Die Bundesregierung hat sich in der Bundespressekonferenz am Mittwochmittag gegen eine anlasslose Chatkontrolle ausgesprochen. Ein Sprecher der Bundesregierung sagte: „Eine anlasslose Chatkontrolle ist für die Bundesregierung tabu“, sie wolle verschlüsselte Kommunikation „nicht kontrollieren“. Es gehe jetzt darum, die Ratsverhandlungen positiv zu begleiten. Darüber hinaus gebe es keine verkündbare Einigung zum Thema.
Zuvor hatte am Morgen schon Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) mitgeteilt: „Anlasslose Chatkontrolle muss in einem Rechtsstaat tabu sein. Private Kommunikation darf nie unter Generalverdacht stehen.“ Der Staat dürfe Messenger auch nicht dazu zwingen, Nachrichten vor Versendung massenhaft auf verdächtige Inhalte zu scannen.
„Solchen Vorschlägen wird Deutschland auf EU-Ebene nicht zustimmen“, so Hubig. Zwar müsse man im Kampf gegen sogenannte Kinderpornographie auch auf EU-Ebene vorankommen. Dafür setze sie sich ein. „Aber auch die schlimmsten Verbrechen rechtfertigen keine Preisgabe elementarer Bürgerrechte. Darauf habe in den Abstimmungen der Bundesregierung seit Monaten beharrt. Und dabei wird es bleiben.“
Eine Abstimmung über die Chatkontrolle soll eigentlich am 14. Oktober in Brüssel stattfinden. Es zeichnet sich mit der Entscheidung der Bundesregierung ab, dass es keine Mehrheit im EU-Rat für den Vorschlag der dänischen Ratspräsidentschaft gibt. Das führte in der Vergangenheit immer wieder dazu, dass die Abstimmung von der Tagesordnung des EU-Rates genommen wurde.
„Bundesregierung muss Client-Side-Scanning ausschließen“
Elina Eickstädt, Sprecherin des Chaos Computer Clubs, warnt jedoch vor zu viel Euphorie. Man müsse die endgültige Position der Bundesregierung abwarten und analysieren, was diese enthalte. Die Phrase „anlassloses Scannen“ habe bereits in der Vergangenheit für Diskussionen gesorgt und könnte als juristischer Taschenspielertrick genutzt werden, um die Technologie des Client-Side-Scannings trotzdem einzubauen – um dann bei einem „Anlass“ scannen zu können.
„Eine Position, die wirklich Grundrechte schützt, muss jegliche Form von Client-Side-Scanning ausschließen und verschlüsselte Kommunikation dezidiert schützen.“ Auch Client-Side-Scanning für besondere Anlässe sorge für ein Schwächen der verschlüsselten Kommunikation, so Eickstädt weiter.
Die Positionierung der Bundesregierung hatte sich schon am Dienstagnachmittag angekündigt. Unionsfraktionsvorsitzender Jens Spahn nahm in einer Pressekonferenz ungefragt zum Thema Chatkontrolle Stellung und sagte: „Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion sind gegen die anlasslose Kontrolle von Chats. Das wäre so, als würde man vorsorglich mal alle Briefe öffnen und schauen, ob da etwas Verbotenes drin ist. Das geht nicht, das wird es mit uns nicht geben.“ In diesem Statement sagte er auch, dass die Bundestagsfraktion zahlreiche Zuschriften zum Thema erreicht hätten.
Protest wirkt
Das Thema Chatkontrolle hat in den letzten Tagen hohe Wellen geschlagen und ist seit voriger Woche ein politischer Dauerbrenner in sozialen Medien, der viele Menschen mobilisiert hat. Zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen haben sich in den vergangenen Tagen mit Nachdruck gegen die Chatkontrolle positioniert, darunter Amnesty International, Reporter ohne Grenzen, der Deutsche Kinderschutzbund, aber auch Wirtschaftsverbände wie eco und Bitkom sowie europäische Digital-Unternehmen. Auch Messenger wie Signal, Threema und WhatsApp sind gegen die Chatkontrolle.
Eine Petition gegen die Chatkontrolle hat innerhalb der letzten 48 Stunden fast 300.000 Unterschriften gesammelt. Das Bündnis „Chatkontrolle stoppen“ hat für den Donnerstagmorgen eine Kundgebung vor dem Bundesinnenministerium angemeldet, um die Unterschriften zu übergeben.
Seit Jahren reden sich Hunderte von IT-Expertinnen und Sicherheitsforschern, Juristinnen, Datenschützern, Digitalorganisationen, Tech-Unternehmen, Messengern, UN-Vertretern, Kinderschützern, Wächterinnen der Internetstandards und Wissenschaftlerinnen weltweit den Mund gegen die Chatkontrolle fusselig. Eine unglaubliche Breite der Zivilgesellschaft lehnt die Chatkontrolle ab, weil sie die wohl größte und gefährlichste Überwachungsmaschine Europas werden würde.

„keine anlasslose Schlamperei“
Ja, wie weit ist es denn mit dem Willen, zumindest so zu tun, als würde man die Technologie verstehen? Eine Chatkontrolle, die auf dem Endgerät von Remote eingeschaltet wird, weil ein Anlass besteht? Oder Schnorchelfaschismus mit dem Feigenblatt, man werte nur bei besonderem Anlass aus?
Oder lässt man die Schlamperei sein.
Für unverständlich, warum nicht endlich darüber abgestimmt wird. Ist die mehr dagegen ist das Thema ein für alle Mal beerdigt. Aber die Protogonisten wollen sich einer Mehrheit nicht beugen (welch absurdes Demokratieverständnis) und stimmen dann lieber nicht ab, wenn nicht sicher ist, daß das gewünschte Ergenis zustande kommt. Eine solche EU braucht wirklich niemand und so muß sich niemand wundern, wenn die Bürger sich zunehmend von der EU abwenden.
„Für unverständlich, warum nicht endlich darüber abgestimmt wird.“
Weil Gremien Prozesse und Geschäftsordnung haben, um zu funktionieren, und man mit denen arbeiten kann, von beiden Seiten.
„Ist die mehr dagegen ist das Thema ein für alle Mal beerdigt.“
Natürlich nicht, denn kein Entschluss gilt für ewig oder für alles.
Es hilft wirklich, mal in demokratischen Gremien gearbeitet zu haben, trauen Sie sich.
Vielleicht könntet ihr recherchieren und aufbereiten, wo die Unterstützer:innen zu finden sind. Welche Organisationen lobbyieren für anlasslose Überwachung? Wir wissen, bei Artikel 17 sind und waren es ebenfalls Überwachungsunternehmen und ein Verschwörungsnetzwerk (ihr berichtetet) — Immer noch die gleichen oder diesmal andere Akteur:innen?
Was auch bemerkenswert heute war: Selbst der ÖRR hatte heute darüber berichtet und auch im Radio heute morgen war es ein großes Thema.
Und besonders wichtig: Die Perspektive, aus der berichtet wurde, war nicht wie damals in der Tagesschau nach dem Motto „die Leute blockieren Kinderschutz-Vorhaben der EU“ sondern es ging wirklich kritisch um das Thema Überwachung und die negativen Konsequenzen der Chatkontrolle.
In der FAZ und NTV wurde suggeriert das die Chatkontrolle super ist und das Deutschland den Kampf gegen CSAM blockiert. Also ist die Welt nicht so rosig, wie du es schilderst.
OK, dann gibt es inzwischen selbst innerhalb der Medien Differenzen. Das wusste ich nicht.
Ich hatte die Stellungnahmen im Radio gehört und im ARD einen Beitrag gesehen, die die entsprechende kritische Position zur Chatkontrolle hatten…
Wenn die FAZ dafür ist, müssen wir von einer Strategie der Tech-Konzerne ausgehen. Vermutlich für Zersetzung von Datenschutz und des Vertrauens in Insitutionen und Regierungen.
Wie die Sprecherin vom CCC schon sagt: Das Wort „anlasslos“ lässt viel Interpretationsspielraum.
Und der Satz der Justizministerin [Der Staat dürfe Messenger auch nicht dazu zwingen, Nachrichten vor Versendung massenhaft auf verdächtige Inhalte zu scannen] enthält das einschränkende Wort „massenhaft“. Wenn es also nicht „massenhaft“ ist, darf der Staat also Messenger dazu zwingen…
Das client side scanning von Messengern, der feuchte Traum jedes Überwachungsfetischisten, ist damit nicht vom Tisch, also Achtung.
Die Ausleitung der Kommunikation mit einen Beschluss ist jetzt schon gültige Rechtslage. Die Interpretation wie das passiert ist relativ weit. Staatstrojaner, Sicherheitslücken oder mit Verpflichtung der Anbieter.
Ich bitte euch, hier gibt es noch gar nichts zu feiern. Schaut euch das Lavieren auf der Bundespressekonferenz hier an: https://www.youtube.com/watch?v=gCeJFHAsE6o
Die Verzweiflung muss sehr, sehr tief sitzen, dass man so vorschnell eine „half-assed“ „Entwarnungsmeldung“ raushaut. Was ist der Grund dafür?
Das Ding ist doch erst dann vom Tisch, wenn die Abstimmung in Brüssel stattgefunden hat. Und keine Sekunde vorher. Aus meiner Sicht schadet dieser vorzeitige „Jubel“ mehr als dass er hilft. Es reicht auch völlig aus, wenn man zu dem Thema am Ende des Tages eine Einschätzung anbietet. Das sollte imho nicht Minuten nach dem Statement eines Politikers geschehen.
Macht nichts Dobrindt schiebt in der Aufregung die Vorratsdatenspeicherung nach.
Bei der Union lehnt man sich vermutlich entspannt zurück und freut sich auf die europaweite „Digitale Identität“ mit Zwangskontrollen im Internet, für alle möglichen Apps und irgendwann direkt auf den Geräten.
Scheint, als wären die Verhandlungen jetzt endgültig gescheitert.
https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.umstrittenes-vorhaben-eu-verhandlungen-zu-chatkontrolle-vorerst-gescheitert.ca1867cd-0f02-4919-adc7-6c2987e51747.html
und
https://www.jungewelt.de/artikel/510297.eu-verhandlungen-zur-chatkontrolle-abgebrochen-brd-stimmte-dagegen.html
Vielleicht haben wir Glück und Dänemark gibt ganz auf…
Oder aber sie versuchen es im Dezember auf den letzten Drücker nochmal.
Aber selbst wenn wir jetzt Dänemark überstehen, graut es mir schon jetzt bereits vor den nächsten 2 Jahren.
Mit Zypern, Irland, Litauen und Griechenland haben da gleich 4 Dauer-Hardliner hintereinander die Ratspräsidentschaft inne.
Der Kampf wird weitergehen… Und wir alle müssen weiterhin wachsam bleiben!!
Die Chatkontrolle ist nicht vom Tisch. Hier und jetzt wird nur das Thema „Anlasslos“ durchgestrichen.
Somit bleibt doch das Problem bestehen und das Vollk schluckt die Ente.
Denn ein Grund findet man immer auf Verdacht. Sei es automatisiert…
Wenn schon wegen Schmierereien an Schulwände, eine Polizeidurchsuchung auslöste mit Beschlagnahme von Handy und Rechner.
Nah, klingelt was?
Super, dass die Bundesregierung jetzt auch gegen die anlasslose Chatkontrolle ist. Ein echter Heureka-Moment! Es erinnert mich an die weise Voraussage von Sibylle Berg bei der PARTEI: Das Vorhaben wird scheitern, aber sterben tut es nicht (Bürgersprechstunde September 2025). Es riecht hier nach der bewährten EU-Strategie: „Auf in die nächste Runde! Gleiche Freiheitsbeschneidung, neue Tarn-, gleiche Lachnummer.“
Das Ganze ist wie der Turmbau zu Babel, nur mit mehr Bürokratie: Man feilt so lange an den Worten, bis der gesunde Menschenverstand mit einem Nothammer die Scheibe einschlägt und flüchtet. Wer den ersten mit dem letzten Entwurf vergleicht, hat das Gefühl, der Text wurde nicht weiterentwickelt, sondern weichgespült. Am Ende geht es nicht mehr um Überzeugung, sondern um Betäubung.
Hoffen wir, dass der Widerstand diesmal nicht nur aus Sonntagsreden besteht, sondern tatsächlich wirkt.
Sollte ein solches Überwachungsprogramm doch mal Zustimmung finden,
hat man dann eigentlich ein „Sonderkündigungsrecht“ für seinen Handy-Vertrag?
Der Punkt ist insofern interessant, als dass sich schon die Frage stellt, ob das Betriebssystem die Infrastruktur dafür zu stellen hat, oder ob jede App die Schnittstellen selbst implementiert.
Abgesehen davon, dass das alles bzgl. des beworbenen Zweckes Makulatur wäre, wären Apps mit eigenständigen Implementierungen für Sachenverschicken auch ein problematisches Szenario. Betriebssystemschnittstelle auch. Und dann stellt sich die Frage, was man mit Herstellern macht, die ihr unnötigerweise angepasstes OS nicht rechtzeitig aktuell halten, genauso bei Apps. Datenschutzeinstellungen müssten das Verschicken, also die Chatkontrollfunktion unterbinden, wobei dann eben das Verschicken von Bildern/Videos und was nicht alles blockiert würden.
Windows Patchday geht mit sowas natürlich nicht, sonst fliegt die Kommunikation der EU weg o.ä.
Man könnte auch die Standards entwickeln für beides, so kann geprüft werden, ob auf Systemebene eine Schnittstelle besteht, oder die App verfährt gemäß Konfiguration.
Das entspricht jetzt der Idee, die Akteure mittels Nudging dazu zu bringen, letztlich die Hilfestellung und Standards zu entwickeln, die es für freiwilligen geräteseitigen Jugendschutz benötigen wird. D.h. die Eltern sorgen dafür, dass das Gerät Schutzfunktionen bekommt.
In Zeiten von Spionage und Trackingapps an allen Ecken und Enden, ist eine Kontrolle der Apps durch Minderjährige ein Riesenproblem. Die Wasser sind zwar bereits getrübt, aber die Hauptfunktion der Geräte ist noch die Erreichbarkeit und Notruf, also Kommunikation. Der Rest muss im Zweifel also weichen.