Gegen digitale SpaltungGlasfaser statt gläserne Bürger

Während immer mehr Überwachungsgesetze auf dem Tisch landen, haben viele Bürger:innen nicht einmal funktionierendes Breitband. Wie lässt sich digitale Spaltung verhindern? Damit Infrastruktur nicht nur nach den Wünschen der Industrie geht, braucht es eine starke zivilgesellschaftliche Stimme.

Plakate mit der Aufschrift: Glasfaser statt Glasbürger
Lieber eine gut ausgeleuchtete Glasfaserinfrastruktur als eine durchleuchtete Gesellschaft. – Fotomontage, netzpolitik.org

Es war eine Nachricht mit bemerkenswerten Leerstellen, die schnell die Runde machte: Erstmals habe die Bundesnetzagentur einen Netzanbieter verpflichtet, einen Haushalt in Niedersachsen mit gesetzlich garantiertem Basis-Breitband ans Internet anzuschließen, teilte die Behörde knapp mit. Schön und gut. Doch wer, wie, warum und wo genau, das alles blieb offen. Bis wir recherchiert haben, dass ausgerechnet der Satellitenbetreiber Starlink des umstrittenen US-Milliardärs Elon Musk den Neubau in Mittelstenahe versorgen soll.

Die Episode ist nur ein Mosaikstein in der Debatte zu den Grenzen des freien Markts und angemessener staatlicher Intervention. Ohne moderne digitale Infrastruktur ist kein Staat mehr zu machen und digitale Teilhabe hat viele Formen – sie beginnt bei der Grundversorgung mit Internet.

EU-Debatte vor der Tür

Deutschland steht nicht alleine vor dem Problem, seine alternden Netze möglichst rasch und möglichst flächendeckend auf den neuesten Stand zu bringen. Auch die EU-Kommission erhöht mittlerweile den Druck auf die Mitgliedsländer, um die Ziele der Digitalen Dekade zu erreichen: Bis zum Ende des Jahrzehnts sollen alle EU-Haushalte eine Gigabit-Anbindung und alle bevölkerten Gebiete 5G-Mobilfunknetze haben.

Umstritten aber ist und bleibt die Frage, wie das am schnellsten und vor allem am billigsten geht. Schließlich geht es um viel Geld, europaweit werden mindestens dreistellige Milliardenbeträge notwendig sein. Kein Wunder, dass die Lobbyabteilungen vor allem großer Telekommunikationsunternehmen zunehmend mit ausgefeilten Policy-Papieren um sich werfen. Darin versprechen sie, dass Deregulierung und Konsolidierung des Marktes die Bits nur so fließen lassen werden. Anders gesagt: Hände weg, der Wettbewerb macht es schon.

Zumindest bei einem in der EU-Kommission sind die Unternehmen dabei auf offene Ohren gestoßen – dem aus der Industrie stammenden Thierry Breton. Zwar ist der Franzose jüngst aus der Kommission ausgeschieden. Doch mit seinem auffallend Großindustrie-freundlichen Weißbuch zu digitaler Infrastruktur hat Breton die Grundlage für eine Reform gelegt, was auch immer das letztlich heißen mag.

Unabhängig voneinander drängen zwei lang erwartete Berichte italienischer Ex-Premiers – Mario Draghi und Enrico Letta – ebenfalls darauf, den Markt zu entfesseln. Sonst drohe Europa, zu weit hinter die USA und China zurückzufallen, warnen sie.

Damit dürfte die Diskussion rund um den anstehenden Digital Networks Act im Groben abgesteckt sein. Sind wir bereit, womöglich Rückschritte in Kauf zu nehmen, etwa beim Verbraucherschutz oder bei der Angebotsvielfalt, um ein bestimmtes Ausbauziel zu erreichen? Soll am Ende vielleicht nur eine Handvoll richtig großer Telekommunikationsunternehmen, die so lange herbeigewünschten „europäischen Champions“, EU-weit die Infrastruktur betreiben – und damit eine neue Machtposition auch gegenüber Inhalteanbietern im Internet erlangen?

Zivilgesellschaft wirkt!

Dass es sich um eine politisch wie wirtschaftlich brisante und komplexe Angelegenheit handelt, wird in offiziellen und inoffiziellen Gesprächen mit Vertreter:innen der EU-Kommission mehr als deutlich. Ebenfalls deutlich wird, dass sie meist bemerkenswert gut vertraut sind mit Kritik aus der Zivilgesellschaft: Weil sie genau wissen, dass ihnen jemand auf die Finger schaut. Und weil sie genau wissen, welches Mobilisierungspotenzial die Netz-Community hat, die sich für ein offenes Netz einsetzt.

Dank eurer Unterstützung können wir dranbleiben, selbst – und erst recht wenn – die Themen sperrig sind oder die große Medienkarawane vorbeigezogen ist. Wir können etwa die Bundesnetzagentur an ihre Aufsichtsfunktion erinnern, wenn die Telekom Deutschland schon wieder mit der Netzneutralität experimentiert. Wir können recherchieren, mit welchem Aufwand einzelne unterversorgte Haushalte ans Internet angeschlossen werden. Wir können dokumentieren, wie es dem staatlichen Förderprogramm geht, das die deutschen Versorgungslücken seit bald zehn Jahren zu schließen versucht.

Und wir können und müssen auf EU-Ebene am Ball bleiben. Dort werden die entscheidenden Weichen gestellt, in den kommenden Jahren auch im Telekommunikationssektor. Wir brauchen eure Spende, damit diese Weichen nicht nur nach den Wünschen der Großindustrie ausgerichtet werden. Zivilgesellschaftliche Kritik braucht eine Stimme, und die wollen wir sein.

Seit Jahren berichten wir nicht nur aus Berlin, sondern auch aus Brüssel über Netzpolitik. Damit wir weiter scheinbar obskure Veranstaltungen besuchen oder mitunter schwer verdauliche Papiere lesen und aufarbeiten können, brauchen wir Deine Spende. Sonst schreibt sich die Industrie ihre Regeln selbst.

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