Überwachung total – Rezension und Gespräch zum Buch

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2007 hat der ehemalige Bundesdatenschutzbeautragte Peter Schaar sein Buch Das Ende der Privatsphäre – Der Weg in die Überwachungsgesellschaft veröffentlicht. In diesem Juni erschien sein neues Werk Überwachung total – Wie wir in Zukunft unsere Daten schützen.Was hat sich seitdem geändert, ist das Buch eine Fortsetzung oder musste nach Beginn der NSA-Affäre alles neu geschrieben werden? Und warum brauchen wir noch ein Buch zur Aufarbeitung der NSA-Enthüllungen, wo es doch bereits die überaus lesenswerten Werke von den Spiegelautoren Rosenbach/Stark und Glenn Greenwald gibt. Um das herauszufinden, haben wir uns das Schriftstück einmal angesehen und mit dem Autor geredet.

Peter Schaar sagt selbst, sein Buch sei sowohl eine Fortsetzung als auch ein Update des Vorgängers von 2007, die Grundstrukturen der Überwachung sind gleich geblieben, aber heute wisse man mehr als damals. Damals sei ihm in Rezensionen manchmal vorgehalten worden, er fokussiere sich zu stark auf die staatliche Rolle in der geheimdienstlichen Überwachung und deren Verwicklungen. Aber die Enthüllungen haben ihm Recht gegeben, ihn sogar noch übertroffen: „Heute weiß man, dass die Verknüpfung von Staat und Geheimdiensten sehr viel stärker ist.“

Mit seinen Ausführungen will Schaar nicht nocheinmal die Geschichte des Skandals erzählen und sich so detailliert und feingranular mit den Papieren auseinandersetzen wie Rosenbach und Stark das getan haben, die ihrerseits das Privileg besitzen selbst Zugang zu einem Teil der Dokumente zu haben. Der erste Teil des Buches – „Diagnose Totalüberwachung“  kommt aber um eine Beschreibung der wichtigsten Dokumente und Programme der NSA-Überwachung nicht umhin. Doch abseits dieser Wiederholung, die man nicht unbedingt Zeile für Zeile lesen muss, wenn man die Thematik der letzten Monate interessiert mitverfolgt hat, sieht Schaar seine eigentliche Rolle im Einordnen der Erkenntnisse: „Ich setze die Snowden-Enthüllungen in einen technologischen Zusammenhang“. Und darin liegt auch die Stärke von Schaars Veröffentlichung, es geht nicht nur um die Überwachung durch die NSA. Schaar erklärt, welche Mechanismen des Internets Überwachung erst möglich machen und wie diese genutzt werden – nicht nur von Geheimdiensten. Er setzt sich auch mit anderen Gefahren für unsere Privatsphäre auseinander. Dabei fehlt Cloud Computing ebensowenig wie das SWIFT-Abkommen, Fluggastdatenabkommen, Vorratsdatenspeicherung und Anti-Terror-Listen, Themen die bei Rosenbach und Stark nicht weiter diskutiert werden.

Schaar findet an vielen Stellen deutliche Worte für das Verhalten der Bundesregierung. Mittlerweile kann er sich das erlauben, könnte man fast sagen. Denn heute ist er kein Bundesdatenschutzbeauftragter mehr, anders als noch 2007. Und auch wenn er sich bereits zu jener Zeit oft kritisch geäußert hat, eine Auseinandersetzung mit der deutschen Position wie in „Überwachung total“ hätte damals wohl noch anders ausgesehen. Schaars neues Tätigkeitsfeld liegt bei der Europäischen Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz. Inhaltlich bleibt es also beim Datenschutz, aber nun kann er sich viel mehr für die Vernetzung mit der Zivilgesellschaft engagieren. „Ich wollte schon immer alle verschiedenen Stakeholder zusammenbringen.“ Eine solcher ganzheitlicher Ansatz spiegelt sich auch in dem Lösungsansatz wieder, den Schaar im dritten Teil seines Buches vorschlägt. Es kann keinen Alleingang geben, sondern es muss auf vielen Punkten gearbeitet werden. An der Technik, an Gesetzen und an internationalen Abkommen. Das klingt nach einer schönen Idee, aber steht ein solcher Wunsch nicht auf überaus wackligen Beinen, wenn man betrachtet, wie wenige Konsequenzen in den letzten Monaten gezogen wurden und wie sich die Bundesregierung darum herum windet, klare Vereinbarungen mit den USA zu treffen?

Die BRD muss ihr eigenes System und die Praktiken ihrer Nachrichtendienste kritisch überprüfen und ändern. Man kann nicht auf den Balken im Auge der USA zeigen und den eigenen ignorieren, sonst besitzt man keine Glaubwürdigkeit.

Aber nicht nur Deutschland müsse handeln, so Schaar, auch die EU müsse tätig werden, um global ernst genommen zu werden: „Man muss bei der Datenschutz-Reform darauf achten, dass man nicht durch die Cloud doch bei amerikanischen Stellen landet.“

Die wahrscheinliche Konsequenz: Eine Regionalisierung des Internets. Das ist keine schöne Vorstellung, doch Schaar fürchtet, dass es letztlich so kommen wird. „Lieber wäre mir ein gemeinsames Verständnis für Datenschutz. Auch gegenüber denen, die nicht im eigenen Land wohnen.“

Doch nicht nur auf internationaler Ebene ist es Zeit für Erneuerung, auch eine Reform der innerdeutschen Gesetze tut Not. In seiner Rolle als BDSB war Schaar oftmals mit Grenzen konfrontiert, die bei der Datenschutzaufsicht über deutsche Geheimdienste Schwierigkeiten bereiten. Wie bei Paragraph 24 des Bundesdatenschutzgesetzes, der eine Ausnahme formuliert:

Personenbezogene Daten, die der Kontrolle durch die Kommission nach § 15 des Artikel 10-Gesetzes unterliegen, unterliegen nicht der Kontrolle durch den Bundesbeauftragten, es sei denn, die Kommission ersucht den Bundesbeauftragten, die Einhaltung der Vorschriften über den Datenschutz bei bestimmten Vorgängen oder in bestimmten Bereichen zu kontrollieren und ausschließlich ihr darüber zu berichten.

Das heißt, dass nur die Prozesse der Datenverarbeitung der Kontrolle des BDSB unterliegen, nicht aber die Daten selbst. Um die müssen sich dann das Parlamentarische Kontrollgremium bzw. die G10-Kommission kümmern. „Aber nur das Gesamtbild ermöglicht eine Beurteilung. Niemand hat hier vollständigen Einblick.“ – vor allem wenn Stellen wie das Innenministerium, das mit der Dienstaufsicht über den BDSB betraut ist, Informationen nur unvollständig oder gar nicht erst herausrücken. Die logische Folge: kontrollfreie Räume. Das bemängelte Schaar auch in einer Stellungnahme, die er im letzten November für die Bundesregierung erstellt hat sowie zuvor in seinem 24. Tätigkeitsbericht. „Reformen sind hier eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung“. Denn selbst die Möglichkeiten, die den Gremien heute gegeben sind, würden diese nicht ausreichend nutzen, kritisiert er. So sei er während seiner Amtszeit kein einziges Mal von der G10-Kommission darum gebeten worden, Datenverarbeitungsvorgänge zu untersuchen, wie es ihm laut dem obenstehenden Paragraphen auf Aufforderung möglich wäre. Eine logische Erklärung dafür zu finden ist schwer.

All die Ausführungen von Schaar zu notwendigen Aktualisierungen von Gesetzen, politischen und wirtschaftlichen Prozessen sind schlüssig, aber es wirkt ein bisschen wie eine naive Idealismusbrille, wenn man tagtäglich durch das Realverhalten politischer Entscheidungsträger desillusioniert wird. Aber sei es meinem politischem Pessimismus geschuldet oder der persönlichen Technikaffinität: Schaars Vorschläge auf technischer Seite sind eher in der Lage mich von ihrer Realisierbarkeit zu überzeugen. Telekommunikationsunternehmen konsequent dazu verpflichten, Ende-zu-Ende-Verschlüsselung zu nutzen und Daten nicht an andere Staaten weiterzugeben sowie die Entwicklung von Open-Source-Software zu fördern, transparenter zu machen und besser zu überprüfen – das klingt nach gangbaren ersten Schritten. Aber spätestens seit Sicherheitslücken wie Heartbleed ist auch klar: Open Source ist kein Allheilmittel – „Transparenz allein garantiert nicht, dass keine Überwachung stattfindet. Nur die Wahrscheinlichkeit, dass sie entdeckt wird, ist größer“.

Fazit: Überwachung total ist keineswegs eine bloße Verarbeitung des NSA-Skandal unter vielen. Das, was das Buch lesens- und empfehlenswert macht sind vor allem die Ausführungen zu dem, welche Überwachungsmechanismen auch ohne die NSA existieren – sei es staatlich, wirtschaftlich oder anderweitig motiviert. Denn die NSA-Affäre zeigt uns – wie Schaar im Gespräch mit Deutschlandfunk treffend feststellt – nur die Spitze des Eisbergs.

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