Rheinland-PfalzEine Abschiebe-Behörde, die Handys durchsucht

Mit der Zentralstelle für Rückführungsfragen hat Rheinland-Pfalz eine eigene Abschiebe-Behörde geschaffen, die inzwischen sogar Handys von ausreisepflichtigen Geflüchteten durchsucht. Verträge dazu hält das Land geheim, die Datenschutzbehörde wusste von nichts. Wir veröffentlichen Kommunikation zur Anschaffung des Software.

Mensch im blauen Blazer links, Mensch im schwarzen Anzug rechts, sie schütteln sich die Hand
Der eine will im großen Stil abschieben, die andere schafft dafür eine eigene Behörde. Malu Dreyer bei Beratungen mit Olaf Scholz Ende 2023. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Fotostand / Reuhl

Rheinland-Pfalz zahlt jährlich mehrere Zehntausend Euro, um die Geräte von ausreisepflichtigen Ausländer:innen zu durchsuchen. Das geht aus Nachrichten hervor, die das zuständige Integrationsministerium mit der Zentralstelle für Rückführungsfragen (ZRF) austauschte und die netzpolitik.org über eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz erhalten hat.

Mit der Zentralstelle für Rückführungsfragen hat Rheinland-Pfalz eine eigene Behörde geschaffen, die landesweit bei der Abschiebung von Menschen ohne Bleiberecht helfen soll. Die Behörde bei der Stadtverwaltung in Trier organisiert etwa Sammelabschiebungen oder hilft bei der Beschaffung von Pässen.

Seit 2022 übernimmt sie allerdings noch eine weitere Aufgabe: Ausländerbehörden aus dem Bundesland können die Geräte von Menschen mit ungeklärter Identität dort einschicken und durchsuchen lassen. Diese sind seit 2015 per Gesetz verpflichtet, ihre Geräte durchsuchen zu lassen, wenn sie keinen gültigen Pass vorlegen oder ihre Identität auf anderen Wegen nachweisen können.

Die Zentralstelle sucht auf den Geräten nach Hinweisen, die für eine Abschiebung hilfreich sein könnten – und übergibt die Ergebnisse der Ausländerbehörde. Das Ziel: mehr und effektivere Abschiebungen.

40.000 Euro für Durchsuchungs-Software

Bis ins Jahr 2021 hatte das Landeskriminalamt diese Durchsuchungen im Auftrag der Ausländerbehörden übernommen, in „Amtshilfe“. Anfangs waren es 10 Anträge im Jahr, die dort eingingen, sagt ein Sprecher auf Anfrage, im Jahr 2021 schon fast 40.

Was danach geschah, geht aus einem Schreiben hervor (PDF), das aus dem grünen Integrationsministerium an die Trierer Abschiebe-Behörde ging. Im Juni 2020 heißt es darin aus dem Ministerium: „Da das Landeskriminalamt nicht mehr in der Lage ist, im Wege der Amtshilfe die Auswertung von Datenträgern … für die Ausländerbehörden des Landes durchzuführen, muss eine anderweitige Lösung gefunden werden“. Es sei „sachgerecht, wenn zukünftig die Datenträgerauswertung landesweit von der ZRF wahrgenommen wird“. Dafür seien auch „die erforderlichen informationstechnischen Voraussetzungen zu schaffen“.

Das Ministerium genehmigt in dem Schreiben, ein System für das Auslesen der Geräte anzuschaffen. Kosten: rund 10.000 Euro. Außerdem soll eine weitere Software für 27.000 Euro gekauft werden, um die ausgelesenen Daten zu analysieren. Die Lizenzen, um die Software nach der Anschaffung weiter nutzen zu dürfen, sollen laut der Nachricht jährlich verlängert werden.

Zum Jahresende meldet sich die Zentralstelle (PDF) dann zurück, mit der Rechnung und der Bitte um die zügige Erstattung. Die Kosten für die Anschaffung der Software liegen laut dem Schreiben bei 40.000 Euro.

Werkzeuge sollen geheim bleiben

Seit 2022 übernimmt die Behörde die Handy-Durchsuchungen nun also selbst. Welche konkrete Software welches Anbieters dabei zum Einsatz kommt, will das Ministerium aber nicht mitteilen: Da es bei Abschiebungen auch um „Gefahrenabwehr“ ginge, würde das die öffentliche und innere Sicherheit gefährden. Die staatlichen Interessen würden in so einem Fall das Recht auf eine Auskunft nach dem Informationsfreiheitsgesetz überwiegen, so das Ministerium.

Rheinland-Pfalz ist nicht das einzige Bundesland, das zuletzt technisch aufgerüstet hat, um mit Ermittlungssoftware vermeintliche Beweise auf den Geräten von Geflüchteten zu suchen. Mindestens fünf weitere Bundesländer haben sich inzwischen eigene Software angeschafft, darunter Bayern und Nordrhein-Westfalen. Der Anbieter ist in den allermeisten Fällen Cellebrite, ein israelisches Unternehmen für digitale Forensik.

Das Unternehmen vertreibt Geräte und Software, mit denen man Smartphones durchsuchen kann und vermarktet seine Produkte vor allem an Ermittlungsbehörden, die damit auf beschlagnahmten Geräten nach Beweisen suchen. Das Versprechen: mit nur wenigen Klicks in ein Smartphone eindringen und die Daten darauf systematisch durchsuchen – selbst dann, wenn man keine Zugangsdaten hat.

Seit die damalige Bundesregierung 2015 das Aufenthaltsrecht verschärfte und auch die Handydurchsuchungen zur Identitätsfestellung erlaubte, kann Cellebrite auch Abschiebe-Behörden zu seinem Kundenkreis zählen. Mehr als 100.000 Euro fließen inzwischen jährlich aus deutschen Bundesländern an das Unternehmen.

Tiefer Eingriff ohne Vorteile

Migrationsforscher:innen und Fachleute bezweifeln den Sinn dieser Investition und vor allem die Verhältnismäßigkeit der Durchsuchungen. Denn auf einem Handy finden sich zahlreiche Informationen, die in den so genannten Kernbereich privater Lebensgestaltung fallen können. So heißt im deutschen Rechtsjargon der Teil des Privatlebens, der so privat ist, dass er vor dem Blick des Staates besonders geschützt bleiben soll.

Nacktbilder, Nachrichten zu Schwangerschaftsabbrüchen oder eine App, die etwas über die sexuelle Orientierung aussagt: All das soll eigentlich nicht in den Auswertungsberichten landen. Dazu muss eine Person mit einem juristischen Staatsexamen die Daten und Berichte nochmal prüfen, bevor sie an die Ausländerbehörden gehen. Doch zumindest vor deren Blick sind die Daten auf dem Handy nicht sicher.

Gleichzeitig brächten die Durchsuchungen keinerlei Vorteil für das erklärte Ziel der Identitätsfeststellung, kritisiert die Anwältin Sarah Lincoln. Sie koordiniert bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte mehrere Klagen zu den Handydurchsuchungen. Der Verein hält die Handydurchsuchungen für nicht verfassungsgemäß und hat zuletzt vor Gericht gegen das Bundesamt für Asyl und Flüchtlinge (BAMF) gewonnen: Die Behörde darf nicht mehr gleich zu Beginn pauschal das Handy verlangen, wenn jemand ohne Pass in Deutschland ankommt. Sie muss zunächst prüfen, ob es mildere Mittel zur Feststellung von Identität und Herkunft gibt. Lincoln bezeichnet die Durchsuchungen als „reine Schikane“.

Hohe Abschiebequote als „Beweis der guten Arbeit“

Die Bundesregierung will trotzdem unbedingt an der Maßnahme festhalten. In einer aktuellen Verschärfung des Asyl- und Aufenthaltsrechts hat sie nicht nur klargestellt, dass die Durchsuchungen weiter stattfinden sollen, sondern die Befugnisse der Behörden noch erweitert: Beamt:innen dürfen nun auch in die Privaträume von Menschen eindringen, die abgeschoben werden sollen, um nach Dokumenten oder Geräten zu suchen.

In Rheinland-Pfalz kommen diese Verschärfungen gut an. Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) hatte die neuen Regeln begrüßt. „Wir begrenzen die irreguläre Migration, um das Recht auf Asyl zu schützen“, sagte sie Ende 2023 vor der Presse. Schon in vergangenen Jahren brüstete Dreyer sich mit den hohen Abschiebezahlen im Bundesland und nannte diese einen „Beweis der guten Arbeit der Zentralstelle“.

Rheinland-Pfalz liegt bei den Abschiebezahlen im Vergleich der Bundesländer regelmäßig weit oben. Das Verhältnis von Aufnahmequote und Zahl der Abschiebungen ist hoch. Ende 2023 lebten laut Daten aus dem Ausländerzentralregister 2.232 ausreisepflichtige Menschen im Bundesland. Der größte Teil von ihnen kommt aus Afghanistan, Syrien und dem Irak.

Datenschutzaufsicht hatte keine Kenntnis

Der Landesbeauftragte für den Datenschutz in Rheinland-Pfalz wusste von der Anschaffung der Forensik-Software und den Durchsuchungen bei der Zentralstelle bislang nichts. „Wir haben davon durch Ihre Anfrage erstmals Kenntnis erlangt“, schreibt eine Sprecherin. Die Behörde kündigt an, jetzt Kontakt mit der Stadtverwaltung Trier aufzunehmen. Sie will prüfen, ob Regeln für den Datenschutz eingehalten werden.

Laut der in Europa geltenden Datenschutzregeln müssen die Verantwortlichen bei tiefen Eingriffen in Datenschutzrechte erst die möglichen Folgen und Risiken abschätzen, bevor sie ein System einsetzen. Das nennt sich Datenschutz-Folgenabschätzung. Womöglich hätte sich die Zentralstelle auch mit der Datenschutzaufsicht beraten müssen.

„Wir kennen die Datenschutz-Folgenabschätzung der Stadtverwaltung Trier bislang nicht und können den Sachverhalt daher nicht bewerten“, schreibt die Sprecherin. „Angesichts des tiefen Eingriffs in die Grundrechte asylsuchender Menschen durch die geschilderten Maßnahmen ist es aber mindestens denkbar, dass eine Pflicht zur Konsultation unserer Behörde bestand.“ Der Einsatz solcher Software gehe mit einem hohen Risiko für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen einher.

Der Landesbeauftragte für den Datenschutz Rheinland-Pfalz Dieter Kugelmann hatte schon vor Jahren gewarnt, dass die Durchsuchung von Geräten tief in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung von Asylsuchenden eingreifen kann. Damals ging es um das Bundesamt für Asyl und Flüchtlinge (BAMF), das nach einer Gesetzesänderung 2017 die Erlaubnis bekam, in den Handys von Schutzsuchenden nach Informationen zu suchen. Die inhaltliche Positionierung des Landesbeauftragten gelte bis heute, schreibt die Aufsichtsbehörde.

Irritiert ist auch der Flüchtlingsrat Rheinland-Pfalz. Der Verein setzt sich für die Rechte von Geflüchteten im Land ein. „Wir sind schockiert, dass das Integrationsministerium die Ausländerbehörden als ‚Gefahrenabwehrbehörden‘ bezeichnet“, schreibt eine Sprecherin. Die Investitionen in digitale Forensik nennt sie unverhältnismäßig. „Das ist das Ergebnis einer Politik, die auf Stimmungsmache und scheinbarer Handlungsfähigkeit basiert und sich nicht mit Fakten rechtfertigen lässt.“ Das Geld könne an anderer Stelle sinnvoller investiert werden.

Der Rat plädiert für ein Stufenmodell bei der Identitätsklärung, das den Menschen entgegen kommt. An letzter Stelle stehe dann die Möglichkeit einer eidesstattlichen Erklärung. In der öffentlichen Debatte sei der Eindruck entstanden, dass Menschen mit ungültigem Pass oder nicht nachgewiesener Identität dies absichtlich hervorrufen, um sich daraus Vorteile zu verschaffen. „Währenddessen ist es in den aller meisten Fällen so, dass vorhandene Pässe hier nicht anerkannt werden können, oder das von den Behörden im Herkunftsland keine Pässe ausgestellt werden können.“

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