Liberties-StudieSo steht es um die Aufsicht des Digital Services Act

Seit fast einem Jahr ist der DSA in Kraft. Das hat die Grundrechteorganisation Civil Liberties Union for Europe zum Anlass genommen, sich die nationale Umsetzung des EU-Digitalgesetzes näher anzusehen. Deutschland schneidet im Vergleich mit anderen EU-Ländern nicht schlecht ab.

Wie unabhängig ist der Digital Services Koordinator? Im Bild der Interims-Leiter Klaus Müller (links) mit Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Chris Emil Janßen

Inhaltemoderation im Netz kann schnell zum politischen Zankapfel werden. Im vergangenen Herbst wetterten etwa rechte Medien, AfD-Politiker:innen und sogar Wolfgang Kubicki, Vize-Chef der damaligen Regierungspartei FDP, gegen die „grüne Zensuranstalt“ Bundesnetzagentur. Diese würde den „Meinungskorridor einseitig“ einschränken, so der Vorwurf.

Die Regulierungsbehörde war ins Visier geraten, weil bei ihr die Koordinierungsstelle für digitale Dienste (Digital Services Coordinator, DSC) angesiedelt ist. Bei ihr liegt die Aufsicht über tausende deutsche Online-Dienste, wie es der Digital Services Act (DSA) festschreibt. Ebenfalls im EU-Digitalgesetz und im zugehörigen deutschen Digitale-Dienste-Gesetz (DDG) verankert ist ihre Unabhängigkeit.

„Gerade in Zeiten von Donald Trump und Elon Musk ist es wichtig, dass DSA-Aufsichtsbehörden frei von politischem Einfluss arbeiten können“, sagt Jürgen Bering von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF). Denn auch aus den USA kommt zunehmender Druck: Vize-Präsident J.D. Vance verknüpfte etwa das US-Engagement in der NATO mit der (Nicht-)Durchsetzung des DSA, Meta-Chef Mark Zuckerberg sprach von „institutionalisierter Zensur“.

Für Elon Musk, seinerseits Besitzer der Plattform X und einflussreicher US-Regierungsberater, ist der DSA ohnehin nur „Misinformation“. Der Zorn richtet sich gegen Brüssel, weil die EU-Kommission die ganz großen Online-Dienste selbst beaufsichtigt, darunter Meta, Instagram und X. Gerüchte, die Kommission sei eingeknickt und habe angesichts der Drohgebärden eine Reihe an Untersuchungen US-amerikanischer Tech-Unternehmen auf Eis gelegt, bestreitet die Kommission energisch.

Studie untersucht nationale DSA-Umsetzung

Wie es um die Unabhängigkeit der DSA-Aufsicht bestellt ist, hat nun die Grundrechteorganisation Civil Liberties Union for Europe (Liberties) in einer Studie untersucht. Knapp ein Jahr, nachdem der DSA in Kraft getreten ist, hat sie sechs EU-Länder näher unter die Lupe genommen: Bulgarien, Kroatien, Tschechien, Deutschland, Italien und Rumänien. Abgesehen von den großen Anbietern liegt die Aufsicht über Diensteanbieter bei nationalen DSCs. Wie in Deutschland mussten die Länder eigene Gesetze auf den Weg bringen, um die DSA-Vorgaben umzusetzen.

Bis heute ist das nicht allen Ländern gelungen. Tschechien hat es etwa weiterhin nicht geschafft, ein dem deutschen Digitale-Dienste-Gesetz vergleichbares Regelwerk zu beschließen. Im internationalen Vergleich schneidet Deutschland insgesamt gar nicht so schlecht ab, obwohl es auch hierzulande zu Verzögerungen gekommen war – und der Prozess noch nicht vollständig abgeschlossen ist.

So führt Bundesnetzagentur-Chef Klaus Müller seit letztem Jahr vorläufig die Geschäfte. Zumindest auf dem Papier ist das ein Problem: Die Behörde, die neben dem DSA für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen zuständig ist, fällt in den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz. Im Jahr 2021 hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, die Behörde sei nicht unabhängig genug, Deutschland musste nachbessern.

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DSC-Leitung in der Schwebe

Noch stärker fallen nun die Vorgaben im DDG aus, welches die Unabhängigkeit des DSC ausdrücklich festschreibt. Doch wann der Führungsposten in Bonn endgültig besetzt wird, bleibt unklar. Die Position der DSC-Leitung war bis zum 31.01.2025 öffentlich ausgeschrieben, sagt eine Sprecherin der Behörde auf Anfrage von netzpolitik.org. Weitere Angaben zum laufenden Auswahlverfahren wollte sie nicht machen.

Indes agiere der DSC heute schon unabhängig, betont die Sprecherin. Weder dürfe er direkt oder indirekt Weisungen von anderen Behörden oder privaten Stellen einholen oder entgegennehmen, noch unterliege er einer Fachaufsicht. Trotzdem erhält die deutsche Regelung einen Punkteabzug von Liberties: Zwar sei die Unabhängigkeit stark im DDG verankert, die Verbandelung mit dem Wirtschaftsministerium werfe jedoch „strukturelle und praktische“ Fragen hinsichtlich der Autonomie im Alltag auf.

Besser als die meisten verglichenen EU-Länder schneidet Deutschland in der Liberties-Bewertung auch bei der Einbindung der Zivilgesellschaft ab. Im eigens eingerichteten, 16-köpfigen Beirat sollen Vertreter:innen aus der Zivilgesellschaft, Forschung und Wirtschaft ihre Perspektiven in die Arbeit des DSC einbringen. Das ist bei Weitem nicht in allen Ländern der Fall. „Durch diese institutionalisierte Einbindung der Zivilgesellschaft und von Experten entsteht ein strukturierter Mechanismus zur Ko-Regulierung und Aufsicht, womit der deutsche Ansatz vergleichsweise fortschrittlich ist“, heißt es im Liberties-Bericht.

Stresstests ohne Beirat

Einen Einblick in das noch junge Gremium bietet unsere Kolumne des Beiratmitglieds Svea Windwehr: Zuletzt hatte es final eine Geschäftsordnung beschlossen und sich unter anderem mit dem Bundestagswahlkampf befasst – und damit, dass der DSC den Beirat bei kürzlich durchgeführten Stresstests nicht eingebunden hat. Zwar hatte die Behörde eine Reihe zivilgesellschaftlicher Organisationen zu der Simulationsübung im Januar eingeladen. Um welche es sich dabei gehandelt hat und was genau besprochen wurde, ließ sich allerdings nur über Flurfunk feststellen.

Das kritisiert auch Jürgen Bering von der GFF. Die Einbindung der Zivilgesellschaft könnte durchaus stärker ausfallen, vor allem müsste der DSC dabei aber „so transparent wie möglich“ agieren, sagt Bering. Dies sei beim jüngsten Stresstest nicht so recht gelungen. Die Sprecherin der Behörde hält die Zusammenarbeit mit dem DSC-Beirat für „sehr konstruktiv“. Ob das mehr ist als ein Lippenbekenntnis, dürfte sich bald zeigen.

Grundsätzlich sollten sich andere EU-Länder dabei eine Scheibe bei Deutschland abschneiden, resümiert der Liberties-Bericht. Auch sonst gebe es viel zu tun: Insgesamt sollten die untersuchten Länder mehr Transparenz und somit Vertrauen schaffen, etwa durch öffentliche Berichtspflichten oder externe Audits. Und die EU-Mitglieder sollten ihre Lobby-Regeln stärken, um Interessenskonflikte und eine Einflussnahme des privaten Sektors zu verringern. Das könnte auch dazu beitragen, dass weitgehend haltlose Kampagnen gegen angebliche Zensur-Behörden nicht so einfach verfangen.

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