die Kommission Ergebnisse einer Machbarkeitsstudie vorgelegt, die technische Konzepte untersucht und bewertet hat. Die dort genannten Möglichkeiten für die Verarbeitung biometrischer Daten werden nun ab März nächsten Jahres in der Pilotstudie ausprobiert.
Tests mit verschiedenen Verfahren und Geräten
Die neue Vorratsdatenspeicherung wird von der im Dezember 2012 in Estland eingerichteten Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen (eu-LISA) verwaltet. Die Agentur ist auch für die Durchführung der neuen technischen Studie verantwortlich. Deren Kosten werden mit 3,5 Millionen Euro angegeben. Dabei sollen auch Reisende und Grenzbeamte nach ihren Erfahrungen befragt werden.
Getestet werden verschiedene Verfahren. Immer wird das Gesichtsbild verarbeitet, das jedoch entweder mit vier, acht oder allen zehn Fingerabdrücken kombiniert wird. Auch bei der Abnahme der daktyloskopischen Daten kommen verschiedene Geräte zur Anwendung. So soll zum einen die an den Außengrenzen bereits existierende Technologie eingesetzt werden. Versuche werden aber auch mit der „neuesten Generation von Fingerabdruckscannern“ unternommen. Hierzu gehören tragbare Geräte, die sowohl mit oder ohne direktem Kontakt der Finger funktionieren sollen. Auch die elektronischen Kontrollgates an Flughäfen und die damit womöglich verkürzten Wartezeiten werden einer Eignungsprüfung unterzogen.
Ergebnisse der Pilotstudie sollen im September 2015 vorliegen, im November werden diese nach jetzigem Stand in einem Bericht veröffentlicht. Dann soll sich das EU-Parlament damit befassen, damit das System „Intelligente Grenzen“ zügig eingeführt werden kann. Das Ratsdokument nennt hierfür „Mitte 2016“.
Probleme für heimlich agierende Angehörige von Polizeien und Geheimdiensten
Viele Mitgliedstaaten hatten zuvor Bedenken wegen der hohen Kosten für die grenzpolizeiliche Datensammlung zum Aufspüren nicht ausgereister Personen geäußert. Allerdings führte dies nicht zum Abbruch des Projekts. Im Gegenteil konnten sich jene Staaten durchsetzen, die das System auch für polizeiliche Zwecke nutzen wollen. Auch die Bundesregierung befürwortet, dass das System „zur Verhütung und Verfolgung terroristischer und sonstiger schwerwiegender Straftaten“ genutzt wird. Der noch amtierende italienische EU-Vorsitz erarbeitet derzeit eine Formulierungsvorschlag für eine entsprechende Verordnung.
Allerdings sind mit der Einführung der biometriegestützten Vorratsdatenspeicherung auch Probleme für die Sicherheitsbehörden verbunden. Denn über die Fingerabdrücke oder das Gesichtsbild werden auch Angehörige von Polizeien und Geheimdienste, wenn sie unter falschem Namen einreisen, erkannt. Im Falle verdeckt ermittelnder PolizistInnen ist dies legal und üblich, die Grenzübertritte müssen aber vorher angemeldet werden. Allerdings ist das zukünftig mit Aufwand verbunden, denn in den biometrischen Datenbanken der Grenzbehörden sind den Fingerabdrücken einer Person dann zwei Identitäten zugeordnet. Dies könnte einen unbeabsichtigten Alarm auslösen.
Mehrmals haben sich deshalb bereits internationale Polizeinetzwerke zum Einsatz verdeckter ErmittlerInnen mit dem Phänomen befasst. Auch die EU-Polizeiagentur Europol hatte die Problematik auf einer Tagung behandelt. In Antworten auf parlamentarische Anfragen hält die Bundesregierung wesentliche Ergebnisse unter Verschluss. Eine neue Kleine Anfrage soll nun Klärung bringen.
CIA veröffentlicht Handbücher
Auch der US-Geheimdienst CIA sorgt sich um das Auffliegen seiner AgentInnen und hat 2011 und 2012 zwei als geheim eingestufte Handbücher für grenzüberschreitend eingesetzte Spitzel erstellt. Laut den gestern von Wikileaks veröffentlichten Dokumenten wurden die bestehenden EU-Datensammlungen und Überwachungssysteme auf ihre Möglichkeiten zur Enttarnung von US-BeamtInnen untersucht.
Im Ergebnis hieß es, dass der Fokus der Systeme glücklicherweise vor allem auf der Bekämpfung unerwünschter Migration liege. Allerdings würden immer mehr Staaten Fluggastdatensammlungen anlegen und verarbeiten, weshalb Grenzbehörden immer öfter vorab die Identitäten aller Passagiere erfahren. Gefahr drohe auch durch „sekundäre Befragungen“, wenn die Spitzel etwa durch Kleidung oder Gepäck auffallen und einer weiteren Prüfung unterzogen werden.
Schon damals warnte die CIA aber vor dem neuen System „Intelligente Grenzen“ und den dort erhobenen biometrischen Daten. Das ist insofern interessant, als dass die Einrichtung der neuen EU-Vorratsdatenspeicherung „Intelligente Grenzen“ in enger Absprache mit US-Behörden erfolgte, die selbst seit Jahren umfangreiche biometrische Systeme einsetzen.
schön wärs :)
fyi
„Massive Investitionen: 1,35 Millionen für die biometrische Industrie“
Oh danke, Milliarden natürlich.
Die CIA merkt an, dass durch den Umstand, dass immer mehr Staaten Fluggastdatenbanken anlegen, eine Gefahr bezüglich der Enttarnung von Agenten ausgehen könnte?
Und das, wo die USA selbst Fluggastdaten ohne Ende speichern? Ja, das war dann wohl ein Eigentor.
„Im Ergebnis hieß es, dass der Fokus der Systeme glücklicherweise vor allem auf der Bekämpfung unerwünschter Migration liege.“ Ja, wie jetzt? Ich dachte „dass das System “zur Verhütung und Verfolgung terroristischer und sonstiger schwerwiegender Straftaten” genutzt wird. “
Ach Mensch.
Du hast Recht. Allerdings datiert der CIA-Leitfaden auf 2011 bzw. 2012. Damals war bei der EU noch nicht davon die Rede, das eigentlich zu grenzpolizeilichen Zwecken eingerichtete System „Intelligente Grenzen“ für alle Polizeibehörden zu öffnen. Interessant wären also die aktualisierten CIA-Handbücher und die Frage, ob das in den USA mittlerweile als Risiko gesehen wird.
Ich Würde es mal anders Formulieren:
Für wenn arbeiten die Geheimdienste wirklich ?
Wer hat das Geheimdienstsystem in der heutigen Form eingeführt und etabliert ?
Wenn ich zu den Mächtigsten gehören würde dann hätte gefälligst der Pöbel also wir für seine eigene Überwachung zu zahlen !
big brother ist sowieso ein lercherl dagegen, was da alles auf uns zukommen wird..
gute nacht, freiheit
gute nacht, bürger
Die Menschheit arbeitet mit Hochdruck daran,sich ihr eigenes Grab zu schaufeln, denn zurückdrehen lässt sich das Rad nicht. In der Geschichte der Menschheit sind immer wieder Hochkulturen zugrunde gegangen – demnächst ist eben diese dran.
Bestimmt werben in Brüssel und Berlin schon übereifrige Anhänger des „Konservativen“ Lagers für Ausnahmen, damit CIA-Schergen, NSA-Schlapphüte und FBI-Gesetzeshüter (pruuuust!) in ihrer alternativlosen Arbeit nicht behindert werden. Wie gemeiner Pöbel von der Bevölkerungskontrollmaschinerie erfaßt zu werden, das geht ja nicht an für die in der Stratosphäre wandelnden Agents.
„Transatlantische Freundschaft“ klingt immer mehr wie „Washingtoner Pakt“.