Kritik an Anklage gegen Aktionskünstler„Staatsanwalt auf Künstlerjagd“

Das Zentrum für politische Schönheit hatte mit einer Kunstaktion auf fehlende Waffen bei der Bundeswehr aufmerksam gemacht, jetzt hat sie ein Berliner Staatsanwalt wegen Amtsanmaßung und Phishing angeklagt. Nicht nur die Gruppe selbst, sondern auch Bürgerrechtsorganisationen sehen die Anklage kritisch.

Screenshot der Webseite
Mit Bundeswehr-Flair und einem veränderten Logo des Militärgeheimdienstes präsentierte die Künstlergruppe die Kampagne. – Alle Rechte vorbehalten ZPS

Die Berliner Staatsanwaltschaft geht wegen der Kunstaktion „Wo sind unsere Waffen?“ strafrechtlich gegen das Zentrum für politische Schönheit (ZPS) vor. Die Staatsanwaltschaft hat am Mittwoch Anklage gegen den Gründer und Leiter der Gruppe, Philipp Ruch, erhoben. Mit der Aktion wollten die Künstler:innen im Jahr 2020 auf Probleme mit Rechtsradikalen bei der Bundeswehr aufmerksam machen. Sie starteten eine offenkundig satiregetränkte Rückgabeaktion für vermisste Waffen der Truppe.

Im Rahmen der Aktion stellten sie einen Waffen-Sammelcontainer vor dem Bundeskanzleramt auf, veröffentlichten Schreiben an Dienststellen der Bundeswehr und gaben sich als Militärischer Abschirmdienst aus. Schon während der Aktion gerieten die Künstler ins Visier der Bundeswehr selbst, welche die Gruppe als feindliche Propaganda einstufte und monatelang jeden ihrer Schritte im Internet beobachtete.

Mit dem Phishing-Paragrafen gegen Kunstfreiheit

Netzpolitik.org konnte die Anklageschrift einsehen. Daraus geht hervor, dass die Staatsanwaltschaft nun unter anderem wegen Fälschung beweiserheblicher Daten klagt, dem § 269 des Strafgesetzbuchs. Der Paragraf ist quasi die elektronische Form der Urkundenfälschung und kommt beispielsweise bei Phishing-Straftaten zum Tragen.

Bei Phishing treten Straftäter unter falscher Identität auf und fälschen zum Beispiel die Mail einer Bank, um an Login- oder Kontodaten ihrer Opfer zu gelangen. Hinzu kommt gegen den Künstler eine Anklage wegen Amtsanmaßung. Der Paragraf richtet sich dagegen, dass Privatpersonen den Eindruck hoheitlichen Handelns erwecken. Vergehen wegen dieser beiden Paragrafen können mit Freiheitsstrafe oder Geldstrafe geahndet werden.

Anklage wegen der Webseite mit Hinweisportal

In der Anklageschrift heißt es, dass der Angeschuldigte die „frei abrufbare Internetseite www.unsere-waffen.de“ (Webarchive) veröffentlicht habe. Deren zentraler Inhalt sei „eine vermeintlich von dem Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst („BAMAD“) herrührende Auslobung einer Belohnung von jeweils 1000.00 Euro für Hinweise“ gewesen. Zur Abgabe entsprechender Hinweise habe der Angeschuldigte als Bestandteil der Internetseite ein „MAD Hinweisportal“ eingerichtet. Weiter heißt es:

Um den Eindruck zu erwecken, die Internetseite werde – was jedoch nicht der Fall war – tatsächlich durch das BAMAD betrieben und hierdurch Dritte zur Abgabe entsprechender Hinweise zu veranlassen, versah der Angeschuldigte sie unter anderem mit der Überschrift „Militärischer Abschirmdienst“ sowie dem Hoheitszeichen der Bundeswehr. Ferner waren auf der Internetseite mehrere scheinbar von dem BAMAD herrührende Schreiben unter anderem an die damalige Bundesministerin der Verteidigung abrufbar.

Die öffentliche Kampagne und die Webseite selbst waren unschwer als eine Kunstaktion des ZPS zu erkennen. Schon in der Pressemitteilung, welche die Künstler:innen am Tag der Aktion herausschickten, bekannten sie sich selbst als Urheber. Dort wird der jetzt angeklagte Philipp Ruch folgendermaßen zitiert: „Wir leisten zivile Amtshilfe für den MAD. Wir helfen noch jedem, der nicht darum gebeten hat.“ Die Aktion sorgte für reges öffentliches Interesse und wurde weithin als Kunstaktion wahrgenommen und auch im Kunstmagazin Monopol rezensiert.

Schon der Domain-Name ist nicht seriös

Ob das Verfahren vor diesem Hintergrund überhaupt eine Chance hat, ist fraglich. Peer Stolle, Strafverteidiger und Vorstandsmitglied beim Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) sagt, dass Amtsanmaßung voraussetze, dass durch die Handlung der Eindruck hoheitlichen Handelns hervorgerufen werde. Sie müsse für Dritte den Anschein hoheitlichen Handelns erwecken können, also geeignet sein, mit einer hoheitlichen Handlung verwechselt werden zu können. „Das ist bei der Homepage www.unsere-waffen.de eher nicht der Fall. Allein schon der Domain-Name der Homepage spricht gegen eine Seriosität, wie sie für staatliche Stellen charakteristisch ist.“

Im Übrigen würde es auch am Vorsatz fehlen, so der Strafverteidiger. Zudem sei der Wille, ein öffentliches Amt ausüben zu wollen, eher fernliegend. Das zeige sich auch dadurch, dass das ZPS am selben Tag eine Pressemitteilung veröffentlicht hätte, aus der deutlich wurde, dass es eine künstlerische Aktion war.

„Wenn trotzdem auf die Homepage seitens Angehöriger der Bundeswehr reagiert wurde, zeigt das die Dringlichkeit des Problems“, so Stolle weiter. Offensichtlich würden die Maßnahmen des MAD selbst in der Bundeswehr nicht als ausreichend empfunden, um dem Problem von Rechtsextremist:innen und dem Verschwinden von Waffen und Munition zu begegnen. „Die Staatsanwaltschaft wäre besser beraten, sich diesen schweren Straftaten zu widmen, als diejenigen zu verfolgen, die auf diesen nicht hinnehmbaren Missstand hinweisen.“

„Eindeutig eine satirische Aktion“

Joschka Selinger, Rechtsanwalt und Verfahrenskoordinator bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), sagt, dass die Webseite der Kunstaktion einen Anfangsverdacht zwar rechtfertigten könnte, er fragt sich aber, warum die Staatsanwaltschaft hier nach drei Jahren noch Anklage erhebt. Die Staatsanwaltschaft hätte auch die Möglichkeit, hier von weiteren Ermittlungen abzusehen, so Selinger gegenüber netzpolitik.org. Es handele sich um Vergehen, bei denen die Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellen könne, wenn kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung bestehe.

„Hier handelt es sich eindeutig um eine satirische Aktion, die Missstände bei der Bundeswehr thematisiert, an deren Aufklärung ein erhebliches öffentliches Interesse besteht. Auch das hätte die Staatsanwaltschaft berücksichtigen und das Verfahren einstellen können.“

„Lieber gestohlenen Waffen nachgehen statt Künstler:innen verfolgen“

Martina Renner, Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, kommentiert gegenüber netzpolitik.org: „Die Staatsanwaltschaft sollte ihre Zeit lieber darauf verwenden, den gestohlenen Waffen nachzugehen statt Künstler:innen zu verfolgen, die im Rahmen einer leicht als solche zu erkennenden Satireaktion auf genau diesen Missstand hingewiesen haben.“

Die betroffene Künstlergruppe hingegen spricht auf Twitter von einem „durchgeknallten Staatsanwalt auf Künstlerjagd“. Gegenüber netzpolitik.org sagt Stefan Pelzer, „Eskalationsbeauftragter“ des ZPS, dass es Aufgabe der Staatsanwaltschaften in der Bundesrepublik sein solle, die vielen Kriegswaffen, die der Bundeswehr abhanden gekommen sind, aufzuspüren, sicherzustellen und die Diebe zu belangen.

„Genau deshalb haben wir vom Zentrum ja auch die Aktion ‚Unsere Waffen‘ gestartet und so die Arbeit der Staatsanwaltschaft gemacht. Statt sich zu bedanken oder den Hinweisen – die bei uns eingegangen sind und von uns übermittelt wurden – nachzugehen, sollen wir jetzt wegen ‚Phishing‘ belangt werden. Eins steht fest: Das Zeug, das Staatsanwalt Zündorf raucht, sollte dringend verboten werden“, so Pelzer weiter.

Staatsanwalt will Anklage mit Verfahren wegen AfD-Aktion verbinden

Es ist nicht das erste Mal, dass das ZPS ins Visier staatlicher Stellen gerät. 2019 ermittelte die Thüringer Staatsanwaltschaft gegen die Aktionskunst-Gruppe wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung, stellte die Ermittlungen jedoch nach ihrem Bekanntwerden wieder ein. 2022 kam es zu Hausdurchsuchungen im Zusammenhang mit der Aktion „Flyerservice Hahn“, bei der das ZPS sich als falscher Flyer-Verteilservice ausgegeben hatte und so an Millionen von Flyern der rechtsradikalen AfD gelangt war, die dann nie verteilt wurden.

Auch hier wurde die Hausdurchsuchung mit dem „Phishing“-Paragrafen begründet. Die Berliner Staatsanwaltschaft will nun die eröffnete Anklage mit dem laufenden Verfahren gegen „Flyerservice Hahn“ zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbinden.

 

4 Ergänzungen

  1. Genau das ist eines der wichtigsten Einsatzzwecke der Kunst. Sollte das verhalten hier strafbar sein, dann ist das ein Kahlschlag für die Kunstfreiheit. Sie polarisieren und kurbeln den Diskurs an und was gibt es besseres um das zu vermitteln als Kunst und Satire.

  2. Das Argument mit dem unseriösen Domainnamen würde ich angesichts von einmalzahlung200.de allerdings nicht gelten lassen. Unseriöse Domains kann unsere Regierung auch ganz gut :D

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