Fraktions-KlausurSPD-Abgeordnete wollen Koalitionsvertrag brechen

Die SPD im Bundestag fordert Vorratsdatenspeicherung und biometrische Überwachung. Das haben die Abgeordneten auf ihrer Fraktionsklausur beschlossen. Beide Vorhaben widersprechen dem Koalitionsvertrag.

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, Bundeskanzler Olaf Scholz und die SPD-Chef:innen Saskia Esken und Lars Klingbeil
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, Bundeskanzler Olaf Scholz und die SPD-Chef:innen Saskia Esken und Lars Klingbeil auf der Fraktions-Klausur. – Alle Rechte vorbehalten spdfraktion.de

Letzte Woche haben die Grünen im Bundestag eine Zeitenwende in der Innenpolitik gefordert. Die Grünen Abgeordneten wollen mehr Personal und mehr Befugnisse für Polizei und Geheimdienste sowie bessere Ermittlungsmöglichkeiten im Internet.

Jetzt fordert auch die SPD im Bundestag eine Zeitenwende in der inneren Sicherheit. Auf ihrer Klausur hat die überwältigende Mehrheit der 207 Abgeordneten ein entsprechendes Positionspapier beschlossen. Wir veröffentlichen es aus dem PDF befreit.

Vorratsdatenspeicherung

Die SPD-Fraktion fordert eine verpflichtende Speicherung von IP-Adressen, also die Vorratsdatenspeicherung:

Sowohl bei der Bekämpfung schwerster Kriminalität wie Terrorismus oder sexualisierter Gewalt gegen Kinder als auch zur Bekämpfung strafrechtlich relevanter Hass und Hetze können und dürfen wir uns nicht auf das freiwillige Speicherverhalten privater Telekommunikations-Unternehmen verlassen. Wir sollten deshalb ergebnisoffen prüfen, wie eine verhältnismäßige und den Vorgaben des EuGH entsprechende, mithin rechtssichere IP-Adressen-Speicherung möglich ist.

Im Koalitionsvertrag hatten die Ampel-Parteien beschlossen, Daten nur „anlassbezogen und durch richterlichen Beschluss“ zu speichern. Die SPD-Abgeordneten wollen Daten jetzt anlasslos und ohne richterlichen Beschluss speichern.

FDP-Justizminister Marco Buschmann hatte zur Umsetzung des Koalitionsvertrags einen Gesetzentwurf vorgelegt und sich mit SPD-Kanzler Olaf Scholz darauf geeinigt, doch SPD-Innenministerin Nancy Faeser blockiert das Gesetz.

Damit bleibt die SPD die Partei der Vorratsdatenspeicherung. Das erste Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung war von SPD-Justizministerin Brigitte Zypries. Das Bundesverfassungsgericht hat es gekippt. Das zweite Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung war von SPD-Justizminister Heiko Maas. Der Europäische Gerichtshof hat es gekippt.

Videoüberwachung und Biometrie

Die SPD-Fraktion fordert mehr Videoüberwachung und Biometrie:

Zur nachträglichen Identifikation von mutmaßlichen Tätern brauchen wir Videoüberwachung an Kriminalitätsschwerpunkten und bei großen Menschenansammlungen wie Volksfesten oder Konzerten. Auch die Unterstützung durch Biometrie zur Identifizierung muss technisch und rechtlich geprüft werden.

Im Koalitionsvertrag hatten die Ampel-Parteien beschlossen:

Den Einsatz von biometrischer Erfassung zu Überwachungszwecken lehnen wir ab. Das Recht auf Anonymität sowohl im öffentlichen Raum als auch im Internet ist zu gewährleisten.

Noch im Februar und Juli wollten Ampel-Abgeordnete biometrische Echtzeit-Überwachung verbieten.

Im Sicherheitspaket und im Entwurf zum BKA-Gesetz hat die Bundesregierung beschlossen, biometrische Überwachung im Internet zu erlauben.

Weitere Maßnahmen

Darüber hinaus fordert die SPD-Fraktion:

  • ein sicheres und vertrauenswürdiges Internet
  • eine Art „Fire Wall“, um Kinder und Jugendliche vor extremistischen Einflüssen zu schützen
  • eine Task Force zur wehrhaften Demokratie im Digitalzeitalter
  • eine gesetzliche Befugnis des BSI zum Scanning von Schwachstellen
  • ein Vorgehen gegen anonyme Accounts
  • Maßnahmen gegen Stalking mit GPS-Trackern
  • eine Reform der Schuldenregel, z.B. über ein Sondervermögen
  • bessere personelle und technische Ausstattung der Polizei
  • ein Vermögenseinziehungsrecht außerhalb des Strafrechts
  • erweiterte Befugnisse über Finanzströme, Konten und Inhaber
  • einen Periodischen Sicherheitsbericht
  • eine Bundesakademie für Prävention und Kriminalwissenschaften
  • KRITIS-Dachgesetz und NIS-2-Umsetzungsgesetz beschließen
  • Demokratiefördergesetz beschließen
  • DSA, DMA, AI-Act koordiniert, konsequent und kohärent durchsetzen
  • BSI unabhängiger aufstellen

Hier das Dokument aus dem PDF befreit:


  • Datum: 5. September 2024
  • Von: SPD-Fraktion
  • Dokument: Positionspapier

Sicherheit stärken – unsere freie Gesellschaft verteidigen

Auf einen Blick

  • Jeder Mensch soll in Deutschland in Sicherheit und Freiheit leben können. Wir denken innere und äußere Sicherheit zusammen, denn unsere Gesellschaft wird von vielen Seiten bedroht. Es kommt darauf an, Risiken früh zu erkennen und Gefahren abzuwehren.
  • Unsere Sicherheitsbehörden brauchen dazu wirksame Instrumente, zeitgemäße Befugnisse, bessere Vernetzung, mehr Geld und eine bessere Ausstattung, sowohl personell als auch technisch. Wir prüfen, ob hierzu ein Sondervermögen bereitgestellt werden kann.
  • Der Bevölkerungsschutz muss wieder stärker in den Fokus rücken. Wir setzen uns für eine bessere Ausstattung der Einsatzkräfte und mehr Investitionen ein. Damit werden wir handlungsfähiger, sind besser vorbereitet und schützen uns besser.
  • Wir wollen Sicherheit für alle – auch im digitalen Raum. Dazu werden wir konsequent gegen Fake News, Desinformation und Cyberattacken vorgehen. Gegen Hasskriminalität im Netz wollen wir den Rechtsschutz weiter verbessern, etwa durch ein Verbandsklagerecht.
  • Um Frauen vor häuslicher Gewalt zu schützen, setzen wir uns für eine vollständige Umsetzung der Istanbul-Konvention ein und wollen ein digitales Gewaltschutzgesetz einführen. Lücken im Schutz vor sexualisierter Gewalt im Strafrecht wollen wir schließen.

Sicherheit zu gewährleisten, ist eine zentrale Aufgabe und das Grundversprechen eines modernen, freiheitlichen Rechtsstaats. Unsere offene, freie und demokratische Gesellschaft ist aktuell äußerst gefordert. Die innere und äußere Sicherheit sind bedroht und damit unsere gesamte Gesellschaft. Ein Angriffskrieg mitten in Europa, der Krieg in Nahost infolge der menschenverachtenden Terror-Attacken der Hamas auf Israel, Desinformationskampagnen und Cyberangriffe aus Russland und China: Unsere Gesellschaft steht vor gewaltigen Herausforderungen. Die Welt, wie wir sie kennen, befindet sich auch sicherheitspolitisch im Umbruch. Die SPD als größte Volkspartei und größte Regierungsfraktion muss hierauf die richtigen Antworten geben.

So zentral die Zeitenwende in der Außen-, Sicherheits-, Verteidigungs- und Entwicklungspolitik ist – sie muss sich auch in der inneren Sicherheit fortsetzen, das muss gemeinsam gedacht werden.

Denn die untrennbare Spiegelseite der äußeren Sicherheit ist die innere Sicherheit und dort ganz besonders der Bevölkerungsschutz, der einen wesentlichen Beitrag zur Gesamtverteidigung leistet. Durch ein wirksames Ineinandergreifen von militärischer und ziviler Verteidigung müssen wir sicherstellen, dass die Souveränität und Freiheit Deutschlands und Europas in Krisen- und Konfliktzeiten durch eine funktionsfähige Gesamtverteidigung geschützt wird. Unser Ziel ist es, die Widerstandskraft unseres Landes für den Konfliktfall weiter zu stärken.

Mentalitätswandel und adäquate Vorsorge

Gut auf Krisen und Katastrophen vorbereitet zu sein, kann Menschenleben retten. Angesichts der zunehmenden Bedrohungslagen wird Vorsorge dabei immer wichtiger. Mit den vielen meist ehrenamtlich tätigen Einsatzkräften bei THW, Feuerwehren und Hilfsorganisationen, sind wir institutionell sehr gut aufgestellt. In Anbetracht der veränderten sicherheitspolitischen Lage wollen wir den Bevölkerungsschutz weiterdenken. Wir brauchen in der Bevölkerung ein neues Bewusstsein für Bevölkerungsschutz, um im Ernstfall handlungsfähig zu sein. Gemeinsam müssen Bund und Länder die Bürger :innen dabei bestmöglich unterstützen. Hier ist dringend ein ganzheitlicher Ansatz nötig – mit Blick auf Prävention, Bewältigung, Nachsorge ebenso wie auf das enge Zusammenwirken aller Ebenen, um stärker in unsere Sicherheit zu investieren und sie auszubauen.

Das neu geschaffene Gemeinsame Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz ist der zentrale und leistungsstarke Knotenpunkt, in dem die verschiedenen Akteure – Bund, Länder, Hilfsorganisationen und andere – eng zusammenarbeiten. Investitionen sind auch hier dringend notwendig. Beispielsweise kann nur eine zeitgemäße und auf potenzielle Bedrohungslagen erprobte Ausstattung den Einsatzkräften bestmöglichen Schutz sowie effektives Handeln gewährleisten. Es ist Ziel, die ergänzende Ausstattung des Bundes insbesondere in den Aufgabenbereichen CBRN-Schutz, Sanitätswesen und Betreuung (Fahrzeuge und entsprechende Ausstattung) in diesem und den nächsten vier Jahren vollständig umzusetzen.

Das Gleiche gilt für einen verbesserten Schutz unserer kritischen Infrastrukturen auf Grundlage zweier EU-Richtlinien (CER und NIS-2). Mit Hochdruck wird an einem Entwurf für ein KRITIS-Dachgesetz gearbeitet. Damit soll die Versorgungssicherheit unserer Gesellschaft mit lebenswichtigen Dienstleistungen sichergestellt werden. Es zielt in vorrangig auf die Handlungsfähigkeit der Wirtschaft, da für den Schutz ihrer Anlagen in erster Linie die Betreiber verantwortlich sind. Dabei werden alle föderalen Ebenen einbezogen, denn der Schutz kritischer Infrastrukturen ist aufgrund der Komplexität und Breite des Themas eine vernetzte Aufgabe, die durch unterschiedliche Stellen auf verschiedenen Ebenen wahrgenommen wird. In engem Zusammenhang mit dem Schutz unserer kritischen Infrastrukturen steht das NIS-2-Umsetzungsgesetz. Dieses regelt die Cyber- und Informationssicherheit von Unternehmen und Institutionen. Beide Gesetzentwürfe müssen nun dringend im Bundestag beraten und beschlossen werden.

Vorstufe einer zukunftsfähigen Investition in unsere Sicherheit ist eine vorausschauende und umsichtige Planung der Gesamtverteidigung, also das Zusammenwirken von militärischer und ziviler Verteidigung. Die neugefassten Richtlinien für die Gesamtverteidigung bilden dabei das Fundament, indem sie eine Bestandsaufnahme der vorhandenen Organisationen und Prozesse mache n und die Aufgabenwahrnehmung im Rahmen der Gesamtverteidigung auf Bundesebene sowie zwischen Bundes – und Landesebene koordinieren. So wird sichergestellt, dass alle relevanten Akteure – von der Bundeswehr über die Hilfsorganisationen bis hin zu den Zivilschutzbehörden – ihre Rollen und Verantwortlichkeiten in Krisenzeiten klar erfüllen können.

Umfassende und gerechte Kriminalpolitik

Wir stehen für eine umfassende, evidenzbasierte Kriminalpolitik. Wir nehmen dafür die gesamte Bandbreite der Kriminalität in den Blick. Für diese vorausschauende Kriminalpolitik sollen uns eine neue Form eines gesetzlich verankerten Periodischen Sicherheitsberichts, Trendanalysen und eine neue interdisziplinäre, unabhängige Bundesakademie für Prävention und Kriminalwissenschaften dienen. So bekommen wir einen umfassenden Überblick darüber, welche Präventionsprojekte zu welchen Kriminalitätsphänomenen existieren und welche evaluiert sind. Und wir schauen nicht nur auf die Kosten der Strafverfolgung, sondern auch auf die Kosten der Kriminalität. Dabei sind die Schäden, die Opfer und Geschädigte durch nicht verhinderte Kriminalität erleiden, ebenso wichtig wie gesamtgesellschaftliche und volkswirtschaftliche Kosten, insbesondere durch organisierte Steuerkriminalität. In der Regel gilt: Kriminalität kostet mehr als Kriminalitätsbekämpfung.

Apropos Geld: Jedes Jahr werden von Kriminellen Erlöse in der Größenordnung von 100 Milliarden Euro erzielt, von denen die Sicherheitsbehörden bislang nur etwa ein Prozent aufdecken können. Wir wollen daher ein neues Vermögenseinziehungsrecht außerhalb des Strafrechts etablieren.

Besonders schädliche Betätigungsfelder der Organisierten Kriminalität wollen wir besonders in den Blick nehmen. Dazu zählt die Umweltkriminalität als drittgrößtes Betätigungsfeld der Organisierten Kriminalität. Die Bundesinnenministerin hat daher erstmals beim Bundeskriminalamt eine Bundeszentrale Ansprech- und Koordinierungsstelle zur Bekämpfung der Umweltkriminalität eingerichtet. Auch auf die Bekämpfung der Produkt- und Markenpiraterie, von Betrug und Korruption im Gesundheitswesen, der Verbreitung von Missbrauchsdarstellungen von Kindern und der Schädigung unserer Wirtschaft und Wissenschaft durch Spionage, Sabotage und Wirtschaftskriminalität legen wir den Fokus unserer Politik.

Sicherheit für alle – auch im digitalen Raum

Nahezu alle Lebensbereiche sind heute abhängig von Daten und ihrem Austausch. Digitale Prozesse sind aus vielen Bereichen unseres Lebens nicht wegzudenken: Wirtschaft, Verwaltung und Kommunikation. Das reicht von Grundpfeilern der Daseinsvorsorge wie Stromversorgung über die Steuerung von Rettungseinsätzen bis hin zum sozialen Miteinander. Die Digitalisierung macht vieles in unserem Alltag leichter und ist daher verstärkt Ziel von Angriffen. Attacken auf kritische Infrastrukturen können nicht nur Unternehmen wirtschaftlich schaden, sondern das Wohlergehen der Bürger:innen unmittelbar massiv gefährden. Angriffe auf Kommunalverwaltungen können zudem das Vertrauen der Bürger :innen in die Funktionsfähigkeit des Staates erschüttern. Cyberspionage schwächt die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen. Die Beeinflussung von Wahlen und das Streuen von Fake-News beeinträchtigen die Integrität unserer Demokratie. Deshalb ist IT-Sicherheit eine zentrale staatliche Aufgabe und als Voraussetzung für die Sicherheit und Freiheit unseres Landes zu begreifen.

Neben mittlerweile alltäglichen Cyberattacken fordert uns vor allem Desinformation. Hybride Bedrohungen durch fremde Mächte und illiberale Kräfte zielen auf die Fundamente unserer liberalen Gesellschaftsordnung. Sie manipulieren Wahlen, Prozesse der Meinungsbildung und -äußerung, die Debattenkultur sowie Engagement für die Demokratie. Algorithmen und Geschäftsmodelle insbesondere sozialer Netzwerke wirken hier begünstigend. Die Verbreitung einfach zu nutzender Instrumente der Künstlichen Intelligenz verschärft diese Prozesse. All dies erfordert starke Antworten unserer wehrhaften Demokratie. In einer Task Force zur wehrhaften Demokratie im Digitalzeitalter sollten ganzheitliche Maßnahmen erarbeitet werden. Dies mit dem Ziel, Plattformen weitergehender und systemischer zu regulieren, Medien und Quellenkompetenz auszubilden und zur Durchsetzung des bestehenden europäischen Rechts Qualitätsjournalismus und öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu fördern sowie Desinformationskampagnen aus dem In- und Ausland zu erkennen und zu bekämpfen. Mit dem DSA, dem DMA und dem AI-Act hat Europa das regulatorische Rüstzeug, um Tech-Konzerne dazu zu verpflichten, wirksam gegen illegale Inhalte und Desinformation vorzugehen. Diese Rechtsakte müssen koordiniert, konsequent und kohärent durchgesetzt werden, um ihre volle Wirkmacht zu entfalten.

Die Fähigkeiten im Kampf gegen Desinformation und Manipulation müssen deutlich ausgebaut werden. Der Aufbau der Früherkennungseinheit zur frühzeitigen Identifizierung ausländischer Manipulations- und Einflusskampagnen beim BMI ist ein wichtiger erster Schritt.

Wir müssen ein sicheres und vertrauenswürdiges Internet gewährleisten, das uns als Gesellschaft nützt, nicht von einem Internet abhängen, das unsere offene Gesellschaft und die Demokratie in ihrer Existenz gefährdet.

Die Zahl der Cyberangriffe durch staatliche und nichtstaatliche Akteure steigt seit Jahren: Angriffe auf kritische Infrastrukturen in den Kommunen, auf Parteiwebsites oder auf das Online-Banking von Bürger:innen finden täglich statt. Auch der Versuch durch ausländische Akteure, mit gezielten Falschmeldungen und Desinformationskampagnen die öffentliche Meinung zu manipulieren, nimmt zu. Die Geschäftsmodelle insbesondere der sozialen Netzwerke bestärken diese Effekte. Daher gilt es, unsere Netze und Infrastrukturen, Daten und Programme vor digitalen Angriffen und Manipulationsversuchen wirksam und effektiv zu schützen. Dies gelingt nur, indem wir Risiken frühzeitig erkennen, Gefahren effektiv abwehren und Abhängigkeiten von einzelnen IT-Anbietern vermeiden und auf vertrauenswürdige Ausrüster setzen. Auch hier kommt es auf eng koordiniertes Handeln an. Denn Sicherheit im digitalen Raum ist eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft. Staat und Wirtschaft müssen gemeinsam für hohe Sicherheitsstandards sorgen.

Wir statten unsere Sicherheitsbehörden mit notwendigen Befugnissen zur Abwehr von Cyberangriffen aus und stellen die Cybersicherheitsarchitektur neu auf. Unser Ziel ist ein höchstmögliches Schutzniveau gegen Cyberangriffe und eine effektive Bekämpfung von Cyberkriminalität. Dafür schaffen wir neue Instrumente und neue gefahrenabwehrende Befugnisse, mit denen Angriffe verhindert, beendet oder zumindest abgeschwächt und mögliche Angreifer identifiziert werden können. Dazu zählt beispielsweise eine gesetzliche Befugnis des BSI zum Scanning von Schwachstellen. Wir entwickeln die Cybersicherheitsstrategie weiter und richten die Cybersicherheitsarchitektur entsprechend der Herausforderungen der Zeitenwende neu aus. Wir wollen das BSI unabhängiger aufstellen und zur Zentralstelle ausbauen und vertiefen die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern. Und wir bekämpfen Cyberkriminalität und strafbare Inhalte im Netz.

Innere Sicherheit bedeutet, dass jede und jeder in unserem Land frei von Gewalt leben kann, im Internet, im eigenen Zuhause und in der Öffentlichkeit. Hasskriminalität im Netz gefährdet unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt und verschärft Ungleichheit. Hasskriminalität mittels Bedrohung und Beleidigung, mittels Gewalt gegen Frauen und menschenverachtender Hetze gegen Minderheiten wird immer wieder als Reaktion auf Engagement und Teilhabe eingesetzt und führt dazu, dass die Opfer sich aus de m digitalen öffentlichen Raum zurückziehen. Wir wollen die Rechtsschutzmöglichkeiten verbessern, indem wir ein Vorgehen gegen anonyme Accounts ermöglichen und ein Verbandsklagerecht schaffen, um die Hürden für Betroffene zu senken. Schutzlücken bei menschenverachtender Hetze wollen wir durch eine Überarbeitung des Volksverhetzungsparagraphen schließen.

Um Frauen vor häuslicher Gewalt zu schützen, setzen wir uns für die vollständige Umsetzung der Istanbul-Konvention ein. Das umfasst ein Gewaltschutzgesetz, das Bund, Länder und Kommunen organisatorisch und finanziell verantwortlich beteiligt, und die zwingende Berücksichtigung von häuslicher Gewalt im familienrechtlichen Sorge- und Umgangsverfahren. Auch in aufenthaltsrechtlichen Situationen muss der Gewaltschutz von Frauen mitgedacht werden. Stalking mit GPS-Trackern und ähnlichen technologischen Mitteln wollen wir wirksame Maßnahmen entgegensetzen. Schutzlücken im Strafrecht vor sexualisierter Gewalt wollen wir schließen, insbesondere indem wir offensichtlich unerwünschte und erhebliche sexuelle Belästigungen unter Strafe stellen. Der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt hat für uns höchste Priorität. Dafür brauchen wir eine bessere personelle und technische Ausstattung der Polizei und eine sachkundige und zügige Strafverfolgung.

Effektive, passgenaue und verhältnismäßige Befugnisse

Um gegen die Vielzahl an online begangenen Straftaten wirksam vorgehen zu können, benötigen unsere Sicherheitsbehörden neben den technischen und personellen Ressourcen dringend effektive, zeitgemäße und zugleich verhältnismäßige Instrumente. Sowohl bei der Bekämpfung schwerster Kriminalität wie Terrorismus oder sexualisierter Gewalt gegen Kinder als auch zur Bekämpfung strafrechtlich relevanter Hass und Hetze können und dürfen wir uns nicht auf das freiwillige Speicherverhalten privater Telekommunikations-Unternehmen verlassen. Wir sollten deshalb ergebnisoffen prüfen, wie eine verhältnismäßige und den Vorgaben des EuGH entsprechende, mithin rechtssichere IP-Adressen-Speicherung möglich ist. Wir müssen unsere Behörden in die Lage versetzen, Terrorismus und schwersten Straftaten bereits im Vorfeld zu verhindern.

Zur nachträglichen Identifikation von mutmaßlichen Tätern brauchen wir Videoüberwachung an Kriminalitätsschwerpunkten und bei großen Menschenansammlungen wie Volksfesten oder Konzerten. Auch die Unterstützung durch Biometrie zur Identifizierung muss technisch und rechtlich geprüft werden.

Unser Land steht für Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit in einem geeinten Europa. Unsere Demokratie wird jeden Tag auf die Probe gestellt. Wir wollen unsere Demokratie und unsere offene Gesellschaft aktiv gegen ihre Feinde verteidigen. Wir müssen uns als wehrhafte Demokratie allen Extremisten entgegenstellen und dafür alle rechtsstaatlichen Mittel nutzen.

Bereits Kinder und Jugendliche brauchen eine Art „Fire Wall“, um sich vor extremistischen Einflüssen zu schützen. Wir wollen politische Bildung bereits für die Jüngsten und eine Stärkung der Präventions- und Interventionsarbeit. Freiheitlich demokratische Werte sollen bereits im Kindesalter vermittelt und gelebt werden. Wir wollen die Attraktivität von Freiwilligendiensten, sozialen Berufen und der Arbeit bei der Bundeswehr steigern. Gleichzeitig wollen wir uns der von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier angestoßenen Debatte stellen, ob die Einführung eines Rechtsanspruchs auf einen Freiwilligendienst oder eine allgemeine Dienstpflicht den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken, für einen rücksichtsvolleren Umgang und mehr Verständnis sorgen sowie die Attraktivität von sozialem Engagement verbessern kann. Wir wollen unsere Zivilgesellschaft stärken und auch hier weiterhin in die Präventions- und Interventionsarbeit investieren. Das Demokratiefördergesetz muss endlich beschlossen und in Kraft gesetzt werden.

Der Verfassungsschutzbericht macht erneut deutlich, dass die größte Gefahr für unser Land vom Rechtsextremismus ausgeht. Extremistischen Bestrebungen muss entschieden entgegengetreten werden. Hierzu gehört auch die Bekämpfung der islamistischen Radikalisierung, die hauptsächlich im Internet über die Sozialen Medien stattfindet. Die Möglichkeiten und Kompetenzen der Sicherheitsbehörden müssen auch diesbezüglich überprüft werden. Extremisten müssen entwaffnet werden. Es ist gut, dass jetzt endlich die Verschärfung des Waffenrechts auf den Weg gebracht wird, die zuvor durch einen Koalitionspartner monatelang blockiert wurde. Wir wollen den Datenaustausch zwischen der zuständigen Waffenbehörde und anderen Behörden verbessern. Wer legalen Zugang zu Waffen erhalten will, muss ein psychologisches Gutachten vorlegen, und für den Erwerb von Schreckschusswaffen und für Armbrüste muss künftig ein kleiner Waffenschein vorgelegt werden. Auch gefährliche Messer dürfen nicht mehr in der Öffentlichkeit bei sich geführt werden. Dies gilt erst recht in Zügen und Bahnhöfen. Hier müssen auch die Kontrollen verstärkt werden.

Die Finanzierung extremistischer und terroristischer Bestrebungen muss durch die Sicherheitsbehörden nachverfolgt werden können. Hier müssen wir dringend die Befugnisse erweitern, um Erkenntnisse über die Finanzströme, Konten und Inhaber zu erhalten.

Finanzierung sicherstellen, Investitionen leisten

Unsere Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden benötigen auch weiterhin ausreichende finanzielle Mittel und personelle Ressourcen, um unsere Demokratie und unser Land gegen Gefahren zu schützen. Die Herausforderungen an unsere Behörden und deren Belastungen steigen. Die zu prüfenden Sachverhalte werden immer komplexer. Dafür brauchen die Behörden adäquate Befugnisse sowie eine angemessene technische und personelle Ausstattung und Vergütung. Die Einführung der Ruhegehaltsfähigkeit der Polizeizulage, die die SPD-Bundestagsfraktion gemeinsam mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser durchgesetzt hat, war hier ein wichtiger Schritt. Wir wollen das bereits eingeleitete Gesetzgebungsverfahren für ein neues Bundespolizeigesetz nun zügig abschließen, um den Bundespolizeibeamt:innen sichere und moderne Rechtsgrundlagen an die Hand zu geben.

Angesichts der Zeitenwende benötigen wir mehr Investitionen für die innere Sicherheit, für die Cybersicherheit und für unsere Sicherheitsbehörden. Die SPD-Bundestagsfraktion setzt sich für eine Reform der Schuldenregel ein, sodass Investitionen wie diese strukturell besser und in einem größeren Umfang getätigt werden können. Die aktuell im Grundgesetz verankerten Schuldenregeln ermöglichen dies nicht. Wir wollen Möglichkeiten prüfen, wie bereits vor einer Reform der Fiskalregeln zusätzliche finanzielle Mittel für die innere Sicherheit mobilisiert werden können – zum Beispiel über ein Sondervermögen. Davon umfasst sein müssen auch umfangreiche Investitionen in eine bessere Ausstattung unseres Rechtsstaats. Aus gutem Grund haben sich die Regierungsparteien im Koalitionsvertrag auf eine Fortsetzung des „Pakts für den Rechtsstaat“ geeinigt: Wir brauchen eine technische Ausstattung, die EDV, Laptops und Server in den Gerichten und Staatsanwaltschaften auf die Höhe der Zeit bringt. Wir brauchen gut ausgestattete spezialisierte Schwerpunktstaatsanwaltschaften, um erfolgreich im Kampf gegen Organisierte Kriminalität, Finanzkriminalität und Hasskriminalität durchgreifen zu können. Nicht zuletzt brauchen wir ausreichend qualifiziertes Personal, das die steigenden Anforderungen meistert. Damit die Berufe in der Justiz insbesondere im juristischen Bereich im Wettbewerb mit der Privatwirtschaft um die besten Talente attraktiv bleiben, brauchen wir einen gemeinsamen Kraftakt von Bund und Ländern, der dieses Ziel finanziell untermauert.

Alles dient der Verteidigung unserer Demokratie

Im Jahr des 75. Geburtstages des Grundgesetzes gilt es, unsere Freiheit und unsere Demokratie und die Menschen, die darin leben, zu schützen. Denn sie ist unter Druck. Extremismus und anderen Bedrohungen sagen wir den Kampf an mit besserer Demokratieförderung, einer resilienten Verfassung und wirksamer Strafverfolgung. Den dynamischen Bedrohungen des Cyberraums begegnen wir mit sicheren und resilienten Infrastrukturen und IT-Systemen sowie mit zeitgemäßen Befugnissen und Zuständigkeiten. Mit einem ganzheitlichen Blick in der Innen- und Rechtspolitik, der die Cybersicherheit einschließt, passgenauen Befugnissen und Investitionen in die innere Sicherheit werden wir sie verteidigen. Nur wenn wir unseren Rechtsstaat immer wieder gegen aktuelle Bedrohungen wappnen, kann Deutschland eine starke und freie Demokratie bleiben.

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