Ars Electronica: Eine neue Ökonomie?

Gastbeitrag von Wolf Lindstrot für netzpolitik.org:

Fast 30 Jahre alt und immer noch rebellisch? Zumindest mutet das Motto der diesjährigen Ars Electronica, die am Dienstag zu Ende gegangen ist, recht radikal an: „A New Cultural Economy – Wenn Eigentum an seine Grenzen stößt“. Auf dem Cover des Festival-Programms tobt die Schlacht: Ein Dollar-Pacman-Monster frisst Copyright-Symbole, dabei hagelt es Bomben an Piraten-Fallschirmen – all dies unter den wachsamen Kamera-Augen eines Urheberrechtsparagrafen. Wenn dann noch mit Joichi Ito der Geschäftsführer von „Creative Commons“ das zweitägigen Themensymposium kuratiert, dann sollte den VertreterInnen der alten Ordnung wohl Angst und Bange werden. Zur Eröffnung der Konferenz am Freitag jedoch eher beschwichtigende Töne von Ito – gegen simple binäre Frontstellungen zwischen Urheberrechts-InhaberInnen und PiratInnen, für genaues Hinsehen: Was passiert zwischen Mainstream-Medien und BloggerInnen? Wie nutzen Leute die bestehenden Gesetze, um ihre Vorstellungen von einer Ökonomie des Teilens umzusetzen?

Der Widerspruch, der zum Thema aller Vorträge des Symposiums wird, formulieren die Macher der Ars Electronica folgendermaßen: Die „junge Generation“ will nicht mehr nur passiv konsumieren, sondern partizipieren, sich selbst ausdrücken, Vorgefundenes remixen und die Ergebnisse mit anderen teilen. Und die kritische Masse ist erreicht: Produktion und Vertrieb von kulturellen und wissenschaftlichen Erzeugnissen sind durch die Entwicklung der Technik und der Vernetzung so einfach geworden, dass die alte Spaltung in wenige professionelle Medien- und Kultur- ArbeiterInnen einerseits und die große, konsumierende Masse andererseits aufgehoben ist. Wir leben in einer Wissensgesellschaft, die eine Ökonomie des Teilens braucht, um des kulturellen, wissenschaftlichen und ökonomischen Fortschritts willens. Deshalb müssen, nachdem die Praxis im Internet Fakten geschaffen hat, endlich Wirtschaft, Politik und Gesetzgebung angepasst werden. Die Diskussion darüber will die Ars Electronica jedoch nicht den JuristInnen, ManagerInnen und PolitikerInnen überlassen. Gefragt sind andere ExpertInnen, nämlich „wir“: die Internet-NutzerInnen, BloggerInnen, KünstlerInnen, WissenschaftlerInnen und AktivistInnen für freie Software und freie Kultur.

So weit so gut, nahm man von der Ars Electronica 2008 jedoch auch Antworten auf die aufgeworfenen Fragen mit nach Hause? Harvard-Professor Yochai Benkler definiert den neuen Produktionsmodus als „Commons-Based Peer Production“. Für ihn leben wir in einer „Netzwerk-Informationsgesellschaft“, in der gemeinsames Handeln und freier Austausch vom Rand ins Zentrum der Wertschöpfung verlagert wurden. Benklers Ziel ist eine partizipatorischere Kultur, die zwar nicht unbedingt zur absoluten demokratischen Utopie führen muss, aber die Gesellschaft zumindest demokratischer machen könnte. Die klassischen Unternehmen werden nicht verschwinden, müssen sich aber verändern, von geschlossenen zu durchlässigeren Systemen. Das schließt eine stärkere Einbeziehung der KundInnen ein, betrifft aber auch die internen Strukturen, die hin zu flacheren Hierarchien, mehr kollektivem Arbeiten im Team und mehr Freiheiten und Autonomie für die Angestellten verändert werden müssen.

Markus Wissen vom Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung wendete ein, dass von einer neuen, kollektiven Produktionsweise nicht die Rede sein kann, da Kooperation schon immer dem Kapitalismus inhärent war. Neu ist hingegen, dass im Internet auch der Prozess der Aneignung der produzierten Güter kollektiv geworden ist, ob nun auf legalem Wege durch Nutzung freie Lizenzen oder illegal durch Software-, Musik- und andere Piraterie. Das Augenmerk ist also nicht auf die Produktionsformen im Internet, sondern auf die neuen Aneignungsformen zu legen. Zurück zur Wirtschaft: Auch für Gerd Leonhard ist die Zeit vorbei, in der mit der vollständigen Kontrolle über mediale Produkte und insbesondere dem exklusiven Recht, Kopien zu erstellen, Geld verdient werden konnte. Da „frei“ aber nicht bedeuten soll, dass die ErschafferInnen von Musik oder Filmen leer ausgehen, schlägt er Lizenzen vor, die einen offenen Zugang zu Kultur ermöglichen. Die Neuerung soll darin bestehen, die Lizenzen nicht mehr an einzelne KundInnen sondern an die Netzwerke zu vergeben. Wer also die Infrastruktur bereitstellt, über die die NutzerInnen an die Medieninhalte gelangen, soll an die ProduzentInnen der Inhalte zahlen. Leonhard sieht hier verschiedene mögliche Varianten: Die Infrastruktur-BetreiberInnen schlagen die Lizenzkosten auf die Nutzungspreise drauf, die Lizenzkosten werden durch Steuern abgedeckt, oder das Ganze wird durch Werbung finanziert. Problematisch wird bei diesem Modell das Messen der tatsächlichen Popularität von Inhalten – deren Kenntnis ist Voraussetzung, um die ErstellerInnen proportional zur Nutzung ihrer Erzeugnisse entlohnen zu können. Leonhard gibt zu, dass hier Datenschutz-Fragen relevant werden könnten.

In mehreren Beiträgen zum Symposium wurde hervorgehoben, dass die Wirtschaft, insbesondere in Form der großen Unternehmen, die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt habe und beispielsweise durch das Beharren auf ein veraltetes Urheberrecht dabei sei, Chancen zu verpassen. Nicht ganz klar wurde, ob man wirklich der Meinung ist, dass die Wirtschaft zu vernagelt ist, um Profitchancen zu erkennen, und deshalb Beratung von Seiten der Ars Electronica benötigt. Oder wird hier nur das angestrebte Ziel der „Sharing Economy“ samt freier Software und freier Kultur in eine Sprache gepackt, die es den EntscheidungsträgerInnen in Wirtschaft und Politik schmackhaft machen soll? Bei der „Mission Future“-Konferenz, die ebenfalls im Rahmen der Ars Electronica stattfand, wurde diese Frage schon im Titel beantwortet: „Initiative to create tomorrow’s economy“. Hier ging es tatsächlich um eine Selbstverständigung der Wirtschaft darüber, wie mit den neuen Gegebenheiten im Internet umzugehen ist. Anwesend waren Vertreter großer Unternehmen (Vodafone, Redhat), noch kleiner Startups (SellaBand) und groß gewordener Startups (Xing). Der Tenor ging hier zumeist in die gleiche Richtung: Geld ist zukünftig in erster Linie mit der Infrastruktur zu verdienen, nicht mit den Inhalten selbst. Eine Antwort auf die Frage nach der Zukunft des Eigentums hat jedoch auch ein Unternehmen wie Sellaband nicht, das versucht, die Bereitstellung einer Online-Infrastruktur neuen Typs mit der klassischen Rolle einer Plattenfirma zu verbinden.

Symposiums-Redner Michael Tiemann, der bereits 1989 mit Cygnus Solutions das erste Unternehmen gründete, das Geld mit freier Software verdiente, will der Krise der Musikindustrie anderes begegnen: Inspiriert durch die Slow Food-Bewegung möchte er die Produktion von „guter, sauberer und fairer“ Musik unterstützen. Seine Mittel dazu: die Verwendung von Creative Commons-Lizenzen und der Bau eines neuen Aufnahmestudios. Auf dem „A New Cultural Economy“-Symposium gestattete man sich aber auch Philosophischeres: Thomas Macho und Volker Grassmuck hoben in ihren Betrachtungen der Begriffsgeschichten von „Eigentum“ und „Diebstahl“ darauf ab, dass Diebstahl, Piraterie und Plagiarismus essenziell sowohl für jeden kreativen Prozess als auch für den ökonomischen Fortschritt sind. Von Roland Barthes stammt im literarischen Kontext beispielsweise die Aussage, dass das Begehren des Autors zu schreiben seinen Ausgangspunkt immer im Lesen hat, dass jedes Schreiben also mit einer Nachahmung, einem Plagiat beginnt. Auch verwiesen wurde auf die verdrängte Geschichte der massiven und systematischen Verletzung von ausländischen Urheberrechten durch die Vereinigten Staaten im 19. Jahrhundert, die die Basis für den späteren Aufstieg zur ökonomischen Weltmacht legte. Ein weiteres interessantes Beispiel sind die Ursprünge der florierenden nigerianischen Filmindustrie („Nollywood“, weltweit drittstärkste hinter Hollywood und Bollywood) in dem nigerianischen Handel der 70er und 80er Jahre mit Raubkopien ausländischer Produktionen auf VHS-Kassetten.

Markus Wissen hegte bezüglich des Mottos der Ars Electronica begründete Zweifel: Global betrachtet kann keine Rede davon sein, dass geistiges Eigentum an seine Grenzen stößt. Im Bereich der Biotechnologie kommt es seit einiger Zeit vielmehr zu einer massiven Ausweitung von geistigen Eigentumsrechten, wenn nämlich Firmen Patente auf Lebensformen, beispielsweise in Form von Saatgut, erlangen. Kollektive Praktiken der Wissensproduktion, z.B. der Saatgut-Tausch, erleben nicht wie im Medien- und IT-Bereich einen Aufschwung, sondern werden eingeschränkt oder ganz verhindert. Wenn in diesem Bereich überhaupt die Rede davon sein kann, dass Eigentum an eine Grenze stößt, dann sind das Grenzen, die durch den aktiven Widerstand der Leidtragenden dieser Entwicklung gesetzt werden. Solcher Widerstand spielt sich auf juristischer, politischer oder auch alltagspraktischer Ebene ab. Nebenbei sei bemerkt, dass im biotechnologischen Bereich die Rollen vertauscht sind: Hier bewaffnen sich die „Piraten“ mit Patenten, anstatt diese zu brechen – mit dem Begriff „Biopiraterie“ wird die Nutzung des Rechts auf „geistiges Eigentum“ (z.B. durch Patente) zur Privatisierung und Aneignung von Lebensformen sowie des Wissens um ihre Nutzung kritisiert.

Mehrere AutorInnen des Buches „Freie Netze, freies Wissen“ stellten ihr Projekt „Wissensraum Linz“ vor, das für die Umsetzung von Themen wie Freie Software, Open Courseware und Freie Funknetze auf lokaler Ebene eintritt. Ein offenes WLAN und frei verfügbarer Webspace für alle werden dabei als BürgerInnenrecht und Teil der von der öffentlichen Hand bereitzustellenden Grundversorgung eingefordert. Generell wünschen sich die AktivistInnen eine veränderte Rolle des Staates, die weniger kontrollierenden und sanktionierenden als vielmehr unterstützenden und aktivierenden Charakter haben soll. Yochai Benkler wies in der Diskussion darauf hin, dass die Grenzen zwischen dem verschwimmen, was politisch klassischerweise „rechts“ und „links“ war, wenn sich der libertäre, staatskritische Hacker-Ethos und Creative Commons-Ansatz, in Benklers US-amerikanischem Koordinatensystem eher rechts verortet, mit linken Forderungen an den Staat nach Bereitstellung von Infrastruktur für die Netzgesellschaft mischt. Auch wenn man dies im europäischen Kontext vermutlich anders formulieren würde, so ist die Frage berechtigt, ob sich das Selbstbewusstsein, mit dem die Internetgemeinde auf erfolgreiche Graßwurzel-Projekte wie Wikipedia, Freie Software und Peer2Peer-Tauschbörsen blicken kann, mit den diskutierten Forderungen an Staat und Wirtschaft verträgt.

In der Diskussion wies die im Publikum anwesende österreichische Grünen-Abgeordnete im Europaparlament Eva Lichtenberger jedenfalls darauf hin, dass das politische System weit zurück gefallen ist hinter die Realitäten im Internet und die Wunsch-Vorstellungen der AktivistInnen: Im Europaparlament stellen die BefürworterInnen der Sharing Economy eine kleine Minderheit dar. Und die konkreten legislativen Entwicklungen in den Mitgliedsstaaten der EU gehen eher in die entgegengesetzte Richtung. Lichtenberger führt dies auf ein Generationenproblem zurück: Die EntscheidungsträgerInnen seien zu alt, um die technologische und gesellschaftliche Entwicklung erfassen zu können. Sie formulierte ihren Einwurf als einen „Hilferuf“ an die Anwesenden, die sie aufforderte, sich bei ihren EuropaparlamentarierInnen für eine andere Politik einzusetzen.

Blogger und Unternehmer Isaac Mao beleuchtete den „Sharism“ aus chinesischer Perspektive. Er sieht drei fundamentale Voraussetzungen für den Übergang zu einer Ökonomie des freien Austauschs in Kultur und Medien, die immer wieder Gefahr geraten und geschützt werden müssen: technologisch den freien Zugang zu den Netzwerken, politisch das Recht auf freie Rede und kulturell die Befähigung zu freiem Denken. Für die Zukunft Chinas ist er jedoch optimistisch: Die „Great Chinese Firewall“ sei an vielen Stellen löchrig und werde irgendwann überwunden werden – „Wenn alle ’sharen‘, wird Zensur sinnlos!“. Ein konkretes Projekt zur Förderung von freier Rede und freiem Denken stellte Georgia Popplewell von Global Voices vor: Unzählige ehrenamtliche RedakteurInnen und ÜbersetzerInnen versuchen, die lesenswerten und glaubwürdigen Beiträge aus der globalen Blogosphäre zu fischen und über Sprachbarrieren hinweg zu verbreiten. Audio-Aufnahmen der Beiträge des Ars Electronica-Symposiums und andere Podcasts stehen übrigens auf der Webseite des Festivals als mp3s zum Download bereit.

Drumherum tobte wieder mal die Kunst durch Linz: Yann Marussich schwitzte blau, Ö1 verschenkte 1GB-Sticks mit frei lizenzierten Daten aus dem Internet, Studierende der Universität Tokio sowie slowenische KünstlerInnen bestückten Ausstellungen mit ihren Werken, und bei der „Linzer Klangwolke“ wurden die Donau, ihre Ufer und nahe liegende Gebäude zur Bühne für eine mal nachdenkliche mal bombastische Erzählung eines Lebenslaufs in der bürgerlichen Gesellschaft.

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