DemonstrationsrechtMerz hat den Pfad der Mäßigung verlassen, nicht die Menschen auf der Straße

CDU-Chef Merz bezeichnet den friedlichen und demokratischen Protest Zehntausender als Übertreibung des Demonstrationsrechts. Wer so redet, will das Versammlungsrecht und legitimen Protest einschränken. Ein Kommentar.

Menschen protestieren vor der CDU-Zentrale, in der ein riesiges Plakat von Friedrich Merz hängt.
Zehntausende haben am Donnerstag Abend bundesweit gegen die CDU demonstriert. So auch in Berlin vor der Parteizentrale. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / F. Anthea Schaap

Es ist eigentlich das Markenzeichen strauchelnder Despoten: Sie diskreditieren friedliche Proteste und versuchen diese als fremdgesteuert darzustellen. Doch genau diesen Klassiker autoritärer politischer Kommunikation brachte CDU-Chef Friedrich Merz gestern auf einer schlecht besuchten CDU-Veranstaltung in Dresden ins Spiel.

Zur gleichen Zeit protestierten mehr als 75.000 Menschen in mindestens 37 Städten friedlich und vor den Geschäftsstellen seiner Partei.

Man muss sich die Worte des CDU-Chefs in voller Länge auf der Zunge zergehen lassen:

Zu unserer Freiheit gehört, dass man selbstverständlich demonstrieren darf. Aber diejenigen, die heute Abend Straßenbahnen blockieren, Kreisgeschäftststellen der CDU beschädigen, das Adenauer-Haus lahmlegen in Berlin, die übertreiben es mit diesem Demonstrationsrecht. Das Demonstrationsrecht geht nur soweit, wie die Freiheit aller anderen auch erhalten bleibt.

Deswegen möchte ich von dieser Stelle aus auch die Sozialdemokraten und Grünen herzlich bitten, über ihre Möglichkeiten der Kommunikation zur Mäßigung aufzurufen, zur Zurückhaltung aufzurufen und dazu aufzurufen, dass wir uns in der politischen Mitte unseres Landes, in den den wesentlichen Fragen, die wir miteinander zu besprechen und zu entscheiden haben, auch einigen.

Daran ist vieles falsch. Die Aussagen zeigen, welche Vorstellung von Demokratie der ehemalige BlackRock-Aufsichtsrat hat.

Da gehen Menschen in Sorge über den Verlust demokratischer Grundgewissheiten bei Kälte und Regen auf die Straße, über Parteigrenzen hinweg, jung und alt, von ganz links bis modern-konservativ. Diese Demos sind vielfältig, bunt, vereint in der Verteidigung demokratischer Werte. Am Ende singen die Leute zusammen ein Lied gegen Faschismus und halten die Handytaschenlampe als moderne Kerze in die Luft. Demokratischer geht wirklich nimmer.

Wer also diesen überaus demokratischen und friedlichen Protest als Übertreibung des Demonstrationsrechts und damit als Grenzüberschreitung bezeichnet, der offenbart, dass er eigentlich die Versammlungsfreiheit als Ganzes und damit solche vollkommen legitimen Proteste einschränken will.

Das passt im Übrigen sehr gut zum autoritären und grundrechtsfeindlichen Kurs der Merz-CDU und zur Tatsache, dass CDU-Regierungen in Deutschland in den letzten Jahren das Demonstrationsrecht eingeschränkt haben.

Merz hat den Pfad der Mäßigung verlassen

Dass ausgerechnet dieser Merz, der mit dem Einreißen der Brandmauer gerade den ultimativen Tabubruch begangen hat, jetzt zur Mäßigung aufruft und dabei die politische Mitte beschwört, die er gerade verlassen hat, ist ein Hohn für alle Aufrechten in diesem Land. Merz paktiert mit einer faschistischen und völkischen Partei.

Merz hat den Pfad der Mäßigung verlassen, nicht die Menschen auf der Straße.

Altgediente CDU-Mitglieder verlassen die Partei, ein Holocaust-Überlebender gibt das Bundesverdienstkreuz zurück und sogar Angela Merkel meldet sich nach Jahren der Zurückhaltung mit für sie maximaler Kritik zu Wort. Angesichts Merzens Politik der aktiven Demokratiezerstörung sind die Proteste zwar bestimmt, laut und groß, aber auch ausgesprochen zurückhaltend und friedlich.

Die Versammlungsfreiheit ist eines der wichtigsten und die Demokratie konstituierenden Grundrechte. Das hat das Bundesverfassungsgericht im Brokdorf-Beschluss festgestellt. In der Abwägung mit anderen Grundrechten „schlägt“ es regelmäßig andere Grundrechte. Vor allem solche postulierten CDU-Grundrechte wie eine pünktliche Straßenbahn, ein ungestörter Einkauf oder ein gewohnter Fahrtweg.

Merz versteht nichts von Demokratie

Das Demokratieverständnis eines Friedrich Merz ist ebenso weltfremd wie undemokratisch. Er kann sich nicht vorstellen, dass ganz normale Leute aus freien Stücken, aus Angst, Wut und Empörung, aus tiefer demokratischer Überzeugung Schilder malen und mit Kind und Kegel auf die Straße gehen – ohne dass es eine Partei braucht, die sie dazu aufruft.

Merz hat das Grundprinzip von Demokratie nicht verstanden, in der freie Menschen zusammen und für sich selbst freie Entscheidungen treffen. Er hat nicht verstanden, dass Demonstrationen das spontane Herzstück und die Seele der Demokratie sind.

Erst recht nicht verstanden hat er, dass die Empörung über seine Politik gerade so groß ist, dass weder SPD und Grüne irgendwie in der Lage wären, die Leute jetzt wieder nach Hause zu rufen. Eine vollkommen absurde Vorstellung.

Die Proteste stehen erst am Anfang. Durch solche Reden werden sie nur größer und größer werden.

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