Polnische UntersuchungKnapp 600 Menschen mit Pegasus gehackt

Ein Zwischenbericht des polnischen Justizministeriums gibt erstmals Einblick in in die weitflächige Überwachung in Polen während der Amtszeit der PiS-Regierung. 578 Personen sollen mit der Spionage-Software Pegasus gehackt worden sein.

Unter dem Vorsitz der KO-Politikerin Magdalena Sroka untersucht der polnische Senat den Pegasus-Spionageskandal. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / newspix

Insgesamt 578 Personen soll die inzwischen abgewählte rechtskonservative PiS-Regierung in den Jahren 2017 bis 2023 mit der Spionagesoftware Pegasus überwacht haben. Das geht aus einem ersten Zwischenbericht des Justizministers und Generalstaatsanwalts Adam Bodnar an den polnischen Senat hervor, der gestern veröffentlicht wurde.

Derzeit arbeitet Polen umfassend die Regierungszeit der PiS-Partei zwischen 2015 und Ende 2023 auf. Dazu zählt auch der Pegasus-Überwachungsskandal, der im Jahr 2021 aufgeflogen war und nun von einer parlamentarischen Untersuchungskommission eingehend geprüft wird.

Als gesichert gilt, dass zahlreiche oppositionelle Politiker:innen und Jurist:innen mit der Spähsoftware gehackt worden waren. Das haben forensische Untersuchungen des kanadischen Citizen Lab ergeben, einem Forschungsinstitut der Universität Toronto. Medienberichten zufolge sollen indes auch damalige PiS-Regierungsmitglieder überwacht worden sein, unter anderem der Ex-Premier Mateusz Morawiecki.

Mächtiges Spionagewerkzeug

Pegasus ist eine Trojaner-Software des israelischen Herstellers NSO Group. Mit dem Werkzeug lassen sich unbemerkt IT-Geräte wie Smartphones aus der Ferne knacken. Damit erhalten Angreifer:innen praktisch unbegrenzten Zugriff auf das digitale Leben ihrer Opfer und ihres Umfelds. In Echtzeit lassen sich beispielsweise Gespräche belauschen, die Standorte der Opfer ermitteln und beliebige Daten vom Gerät abziehen, etwa verschlüsselte Chats, Fotos oder Passwörter.

Offiziell vertreibt die NSO Group den Trojaner nur an staatliche Akteure, die damit vermeintlich Terror und organisierte Kriminalität bekämpfen sollen. Doch schon seit Jahren finden sich Spuren der Überwachungssoftware auf Geräten von Regierungskritiker:innen, Journalist:innen und Aktivist:innen in aller Welt. Aufgrund der anhaltenden Verletzungen von Menschenrechten steht das Unternehmen inzwischen auf einer US-Sanktionsliste.

Überwachung in mehreren EU-Ländern

Polen ist nicht das einzige Land in Europa, in dem der mutmaßlich illegale Einsatz der Spionage-Software nachgewiesen werden konnte. Auch in Ungarn, Spanien und Griechenland wurden die Handys und Computer von oppositionellen Politiker:innen, Journalist:innen oder deren Angehörigen mit Pegasus oder vergleichbaren Trojanern wie Predator ins Visier genommen.

Allerdings stockt die Aufarbeitung des Skandals, weil sich die entsprechenden Regierungen wenig gewillt zeigen, Licht ins Dunkel zu bringen. Auch auf EU-Ebene biss sich bislang ein Untersuchungsausschuss des EU-Parlaments die Zähne daran aus. Nach dem jüngsten Regierungswechsel sind nun die Augen auf Polen gerichtet, das als erstes EU-Land im Februar mit einer systematischen Untersuchung begonnen hat.

Der aktuelle Zwischenbericht bleibt allerdings noch vage. „Pegasus“ wird in dem knappen Dokument mit keinem Wort erwähnt, die Rede ist von einer „operativen Kontrolle von Endgeräten“, die drei namentlich nicht genannte (Geheim-)Dienste erlangt haben sollen. Demnach waren im Jahr 2017 sechs Personen betroffen, 100 Personen im Jahr 2018, 140 Personen im Jahr 2019, 161 Personen im Jahr 2020, 162 Personen im Jahr 2021 und neun Personen im Jahr 2022.

Rechtsstaatliche Prozesse ignoriert

Auch über Pegasus hinaus wurden in den vergangenen Jahren tausende Personen in Polen überwacht, wobei nicht alles davon illegal gewesen sein dürfte. Allerdings wurde offenbar in zahlreichen Fällen der rechtsstaatlich vorgesehene Weg nicht eingehalten, auch das geht aus dem Bericht hervor – etwa wenn keine Zustimmung der Staatsanwaltschaft eingeholt wurde. Mit demokratischen Standards steht die nationalkonservative PiS-Partei ohnehin auf Kriegsfuß, der konsequente Abbau des Rechtsstaats und der Pressefreiheit handelte dem damals von der PiS regierten Land unter anderem ein EU-Vertragsverletzungsverfahren ein.

Dass über 500 Personen mit Pegasus gehackt worden sind, überrascht die Abgeordnete Magdalena Sroka nicht. Die Senatorin der Regierungspartei KO ist Vorsitzende der Untersuchungskommission. So seien im untersuchten Zeitraum allein beim Bezirksgericht Warschau über 50.000 Anträge auf „operative Kontrolle“ gestellt worden, sagte Sroka der Tageszeitung Gazeta.

Die Aufklärung dürfte langwierig ausfallen, sagt die KO-Politikerin. Zum einen unterlägen die angeforderten Dokumente in der Regel strenger Geheimhaltung, zum anderen mauerten vom Ausschuss befragte Zeug:innen, etwa der ehemalige stellvertretende PiS-Justizminister Michał Woś oder der einflussreiche PiS-Politiker Jarosław Kaczyński. Zudem erhalte der Ausschuss ständig neue Dokumente, über die sie noch nicht öffentlich sprechen könne. „Ich kann nur sagen, dass einige Dokumente für die vorherige Regierung verheerend sind“, sagte Sroka.

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