Die „Digitale Gesellschaft“ in der Schweiz hat den Überwachungsbehörden mal auf den Zahn gefühlt und heute einen Bericht sowie eine interaktive Visualisierung der dortigen Überwachungsmaßnahmen vorgestellt, der über die letzten Jahre den Anstieg der Überwachung zeigt. Die Rohdaten gehen auf den Schweizer „Dienst Überwachung Post- und Fernmeldeverkehr“ (Dienst ÜPF) zurück: Swiss Lawful Interception Report 2015 (pdf).
In der Schweiz gibt es die Vorratsdatenspeicherung für sechs Monate seit über zehn Jahren und wird ausweislich des Berichtes auch rege eingesetzt.
Der Protest gegen die zunehmende Überwachung ist allerdings ebenfalls rege, auch wenn der zuständige Verteidigungsminister Ueli Maurer bei kritischen Fragen zur Zusammenarbeit des Geheimdienstes mit der NSA in Fragestunden im Parlament gar nicht erst erschien. Die „Digitale Gesellschaft“ in der Schweiz hat gegen die Vorratsdatenspeicherung (VDS) Beschwerde beim dortigen Bundesverwaltungsgericht eingereicht mit dem Ziel der Abschaffung der anlasslosen Überwachung. Sie wollen auch den Europäischen Menschengerichtshof anrufen und damit alle Möglichkeiten ausschöpfen.
Wir haben Simon Gantenbein um ein kurzes Interview zu dem Bericht gebeten, das er uns gern gegeben hat. Simon ist Mitglied der Schweizer „Digitalen Gesellschaft“ und setzt sich dafür ein, dass die Sensibilität für Netzthemen in Bevölkerung und Politik steigt.
netzpolitik.org: Wenn man sich mit den Überwachungsausmaßen in der Schweiz auseinandersetzt, was fällt besonders ins Auge?
Simon Gantenbein: Es fällt auf, dass die Delikte, mit denen für Überwachung argumentiert wird, nur einen kleinen Teil der Gesamtmenge ausmacht. Hauptsächlich wird wegen Drogen- (32.5%) und Vermögensdelikten (23.2%) überwacht.
netzpolitik.org: Dem stehen nur 0,8 Prozent an Fällen gegenüber, in denen gegen Terroristen ermittelt wurde. Ist bekannt, welche Fälle das sind?
Simon Gantenbein: Nein, die Fälle lassen sich nicht direkt zuordnen, zumal das Datum der Überwachung nicht veröffentlicht wird. Es handelt sich wahrscheinlich um Fälle wie Djihad-Reisende oder Finanzierung von Terrorismus.
Auf Seite 18 des Berichtes sind die konkreten Vorwürfe benannt, die bei Terrorismusermittlungen eine Rolle spielen. Das sind:
- Gefährdung durch Sprengstoffe und giftige Gase in verbrecherischer Absicht,
- Brandstiftung,
- Gefährdung der öffentlichen Sicherheit mit Waffen,
- Finanzierung Terror.
netzpolitik.org: Der Bericht erwähnt auch 122 Anträge für das Jahr 2014, die Funkzellenabfragen betreffen. Ist bekannt, wieviele Menschen davon betroffen sind? Müssen sie benachrichtigt werden?
Simon Gantenbein: Funkzellenabfragen wurden letztes Jahr hauptsächlich für Raub und Diebstahl eingesetzt. Die Zahl der Betroffenen ist unbekannt. Auch werden die Betroffenen nicht über die Funkzellenabfrage informiert. Derzeit ist ja das Überwachungsgesetz BÜPF in Parlament und wird revidiert. Neben der Abschaffung von verdachtsunabhängiger Überwachung wie bei der Vorratsdatenspeicherung fordern wir auch eine Informationspflicht der Behörden, um sämtliche überwachten Personen zu informieren, sobald die Ermittlungen abgeschlossen sind.
netzpolitik.org: Die VDS-Datensätze können in der Schweiz für alle möglichen Verdächtigungen, auch Vergehen und „Übertretungen“, verwendet werden. Wird es in der Überarbeitung des BÜPF mehr Schranken geben, so dass der Zugriff eventuell reduziert wird?
Simon Gantenbein: Genau, die Schranken zum Einsatz der VDS sind gering. Wir fordern darum einen strengen Deliktekatalog für die VDS. Der Deliktekatalog sollte nur die schwersten Delikte umfassen.
netzpolitik.org: Der Bericht enthält nichts Erhellendes zu Geheimdiensten und deren Überwachung. Gibt es überhaupt Zahlen dazu in der Schweiz?
Simon Gantenbein: Nein, der Bericht behandelt nur die strafprozessuale Überwachung. Die präventive Überwachung der Geheimdienste ist ausgenommen, da dazu keine Daten öffentlich sind. Auch das Nachrichtendienstgesetz befindet sich in Revision. Eine Neuerung wird die Kabelaufklärung sein. Es ist schon stoßend: Keine zwei Jahre nach Snowden will unser Nachrichtendienst nun auch Glasfasern für den grenzüberschreitenden Verkehr anzapfen.
netzpolitik.org: Wie ist die Diskussion über Überwachung in der Schweiz einzuschätzen, auf wieviel Interesse stößt das Thema?
Simon Gantenbein: Das Thema Überwachung ist abstrakt und der nötige Aufschrei bisher ausgeblieben. Eine Diskussion wie in Deutschland wäre wünschenswert und dringend nötig.
netzpolitik.org: Was ist die wichtigste Forderung, die von der Schweizer „Digitalen Gesellschaft“ in Sachen Überwachung an die Politik gerichtet wird?
Simon Gantenbein: Die Politik hält am Versprechen Sicherheit fest und ist daher für mehr Überwachung. Doch das ist ein Trugschluss. Denn die verdachtsunabhängige Überwachung ist einem demokratischen Staat nicht würdig. Unsere freiheitlichen Werte und die Privatsphäre sind dadurch in Gefahr. Die Politik sollte Wege finden, Überwachung nur in Einklang mit unseren Grundwerten zu legitimieren. Auf verdachtsunabhängige Überwachung wie bei VDS und Kabelaufklärung ist zu verzichten!
Vielen Dank für das Interview!
Gruss
René
Hier zeigt sich doch ganz eindeutig … welchem Zweck die Überwachung tatsächlich dient. Terrorüberwachung ist nur ein Vorwand, wundert mich, dass das Thema dort überhaupt auftaucht. Drogen und vor allem Überwachung der Finanztransaktionen bzw. Informationen, die dem Finanzamt oder anderen Institutionen dienlich sind, das sind die eigentlichen Ziele der Überwachung.
Endlich sagt da mal jemand die Wahrheit.
Wäre ja mal interessant zu lesen, wie viele der Daten davon verschlüsselt sind / waren und welchen davon dechiffriert und gegen den / die Probanden verwendet werden konnten.
Kann bitte jemand der den bericht schon hat nen torrent daraus machen, die seite ist etwas überlastet und jeder der sich auf den bericht bezieht verlinkt die orginalquelle statt nen mirror oder nen torrent anzubiten.