ChatkontrolleKinderschutzbund fordert wirksame Maßnahmen statt Massenüberwachung

48 zivilgesellschaftliche Organisationen wie CCC und Kinderschutzbund fordern die ungarische Ratspräsidentschaft auf, wirksame Maßnahmen zum Schutz von Kindern zu erarbeiten. Der Verordnungsvorschlag zur Chatkontrolle soll hingegen endlich beerdigt werden.

Ein Wählscheiben-Telefon steht auf einem Hocker vor lila Hintergrund
Gut erreichbare Hilfsangebote für Kinder statt Chatkontrolle. Das ist eine der Forderungen aus der Zivilgesellschaft. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Luke Southern

Bei den EU-Staaten im Rat gibt es nach jahrelangen Verhandlungen immer noch keine Mehrheit für eine Chatkontrolle. Zuletzt hatte die belgische Ratspräsidentschaft eine geplante Abstimmung am 20. Juni abgesagt, sehr zur Freude von Datenschützer:innen und Bürgerrechtsorganisationen. Sie lehnen das anlasslose massenhafte Scannen auch verschlüsselter Kommunikation ab und sagen seit langem: Um Kinder vor sexualisierter Gewalt zu schützen, braucht es nicht mehr Überwachung und Grundrechtseingriffe, sondern andere Maßnahmen.

Mit dem 1. Juli endet die Ratspräsidentschaft Belgiens, für die nächsten sechs Monate übernimmt Ungarn den Vorsitz im Gremium der EU-Mitgliedstaaten. Das hat ein Bündnis aus 48 zivilgesellschaftlichen Organisationen zum Anlass für einen Appell genommen. Sie fordern: EU-Parlament und Rat sollen die Kommission auffordern, den Verordnungsvorschlag zur Chatkontrolle zurückzuziehen und stattdessen an wirksamen Maßnahmen zum Kinderschutz zu arbeiten.

„Missbrauch wirksam stoppen, bevor er geschieht“

Dafür sollen sie „mit Kinderrechtsgruppen, Kinderschutzanwälten, digitalen Menschenrechtsgruppen, IT-Sicherheitsexperten und anderen Technikern“ zusammenarbeiten, um sowohl technische als auch nicht-technische Lösungen zu erarbeiten. Als Beispiele nennen die Organisationen Kinderschutz-Hotlines und Präventionsprogramme, eine kinderfreundlichere Justiz und gesellschaftliche Maßnahmen, „die den Missbrauch wirksam stoppen, bevor er geschieht“.

Zu den unterzeichnenden Organisationen gehören neben der digitalen EU-Bürgerrechtsorganisation EDRi und dem Chaos Computer Club unter anderem auch der Deutsche Kinderschutzbund Bundesverband und der österreichische Verein Lobby4Kids, die sich für die Rechte Minderjähriger einsetzen.

Im Vorfeld des Vorsitzes hatte die designierte ungarische Ratspräsidentschaft angekündigt, weiter an „einer langfristigen gesetzlichen Lösung zur Verhinderung und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern im Internet“ arbeiten zu wollen.

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6 Ergänzungen

  1. Es gibt nichts Gutes – außer man tut es.

    Forderungen an politische Gegner zu richten, das reicht nicht.
    Das reicht höchstens dazu, sich selbst in günstiges Licht zu rücken.

    Autokraten und Despoten sind bekanntlich immun, taub und blind, was Forderungen anbelangt.

  2. > für die nächsten sechs Monate übernimmt Ungarn den Vorsitz im Gremium der EU-Mitgliedstaaten.

    Hörenswert:
    Make Europe Great Again: Was Viktor Orban wirklich will
    https://www.tagesschau.de/multimedia/podcast/11km/podcast-11km-1656.html

    Warum kaum jemand etwas von Orbans Verbalkrieg gegen die EU mitbekommt, ist die ungarische Sprache. Wer spricht schon Ungarisch, außer den Ungarn? Und Orban zieht kräftig vom Leder in seiner Sprache.

  3. Like it. Dank NP und Anna. Es sei angemerkt, dass die Forderungen einfach umsetzbar, wirksam und verhältnismäßig, mithin also einfach notwendig sind. Was man von der Chatkontrolle nicht gerade behaupten kann.

    Nun kann man sich fragen, warum diese Forderungen nicht vom Rat und der Kommission kommen? Kann es sein, dass es gar nicht um die Kinder geht?

    1. > Kann es sein, dass es gar nicht um die Kinder geht?

      Doch, schon – siehe dieses aktuelle Beispiel (dürfte in anderen Kreisen ähnlich aussehen):
      Im Kreis xy sind im vergangenen Jahr 52 Kinder sexuell missbraucht worden – das ist ein Plus von fast 80 Prozent.
      https://www.lkz.de/lokales/landkreis-ludwigsburg_artikel,-jede-woche-ein-missbrauchtes-kind-im-kreis-ludwigsburg-_arid,791161.html

      In Deutschland gibt es insgesamt 400 Gebietskörperschaften auf Kreisebene.
      Vereinfachte Rechnung (es geht nur um die Größenordnung, nicht um Statistik):
      400 Kreise * 1 Kind pro Woche -> pro Woche 400 bekannt gewordene Fälle missbrauchter Kinder in Deutschland. Pro Jahr etwa 20800 Fälle. EU-weit müsste man das pro 100.000 Einwohnern betrachten.

      Von solchen Missbräuchen wären Straftaten im Internet abzugrenzen, die auf entsprechenden Austausch von Bildern/Videos beruhen. Solche Bilder sind natürlich dazu geeignet, das Ansehen der EU und ihrer Mitgliedsstaaten in der Welt herabzusetzen. Ich habe die Vermutung, es geht weniger um das Kindeswohl, sondern viel mehr um Eindämmung von Schaden, der auf Wahrnehmung beruht, und einschlägiger Medienberichte.

      Und natürlich ist das auch ein Vehikel für Akteure sich selbst in positivem Licht erscheinen und feiern zu lassen, ohne auch nur das Geringste an den gesellschaftlichen Verhältnissen zu ändern.

      1. Wenn es um Kinder gehen würde dann muss mir jemand erklären wieso Erwachsene „Opfer digitaler sexuellen Kindesmissbrauches“ werden können. Wenn sie bspw. eigenes Material von sich im Erwachsenenalter besitzen bspw. Fließt in die gleichen Statistiken.

  4. Nein, vermutlich geht es nicht um Kinder. Die werden nur als Totschlagargument genutzt.
    Es geht darum, die Kontrolle und Überwachung immer enger zu gestalten. Ein Politiker wie in Ungarn wird dies eher fördern wollen.

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